Nova Cançó
Mit Nova Cançó oder genauer mit Nova Cançó Catalana wird eine soziomusikalische Bewegung in Katalonien und den katalanischen Ländern (Valencia, Balearen) bezeichnet, die das Wiedererwachen und das Erstarken des katalanischen Selbstwertgefühls in der Spätphase der Franco-Diktatur ab Mitte der 1950-er Jahre musikalisch zum Ausdruck brachte. Diese Bewegung setzte den Franquismus mit musikalisch-künstlerischen Mitteln einer Fundamentalkritik aus. Ihr Ziel lag darin, die Ungerechtigkeiten und Verbrechen [1] des Systems offenzulegen und die katalanische Sprache und Kultur im öffentlichen Raum wiederzubeleben. Später entstanden im spanischen Baskenland und in Galicien vergleichbare Bewegungen. International bekannte Vertreter des Nova Cançó Catalana sind die Gruppen Els Setze Jutges (Die sechzehn Richter) und Els Esquirols (Die Eichhörnchen), sowie die Liedermacher Maria del Mar Bonet, Lluís Llach und Raimon.
Die Anfänge
Der Anfang dieser Bewegung liegt im Jahr 1956, als eine Gruppe um Josep Bonet, Joan, Maurici und Lluís Serrahima, Miquel Porter und Jaume Armengol erstmals unter der Franco-Diktatur Lieder und Chansons in katalanischer Sprache komponierten und im "Teatre Viu" [2] als Zwischenstücke zur Aufführung brachten. 1959 brachte der Artikel "Ens calen cançóns d'ara!" (Dt.: Wir brauchen Lieder von Heute!) [3] von Lluís Serrahima Autoren und Sänger zusammen, die 1961 die Gruppe Els Setze Jutges ins Leben riefen. Ab 1962 brachte das Label Edigsa erste Schallplatten mit Chansons der neuen katalanischen Liedermacher heraus. Unter den beteiligten Künstlern setzte ab 1962 ein Differenzierungsprozess ein. Manche gründeten Gruppen, andere schlugen den Weg des Liedermachers, des Liederautors oder auch den des Schlagersängers ein. Die professionelle Sängerin Salomé (Maria Rosa Marco i Poquet) und der valencianische Neuerer Raimon (Raimon Pelegero i Sanchis) erhielten 1963 beim fünften Mittelmeer-Gesangsfestival einen ersten Preis.
Der internationale Durchbruch
Trotz aller Repressionen seitens des Regimes gewann die Nova Cançó Catalana bedingt durch ihre zunehmende Professionalisierung und die damit verbundene Präsenz in Rundfunk und Fernsehen, sowie dem Medium der Schallplatte immer mehr an Einfluss und Anhängerschaft. Mit den Titeln "Se'n va anar" (Er ging fort), "Diguem No" (Sagen wir Nein) und "D'un temps, d'un país" (Über eine Zeit und über ein Land) füllte Raimon 1969 das Pariser Olympia. Lluís Llach wurde mit seinen Liedern "El Bandoler" (Der Räuber) und "L'Estaca" (Der Pfahl) international bekannt. "Maria del Mar Bonet" brachte 1967 die Leute mit ihrem Titel: "Què volen aquesta gent?" (Text: Lluís Serrahima; Dt.: Was wollen diese Leute?) zum Erschaudern. Auch spanischsprachige Liedermacher wie der Aragonese "José Antonio Labordeta" und Paco Ibáñez schlossen sich künstlerisch der Bewegung an. Auf den "Sis hores de Canet" (dt.: Die sechs Stunden von Canet) [4] von 1977 kulminierte die Entwicklung, als viele der anwesenden Liedermacher und alle Besucher erstmals öffentlich die immer noch verbotene Fassung von Els Segadors, der katalanischen Nationalhymne, anstimmten. Hiermit hatte gewissermaßen die Nova Cançó Catalana ihr sozio-politisches Hauptziel erreicht.
Bedeutung und Einordnung
Mit Pete Seeger, Georges Brassens, Georges Moustaki oder Joan Baez hat die Nova Cançó Catalana die sozial-ethische Komponente ihrer Lieder und Balladen gemeinsam. Das Spezifische der katalanischen Balladensänger und -dichter aber besteht in deren Bewußtsein, neben dem (katalanischen) Volkslied eine substantiell neue Form des Ausdrucks einer katalanischen Identität geschaffen zu haben. Die Liedermacher hatten gewissermaßen die Forderung Lluís Serrahimas: " Wir brauchen Lieder von Heute!" eingelöst. Sie gaben Konzerte in dem Bewußtsein, hier eine kollektive Identität nach ethischen Maßstäben neu zu schaffen, die aktuellen politisch-sozialen Mißstände zu überwinden und so zu einer Weiterentwicklung Kataloniens und damit auch Gesamtspaniens beizutragen. Beispielhaft für dieses Bewußtsein stehen Lluís Llach, Raimon, Quico Pi de la Serra oder Ovidi Montllor. Wie schon angedeutet war die Bewegung nicht auf Chansons und Balladen in katalanischer Sprache beschränkt. Joan Manuel Serrat und Guillermina Motta interpretierten Gedichte von Manuel Vázquez Montalbán in spanischer Sprache. Am deutlichsten kam die Reife und die Unabhängigkeit der Nova Cançó in der leisen, unspektakulären Selbstauflösung der Setze Jutges zum Ausdruck. Die soziale, die künstlerische und auch die wirtschaftliche Dynamik, die diese Bewegung erzeugt hatte, führte die ehemaligen Mitglieder der Gruppe auf unterschiedliche künstlerische Wege.
Fußnoten
- ↑ exemplarisch erwähnt sei hier die Hinrichtung des Studenten und Anarchisten Salvador Puig Antich im Jahr 1974
- ↑ Das "Theatre Viu" war ein modernes Wander- und Experimentaltheater, das unter Ricard Salvat und Miquel Porter Aufführungen in ganz Katalonien veranstaltete.
- ↑ Lluís Serrahima: Ens calen cançóns d'ara!, Dt.: Wir brauchen Lieder von Heute!; erschienen in der Zeitschrift "Germinabit"
- ↑ Die "Sis hores de Canet" sind ein jährlich stattfindendes Folk- und Chansonfestival in Canet bei Barcelona
Literatur
- Jordi Gràcia: La Nova Cançó, in: Història - Política, Societat i Cultura dels Països Catalans, volum 11, De la dictadura a la democràcia 1960 - 1980, p. 246 f, Barcelona (Enciclopèdia Catalana) 1998, ISBN 84-7739-989-1 (für den Bd. 11), ISBN 84-412-2483-8 (für das Gesamtwerk)