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Tatbestand

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Unter dem rechtswissenschaftlichen Begriff des Tatbestandes versteht man

  • einen konkreten Lebenssachverhalt (Faktum); der Begriff erklärt sich selbst als "Bestandsaufnahme" einer Tat im weitesten Sinne, also aller Umstände menschlichen Tuns,
  • in der Normentheorie einen Bestandteil einer (zumeist abstrakten) Norm,
  • im Verfahrensrecht die Bestandteile eines erstinstanzlichen Urteils, die den Sach- und Streitstand wiedergeben. Im Zivilurteil gliedert er sich zumeist in einen Einleitungssatz, der die Kardinalfragen an den Fall - wer will was von wem woraus - in dieser Reihenfolge beantwortet, in das unstreitige Parteivorbringen, das streitige Klägervorbringen, die Parteianträge, das Verteidigungsvorbringen des Beklagten und als letztes die Prozessgeschichte.

Die einzelnen Tatbestandsteile kennzeichnet der Richter stilistisch durch folgende Modi und Tempi:

Präsens Imperfekt/Präteritum Perfekt
Indikativ Einleitungssatz

Anträge

unstreitige Tatsachen Prozessgeschichte
Konjunktiv Rechtsansichten streitige Tatsachenbehauptungen


Normtatbestände mit Elementen des Verschuldens oder der Vorwerfbarkeit, insbesondere Straftatbestände enthalten objektive und subjektive Tatbestandmerkmale, die man in ihrer Gesamtheit auch objektiven und subjektiven Tatbestand nennt. Wer sie erfüllt, handelt insoweit tatbestandsmäßig.

Objektive Tatbestandsmerkmale beschreiben die Umstände, die das äußere Erscheinungsbild der Tat bestimmen, so z.B. die Person des Täters, das Handlungsobjekt oder die objektive Zurechenbarkeit.

Der subjektive Tatbestand bestimmt die inneren Gegebenheiten, die zu der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes noch hinzutreten müssen. Zu prüfen ist die Einstellung des Täters oder des zivilrechtlich Handelnden anhand intellektueller und voluntativer Elemente. Hierbei ist etwa für das Verschulden das Maß des Wissens und des Wollens bei einen erforderlichen Vorsatz und das Maß der Erkennbar- und Vermeidbarkeit für eine ausreichende Fahrlässigkeit festzustellen und auf dogmatisch erarbeiteten graduellen Skalen einzuordnen.

Unter linguistischem Gesichtspunkt ist der Terminus in denjenigen Fällen verfehlt, wo es eher um Sachverhalte denn um Taten geht.

Normentheorie

Tatbestand ist die Gesamtheit aller tatsächlichen Voraussetzungen des Gesetzes für eine Rechtsfolge; er benennt somit die abstrakten Merkmale, die einer Tat im rechtlichen Sinne zugrunde liegen. Er wird untergliedert in einzelne Tatbestandsmerkmale.

Man unterscheidet dabei zwischen geschriebenen und ungeschriebenen Tatbestandsmerkmalen. Die vom Gesetzgeber in die jeweilige Rechtsnorm geschriebenen Tatbestandsmerkmale werden in einigen wenigen Fällen von der herrschenden Meinung in Rechtsprechung, rechtswissenschaftlicher Literatur und/oder Lehre ergänzt (etwa zur Abgrenzung zu sonst zwecklosen Normen).

Außerdem ist zwischen objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen zu unterscheiden: während erstere (etwa Tatobjekt des Diebstahls "fremde, bewegliche Sache", § 242 StGB) für die Außenwelt wahrnehmbare Erscheinungsformen der Tatbestandsverwirklichung enthalten, existieren letztere Merkmale nur in der Person der Täters (etwa der Vorsatz oder eine Bereicherungsabsicht im Betrugstatbestand, § 263 StGB). Auch kann zwischen deskriptiven (beschreibenden) und normativen (ein Werturteil erfordernden) Tatbestandsmerkmalen differenziert werden: Während der Gesetzgeber mit dem Merkmal "Hund" (§ 143 StGB) nur etwas beschreibt, was sich in der allgemeinen Sachwahrnehmung vollständig erschließt, hat das Merkmal "Eigentum" (§ 823 Abs. 1 BGB) nur deshalb Aussagekraft, weil der Gesetzgeber selbst es geschaffen und präzisiert hat.

Vom Tatbestand losgelöst sind die rechtlichen Konsequenzen zu betrachten (Rechtsfolge). Der allgemeine Rechtsgrundsatz hierzu lautet: Da mihi factum, dabo tibi ius. ("Gib mir die Fakten, dann werde ich dir das Recht geben.", gemeint: Anhand der Fakten ist das Recht zu deduzieren; siehe auch Subsumtion.)

Der Begriff des Straftatbestandes ist mehrdeutig. Er wird einerseits dazu gebraucht, lediglich die objektiven und subjektiven Merkmale zu nennen (Tatbestand im engeren Sinne), andererseits wird der Straftatbestand bereits als das so genannte Unrecht (also eigentlich der Unrechtstatbestand) verstanden, der den Tatbestand im engeren Sinne und die Rechtswidrigkeit umfasst. Die weite Auffassung sieht den Begriff synonym zum Begriff der Straftat. Damit würde der Begriff neben dem Tatbestand im engeren Sinne auch die Rechtswidrigkeit und die Schuld umfassen.

Verfahrensrecht

Syllabus

Bei einem Urteil im Sinne der vom Gericht erstellten Urkunde bezeichnet der Tatbestand den im Verfahren ermittelten konkreten Lebenssachverhalt und des Geschehens in der Verhandlung selbst. Der Tatbestand gibt somit die Grundlage wieder, auf der das Urteil beruht. Der Tatbestand eines Urteils hat die Qualität einer öffentlichen Urkunde nach § 415 ZPO.

Im Zivilurteil enthält der Tatbestand den Tatsachenvortrag der Parteien, die Anträge und die Prozessgeschichte (z. B. die vom Gericht erhobenen Beweise und den Prozessverlauf), vgl. § 313 ZPO. Der Tatbestand liefert den Beweis für das mündliche Parteivorbringen. Dieser Beweis kann nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden § 314 ZPO. Enthält der Tatbestand Fehler, so kann ein Antrag auf Berichtigung des Tatbestandes nach § 320 ZPO gestellt werden. Offensichtliche Rechen- oder Schreibfehler und ähnliche Unrichtigkeiten kann das Gericht auch von Amts wegen berichtigen, § 319 ZPO.

Im Strafurteil und im öffentlichen Recht gibt es keinen Tatsachenvortrag, da die Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen erfolgt.

Siehe auch: Strafprozess, Zivilprozess, Zivilrecht, Urkundenprozess, Zivilprozessordnung, Fiktion.