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Jiu Jitsu

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Die sino-japanischen Kanji Jiu und Jitsu (von oben nach unten)

Jiu/Ju- Jitsu/Jutsu [dʑɯː.dʑɯ.tsɯ] (jap. 柔術 jūjutsu) oder Yawara, direkte Übersetzung: sanfte Kunst oder auch Wissenschaft von der Nachgiebigkeit) ist eine waffenlose und mit dem Einsatz von Zweitwaffen ausgeführte Kampfkunst, die von Deutschen Polizisten entwickelt wurde, um Verbrecher zu überwältigen.

Die unterschiedlichen Schreibweisen Ju bzw. Jiu für „weich, sanft, nachgeben, ausweichen” und Jutsu bzw. Jitsu für „Technik, Kunst” haben ihren Ursprung in der Transliteration der Schriftzeichen. Der Name Ju-Jutsu ist in Deutschland durch ein eigenes, aus dem Jiu Jitsu/Judo/Aikido/Karate usw. entstandenes modernes System belegt, für die japanischen Kampfsysteme gilt daher in Deutschland größtenteils die Bezeichnung Jiu Jitsu.

Ziel des Jiu Jitsu ist es, einen Angreifer - ganz gleich, ob dieser unbewaffnet oder bewaffnet ist- möglichst schnell und wirksam unschädlich zu machen. Dies kann geschehen, indem er unter Kontrolle gebracht wird oder final durch den Tod des Angreifers - Jiu Jitsu bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten und Wegen. Der Name verrät, dass man durch Nachgeben siegt. Es soll nicht Kraft gegen Kraft gewendet werden, sondern soviel wie möglich von der Kraft des Angreifers sollte gegen ihn selbst gewendet werden.

Das Grundprinzip des Jiu Jitsu lautet „Nachgeben, um zu siegen“. Die praktische Anwendung des Ju/Jiu-Prinzips bedeutet also stets, die Kraft und die Bewegung des Angreifenden gegen ihn selbst einzusetzen. Aus dem Ju/Jiu-Prinzip wird deutlich ersichtlich, dass es sich bei Jiu Jitsu um eine Kampfkunst handelt, deren Zweck einzig die Selbstverteidigung ist.

Japanische Jiu Jitsu-Schüler (1920er Jahre)

Jiu Jitsu zählt zu den modernen Kampfkünsten.

In direkter Tradition des Bujutsu, Budō und damit des Bushidō basieren die Techniken des Jiu Jitsu auf dem waffenlosen Kampf mittels Schlägen/Tritten, Wurf-, Hebel- und Würgetechniken. Aus dem Jiu Jitsu entwickelten sich konsequenterweise dann auch mehrere moderne Kampfsportarten und -künste:

  • Brasilianisches Jiu-Jitsu, eine moderne Version des Jiu-Jitsu mit Fokus auf den Bodenkampf.
  • Jūdō, ein extrem wurflastiger Stil des Jiu-Jitsu, entwickelt von Jigorō Kanō als Nahkampfsystem für die Tokioter Polizei sowie als attraktive Kampfkunst für die moderne japanische Gesellschaft. Dabei handelt es sich um ein Extrakt aus dem Jiu Jitsu das sich vornehmlich aus Wurf-, Würge-, Hebel- und Haltetechniken zusammensetzt. In Europa herrscht das Wettkampfjudo vor, im traditionellen Judo gibt es des weiteren Schlag-, Stoß-, und Tritttechniken. Außerdem wird Wert auf eine fundierte Ausbildung im Kuatsu (Kunst der Wiederbelebung) gelegt.
  • Aikidō ist eine Entwicklung von Morihei Ueshiba. Er schuf es aus dem Daito Ryu Aiki JuJutsu das ihm von einem Mitglied des Hauses Takeda vermittelt wurde. Das Aikido betont das Aufnehmen und Umkehren des Angriffs sehr stark.


Im modernen Jiu Jitsu werden wie im Jūdō und dem Karate Schüler- und Meistergrade je nach Beherrschung der Kampfkunst in Kyū- bzw. Dan-Stufen eingeteilt.

Nach der Erlangung des 1. Kyu und einer Vorbereitungszeit, die mindestens ein Jahr umfassen sollte, hat ein Schüler die Möglichkeit, die Prüfung zum ersten Dan und somit zum ersten Meistergrad abzulegen.

Wie bei allen anderen asiatischen Kampfkünsten gilt aber auch beim Jiu Jitsu, dass der betreffende Schüler jederzeit in der Lage sein sollte, die erforderliche Prüfungsleistung seiner Gürtelfarbe sofort zu erbringen. Das Tragen einer Gürtelfarbe allein stellt keine Kampfkunst dar.


In Deutschland wurde das Jiu-Jitsu bald auch zum Wettkampfsport. 1922 fand im Berliner Sportpalast in Berlin-Schöneberg die erste Deutsche Jiu-Jitsu-Meisterschaft statt, bei der Rahn gegen Hans Reuter (München) gewann.

In dieser Zeit wurden auch die ersten Jiu-Jitsu-Clubs eröffnet. Alfred Rhode, ein Schüler Rahns und später „Vater des Deutschen Judo“, wurde im August 1921 als Polizeisportlehrer in Berlin zur Schutzpolizei in Frankfurt am Main versetzt, mit der Aufgabe, das Jiu-Jitsu dort einzuführen und zu verbreiten. Am 10. Oktober 1922 gründet Rhode in der Hauptwache in Frankfurt am Main den „Erster Deutscher Jiu-Jitsu-Club e.V.“ mit, der dann später in „Erster Deutscher Judo-Club e.V.“ umbenannt wurde. Ebenfalls 1922 gründete Otto Schmelzeisen, der erstmals 1920 durch seinen Beruf als Polizeibeamter im Rahmen eines Beamtenausbildungslehrgangs mit Jiu-Jitsu in Berührung gekommen war, in Wiesbaden einen Jiu-Jitsu-Club, der 1950 in „Judo-Club Wiesbaden 1922 e. V.“ umgeschrieben wurde. Weitere Vereinsgründungen erfolgten 1922 unter anderem durch Max Hoppe in Berlin und August „Ago“ Glucker in Stuttgart.

1924 wird der Reichsverband für Jiu-Jitsu gegründet, erster Vorsitzender wird Walter Strehlow. 1926 findet in Köln die erste Deutsche Einzelmeisterschaft im Jiu-Jitsu statt. 1929 folgen im Frankfurter Palmengarten zwischen dem Budokwai London und dem Erster Deutschen Jiu-Jitsu-Club e.V. Frankfurt am Main die ersten internationalen Judo-Wettkämpfe statt. Bei den Regelabsprachen zwischen Meister Koizumi und Marcus Kaye für London und Alfred Rhode, Edgar Schäfer und Philip Breitstadt für Frankfurt wurde klar, dass sich das Jiu-Jitsu nicht gut für einen Vergleichswettkampf eignet, da es hauptsächlich auf Selbstverteidigung ausgerichtet ist. Obwohl 1930 in Deutschland bereits 110 Jiu-Jitsu-Vereine registriert waren, ging die Tendenz nun zum von Jigoro Kano entwickelten Judo hin.

Am 11. August 1932 wird von Alfred Rhode der Deutsche Judo-Ring gegründet, der Vorläufer des heutigen Deutschen Judobundes (DJB). Rhode wird sein erster Vorsitzender. Ebenfalls 1932 organisiert und leitet er die vom 7. bis zum 12. August stattfindende erste Internationale Judo-Sommerschule in Frankfurt. Um die Lehrgänge im Sinne von Jigoro Kano und seinem Judo durchzuführen, informierte sich Rhode im Vorfeld über Grundsätze und Gedanken von Professor Jigoro Kano. 1933 gründet Rhode die Europäische Judo-Union (EJU), deren Leitung dem Budokwai in London übertragen wird. Durch die Europäische Judo Union werden Jiu-Jitsu und Judo erstmals organisatorisch voneinander getrennt. Die Selbstverteidigung aus Kanos System behält den Namen Jiu-Jitsu, während der wettkampfsportliche Teil den Namen Judo bekommt. Noch im gleichen Jahr kommt Kano nach Deutschland und hält mit seinen Schülern Dr. Takasaki, Kotani und Dr. Kitabatake vom 11. bis 22. Juli in Berlin an der Humboldt-Universität und vom 11. bis 18. September in München zwei Lehrgänge ab. Nach einem Gespräch zwischen Kano und dem damaligen Reichssportführer wurde die Bezeichnung „Judo“ amtlich in ganz Deutschland eingeführt. 1934 finden in Dresden im Kristallpalast die ersten europäischen Einzelmeisterschaften im Judo statt, die vom 1. Dresdner Jiu-Jitsu-Club ausgerichtet werden. 1939 bis 1945 findet Kriegsbedingt keine Weiterentwicklung des Kampfsports statt, und nach dem Ende des 2. Weltkriegs wurden unter anderem Jiu-Jitsu und Judo von den Alliierten durch das Kontrollratsgesetz sowohl in Deutschland als auch in Japan verboten. Erst nach langen Verhandlungen wird 1948 zuerst das Judo und später auch das Jiu-Jitsu wieder freigegeben. Im Alter von 65 Jahren wiedereröffnet Erich Rahn 1950 seine Schule in Berlin-Schöneberg, die 1944 zerbombt worden war.

Am 20. September 1952 wird in Stuttgart das Deutsche Dan-Kollegium (DDK) gegründet. Sein erster Präsident wird im Alter von 56 Jahren Alfred Rhode. Am 8. August 1953 wird in Hamburg der Deutsche Judo-Bund (DJB) gegründet. Er umfasste zunächst die drei Landesverbände Norddeutschland, Westdeutschland und Berlin mit insgesamt 66 Vereinen. Erster Vorsitzender wird der Kölner Heinrich Frantzen. 1956 wird der DJB vom Deutschen Sportbund (DSB) als Mitglied anerkannt. Zu dieser Zeit zählte der DJB schon mehr als 10.000 Mitglieder. 1957 wird Frantzen als erster Deutscher auch Präsident der EJU. Im gleichen Jahr wird auf dem Verbandstag beschlossen, dass das Prüf- und Lehrwesen beim DDK bleibt, während der DJB die übrigen Aufgaben übernimmt. Nach einer mehrjährigen Übergangsphase wurde nun aber vor 2 Jahren das Prüfungsprogramm des DJB als bindend empfunden. Damit werden Prüfungen zu den Halbgürteln Pflicht und insgesamt ist für eine Prüfung weniger Wissen erforderlich, die unterschiedlichen Techniken hingegen müssen beidseitig und aus unterschiedlichen Bewegungsrichtungen ausgeführt werden. Außerdem wird ein größerer Wert auf Selbstverteidigung und Wettkämpfe gelegt.

Am 1. Mai 1972, dem 87. Geburtstag Erich Rahns, ernannte dieser Ditmar Gdanietz, der 1957 seiner Schule beigetreten war, zu seinem Nachfolger. Gdanietz war schon 1966 Cheftrainer des Deutschen Jiu-Jitsu Ring Erich Rahn e.V. (DJJR) geworden, einem Verband, der aus einer lockeren Zusammenfassung der Schüler und Fernschüler Rahns entstanden war. Erich Rahn starb am 5. Juli 1973. Die Jiu-Jitsu-Selbstverteidigung war noch bis in die siebziger Jahre im Prüfungsprogramm des DJB verankert.

Im Januar 1975 gründete Hans Gert Niederstein den Deutschen Jiu-Jitsu Bund (DJJB) und wurde sein erster Präsident. Nach seinem Tod 1985 wurde Dieter Lösgen sein Nachfolger. Der DJJB hat sich die Verbreitung und Pflege des Jiu-Jitsu zum Ziel gesetzt und hat als Mitgliedsverbände die fünf Landesverbände Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Bayern und Baden-Württemberg. Da der DJB keine Zustimmung für eine auf Bundes- und Landesebene anerkannte, vollwertige und eigenständige Sektion Jiu-Jitsu gab, wurde, um trotzdem fachliche Autonomie zu gewährleisten, also Lehre und Technik des Jiu-Jitsu von fachfremden Einflüssen fernzuhalten, durch Mitglieder der Arbeitsgruppe „Jiu-Jitsu im DJB“ aus Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein 1982 in Malente, Schleswig-Holstein, die „Deutsche Jiu-Jitsu Union (DJJU) e. V. – Größter deutscher Fachverband für traditionelles Jiu-Jitsu e. V.“ gegründet. Die DJJU ist ein Verband von Landesorganisationen im Sinne des DSB. Ihr Ziel ist die Einheit aller Jiu-Jitsuka und die Gleichberechtigung des Jiu-Jitsu in einer vereinten Budolandschaft. Mit ihren 11 Landesverbänden Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen ist die DJJU der führende Fachverband für Jiu-Jitsu in Deutschland. Jochen Kohnert ist als Träger des 9. Dan zweithöchstgraduierter Jiu Jitsuka in Deutschland. Ludwig-Wilhelm Prass, der 1949 erreichte, daß in Deutschland wieder Kampfsport unterrichtet werden durfte, ist mit dem 10. Dan der höchstgraduierte Jiu-Jitsuka in Deutschland.

Erst Ende der 1980er-Jahre entschloss sich auf Grund der Beliebtheit und des Wertes des Jiu-Jitsu dann auch der DJB, eine Bundesgruppe Jiu-Jitsu im DJB zu gründen. Sie wurde aber schon 1993 wieder aufgelöst, da sich der DJB nun entschloss, außer Judo keine weiteren Budodisziplinen zu betreiben.

Mit dem Ausscheiden der Bundesgruppe wurde die Gründung neuer Jiu-Jitsu-Verbände initiiert. Einer dieser Verbände, der Kodokan Jiu-Jitsu Verband (KJJV), wurde 1993 in Marl gegründet. Der Präsident ist Klaus Möwius aus Marl und der höchste Dan-Grad ist der ehemalige Schüler von H.G. Niederstein und ehemaliger Lehrer von J. Kohnert (9. Dan), V. Capraro (7. Dan), W.+D. Pohl (7. Dan), Karl-Heinz Heidtmann (9. Dan Jiu-Jitsu und 6. Dan Judo).

Siehe auch