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Anarchismus

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Ein Symbol anarchistischer Bewegungen

Anarchismus (griech. Αναρχισμός, abgel. von ἀναρχία „Herrschaftslosigkeit“; Kompositum aus α privativum und ἀρχή, „Herrschaft“) ist eine politische Ideenlehre und Philosophie, die Herrschaft von Menschen über Menschen und jede Art von Hierarchie als Form der Unterdrückung von individueller und kollektiver Freiheit ablehnt. Daher wird von seinen Anhängern eine anarchistische Gesellschaft als freiwilliger Zusammenschluss von selbstbestimmten Individuen und Kollektiven propagiert. Unter der Anarchie in diesem Verständnis wird damit die Aufhebung hierarchischer Strukturen in einem umfassenden Sinn – bis hin zur Auflösung der staatlichen Organisiertheit der menschlichen Gesellschaft – verstanden. Im Mittelpunkt stehen Freiheit, Selbstbestimmung, Gleichberechtigung, Selbstverwirklichung der Individuen und Kollektive Selbstverwaltung. Insofern wird der Anarchismus von seinen Vertretern in einem sozialrevolutionären Sinn auch verstanden als Synthese zwischen individueller Freiheit und sozialer Verantwortung für die Gemeinschaft.

Ein Mensch, der nach diesen Prinzipien lebt oder eine herrschaftsfreie Gesellschaft anstrebt, wird als Anarchist bezeichnet. Bisweilen wird das Adjektiv libertär (dt. freiheitlich) als Synonym für „anarchistisch“ benutzt.

Strömungen

Grundformen

Voltairine de Cleyre, eine Vertreterin des Anarchismus ohne Adjektive

Wegen der Vielzahl sich überschneidender anarchistischen Ausformungen wird für allgemeinen Anarchismus, wie ihn etwa Malatesta vertreten hat, zuweilen der Begriff „Anarchismus ohne Adjektive“ oder strömungsloser Anarchismus gebraucht. Der Ausdruck wird entweder für Anarchismus verwendet, der sich einer Klassifizierung verweigert, oder der sich den verschiedenen Strömungen gegenüber tolerant zeigt.

Alle Hauptströmungen stimmen in der Ablehnung des Staates – besonders in seiner Ausprägung als Monarchie und Diktatur – und des Klerikalismus überein. Aus der Geschichte gewerkschaftlicher Organisation und gegenseitiger Unterstützung (frz. mutuel) hat sich der Mutualismus herausgebildet, der eine soziale Symbiose in einem herrschaftsfreien System zum Ziel hat. Dies wurde von Proudhon zum Proudhonismus weiterentwickelt, der revolutionäre Elemente beinhaltet, aber weiter auf Tauschwertäquivalenten basiert. Der kollektivistische Anarchismus wurde von Michail Bakunin entworfen, demzufolge die revolutionäre Arbeiterklasse den entscheidenden Faktor als Triebkraft für die anarchistische Revolution ausmacht. Viel weiter geht der kommunistische Anarchismus, der von Kropotkin begründet wurde und sich nicht nur gegen das gesellschaftliche System, sondern jeden ökonomischen Wert wendet; sei es Geld, Arbeit oder Ware. Die im postmarxistischen Diskurs verortete Wertkritik ist zu weiten Teilen schon in Kropotkins Schriften angelegt. Er war zudem scharfer Kritiker des Bolschewismus unter Lenin.[1]

Der individualistische Anarchismus ist eine Strömung, die das Individuum und seine Interessen als einzig ausschlaggebenden Faktor der Gesellschaft ansieht und damit einen Gegensatz zu den vorgenannten sozial orientierten Formen darstellt. Die individualistische Strömung wurde in den USA vor allem von Benjamin Tucker entwickelt, für den europäischen Raum ist Max Stirner bedeutsam; obwohl er sich nie als Anarchist bezeichnet hat und von den führenden anarchistischen Theoretikern ignoriert wurde[2], dient seine Philosophie als Bezugspunkt für den Individualismus.

Der Gegensatz zwischen Individualismus-Egoismus und Kollektivismus-Altruismus stellt den wichtigsten anarchistischen Streit dar.

Weitere Strömungen

Emma Goldman

Die bekannteste und international am stärksten organisierte Richtung ist der Anarchosyndikalismus. Seine Idee ist die Zusammenführung der Lohnabhängigen in Gewerkschaften, die sich von Tarifparteien durch die Unterstützung des revolutionären Syndikalismus unterscheiden. Die mit fast zwei Millionen Mitgliedern bislang größte anarchosyndikalistische Gewerkschaft war im Spanien der 1930er Jahre die Confederación Nacional del Trabajo (CNT), die nach der Zeit des Franquismus reorganisiert wurde. Christliche Anarchisten glauben, dass Freiheit direkt durch die Lehre Jesu spreche. Dieser Anarchismus ist zumeist strikt pazifistisch und antiklerikal und verneint die Autorität der Kirchen wie des Staates. Der anarchistische Föderalismus wurde von Pierre Joseph Proudhon begründet. Er baut auf die Vernetzung kommunaler Strukturen und gilt auch in anderen Strömungen als Grundprinzip. Der Anarchozionismus, zum Beispiel vertreten von Bernard Lazare, entstand aus den Erfahrungen verschiedener antisemitischer Pogrome des späten 19. Jahrhunderts. Die Idee war ein jüdisches Gesellschaftssystem ohne Staat. Durch die Zusammenarbeit mit zionistischen Sozialisten wurden viele jüdische Siedlungen in Palästina (Kibbuzim) unter britischem Mandat nach anarchistischen Vorstellungen organisiert.[3] Eine starke Strömung in Kanada ist der Primitivismus, der die Rückkehr zu vorindustriellen Formen des Wirtschaftens propagiert. Für die rein gewaltfreie Umsetzung steht der Anarchopazifismus. Aus Reflexion über die Niederlage des Anarchismus in der Ukraine wurde der Plattformismus entwickelt, der eine stärkere Gemeinschaft, deutliche Verständigung über die ideologische Ausrichtung und Verbindlichkeit in der Praxis fordert. Ein ähnliches Modell vertritt der „Especifismo“ in Südamerika. Der „Insurrektionistische Anarchismus“ ist eine revolutionäre Theorie und Praxis innerhalb der freiheitlichen Bewegung, die sich formalen Organisationen wie Basisgewerkschaften und Föderationen entgegenstellt, die auf einem politischen Programm und regelmäßigen Treffen basieren. Stattdessen befürworten Insurrektionisten Direct Action, informelle Organisationen und Affinity Groups (autonome Gruppen) oder Massenorganisationen mit nichtanarchistischen Mitgliedern.

Im späten 20. Jahrhundert hat sich der Anarchismus weiter ausdifferenziert. Die französische Variante von 1968, der Situationismus, zeigte sich in der Studentenbewegung, und den Mai-Unruhen. Forderungen waren unter anderem Abschaffung der Ware, der Arbeit, der Hierarchien, Aufhebung der Trennung zwischen Kunst und Leben. Der Anarchafeminismus ist eine Wortschöpfung der 1970er Jahre und vereint den Radikalfeminismus mit der anarchistischen Idee. Es gibt in der anarchistischen Bewegung schon Vorläufer, so hat Emma Goldman den Kampf um weibliche Gleichberechtigung mit dem um Herrschaftsfreiheit verbunden. Öko-Anarchismus ist die Bezeichnung für die Verknüpfung von Ablehnung der Herrschaft von Menschen über Menschen mit der Ablehnung der Herrschaft des Menschen über die Natur. „Folk-Anarchy“, auch der „kleines-a-Anarchismus“, sind in den USA entwickelte „postlinke“ anarchistische Strömungen. Dieser Ansatz findet sich in Netzwerken wie CrimethInc. und der Curious George Brigade, die sich gegen nostalgische Theorie- und Personenbezüge richten und eine „Do it yourself“-Praxis (DIY) fordern: „eine Anarchie geschaffen von gewöhnlichen Menschen, die außergewöhnliche Leben leben, genannt Folk-Anarchy.“ [4] Der Postanarchismus ist ein Sammelbegriff für postmodernen, postfeministischen und poststrukturalistischen Anarchismus.

Die Begriffssetzung Neo-Anarchismus ist keine Strömung, sondern beschreibt die historische Erscheinungsform im Zuge der 68er Bewegung in Deutschland, in der der theoretische Anarchismus wiederentdeckt wurde und die Hierarchiefreiheit in progressiven und „linken“ Gruppen Einzug hielt.

Eigenständige Formen

Beim Anarchokapitalismus stehen Freiheit und Eigentum des Individuums im Vordergrund. Ideologisch propagiert er eine Mischform zwischen individualistischem Anarchismus und kapitalistischem Liberalismus. Wenn im angelsächsischen Raum von Libertarismus gesprochen wird, ist zumeist diese Strömung gemeint, die häufig mit Minarchismus, der ein Konzept des Minimalstaats vertritt, einhergeht.

Geschichte

Antike

Aristoteles

Die Dichter Homer (8. Jh.v.Chr.) und Herodot (490 bis etwa 420/25 vor Chr.) nennen Anarchia eine Gruppe Menschen oder Soldaten „ohne Anführer“. Bei Xenophon (um 580 bis 480 vor Chr.) wird der Begriff erstmals für Herrscherlosigkeit verwendet: die Anarchia ist ein Zeitraum ohne obersten Staatsbeamten, den Archon.[5] Euripides (480–407 vor Chr.) bezeichnet damit Seeleute ohne Leiter. Aristoteles (384 bis 322 v.Chr.) beschrieb Anarchie als „Umstand von Sklaven ohne Herren“.

16. Jahrhundert

Zu den Vorläufern des Anarchismus wird Étienne de La Boétie gezählt, der im Alter von 18 Jahren das grundlegende Werk Discours de la servitude volontaire ou le Contr'un (deutsch: Von der freiwilligen Knechtschaft oder das Gegen Einen) schrieb. Die Monarchien stützen sich keineswegs nur auf Repression, häufig können sie sich der Zustimmung der Massen ziemlich sicher sein, die sich in ihre Knechtschaft ergeben und eher versuchen, selbst Herren zu werden, als sich gegen diese zu wenden. La Boétie war Adliger und hatte Zeit, sich mit antiken Schriften zu beschäftigen und sie zu übersetzen. Dabei „entdeckte“ er viele vergessene, moderne politische Fragen und überlegte, warum in Frankreich nur einer herrschte. Eine Grundkritik des Anarchismus, das Herr-/Knechtschaftsverhältnis in der Gesellschaft, hat La Boétie erstmals für die Neuzeit formuliert. Das Werk wurde erst nach seinem Tod von französischen Revolutionären veröffentlicht.[6]

17. Jahrhundert

1649, einem Jahr großer sozialer Unruhen, entstand in England die religiös-anarchistische Bewegung der True Levellers, die versuchte, die bestehende gesellschaftliche Unordnung durch die Gründung kleiner, landwirtschaftlicher Kommunen auf egalitärer Basis zu beheben. Durch freiwilligen Zusammenschluss aller einfachen Leute sollten die Herrschenden ausgehungert werden, wenn sie sich nicht den Kommunen anschließen. Schon 1651 waren die Kolonien der gemeinschaftlich wirtschaftenden Dissidentengruppe durch Obrigkeit und lokale Grundbesitzer wieder zerstört.

18. Jahrhundert

Während der französischen Revolution wird der Begriff Anarchist erstmals auch mit negativer Konnotation versehen: Allem Anschein nach ist es der Girondist Jacques Pierre Brissot, der ihn in einer Wahlrede vom 23. Mai 1793 als erster zur Diskreditierung des politischen Gegners benutzt. Im gleichen Jahr formuliert William Godwin in seinem Werk Enquiry concerning political justice, dass jedwede obrigkeitliche Gewalt als ein Eingriff in die private Urteilskraft anzusehen sei. Seine Ideen werden jedoch lange Zeit nicht aufgenommen. Erst Pierre Joseph Proudhon bezeichnet sich selbst als Anarchist und stellt die wesentlichen Elemente des Anarchismus in seinem Werk Qu'est-ce que la propriété? ou recherches sur le principe du droit et du gouvernement (1840) (Was ist Eigentum? oder Forschungsarbeiten zum Grundsatz des Rechts und der Regierung) zusammen. Er formuliert: „Eigentum ist Diebstahl.“[7]

19. Jahrhundert

Ludwig Börne (ca. 1835)

Ludwig Börne (1786 bis 1837) sprach sich im deutschsprachigen Raum als Erster für Anarchie in der Gesellschaft aus, wiewohl er historisch nicht eindeutig dem Anarchismus zuzuordnen ist und wechselnde politische Positionen vertrat: “Nicht darauf kommt es an, daß die Macht in dieser oder jener Hand sich befinde: die Macht selbst muß vermindert werden, in welcher Hand sie sich auch befinde. Aber noch kein Herrscher hat die Macht, die er besaß, und wenn er sie auch noch so edel gebrauchte, freiwillig schwächen lassen. Die Herrschaft kann nur beschränkt werden, wenn sie herrenlos – Freiheit geht nur aus Anarchie hervor. Von dieser Notwendigkeit der Revolution dürfen wir das Gesicht nicht abwenden, weil sie so traurig ist. Wir müssen als Männer der Gefahr fest ins Auge blicken und dürfen nicht zittern vor dem Messer des Wundarztes. Freiheit geht nur aus Anarchie hervor – das ist unsere Meinung, so haben wir die Lehren der Geschichte verstanden.“[8]

Anarchismus versus Marxismus

Aus den Ideen der Aufklärung, verbunden mit den sich verstärkenden radikalen Strömungen des revolutionären Liberalismus seit der französischen Revolution von 1789 und verschiedenen frühsozialistischen Ansätzen, entwickelten sich die Vorstellungen des modernen Anarchismus etwa zeitgleich mit den kommunistischen Ideen von Weitling und Marx und zunehmend in gegenseitiger Abgrenzung voneinander. Die politischen Differenzen zwischen Kommunisten und Anarchisten führten zu historisch konfliktträchtigen Situationen in der Arbeiterbewegung und der politischen Linken insgesamt; Auseinandersetzungen, die bis in die Gegenwart andauern.

Pierre-Joseph Proudhon als ein früher Vordenker des Syndikalismus gilt als Begründer der anarchistischen Strömungen des Föderalismus und Mutualismus. Er kam 1840 in seiner Schrift Qu' est-ce que la propriété? („Was ist das Eigentum?“) zu dem Schluss: „Eigentum ist Diebstahl!“, wobei er unter Eigentum solches verstand, das die Voraussetzung für Einkommen ohne Arbeit ist. Damit stellte er Privateigentum an Produktionsmitteln, Mietshäusern, Wertpapieren und ähnlichem ins Zentrum seiner Kritik an den herrschenden, politischen und sozialen Verhältnissen im Kapitalismus. Dieses sei ebenso wie der bürgerliche Staat, der es schützen soll, direkt und unmittelbar zu bekämpfen und durch selbstorganisierte Formen des Gemeineigentums zu ersetzen.

In einem Briefwechsel setzte sich Proudhon mit Karl Marx auseinander. Dabei stellte sich heraus, dass beide Themen wie Macht, Freiheit des Individuums, Rolle des Kollektivs als revolutionärem Subjekt sehr verschieden bewerteten. Proudhon argumentierte stärker mit philosophisch-ethischen Prinzipien, während Marx diese als bloß moralische Ideale kritisierte und eine wissenschaftliche Analyse der Widersprüche zwischen Kapital und Arbeit vermisste. Für ihn war nicht jedes Privateigentum an sich, sondern der Privatbesitz an den Produktionsmitteln das Grundübel.

Proudhons Anhänger Michail Bakunin (kollektivistischer Anarchismus) und später Pjotr Alexejewitsch Kropotkin (kommunistischer Anarchismus) verbanden seine Theorien mit der Agitation für eine soziale Revolution, die zur radikalen Umwälzung der Besitzverhältnisse notwendig sei. In diesem Punkt stimmten sie mit Marx und Engels überein. Bakunin lehnte die führende Rolle einer revolutionären Kaderpartei jedoch ebenso ab wie staatliche Hierarchien und verwarf damit Marx´ Forderung nach der Gründung kommunistischer Parteien als revolutionärer Elite in den einzelnen Staaten ebenso wie die These von der „Diktatur des Proletariats“, die zur klassenlosen Gesellschaft führen solle. Er glaubte nicht, dass die Arbeiter zuerst die politische Staatsmacht erringen müssten, damit der Sozialismus aufgebaut und der Staat absterben könne, sondern wollte diesen direkt abschaffen. Diese Konzeption nannte er „antiautoritären Sozialismus“; ein Konzept, das von den Marxisten als „kleinbürgerlich-pseudorevolutionäre Ideologie“ abgelehnt wurde.

Zwischen 1864 und 1872 waren Anarchisten und Marxisten in der noch aus einer Vielzahl politisch divergierender Gruppen der Arbeiterbewegung bestehenden Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) gemeinsam organisiert. Als der ideologische Konflikt zwischen den Anhängern von Bakunin einerseits und denen von Marx andererseits – beispielsweise aufgrund der Analyse der gescheiterten Pariser Commune von 1871 – eskaliert war, wurde Bakunin 1872 aus der IAA ausgeschlossen. Der ideologische Konflikt, der 1876 zur Auflösung der IAA (heute auch unter der Bezeichnung „Erste Internationale“ bekannt) geführt hatte, markiert die erste grundlegende Zäsur in der Geschichte des Sozialismus und der internationalen Arbeiterbewegung – noch vor deren weiteren Aufspaltung am Wechsel vom 19. zum 20. Jahrhundert in einen reformorientierten (sozialdemokratischen) und einen revolutionären (kommunistischen) Flügel.

Seit dem Auseinanderbrechen der IAA grenzen sich – Rudolf Rocker zufolge – Anarchisten in folgenden Punkten grundsätzlich vom Marxismus ab:

  • Ablehnung der von Hegel geprägten marxistischen „Schicksalstheorien“. In der Geschichte gebe es überhaupt keine Zwangsläufigkeiten („historischen Notwendigkeiten“, „Zwangsläufigkeit des historischen Geschehens“), „sondern nur Zustände, die man duldet und die in Nichts versinken, sobald die Menschen ihre Ursachen durchschauen und sich dagegen auflehnen“ (Rocker).
  • Ablehnung des „Historischen Materialismus“. Aus den wirtschaftlichen Verhältnissen könnten nicht alles „politische und soziale Geschehen“ erklärt werden.
  • Der Anarchismus begreift die Menschen als handelnde Individuen, lehnt die Betrachtung von Menschen als Masse ab.
  • Grundsätzliche Ablehnung eines Staates. Die Produktionsmittel von der Privatwirtschaft einem Staates zu übergeben, „führt lediglich zu einer Diktatur durch den Staat“ (Rocker).
  • Ablehnung von Gesetzen und Gesetzgebern. Entscheidungen werden dezentral, kollektiv und im Konsens entschieden. „Nur das freie Übereinkommen, ‚könnte‘ das einzige moralische Band aller gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen untereinander sein“ (Rocker).
  • Ablehnung einer Übergangsphase vom Kapitalismus zum Sozialismus. Der „Wille zur Macht“ müsse in einer freien Gesellschaft grundsätzlich bekämpft werden.
  • radikale Ablehnung aller kapitalistisch geprägten Begriffe:
Sämtliche Wertbegriffe, wie wir sie heute kennen, sind samt und sonders kapitalistische Begriffe. Luft, Sonnenlicht, Regen, Erdfeuchtigkeit, Humus, kurz, viele der wichtigsten Produktionsfaktoren sind, weil sie nicht monopolisiert werden konnten, heute kapitalistisch wertlos. (…) Mit dem Aufhören des Eigentumsbegriffes an Produktionsmitteln hört auch jeder Wertbegriff für den einzelnen auf. (Pierre Ramus, Franz Barwich)

„Propaganda der Tat“

Michail Bakunin, russischer Anarchist und Sozialrevolutionär

Im 19. Jahrhundert, waren es Revolutionäre wie Michail Bakunin, die eine Notwendigkeit von politisch motivierter Gewalt zur Verteidigung der Arbeiterklasse gegen Unterdrückung durch die herrschende Klasse darlegten.

Bakunin war schon während der Märzrevolution von 1848/1849 auch an führender Stelle bei regionalen Aufständen beteiligt, beispielsweise im Mai 1849 im Königreich Sachsen am Dresdner Maiaufstand, der die Anerkennung der vom König und weiteren führenden Fürsten des Deutschen Bundes abgelehnten Paulskirchenverfassung und die Durchsetzung einer demokratischen Republik in Sachsen (vgl. Reichsverfassungskampagne) zum Ziel hatte, aber von sächsischem und preußischem Militär niedergeschlagen wurde.

Einige der frühen Anarchisten unterstützten politische Gewalt durch Bombenattentate oder die Ermordung von Staatsoberhäuptern wie Zar Alexander II. von Russland (1881).

Diese Aktionen, von Peter Kropotkin anlässlich eines internationalen revolutionären Kongresses 1881 in London als „Propaganda der Tat“ bezeichnet, wurden aber von anderen als kontraproduktiv oder ineffektiv angesehen.

Schon einige Jahre zuvor hatten symbolträchtige Anschläge auf Kaiser Wilhelm I. und die Könige von Spanien und Italien stattgefunden. Am 24. Juni 1894 aber tötete der junge italienische Einwanderer Sante Jeronimo Caserio, der dem anarchistischen Umfeld zuzurechnen war, den französischen Präsidenten Sadi Carnot. Dies war der Höhepunkt einer ganzen Serie von anarchistisch motivierten terroristischen Anschlägen in Frankreich. Weiterhin zu erwähnen ist der Anarchist Leon Czolgosz, der am 6. September 1901 in Buffalo (New York) auf den Präsidenten William McKinley schoss. McKinley starb acht Tage später.

Die 90er-Jahre des 19. Jahrhunderts wurden als ein „Jahrzehnt der Bomben“ bezeichnet. Anschläge mit Dynamit – einer ganz neuen Erfindung – in rascher Folge richteten sich gegen Monarchen, Präsidenten und Minister. Andere trafen offizielle Gebäude.

Durch die relative Häufung der im Rahmen des Konzepts der Propaganda der Tat erfolgten Attentate innerhalb einer vergleichsweise kurzen Periode zum Ende des 19. Jahrhunderts in verschiedenen Ländern, kam es in der öffentlichen Meinung zu einer Reduktion des Anarchismus auf Terroranschläge, eine Ansicht, die bis heute verbreitet ist.

Individualistischer Anarchismus

Individualistischer Anarchismus (auch Individualanarchismus genannt) ist eine im 19. Jahrhundert in Nordamerika entstandene angelsächsische Lehre, die die Überlegenheit und Autonomie des Individuums betont und in Opposition zum Kollektivismus steht. Sie gilt als Extremform des Liberalismus. Das Ziel der gleichen Freiheit aller soll durch Aufklärung und Steuerverweigerung erreicht werden. Als sein hauptsächlicher Begründer gilt Benjamin Tucker. In Deutschland vertrat ihn der Dichter und Schriftsteller John Henry Mackay, der sich hauptsächlich auf Benjamin Tucker und Max Stirner berief.

Kommunistischer Anarchismus

Peter Kropotkin

Peter Kropotkin entwickelte in seinem Buch „Gegenseitige Hilfe“ (1897) den kommunistischen Anarchismus, dessen wissenschaftlicher Aspekt auf der Evolutionstheorie basiert, sich jedoch gerade gegen Sozialdarwinismus ausspricht. Die Zusammenarbeit verschiedener Individuen ist ein sehr starker Faktor gegenüber dem Konkurrenzkampf. Zusammenschlüsse von Individuen gibt es auf verschiedensten Entwicklungsstufen des Lebens.

20. Jahrhundert

Anarchisten spielten in vielen Arbeiterbewegungen, Aufständen und Revolutionen des 19. und 20. Jahrhunderts eine Rolle. Dazu gehören etwa die Mexikanische Revolution von 1910 bis 1919 mit der Bauernarmee unter Führung von Emiliano Zapata, die Oktoberrevolution 1917 in Russland und die nach ihrem führenden Partisanen Nestor Machno benannte Bewegung der Machnowzi zwischen 1917 und 1921 in der Ukraine; auch in der kurzlebigen Münchner Räterepublik von 1919 waren zeitweise Anarchisten wie Gustav Landauer und der Dichter Erich Mühsam an der Räteregierung beteiligt. Die 1922 gegründete anarchosyndikalistische Internationale ArbeiterInnen-Assoziation (IAA) ist heute noch in vielen Ländern Amerikas und Europas in Arbeitskämpfen aktiv.

Frühes 20. Jahrhundert

Datei:Räterepublik.jpg
Die Regierung der ersten Münchener Räterepublik mit Erich Mühsam in der Mitte sitzend

Im frühen 20. Jahrhundert wurden in Europa die Anarchistengruppen in Russland auch von den Kommunisten (vgl. auch Kommunistische Partei) verdrängt beziehungsweise gewaltsam niedergeschlagen (Säuberungsaktionen gegen Anarchisten gegen Ende der russischen Revolution, Niederschlagung des anarchistischen Aufstandes in Kronstadt und der anarchistischen Bauernbewegung Machnowschtschina). Schon in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts hatte der Konflikt um die revolutionäre Führungsrolle einer Partei zwischen Karl Marx/Friedrich Engels und Michail Bakunin und anderen Anarchisten bis 1876 zur Auflösung der Ersten Internationalen (genauer der Internationalen Arbeiterassoziation, IAA) geführt.

Spanische Republik

Fahne der CNT-FAI

Hauptartikel: Anarchismus in Spanien

Im Spanischen Bürgerkrieg, der in den Jahren von 1936 bis 1939 zwischen verschiedenen Gruppen der Republikaner und der faschistischen Bewegung unter General Franco stattfand, wirkte der Anarchismus bisher am stärksten. Insbesondere die mitgliederstarke und einflussreiche anarchosyndikalistische Gewerkschaft Confederación Nacional del Trabajo (CNT) kontrollierte mit ihrem militanten Arm, der anarchistischen Federación Anarquista Ibérica (FAI), große Teile des östlichen Spaniens.

Nachkriegszeit

Deutsche Demokratische Republik

Kurzzeitig kam es unter sowjetischer Besatzungsmacht zum Wiederaufleben des Anarchismus, vor allem durch syndikalistische Arbeiter. Nach dem Krieg hatte sich um Willi Jelinek in Zwickau ein neuer Kreis von freiheitlich gesinnten Personen gebildet. Jelinek war Betriebsratsvorsitzender eines großen Industriebetriebes. Dieser Kreis verschickte Rundbriefe an mindestens 18 verschiedene Orte in der sowjetischen Zone und unterhielt auch Korrespondenzen mit Anarchisten in anderen Zonen Deutschlands. Es gelang ihm durch mündliche und briefliche Agitation, ein weitmaschiges Netz über die gesamte Ostzone und spätere DDR zu spannen.[9] „In Zwickau wurde, so unglaublich es klingt, eine Informationsstelle des gesamtdeutschen Anarchismus gebildet. Sie berief Mitte 1948 nach Leipzig eine geheime Konferenz aller unter sowjetischer Besatzungsmacht lebenden Antiautoritären verschiedener Richtungen ein.“ Zirkulare des Zwickauer Kreises fielen den Staatssorganen in die Hände. Der Staatssicherheitsdienst wurde aufmerksam und verhaftete alle Teilnehmer. Nach Kriegsende bis zur gesprengten Tagung 1948 waren die anarchistischen Gruppierungen in der DDR so stark, dass sie sogar die westdeutschen Anarchisten mit einer Vervielfältigungsmaschine und Geld unterstützen konnten.[10] Von einigen Orten aus dem Gebiet der DDR ist bekannt, dass einige ehemalige Mitglieder der FAUD sich der SED anschlossen, die zumeist in den 50er Jahren wieder „hinausgesäubert“ wurden.[11] Bis zur Wende gab es keine nachgewiesenen anarchistischen Aktivitäten mehr.

Bundesrepublik Deutschland

Mit der Studentenbewegung Ende der 60er Jahre stieg das öffentliche Interesse am Anarchismus. Innerhalb der Studentenbewegung gab es eine anarchistische Strömung. Auch im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), der sich zum Sammelbecken der gesamten Bewegung entwickelte, waren Anarchisten vertreten. Teilweise kam es zu gemeinsamen Protestaktionen mit Personen, die sich nicht dem Anarchismus zuordneten. Des Weiteren hatte der Anarchismus für die Neuen sozialen Bewegungen (NSB) eine theoretische und praktische Bedeutung. In den 1970er Jahren wurden die sozialistisch-antiimperialistische Rote Armee Fraktion (RAF) und andere Gruppierungen wegen ihrer extremen Militanz, mit der sie bis zur tödlichen Konsequenz für andere und sich selbst gegen Symbolfiguren der herrschenden Staatsgewalt aus Politik, Wirtschaft und Justiz vorgingen, fälschlich als anarchistisch bezeichnet. Innerhalb der Autonomen, als linksradikalem Flügel der NSB, gab und gibt es eine große libertäre Strömung. 1989 gründete sich die „Initiative für eine anarchistische Föderation in Deutschland“ (I-AFD)[12]. Sie überstand die Jahrtausendwende und ist später in das „Forum deutschsprachiger Anarchistinnen und Anarchisten“ aufgegangen. Ende der 90er Jahre nahmen Anarchisten eine postmoderne und poststrukturalistische Theorie auf. Dieser theoretische Ansatz wird unter dem Begriff Postanarchismus zusammengefasst.

International

In Europa und den Amerikas rekonstituierten sich die überregionalen Anarchistische Föderationen und schlossen sich 1968 zur Internationale der Anarchistischen Föderationen zusammen. In den USA und Großbritannien entstand Ende der 70er Jahre der Punk als anarchistisch geprägte Subkultur. Vor allem die Mitglieder der Band Crass sind hier als engagierte Anarchisten und Pazifisten zu nennen. Nach dem Zerfall der zentralistischen Staaten des Warschauer Pakts haben sich dort weitere anarchistische Föderationen gebildet, die teilweise der Internationale beigetreten sind.

Anarchismus heute

Ein zeitgenössisches Plakat in griechischer Sprache

Es gibt auf der ganzen Welt lokale anarchistische Gruppen, die verschiedene Strömungen propagieren und unterschiedlich organisiert sind. Die Bandbreite der Aktivitäten reicht von Herausgabe von Zeitungen über die Umsetzung direkter Aktionen bis zu anarchistischen Wohn- und Arbeitskollektiven. Der politische Einfluss ist in der Regel begrenzt. Nach der Wirtschaftskrise in Argentinien im Jahre 2000 wurden einige hundert, zumeist peronistisch ausgerichtete Betriebe in Selbstverwaltung gestellt, die allerdings am normalen weltwirtschaftlichen Geschehen teilnehmen und nur einen eingeschränkt mutualistischen Ansatz verfolgen[13]. Auch die Autonomen- und Punk-, insbesondere Anarcho-Punk-Szenen gelten zumindest als stark vom Anarchismus beeinflusst. Die Hausbesetzer- und Umsonstladenbewegungen gelten ebenfalls als anarchistisch inspiriert, wiewohl für letztere zumeist der theoretische Überbau von der postmarxistischen Wertkritik geleistet wird.

Organisationen

An bedeutenden internationale Gruppierungen sind die Internationale der Anarchistischen Föderationen (IFA) und die internationale anarchistische Gefangenenhilfsorganisation Anarchist Black Cross (ABC) zu erwähnen. Seit 2001 gibt es die International Libertarian Solidarity (ILS-SIL).

Weltweit gibt es mehrere hundert anarchistische Basisorganisationen und libertäre Gruppen, die sich in lokalen Organisationen organisieren. In Deutschland ist die anarchosyndikalistische Gewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU/IAA) Mitglied der Internationalen ArbeiterInnen-Assoziation (IAA). Das Forum deutschsprachiger Anarchistinnen und Anarchisten (FdA) ist in der IFA assoziiert

Periodika

Die wichtigsten deutschsprachigen Periodika sind die „Direkte Aktion“ der Anarchosyndikalistischen Organisation FAU-IAA und die pazifistische „Graswurzelrevolution“. Der vierteljährlich erschienene „Schwarze Faden“[14] ist eingestellt.

Auch auf französisch wird „Rebellion“[15] herausgegeben. Seit 2006 gibt es eine unregelmäßige Publikation namens „Fragend Voran“.[16] In Deutschland wird die englischsprachige Zeitschrift „Abolishing the Borders from Below“ (deutsch: Die Grenzen von unten abschaffen) produziert. Das Forum deutschsprachiger AnarchistInnen veröffentlicht ein monatlich erscheinendes Heft, das „Veto“. Einige regelmäßige Publikationen wie die „Soziale Hängematte“, die in Wien erscheint, und der Leipziger „Feierabend“ werden nur regional rezipiert. Zum anarchistischen Umfeld werden die Selbstorganisationszeitschrift „Contraste“ und das ökologisch orientierte „Grüne Blatt“ gerechnet. Die Zeitschrift „espero“[17] veröffentlicht Beiträge zu anarchistischen und liberalen sowie freiwirtschaftlichen Themen

Anarchistische bzw. anarchosyndikalistische Wochenzeitungen erscheinen mit „Umanità Nova“ in Italien, „le monde libertaire“ in Frankreich und „Arbetaren“ in Schweden.

Aktionsformen

Der Anarchismus ist bestrebt, direkt politisch zu handeln. Aus diesem Ansatz leiten sich verschiedene Aktionsformen ab, wie zum Beispiel der in der Regel gewaltlose, auch von bürgerlichen Protestbewegungen angewandte zivile Ungehorsam oder die Direkte Aktion, also Streik, Generalstreik, Sabotage und militante Aktionen. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert war die Propaganda der Tat eine weitverbreitete Idee, bei der durch vorbildhaftes Tun, zum Beispiel Anschläge auf exponierte Führungspersönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik, die Idee des Anarchismus verbreitet werden sollte. Im späten 20.Jh. sind neue Formen wie Kommunikationsguerilla, Clownarmee und Guerilla Gardening hinzugekommen.

Symbole

Hauptartikel: Anarchistische Symbolik

Die Symbole des Anarchismus umfassen eine Vielzahl von Zeichen. Am häufigsten werden das A im Kreis, eine schwarze oder diagonal schwarz geteilte Fahne und der schwarze Stern verwendet.

Kritik

Ablehnung staatlicher Verfasstheit
Da der Anarchismus keine Staatsform darstellt, er im Gegenteil staatliche Herrschaft ablehnt, fallen der Entwurf und die Umsetzung von Gegenmodellen zu gängigen Staatsstrukturen schwer.

Für viele Kritiker des Anarchismus stellt sich die Frage, wie Gewaltenteilung, die Gewährleistung der Menschenrechte und der Justiz, der Infrastruktur zur Versorgung der Menschen, der Bildung und anderem im Anarchismus realisiert werden sollten, zumal dann, wenn die Umsetzung des Anarchismus sich auf größere Gesellschaften auswirken soll.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die historische Wehrlosigkeit anarchistischer Organisierung. Die Umsetzungsversuche anarchistischer Gesellschaftsorganisation scheiterten zwar in der Regel nicht aus sich selbst heraus, doch relativ schnell durch gewaltsame Niederschlagung von außen. Nur einige Jahre konnten sich das anarchistische Modell der Machnotschina unter den Bedingungen des Russischen Bürgerkriegs sowie der Anarchosyndikalismus in Katalonien unter den Bedingungen des Spanischen Bürgerkriegs halten. Kritiker betrachten diese Ausnahmen als Nischenmodelle, da die Gegner des Anarchismus zunächst vorrangig andere Feinde hatten, gegen die auch Anarchisten zeitweilig Verbündete waren.

Konzentrierung der Macht auf das eigene Klientel
Auch wird den Anarchisten vorgeworfen, dass in den genannten Beispielen die selektive Konzentrierung der Macht in bevorzugten, wenn auch bis dahin eher machtlosen, Gruppen (Arbeiterräte, Soldatenräte, Gewerkschaften, Partisanenbewegungen) wiederum eine Herstellung einseitiger Herrschaftsstrukturen unter Ausschluss weiterer Bevölkerungsschichten darstelle. Grundsätzlich unterscheiden sich aber anarchistische Vorstellungen von beispielsweise marxistischen auch dadurch, dass sie niemanden ausschließen wollen (wie bei der „Diktatur des Proletariats“) und jegliche Machtkonzentration einzelner Gruppen ablehnen (anarchistisches Rätemodell). Räte sollten in allen Bevölkerungsschichten entstehen. Historisch allerdings wandten sie sich gegen diejenigen, die real (nach Ansicht der Anarchisten illegitim) konzentrierte Macht innehatten und sich durch Anarchisten daher bedroht sahen.

Diskussionen um den Anarchismus drehen sich auch häufig um die Frage, ob es eine naturgegebene oder gottgegebene Ordnung der Gesellschaft im Sinne einer Hierarchie gibt, die bereits im Wesen des Menschen angelegt sei. Dieser Konflikt spiegelt sich ebenfalls in der Wissenschaft, die sich darüber nicht einig ist (vgl. auch Biologismus oder Sozialbiologismus), aber darauf verweist, dass die Mehrzahl der bisherigen Gesellschaftsmodelle hierarchisch aufgebaut gewsen seien.

Kaum Rückhalt in der Bevölkerung
Obgleich Ideen des Anarchismus Impulse für das Herausbilden von Demokratien und Formen des Arbeitskampfes gegeben haben, besitzt der Anarchismus in der Gegenwart kaum Unterstützung in der Mehrheit der Bevölkerung, vor allem, weil der Wortursprung Anarchie in einem verbreiteten, umgangssprachlichen Verständnis oft mit Chaos und Gesetzlosigkeit gleich gesetzt wird und damit in großen Teilen der Gesellschaft negativ konnotiert ist.
In der Gegenwart stehen auch den Anarchisten nahestehende Gruppierungen wie die Autonomen seitens der Gesellschaft in der Kritik aufgrund ihres ambivalenten, oft als gegnerisch verstandenen Verhältnisses zum bürgerlichen Recht und dem Gewaltmonopol des Staates.

Literatur

Einführungen

  • Autorenkollektiv: Was ist eigentlich Anarchie, Karin Kramer Verlag, Berlin 1997, div. Aufl. ISBN 387956700X
  • Jan Cattepoel: Der Anarchismus. Gestalten, Geschichte, Probleme, 3. überarbeitete Aufl., München: Beck, 1979
  • Hans Jürgen Degen (Hg.): Tu was Du willst. Anarchismus – Grundlagentexte zur Theorie und Praxis, 272 S., Berlin: Verlag Schwarzer Nachtschatten, 1987 ISBN 3-89041-005-7
  • Dierse, U.: Art. Anarchie, Anarchismus, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, hrsg. von J. Ritter, Basel 1971, 267-294
  • Robert Graham (editor): „Anarchism: A Documentary History of Libertarian Ideas“. Volume 1: „From Anarchy to Anarchism (300CE to 1939)“, Black Rose Books, Montreal/New York/London, 2005.
  • Nicolas Walter: Betrifft: Anarchismus. Leitfaden in die Herrschaftslosigkeit, Berlin: Libertad Verlag, 1984 ISBN 3-922226-03-5.
  • Erwin Oberländer (Hg. und Einleitung): Der Anarchismus, Band 4 (der sechsbändigen Reihe) Dokumente der Weltrevolution (Hg. Frits Kool), Olten und Freiburg i. Br.: Walter Verlag, 1972
  • Achim v. Borries, Ingeborg Brandies: Anarchismus. Theorie, Kritik, Utopie, Frankfurt a. M.: Melzer Verlag, 1970 (Textsammlung)
  • Michel Ragon: „Das Gedächtnis der Besiegten“. (Roman), Verlag Edition AV, Lich/Hessen 2006. ISBN 3-936049-66-1.
  • Horst Stowasser: „ANARCHIE! Idee – Geschichte – Perspektiven“. (512 Seiten, ca.100 Fotos, viele Literaturhinweise) Edition Nautilus, Hamburg 2007. ISBN 978-3-89401-537-4. (Ein Standardwerk!)
  • Horst Stowasser: FREIHEIT PUR. Die Idee der Anarchie, Geschichte und Zukunft.], Frankfurt a. M.: Eichborn Verlag, 1995 ISBN 3-8218-0448-3 Als 2007 überarbeitete und erweiterte pdf
  • Rolf Cantzen: Weniger Staat – Mehr Gesellschaft. Freiheit-Ökologie-Anarchismus. Grafenau: Trotzdem Verlag, 1995 ISBN 3-922209-81-5
  • Alexander Berkman: ABC des Anarchismus (Original von 1929) Grafenau: Trotzdem Verlag, 1997 ISBN 3-931786-00-5 Als Onlineversion, Als pdf

Klassiker

Moderne Ansätze

  • Murray Bookchin: Die Neugestaltung der Gesellschaft, Grafenau: Trotzdem Verlag, 1992 ISBN 3-922209-35-1
  • Ralf Burnicki: Anarchie als Direktdemokratie. – Selbstverwaltung, Antistaatlichkeit. Eine Einführung in den Gegenstand der Anarchie, Moers: Syndikat A, Medienvertrieb, 1998 ISBN 3-00-002097-7
  • Takis Fotopoulos: „Umfassende Demokratie. Die Antwort auf die Krise der Wachstums- und Marktwirtschaft“. Trotzdem Verlag, Grafenau 2003.
  • Takis Fotopoulos: „The Multdimensional Crisis and Inclusive Democracy“, Athens 2005. Englische Online Ausgabe: [1]
  • Michael Wilk: Macht, Herrschaft, Emanzipation. Aspekte anarchistischer Staatskritik, Grafenau: Trotzdem Verlag, 1999 ISBN 3-931786-16-1
  • Wolfgang Haug/Michael Wilk: Der Malstrom. Aspekte anarchistischer Staatskritik, Grafenau: Trotzdem Verlag, 1995 ISBN 3-922209-82-3
  • Hans Jürgen Degen (Hg.): Anarchismus heute. Positionen, Bösdorf 1991 ISBN 3-89041-006-5.
  • Ralf Burnicki: Anarchismus und Konsens, Verlag Edition AV, 2002
  • Rolf Cantzen: Weniger Staat mehr Gesellschaft Trotzdem Verlagsgesellschaft ISBN 978-3922209812
  • Graswurzelrevolution (Hg.): Gewaltfreier Anarchismus. Herausforderungen und Perspektiven zur Jahrhundertwende, Verlag Graswurzelrevolution, 1999
  • Curious George Brigade, Crimethinc, Co-Conspirators. DIY. Von Anarchie und Dinosauriern. Unrast Verlag. Münster 2006. ISBN 3-89771-444-2
  • Gruppe Gegenbilder (2000): Freie Menschen in Freien Vereinbarungen, vertrieben über den Projektwerkstatt-Versand
  • Gruppe Gegenbilder (2006): Autonomie & Kooperation, vertrieben über den Projektwerkstatt-Versand

Sonstiges

  • Claudio Pozzoli (Hg.)::Arbeiterbewegung. Theorie und Geschichte Jahrbuch 1. Fischer TB Verlag, Frankfurt 1973. (darin eine ausführliche Bibliographie zum Anarchismus von H. M. Bock Seiten 294–334).
  • Hans Manfred Bock: Geschichte des „linken Radikalismus“ in Deutschland. Ein Versuch. (darin eine Bibliographie des linken Radikalismus (und Anarchismus) seit 1966. Seite 354 ff.) Frankfurt 1976.
  • Cornelius Castoriadis: „Autonomie oder Barbarei“. (Ausgewählte Schriften Band 1), Verlag Edition AV, Lich/Hessen 2006. ISBN 3-936049-67-x.
  • Petra Weber: Sozialismus als Kulturbewegung. Frühsozialistische Arbeiterbewegung und das Entstehen zweier feindlicher Brüder Marxismus und Anarchismus Droste Verlag, Düsseldorf 1989.
  • April Carter: Die politische Theorie des Anarchismus, Berlin 1988.
  • Paul Eltzbacher: Der Anarchismus. Eine ideengeschichtliche Darstellung seiner klassischen Strömungen, Lieferbar
  • Monika Grosche: Anarchismus und Revolution, Sydnikat A, 2004
  • Jens Kastner: Politik und Postmoderne, Unrast-Verlag, 2000
  • Lou Marin; Ursprung der Revolte. Albert Camus und der Anarchismus, Verlag Graswurzelrevolution 1998
  • Jürgen Mümken: Freiheit, Individualität und Subjektivität. Staat und Subjekt in der Postmoderne aus anarchistischer Perspektive; Verlag Edition AV, 2003 [www.graswurzel.net/282/post.shtml]
  • Victor Serge: „Erinnerungen eines Revolutionärs (1901–1941)“. (Autobiographie) Edition Nautilus, Hamburg, 1991.
  • Augustin Souchy: „Nacht über Spanien. Anarcho-Syndikalisten in Revolution und Bürgerkrieg 1936-39. Ein Tatsachenbericht“. Trotzdem Verlag, Grafenau 1992. (div. Aufl.)
  • Augustin Souchy: „Vorsicht Anarchist! Ein Leben für die Freiheit. Politische Erinnerungen“. Trotzdem Verlag, Grafenau, 1985.
  • Bernd-Udo Rinas: (Art)gerecht ist nur die Freiheit, Focus-Verlag 2000
  • R. Raasch / H.J. Degen; Die Richtige Idee für eine falsche Welt?, Oppo Verlag 2002
  • Joachim Willems: Religiöser Gehalt des Anarchismus und anarchistischer Gehalt der Religion? Die jüdisch-christlich-atheistische Mystik Gustav Landauers zwischen Meister Eckhart und Martin Buber. Albeck bei Ulm 2001.

Filme

Siehe auch

Wiktionary: Anarchismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Anarchismus – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
Commons: Anarchisten – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Texte

Kritik

Einzelnachweise

  1. http://anarchismus.at/txt5/kropotkinbrief2.htm
  2. http://www.dadaweb.de/index.php?title=Max_Stirner#Die_Anarchisten_und_Stirner
  3. Hans Popper: Die freie organisierte Gemeinschaft des jüdischen Yishuv (Einwohnerschaft) in Palästina Vlg. Klaus Guhl Berlin 1987
  4. Curious George Brigade in DIY. Von Anarchie und Dinosauriern
  5. http://dadaweb.de/index.php?title=Anarchie
  6. http://gutenberg.spiegel.de/boetie/knechtsc/knechtsc.htm
  7. Pierre Joseph Proudhon: Was ist das Eigentum. Erste Denkschrift. Untersuchungen über den Ursprung und die Grundlagen des Rechts und der Herrschaft, aus d. Frz. v. Alfons Feder Cohn, dt. Erstveröfftl. Berlin 1896 Neuveröffentlichung Monte Verita (1992), S. 219 ISBN 978-3900434304
  8. DadA Zit. n. Gustav Landauer: „Börne und der Anarchismus“ (Erstveröffentlichung in: Sozialistische Monatshefte, Nr. 2, 1900), in: ders.: Erkenntnis und Befreiung. Ausgewählte Reden und Aufsätze, Frankfurt a. M. 1976, S. 20)
  9. Günter Bartsch Kommunismus, Sozialismus, Anarchismus Herder Verlag 1982
  10. http://projekte.free.de/schwarze-katze/texte/a25.html
  11. http://home.pages.at/der-stoerenfried/zeitung/a12/11.htm
  12. Libertäre Tage auf Anarchismus.de
  13. No Pasar – Ein Blick in selbstverwaltete Fabriken Eigenverlag CHILAVERT, Buenos Aires 2007
  14. http://schwarzerfaden.de
  15. http://www.rebellion.ch
  16. http://www.projektwerkstatt.de/hefte/index.html
  17. http://www.utespero.de/

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