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Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff

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Wilamowitz-Moellendorff 1902

Enno Friedrich Wichard Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff (* 22. Dezember 1848 auf Gut Markowitz, Landkreis Mogilno, Provinz Posen; † 25. September 1931 in Berlin) war ein deutscher Altphilologe.

Leben

Jugend

Wilamowitz-Moellendorff wurde als drittes Kind eines ostelbischen Landjunkers auf Gut Markowitz bei Posen geboren und wuchs in Ostpreußen auf. 1867 erhielt er das Abitur am renommierten Internatsgymnasium Schulpforta.

Studium

Anschließend studierte er bis 1869 Klassische Philologie in Bonn, wobei er besonders von seinen Lehrern Otto Jahn und Hermann Usener geprägt wurde. Während das Verhältnis zu Usener zeitlebens gespannt blieb und Wilamowitz zu seinem Kommilitonen Friedrich Nietzsche eine lebenslange Rivalität entwickelte, fand er in Bonn im gleichaltrigen Hermann Diels einen engen Vertrauten. Gemeinsam mit Diels wechselte er 1869 nach Berlin, wo er 1870 mit Auszeichnung zum Dr. phil. promoviert wurde. Nach einem freiwilligen Militärdienst im Deutsch-Französischen Krieg trat Wilamowitz zunächst eine Studienreise nach Italien und Griechenland an.

Konflikt mit Nietzsche und Wagner

Großes Aufsehen erregte der Gelehrtenstreit von 1872-73 um Nietzsches Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik, in dem der noch nicht habilitierte Wilamowitz gegen die Professoren Erwin Rohde (Kiel) und Friedrich Nietzsche (Basel) zwei Kampfschriften von außerordentlicher Schärfe unter dem Titel Zukunftsphilologie! veröffentlichte. Richard Wagner, an dessen Kunstauffassung Nietzsche und Rohde anknüpften, reagierte mit einem Offenen Brief, Rohde mit einer heftigen Entgegnung (Afterphilologie). Dabei ging es um die Abwertung des Euripides, dem Nietzsche die Zerstörung der Tragödie vorwarf. Wilamowitz seinerseits sah in der Vorgehensweise der Gegenseite den Angriff einer wissenschaftsfeindlichen Denkweise auf die Grundlagen der Wissenschaft. Seine Streitschrift galt als Antwort der Klassischen Philologie auf Nietzsches Herausforderung.

In seinen im Alter von 80 Jahren geschriebenen Erinnerungen sah Wilamowitz den Streit mit Nietzsche gelassener, machte aber keinerlei Abstriche am sachlichen Gehalt seiner Kritik: dass Nietzsche gar keine wissenschaftliche Erkenntnis beabsichtigt, sondern auf das Wagnersche Musikdrama abgezielt habe, sei ihm damals nicht ausreichend klar gewesen; trotzdem sei es aber richtig gewesen, gegen Nietzsches „Vergewaltigung der historischen Tatsachen und aller historischen Methode“ Stellung zu nehmen [1].

Greifswald

1875 habilitierte er sich mit seiner Studie Analecta Euripidea. Noch im selben Jahr hielt er seine Antrittsvorlesung als Privatdozent in Berlin. 1876 folgte er einem Ruf als ordentlicher Professor für Klassische Philologie an die Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. In diese Zeit fielen neben der Heirat mit Maria Mommsen auch Wilamowitz' Homerische Studien.

Göttingen

1883 folgte er einem weiteren Ruf an die Georg-August-Universität Göttingen, wo er auch in Vertretung Vorlesungen im Bereich der Alten Geschichte übernahm. Später setzte er sich auch für die Berufung seines Greifswalder Kollegen Julius Wellhausen nach Göttingen ein. 1891 wurde er zudem Prorektor der Universität sowie ein Jahr später zum Mitglied der Göttinger Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften. Bei seinem Weggang aus Göttingen wurde Georg Kaibel, ein enger Freund aus Studientagen und zu diesem Zeitpunkt der Inhaber von Wilamowitz' altem Greifswalder Lehrstuhl, zu seinem Nachfolger berufen.

Berlin

1897 erhielt Wilamowitz durch Vermittlung seines Freundes Diels einen Ruf an die Königliche Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin als Nachfolger von Ernst Curtius, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1921 verblieb. 1915 wurde er zudem für ein Jahr Rektor der Universität. Gemeinsam mit Diels gründete er außerdem 1897 das Berliner Institut für Altertumskunde. Ein breites Publikum besuchte seine zweimal wöchentlich abgehaltenen, öffentlichen Vorlesungen zu antiken Themen.

Lehrtätigkeiten und Mitgliedschaften

1891 wurde Wilamowitz als korrespondierendes Mitglied in die Preußische Akademie der Wissenschaften gewählt, seit 1899 war dort ordentliches Mitglied. 1902 übernahm er zudem die Leitung der Akademie, wobei er sich besonders für eine Edition der von Adolf Kirchhoff zusammengetragenen Inscriptiones Graecae einsetzte. Für die Göttinger Akademie unterstütze er zudem die Arbeit am Thesaurus Linguae Latinae. Daneben arbeitete er ab 1897 auch in der Patristischen Kommission der Akademie. 1894 wurde er zum ordentlichen Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts gewählt

Außerdem betätigte sich Wilamowitz als Gastdozent in Oxford (1908) und Uppsala (1912) und war korrespondierendes Mitglied der Akademien von Oslo (1909) sowie Ehrenmitglied der Lunder Vetenskapssocieteten (1921).

Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches

Wilamowitz war Initiator der Denkschrift Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches, worin sich 3016 Unterzeichnende für den deutschen Kriegseinsatz im Ersten Weltkrieg aussprachen. Den kurze Zeit später erfolgten Aufruf An die Kulturwelt unterzeichnete er ebenfalls mit, distanzierte sich später jedoch davon. 1914 verlor er seinen Sohn Tycho von Wilamowitz-Moellendorff, der in der Schlacht bei Ivangorod fiel. Die Denkschrift erschien wenige Tage danach.

Familie

1878 heiratete er Maria Mommsen, die älteste Tochter des Althistorikers Theodor Mommsen, dem er bei der Vollendung seiner Römische Geschichte tatkräftig zur Seite stand. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Wilamowitz zurückgezogen und von einer schweren Nierenerkrankung gezeichnet. Nach einem komatösen Zustand starb er am 25. September 1931 in Berlin.

Leistungen

Wilamowitz war eine der zentralen Gestalten der Klassischen Philologie des 19. und 20. Jahrhunderts. Als großer Kenner der Literatur und Geschichte des antiken Griechenlands wandte sich der Gräzist Wilamowitz gegen die traditionelle Methodik und Textkritik. Als Vertreter des Nachklassizismus konzentrierte er sich weniger auf die Literaturgeschichte, sondern strebte vielmehr eine biographische Auswertung der erhaltenen Texte über den jeweiligen Autor an. Dabei stellte er die historische Betrachtung in den Dienst der Philologie. Neben seinen wegweisenden Gesamtdarstellungen (Die griechische Literatur des Altertums, Die hellenistische Dichtung) legte er zahlreiche detaillierte Untersuchungen zu Euripides, Homer, Aischylos, Pindar und Aristoteles vor. Als Wissenschaftsorganisator zeichnete er zudem etwa für die Veröffentlichung von Standardwerken wie den Inscriptiones Graecae verantwortlich.

Darüber hinaus setzte sich Wilamowitz engagiert für den Erhalt des humanistischen Gymnasiums ein.

Zu seinen bedeutenderen Schülern zählen u.a. Felix Jacoby, Karl Mittelhaus, Wolfgang Schadewaldt, Eduard Fraenkel, Werner Jaeger, Johannes Geffcken, Paul Maas, Eduard Schwartz und Gilbert Murray, Johannes Sykutris.

Der US-amerikanische Altphilologe William M. Calder III veröffentlicht seit einigen Jahrzehnten wichtige Dokumente von und über Wilamowitz, darunter viele Korrespondenzen mit Diels, Eduard Norden, Mommsen, P. Wendland u. a.

Auszeichnungen

Werke

  • Erinnerungen 1848-1914. Verlag von K. F. Koehler, Leipzig 1928. (Enthält S. 315-319 Grußrede für akademische Gäste bei Festmahl zur Hundertjahrfeier der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1910)

Literatur

  • Michael Armstrong, Wolfgang Buchwald, William M. Calder III.: Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff bibliography 1867−1990. Weidmann, Hildesheim u. a. 1991, ISBN 3-615-00062-5 (auch mit formal falscher ISBN 3-615-00062-6).
Commons: Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Wilt Aden Schröder: Fünf Briefe des Verlegers Eduard Eggers an Wilamowitz, betreffend die Zukunftsphilologie! und die Analecta Euripidea, in: Eikasmos 12 (2001), S. 367-383, hier S. 373 f.