Goldene Regel
Als Goldene Regel wird allgemein ein für eine gesellschaftliche Gruppe wichtiger Merkspruch oder ein markantes Motto bezeichnet, im engeren Sinne bezieht sich die Bezeichnung aber auf die in dem Sprichwort
- Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.
ausgedrückte moralische Regel. Gelegentlich wird die Anschauung vertreten, die goldene Regel gehe auf das neue Testament zurück. Sie ist aber in mannigfaltigen Variationen Grundbestandteil der ethischen Vorstellungen vieler Religionen. Zu unterscheiden ist sie von Kants Kategorischem Imperativ.
Beispiele (chronologisch geordnet)
- 9.-6. Jahrhundert v. Chr.: "Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst; ich bin der HERR." (Die Bibel, Leviticus 19, 18), Judentum
- 8. Jahrhundert v. Chr.: "Dass die (menschliche) Natur nur gut ist, wenn sie nicht anderen antut, was ihr nicht selbst bekommt." (Dadistan-i-Dinik 94, 5), Zoroastrismus
- 1. Jahrtausend v. Chr.: "Was alles Dir zuwider ist, das tue auch nicht anderen an." (Shayast-na-Shayast 13, 29), Zoroastrismus
- 6. Jahrhundert v. Chr.: "Verletze nicht andere auf Wegen, die Dir selbst als verletzend erschienen." (Udana-Varga 5, 18), Buddhismus
- 500 v. Chr.: "Tue anderen nicht, was Du nicht möchtest, das sie Dir tun." (Analekte 15, 23), Konfuzianismus
- 500 v. Chr.: "Ein Wort, dass als Verhaltensregel für das Leben gelten kann, ist Gegenseitigkeit. Bürde anderen nicht auf, was du selbst nicht erstrebst." (Lehre vom mittleren Weg 13, 3), Konfuzianismus
- 500 v. Chr.: "Daher übt er (der Weise) keine Gewalt gegen andere, noch heisst er andere so tun." (Acarangasutra 5, 101-102), Jainismus
- 5. Jahrhundert v. Chr.: "Tue anderen nicht an, was dich ärgern würde, wenn andere es Dir täten." Sokrates, griechischer Philosoph
- 4. Jahrhundert v. Chr.: "Man soll sich nicht auf eine Weise gegen andere betragen, die einem selbst zuwider ist. Dies ist der Kern aller Moral. Alles andere entspringt selbstsüchtiger Begierde." (Mahabharata, Anusasana Parva 113, 8; Mencius Vii, A, 4), Hinduismus
- 150er v. Chr.: "Dies ist die Summe aller Pflicht: Tue anderen nichts, dass Dir Schmerz verursachte, würde es Dir getan." (Mahabharata 5, 1517), Hinduismus und Brahmanismus
- 1. Jahrhundert: "Alles, was Ihr für Euch von den Menschen erwartet, das tut Ihnen auch." (Die Bibel, Matthäus 7, 12), Christentum
- 2. Jahrhundert: "Was Dir selbst verhasst ist, das tue nicht Deinem Nächsten an. Dies ist das Gesetz, alles andere ist Kommentar." (Talmud, Shabbat 31a), Judentum
- 9. Jahrhundert: "Niemand von Euch ist ein Gläubiger, bevor er nicht für seinen Bruder wünscht, was er für sich selbst begehrt." (Hadith), Islam
- (?): "Und wenn Du Deine Augen auf die Gerechtigkeit wendest, so wähle für Deinen Nächsten dasjenige, was Du für Dich selbst erwählet hast." (Brief an den Sohn des Wolfs 30), Bahá'í
- 1999: "Tue nichts, was Du nicht möchtest, dass man Dir tun soll." (British Humanist Society), Humanismus
Zwischen den einzelnen Versionen sind leichte, aber relevante Unterschiede feststellbar. So sind die muslimische und Bahá'í-Variante wie auch die aus der Bergpredigt entnommene christliche positiv formuliert und fordern nicht nur das Nichttun dessen, was selbst nicht gewünscht wird, sondern auch das Tun dessen, was man selbst erstrebt. Damit wird insbesondere die christliche Version von vielen als anspruchsvoller angesehen.
Dabei wird allerdings kritisch eingewandt, dass auch die Goldene Regel dem Egoismus Vorschub leisten kann, da der Wille des Handelnden zum alleinigen Maßstab gemacht wird. Das von ihm selbst Erstrebte muss nicht notwendig das auch vom Nächsten Gewollte sein und die positiven Formulierungen können daher nach Taten rufen, die der Begünstigte möglicherweise gar nicht wünscht. Daher seien für eine tugendhafte Lebensweise weitere ethische Prinzipien in Betracht zu ziehen. z. B.: die Nächstenliebe.