Vollrohrzucker
Vollrohrzucker ist der reine, getrocknete Saft des Zuckerrohrs. Von ihm wurde ansonsten nichts entfernt und auch nichts hinzugefügt.
Abgrenzung von ähnlichen Produkten
Die im Handel verwendeten Bezeichnungen für Zucker sind zum Teil verwirrend. Es gibt die Begriffe brauner Zucker, Rohrzucker, brauner Rohrzucker, Rohrohrzucker, Vollrohrzucker sowie Jaggery. Jaggery bezeichnet einen aus Indien importierten Vollrohrzucker. Der Begriff Rohrohrzucker bezeichnet Zucker, von dem mittels Zentrifugieren, die Melasse abgetrennt wurde, der aber nicht weiter raffiniert wurde. Die Begriffe brauner Zucker, Rohrzucker sowie brauner Rohrzucker sind mehrdeutig und können sowohl einen Rohrohrzucker bezeichnen, als auch einen weißen Zucker, der mit Melasse oder auch anderweitig eingefärbt wurde. Während Vollrohrzucker und Rohrohrzucker in der Regel in den Naturkostläden zu finden sind, findet man sogenannten braunen Zucker, Rohrzucker oder braunen Rohrzucker in konventionellen Lebensmittelgeschäften. Der Vollrohrzucker besitzt im Gegensatz zu den anderen "braunen" Zuckern einen karamellartigen Eigengeschmack und hat eine kräftigere braune Farbe. Die Farbe des Jaggery geht ins beige-orange. In der Regel ist die Verpackung deutlich mit "Vollrohrzucker" bezeichnet (Ausnahme: "Ursüße"[1]). Gelegentlich findet man auch den etwas teureren Vollrohrzucker, der aus der Dattelpalme anstatt aus Zuckerrohr gewonnen wird.
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Vollrohrzucker beige-orange (Jaggery)
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Vollrohrzucker braun
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Vollrohrzucker von der Dattelpalme
Verwendung
Die Empfindlichkeit auf Feuchtigkeit bewirkt eine Tendenz, hart zu werden, wenn der Vollrohrzucker lang gelagert wird. Wird der Vollrohrzucker in größerer Menge zum Süßen verwendet, so tritt sein charakteristischer Eigengeschmack deutlich hervor. In Fertigprodukten ist er gelegentlich zu finden in Nußnougat-Creme, Schokolade, Kakao oder Müslis im Bio-Bereich. Er eignet sich gut zum Süßen von Getränken, Gebäck, Süßspeisen, pikanten dunklen Saucen wie für Schmorgerichte und kräftige Dessertsaucen.
Gesundheitliche Aspekte
Der Vollrohrzucker ist für seine karieshemmende Wirkung bekannt. Die meisten Zahnärzte lehnen dies jedoch ab. Aufgrund des Gehalts an Kalium, Magnesium und Calcium wirkt der Vollrohrzucker basisch. Er wirkt sich im Gegensatz zum raffinierten bzw. teilraffinierten Zucker nicht negativ auf die Darmflora aus.[1] In Indien ist er für seine gesunde Wirkung, z. B. für Hals und Rachen bekannt.
Geschichte des Vollrohrzuckers in Europa
In Indien ist der Vollrohrzucker schon Jahrtausende bekannt. Dagegen gibt es ihn in Europa erst seit 1968. Entdeckt wurde der Vollrohrzucker von dem schweizer Kinderarzt Dr. Max-Henri Béguin. Er führte zwei umfangreiche Studien dazu durch. Seine Arbeit wurde von den Studien von Dr. Roos beeinflusst, der schon früher den Einfluss raffinierter und natürlicher Nahrung untersuchte. Die Studien von Dr. Béguin sollen im Folgenden kurz wiedergegeben werden.[2][3]
1. Studie von Dr. Béguin
1953 eröffnete Dr. Max-Henri Béguin in seinem Geburtsort La Chaux-de-Fonds eine Kinderarztpraxis. Er begann von Anfang an den Müttern in dem Schweizer Ort La Chaux-de-Fonds zu empfehlen, weißen Zucker durch Rohrohrzucker und weißes Mehl durch Vollkornmehl zu ersetzen. 1962 traf er im Hauseingang die Schulärztin Dr. Gisele Weil. Sie erzählte ihm, daß einige Kinder gute Zähne hätten, wie zur Zeit der Rationierung. Auf ihre Frage antworteten die Kinder, sie äßen Schwarzbrot und Rohzucker. Ein Jahr später beschlossen die Behörden der Stadt La Chaux-de Fonds, eine Umfrage durchzuführen. Dazu wurde eine 17-köpfige Kommission eingesetzt. Ihr gehörte u. a. Prof. E. Fernex an, der an der Universität Genf Zahnmedizin lehrte, ein Biologielehrer, 4 Ärzte, 5 Zahnärzte, Verantwortliche der Schule und der Gemeinde. Sekretär war der Vorsteher des Gesundheitsamtes Gabriel Bähler. Es nahmen 1421 Kinder im Alter von 6 bis 10 Jahren daran teil. Die Auswertung übernahm das Eidgenössische Statistische Amt in Bern. Das Ergebnis war, dass der Rohrohrzucker durchschnittlich 3,4 gesunde Zähne mehr liefert als der weiße Zucker (Vollkornbrot im Vergleich dazu 2,0 gute Zähne mehr als Weißbrot).
Suche nach dem "Vollrohrzucker"
Die Schlußfolgerung von Dr. Béguin war, daß bei einem Zucker, von dem die vitamin- und mineralstoffreiche Melasse nicht abgetrennt würde, noch bessere Ergebnisse zu erwarten wären. 1967 wurde deswegen bei einer Schweizer Zuckerfabrik vorgesprochen. Zufällig war ein Ingenieur aus Indien anwesend. Dieser wies darauf hin, daß dieser Zucker in Indien als Gur-Jaggery gekannt sei. Die Landbevölkerung, welche diesen Zucker verwendet, habe gute Zähne. Im April 1968 erhielt Dr. Béguin 200kg Jaggery aus Indien.
2. Studie von Beguin
Dr. Béguin verteilte den Vollrohrzucker in seiner Sprechstunde an Säuglinge. Der Zucker war schnell aufgebraucht. Darum kamen weitere 3000kg aus Indien, die ab Dezember 1968 in den Apotheken der Stadt erhältlich waren unter dem Namen "Sucre complet des pédiatres" (Vollrohrzucker der Pädiater). Es wurde in Anlehnung an den Begriff Vollkornmehl der passende Begriff Vollrohrzucker gewählt. Von 1973 bis 1986 wurden 9547 Untersuchungen an 3517 Kindern durchgeführt, die anschließend durch Prof. P. Banderet der mathematischen Fakultät der Uni Neuenburg ausgewertet wurden. Unter anderem kam man zu folgenden Ergebnissen: 92% der Kinder, die nur Vollrohrzucker bekamen, waren kariesfrei. Die durchschnittliche Zahl kariöser Zähne betrug 0,14%. Die o.g. Studien wurden an Kindern durchgeführt. Was die Zähne von Erwachsenen angeht, so entsprechen sie der Hygiene und der Ernährung, die sie in ihrer Jugend erlebt haben. Ihre Zähne sind besser ohne weiteren Weisszucker, was von den meisten Zahnärzten auch empfohlen wird.
Herstellung des Vollrohrzuckers
Der Bruder des Kinderarztes Max-Henri Béguin, Felix-Ami Béguin gründete zusammen mit dem Freund und Ingenieur Albert Yersin 1976 die Fa. Pronatec AG[2]. Ziel war diesen Zucker zu vermarkten, da der Vollrohrzucker in Europa weiterhin unbekannt war. Mit Hilfe der Schweizer Firma Morga AG konnte Pronatec eine Reihe von Versuchen in Vakuum-Trocknern durchführen. Das Rohprodukt wurde in Form von Zuckerrohrsirup importiert und sorgfältig zu harten Kuchen getrocknet und gemahlen. Große Schwierigkeiten entstanden bei der Qualität des erhaltenen Dicksaftes, die selten konstant war und eine unregelmässige Qualität der Vollrohrzuckers verursachte. Nach langen Versuchen konnte die Produktion nach Kolumbien verlegt werden, mit dem Vorteil, dass die Arbeit von lokalen Arbeitskräften durchgeführt wurde und die Qualität den modernen Markt-Erfordernissen entsprechen konnte und billiger als in der Schweiz. Die Farbe des frisch gepreßten Saftes ist olivgrün und trüb. Die Filtrierung und die Klärung trennen die unerwünschten pflanzlichen Elemente aus dem Saft, der eine klare grau-grüne Farbe erhält. Beim Erhitzen zur Verdampfung entsteht eine braune Farbe so dass der erhaltene Dicksaft dunkelbraun aussieht. Die weitere Trocknung, sei es unter Vakuum oder unter normalen Druck, bewirkt eine hellbraune bis braune Farbe. Das Feinmahlen des Produktes erzeugt wieder eine hellere Farbe welche normalerweise eine beige Tönung annimmt. Je nach Zuckerrohrarten, Reifegrad, Klima und lokalen Verhältnissen erhält das Produkt einen eigenen Farbton, Geschmack sowie leicht differenzierte Analysenwerte. Deshalb sehen Vollrohrzucker, je nach Ursprung nie ganz gleich aus. Um chemische Spuren zu vermeiden müssen die Plantagen biologisch geführt werden. 1978 begann der Verkauf unter der Namen SUCANAT (SUcre de CAnne NATurel). Seit dem Anfang der Vermarktung haben sich die ersten produzierten Mengen konstant, aber langsam erhöht. Der Weisszucker hatte sich über Jahrzehnte als Hauptsüßstoff in den Haushalten behauptet. Inzwischen haben sich viele Produzenten gemeldet und der heutige Markt bietet verschiedene neue Marken, die sich etabliert haben.
Zusammensetzung
Die ersten Analysen von Dr Béguin basierten auf handwerklich hergestelltem Jaggery und sind in seinem Buch aus dem Jahr 1978 ersichtlich. Die zahlreichen Analysen die inzwischen gemacht wurden ergeben ein neues Bild. Besonders die Vitamine sind eher bescheiden geworden. Der hohe damalige Vitamin C Gehalt ist auf einem Fehler des Labors zurückzuführen. Die Mineralienwerte sind z.T. auch kleiner geworden. Dies ist wahrscheinlich auf die modernen Anbau-, Ernte-, Verarbeitungsmethoden sowie Reifegrad zurückzuführen. Dies bestätigt die allgemeine Verarmung unserer Lebensmittel durch die industriellen Produktionsmethoden. Die Daten im Béguin's Buch sind zum Teil überholt, und entsprechen mehr dem hohen Wert der natürlich belassenen Produkte. Ferner sind inzwischen neue Analysenmethoden eingeführt worden. Die Vitamine spielen in einem Süssstoff wie Zucker eine unwesentliche Rolle und haben im heutigen Ernährungsbild kaum Gewicht. Hingegen spielt das Mineralienbild eine entscheidende Rolle, wie auch die bleibenden Invertzucker Fructose und Glucose als Zeuge der Reife des Zuckerrohrs. Die heutigen mittleren Werte sind folgende, bezogen auf 100g:
Vollrohrzucker | |
---|---|
Wasser | 1.0g |
Saccharose | 88,2g |
D-Glucose | 1,78g |
D-Fructose | 2,59g |
Lactose | <0,2g |
Maltose | <0,2g |
Proteine | 0,813g |
Fett | 0,3g |
Ballaststoffe | 1,7g |
Asche | 1,03g |
Acrylamid
Im April 2002 entdeckten schwedische Wissenschaftler das angeblich krebserregende Acrylamid in verschiedenen Lebensmitteln. Acrylamid bildet sich, wenn bestimmte Kohlehydrate und Eiweißbausteine bei Temperaturen über 120°C miteinander reagieren.[4] Bisher existieren allerdings keine gesetzlichen Grenzwerte für Acrylamid. Ende 2002 wurde erstmals über Acrylamid im Vollrohrzucker berichtet,[5] wobei Werte deutlich über 1000µg/kg zu finden waren. Zur Zeit herrscht eine grosse Unklarheit über die Toleranzwerte beim Mensch. Gewisse Wissenschafter unterstreichen den Mangel an Erfahrungen und Forschungen auf diesem Gebiet und verlangen mehr Zeit für eine sachliche Stellungsnahme. Der Vollrohrzucker wird jedoch seit mehr als 2000 Jahren bei den oben genannten Temperaturen erzeugt, ohne dass Nachteile bemerkt wurden. Mehr Kenntnisse sind sicher wünschenswert, jedoch ist eine panikartige Einstellung fehl am Platz. Die Acrylamidwerte konnten inzwischen durch verbesserte Herstellungsverfahren deutlich verringert werden.
Quellenangaben
- ↑ http://www.mueller-burzler.de/art_gesund_ernaehren.html
- ↑ Dr. M.-H. Béguin: Natürliche Nahrung, gute Zähne. Edition de l'Etoile, Violette Béguin, CH 2300 La Chaux-de-Fonds
- ↑ Dr. M.-H. Béguin: Vollrohrzukcer den Zähnen zuliebe. Edition de l'Etoile, Violette Béguin, CH 2300 La Chaux-de-Fonds
- ↑ http://www.oekotest.de/cgi/ot/otgs.cgi?doc=29373
- ↑ http://www.naturkost.de/meldungen/acrylamid/20030219.html
Literatur
- Dr. A. Roos: Kulturzerfall und Zahnverderbnis 1955