Theodor Wilhelm
Theodor Wilhelm (* 16. Mai 1906 in Neckartenzlingen; † 11. November 2005 in Kiel) war Professor für Pädagogik an der Universität in Kiel. Wilhelm verwendete auch das Pseudonym Friedrich Oetinger.
Leben
Wilhelm wurde 1906 als Sohn eines Pfarrers in Neckartenzlingen geboren. Sein Vater schickte ihn für die letzten vier Gymnasialjahre als Stipendiaten auf neuhumanistische Internate der evangelischen Landeskirche. Das vom Vater erwartete Studium der Theologie nahm Wilhelm jedoch nicht auf. Vielmehr wurde er 1929 mit einer historischen Arbeit über die englische Verfassung promoviert, ein einjähriger Studentenaustausch führte ihn nach England, wodurch der Wunsch entstand, in den diplomatischen Dienst zu gehen. Deshalb verfasste er 1933 eine zweite, juristische Dissertation über „Die Idee des Berufsbeamtentums“ und wurde im selben Jahr Referent beim Deutschen Akademischen Austauschdienst, dort 1936 jedoch wieder entlassen. Er blieb aber Schriftleiter der außenpolitisch orientierten, seit 1935 von Alfred Baeumler herausgegebenen „Internationalen Zeitschrift für Erziehung“ (IZE). Er wurde 1938 Dozent für Erziehungswissenschaft an der Hochschule für Lehrerbildung in Oldenburg, von 1939 bis 1940 war er Soldat, wurde dann abkommandiert an ein von v. Ribbentrop gegründetes Institut für außenpolitische Forschung, wo er u.a. für die propagandistische Betreuung der deutschen Auslandsschulen zuständig war. Von 1943 bis zum Kriegsende 1945 war er erneut Soldat und geriet in Gefangenschaft. Nach seiner Entlassung arbeitete er als Gymnasiallehrer in Oldenburg, bis er 1951 wieder in der Lehrerbildung an der Pädagogischen Hochschule in Flensburg tätig wurde. Wilhelm habilitierte sich 1957 mit einer Arbeit über Georg Kerschensteiner an der Universität Kiel und erhielt dort 1959 einen Ruf auf den Lehrstuhl von Fritz Blättner, den er bis zu seiner Emeritierung 1972 innehatte (1).
Wirken
In der Zeit des Nationalsozialismus veröffentlichte Wilhelm vor allem im Rahmen seiner redaktionellen Tätigkeit kulturpolitische Texte, die später - vor allem nach seiner Emeritierung - wegen ihrer Nähe zur NS-Propaganda und antisemitischer Tendenzen teilweise heftig kritisiert wurden. Er stellte sich diesen Vorwürfen, aber die sich daraus ergebenden publizistischen Kontroversen führten nicht zu einer überzeugenden Klärung (2). Erst nach 1945 wandte er sich der wissenschaftlichen Pädagogik zu. Sein unter dem Pseudonym Friedrich Oetinger 1951 erschienenes Buch „Wendepunkt der politischen Erziehung. Partnerschaft als pädagogische Aufgabe“, das ab der 2. Aufl. 1953 den Titel „Partnerschaft - Die Aufgabe der politischen Erziehung“ erhielt, löste eine breite Diskussion über die nach dem Ende des Nationalsozialismus nötige Neuorientierung der politischen Erziehung aus. Es ist eine Abrechnung nicht nur mit dem Nationalsozialismus, sondern auch mit seiner geistigen Vorgeschichte, wie Wilhelm sie interpretierte: Der dominierende Teil der deutschen Geistesgeschichte und damit auch der Bildungstradition habe einer "Staatsmetaphysik" Vorschub geleistet, keinen Platz gelassen für ein der Sache angemessenes Verständnis des Politischen und Sozialen und somit die Deutschen gleichsam politisch blind gemacht für das, was mit der Hitlerbewegung auf sie zukam. Ein geeignetes Vorbild für die Neuorientierung sah Wilhelm statt dessen bei John Dewey und im amerikanischen Pragmatismus. Sein Begriff der "Partnerschaft" stand für diese auf die unmittelbaren Sozialzusammenhänge bezogene Neuorientierung. Diese Position wurde schon bald als eine den Kern des Politischen verfehlende vor allem von Theodor Litt und Erich Weniger kritisiert (3). In seinen nun folgenden erziehungswissenschaftlichen Schriften versuchte er eine pragmatische Mitte zu finden zwischen der geisteswissenschaftlichen Tradition der Deutschen Pädagogik und den Erkenntnissen der modernen empirischen Sozialwissenschaften, blieb aber ein Außenseiter in seinem Fach. Immer geht es ihm darum, idealisierende Überhöhungen zu vermeiden und realistische, also praktizierbare Theorien für Politik und Pädagogik zu entwickeln. In diesem Sinne wendet er sich in den nächsten Jahren allen wichtigen Bereichen der Erziehungswissenschaft zu. Am Beispiel von Georg Kerschensteiner, dem Klassiker der modernen Berufspädagogik, zeigt er in seiner Habilitationsschrift (1957), wohin es führt, wenn man eine plausible praktische pädagogische Aufgabe, in diesem Falle die politische Bildung für die arbeitende Jugend, so sehr in abstrakte Gefilde führt, dass zwar die deutschen Bildungsphilosophen zufrieden sein können, die konkrete Aufgabe selbst aber darin wieder verschwindet. Seine „Pädagogik der Gegenwart“ (1957) wurde zum erfolgreichen Lehrbuch über die Pädagogik des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Als sein Hauptwerk gilt die „Theorie der Schule“ (1967). Was muss die Schule in der modernen Gesellschaft lehren und wie kann man das herausfinden? Die traditionelle Bildungsidee habe darauf keine befriedigende Antwort mehr, nötig sei dafür vielmehr eine didaktische Durchdringung der modernen Wissenschaften mit dem Ziel einer „Wissenschaftsschule“. Nach seiner Emeritierung wandte Wilhelm sich wieder eher politischen Themen zu. So sah er in der Studentenbewegung und ihren akademischen Wortführern eine Neuauflage jener verhängnisvollen alten idealistischen Abstraktionen in neuem, nun neomarxistischem Gewand, und setzte sich damit ausführlich auseinander („Der Kompromiss“, 1973 - „Jenseits der Emanzipation“, 1975).
Werke
Die englische Verfassung und der vormärzliche deutsche Liberalismus - Eine Darstellung und Kritik des Verfassungsbildes der liberalen Führer, Stuttgart 1927
Die Idee des Berufsbeamtentums - ein Beitrag zur Staatslehre des deutschen Frühkonstitutionalismus, Tübingen 1933
Deutschland wie es wirklich ist. Ein Wort an das Ausland. Berlin 1934
(Unter Pseudonym Friedrich Oetinger:) Wendepunkt der politischen Erziehung - Partnerschaft als pädagogische Aufgabe, Stuttgart 1951
(Ab der 2. Aufl. mit neuem Titel) Partnerschaft - die Aufgabe der politischen Erziehung, 2. Auflage, Stuttgart 1953, und 1956³
Die Pädagogik Kerschensteiners - Vermächtnis und Verhängnis, Stuttgart 1957
Pädagogik der Gegenwart, Stuttgart 1959, 1960², 1963³
(Einführung zu) Werner Kindt, Grundschriften der deutschen Jugendbewegung,Düsseldorf 1963
Theorie der Schule, 2. Aufl. Stuttgart 1969 (1. Aufl. 1967)
Traktat über den Kompromiß. Stuttgart 1973
Jenseits der Emanzipation. Pädagogische Alternativen zu einem magischen Freiheitsbegriff. Stuttgart 1975
Aufbruch ins Europäische Zeitalter. Eine politisch-pädagogische Besinnung am Ende des 20. Jahrhunderts. Stuttgart 1990
Weblinks
Quellen
1. Theodor Wilhelm: Selbstdarstellung. In: Pongratz, L. (Hg.): Pädagogik in Selbstdarstellungen Bd. II (1976), S.315-347
2. Vgl. die zusammenfassende und kritisch würdigende Darstellung in: Klaus-Peter Horn: Pädagogische Zeitschriften im Nationalsozialismus. Weinheim 1996 (vor allem S. 313 ff.)
3. Erich Weniger: Politische und mitbürgerliche Erziehung. In: Die Sammlung 1952, S. 304-317 - Theodor Litt: Die politische Selbsterziehung des deutschen Volkes, 4. Aufl., Bonn 1958
Personendaten | |
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NAME | Wilhelm, Theodor |
ALTERNATIVNAMEN | Oetinger, Friedrich (Pseudonym) |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Professor für Religionspädagogik in Kiel |
GEBURTSDATUM | 16. Mai 1906 |
GEBURTSORT | Neckartenzlingen |
STERBEDATUM | 11. November 2005 |
STERBEORT | Kiel |