Amir Zaidan
Amir Muhammad Adib Zaidan, arabisch أمير محمد أديب زيدان (geb. 22. Juli 1964 in Ruhaibeh, Syrien), ist ein syrischer Koran-Übersetzer und Verfasser deutschsprachiger Bücher zum Islam.
In der Öffentlichkeit wurde er bekannt als Vorsitzender der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen (IRH), als Unterzeichner der sogenannten "Kamel-Fatwa" und als Direktor des Islamischen Religionspädagogischen Instituts (IRPI) der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ).
Ausbildung und Tätigkeit
Amir Zaidan studierte in Syrien ein Semester Medizin. 1983 kam er nach Deutschland und studierte die deutsche Sprache, Mathematik und Kunststofftechnik in Heidelberg, Karlsruhe und Darmstadt. Ab 1992[1] absolvierte er ein vierjähriges Fernstudium der Scharia und Usulud-din (auf arabisch) mit Abschluss B. A. am "Institut Européen des Sciences Humaines" (IESH) bei Château-Chinon in Frankreich. Zaidan belegte in Deutschland sechs Seminare Aufbaustudium (auf arabisch) im „Internationalen Zentrum für islamische Wissenschaften e. V.“ unter Leitung von Prof. Dr. Hassan Hitou und an der Jamia Nizamia Universität in Hyderabad ein zweijähriges Fernstudium (auf arabisch) im Fachbereich „Tafsir und ‘Ulumul-quran“ mit Abschluss M.A.
Zaidan war bis mindestens 1993 Funktionär der Muslim Studenten Vereinigung (M.S.V.)[2] und veröffentlichte dort 1996 sein Buch "Fiqh-ul-`ibadat - Einführung in die islamischen gottesdienstlichen Handlungen" und 1997 "Al-´aqida - Einführung in die Iman-Inhalte". Zaidan war auch für das "Islamische Konzil" tätig.[3] 1994 gründete er mit dem Vertretern der evangelischen Kirche, der katholischen Kirche und der Islamischen Gemeinden die Islamisch-Christliche Arbeitsgemeinschaft in Hessen (ICA-Hessen), deren muslimischer Vorsitzender er bis 2003 war. In dieser Funktion nahm er an zahlreichen Dialog-Veranstaltungen teil und fungierte auch als Mediator bei interkulturellen Konflikten. Im selben Jahr gründete Zaidan den Islamischen Arbeitskreis Hessen (IAK-Hessen) mit, dessen Vorsitzender er drei Jahre lang war und der das religiöse Konsenspapier Darstellung der Grundlagen des Islam erstellte, das von allen islamischen Gemeinden in Hessen genehmigt und unterzeichnet wurde. 1997 löste sich der IAK-Hessen auf und die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen (IRH) wurde gegründet, deren Vorsitzender Zaidan zwei Jahre lang war. Von 1997 bis 2003 war er Lehrbeauftragter im Fachbereich Vergleichende Religionswissenschaft an der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt am Main. 1998 gründete er die erste deutschsprachige Zeitung von Muslimen in Hessen mit, das Freitagsblatt, bei welcher er bis 2000 als verantwortlicher Redakteur für Islam und Interreligiöses tätig war. 2001 gründete er im Rahmen des IRH das "Islamologische Institut e.V." mit, dem er seither als wissenschaftlicher Direktor vorsteht. 2001 gründete Zaidan mit Vertretern der Jüdischen Gemeinde, der christlichen Kirchen und Islamischer Gemeinden das Abrahamische Forum, wo er bis 2003 im abrahamischen Team aktiv war als muslimischer Vertreter zusammen mit einer Jüdin und einem christlichen Theologen. Zaidan saß 2002 zusammen mit dem Rechtsanwalt Norbert Müller und dem dem ehemaligen M.S.V. Vorsitzenden Ibrahim El-Zayat im Vorstand der “Gesellschaft Muslimischer Sozial und GeisteswissenschaftlerInnen e.V.” (GMSG).[4]
2003 siedelte Zaidan um nach Wien, wo er als Direktor des Islamischen Religionspädagogischen Instituts (IRPI), einer Bildungsinstitution der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) zuständig ist für die Fort- und Weiterbildung der islamischen ReligionslehrerInnen in Österreich. 2003 organisierte er die Erste europäische Imamekonferenz mit, die die "Grazer Erklärung" [5] verabschiedete. 2005 war Zaidan auch an der Organisation der Ersten österreichischen Imamekonferenz [6] und der Wiener Konferenz gegen weibliche Genitalbeschneidung [7] und 2006 an der 2. Konferenz Europäischer Imame und Seelsorgerinnen in Wien[8] [9][10] beteiligt. Seit 2006 ist Zaidan Chefredakteur und Herausgeber der ersten deutschsprachigen Zeitung von Muslimen in Österreich, "die Muslimische - Muslimische Allgemeine Zeitung".
Übersetzungen
Zaidans Koranübersetzung At-Tafsir ist gekennzeichnet von dem Ziel, nicht übertragbare islamische Fachbegriffe als Fremdworte in den deutschen Diskurs über den Islam zu übernehmen. So werden Worte wie Dschihad, Iman, Kufr, Nifaq, Wali oder Zakat im Text nicht übersetzt, sondern in einem Anhang inhaltlich erläutert, was ein flüssiges Lesen jedoch erschweren kann.[11]
Islamologie
Anders als die Orientalistik, Arabistik und die Islamwissenschaften ist Islamologie in Deutschland kein universitäres Fachgebiet und keine anerkannte Wissenschaft. Zaidan versteht unter Islamologie die "Lehre der klassischen Islam-Wissenschaften", die an den etablierten islamischen Universitäten, wie z.B. Al-Azhar in Kairo gelehrt werde. Ziel der Islamologie sei das umfassende Verstehen des Islam und dessen Quellen. Zaidan sieht Islamologie als Sammelbegriff für die Wissenschaften des Islam. Sie basieren auf den beiden primären Quellen des Islam - dem Quran und der Sunna (Vorbild des letzten Gesandten Muhammad) - und umfassen Fächer wie Fiqh, Aqida, Usul ul-fiqh, Ulum ul-hadith, Al-qawa'id ul-fiqhiya. In diesem Sinne wird der Begriff auch in dem von ihm in Hessen 2001 mitbegründeten Verein "Islamologisches Institut" benutzt.[12] Bassam Tibi, der eine Professur für Internationale Beziehungen an der Universität Göttingen hält, bezeichnet sich als Begründer der Islamologie in Deutschland, versteht darunter aber etwas völlig anderes – nämlich eine sozialwissenschaftliche Historiographie.[13]
Die sogenannte Kamel-Fatwa
In den Medien wurde Zaidan wegen einer Fatwa - einem islamischen Rechtsgutachten - aus dem Jahre 1998 kritisiert, die er als Vorsitzender des Fiqh-Rates der IRH unterzeichnete. Die Fatwa wurde auf Anfrage mehrerer volljähriger Oberstufenschülerinnen zu einer geplanten zweiwöchigen Klassenfahrt nach Spanien erstellt:
„Eine mehrtägige Reise mit Übernachtung außerhalb der elterlichen Wohnung ist für muslimische Frauen ohne die Begleitung eines Mahram (dieser ist ein naher Verwandter, also der Ehemann, Vater, oder Bruder), nicht erlaubt und verstößt gegen islamische Regeln. Der Gesandte Muhammad sagte im Hadith: ´Eine Frau darf nicht die Entfernung einer Tages- und Nachtreise ohne Mahram zurücklegen.´ Diese Entfernung schätzen die islamischen Gelehrten heutzutage auf ca. 81 km. Gemäß der im Grundgesetz und in der Verfassung des Landes Hessen verankerten Religionsfreiheit ist es deshalb angebracht, muslimische Schülerinnen von der Teilnahme an derartigen schulischen Veranstaltungen freizustellen.“
Die Fatwa wurde von der IRH damals dem zuständigen Schulamt vorgelegt, jedoch nicht veröffentlicht. Es wurden von der IRH auch keine weiteren Fatwas in diesem Sinne erstellt. Der Name „Kamel-Fatwa“ wurde durch die Annahme geprägt, dass die Wegstrecke von 81 km gleich der Strecke sei, die ein Kamel an einem Tag zurücklegt. Im Juli 2000, kurz bevor das Kultusministerium über den Antrag der IRH auf Islamischen Religionsunterricht entschied, erschien in der taz ein Artikel[15] über die Fatwa, die unter muslimischen Eltern kursierte.[16] Aus dem Text der Fatwa geht nicht hervor, ob sie allgemein gültig ist oder nur für einen konkreten Anlass erstellt wurde. Schon zuvor als IAK-Vorsitzender hatte Zaidan von der hessischen Landesregierung einen "verbindlichen Erlaß an alle Lehrer zur Befreiung muslimischer Schülerinnen und Schüler von schuleigenen Freizeitaktivitäten wie Klassenfahrten, Schullandheimaufenthalte, Fastnachtsfeiern" gefordert.[17] Gegenüber dem Stadtmagazin Falter hat Zaidan 2007 angegeben, dass diese Fatwa nur für diesen konkreten Fall erstellt worden sei. Er würde die Fatwa heute unter denselben Umständen wieder unterschreiben.
Veröffentlichungen
Fachbücher
- Koran-Übersetzung: At-tafsir - Eine philologisch, islamologisch fundierte Erläuterung des Quran-Textes, ADIB Verlag Offenbach, 2000 ISBN 3-934659-01-2
- Fiqh-ul-`ibadat - Einführung in die islamischen gottesdienstlichen Handlungen, Muslim Studenten Vereinigung in Deutschland e.V., Marburg 1996, ISBN 3-932399-02-1
- Al-Aqida 1. Auflage, kartoniert, Muslim Studenten Vereinigung in Deutschland e.V. Frankfurt, 1997, ISBN 3-932399-16-1, Al-´aqida - Einführung in die Iman-Inhalte, 2. neubearbeitete und erweiterte Auflage, gebunden, ADIB Verlag, Offenbach, 1999, ISBN 3-934659-00-4, Auszug zu den sechs Iman-Inhalten
- Die Fiqh-Schulen / Al-mazahibul-fiq-hiya,IRH 1999
- Darstellung der Grundlagen des Islam, IRH-Schriftenreihe Nr.1, Frankfurt/M. 1999, ISBN 3-933793-00-9
- Islam und Medizin - Muslime in der Klinik, IRH-Schriftenreihe Nr.2, Frankfurt/M. 1999, ISBN 3-933793-01-7 Auszug
- Islamischer Religionsunterricht - Verfassungsrechtliche und integrative Aspekte, IRH-Schriftenreihe Nr.3, Frankfurt/M. 2001, ISBN 3-933793-02-5
- Islam und Säkularismus, IRH-Schriftenreihe Nr.4, Frankfurt/M. 2002
- Menschenbild im Islam, IRH-Schriftenreihe Nr.5, Frankfurt/M. 2002
- Muezzin-Ruf, ICA-Hessen, Stellungnahme zur Problematik des Muezzin-Rufes in Hessen, Frankfurt/M. 2002
- Die Charta von Medina, Übersetzung und zeitgemäße Erläuterung der Verfassung von Medina, Frankfurt/M. 1998
Artikel und Aufsätze in Fachzeitschriften und -büchern
- Glaube und Spiritualität im Islam, Muslimische Jugendliche auf der Suche nach religiöser Identität; Muslimische Jugendliche in Frankfurt am Main (1996)
- Religionen der Welt, AMKA Frankfurt/M. 1996, Band 47, ISBN 3-931297-05-5
- Das Kopftuch und der neue Rassismus, Texte des Interkulturellen Rates in Deutschland, 1997 [18]
- Islamischer Religionsunterricht an staatlichen Schulen in Deutschland, Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen, Schriftenreihe Nr. 8, Berlin 2000
- Fremdsein im Dorf - Europäische Erfahrungen und Arbeit auf dem Lande, Interkultureller Rat in Deutschland, 2002
- Noah-Allianz unter dem Regenbogen?, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Juden, Christen und Muslime im Gespräch, EZW-Texte 163 (Hg. Ulrich Dehn, 2002)
- Quran-Exegese, Evangelische Akademie Bad Boll, 2003
- Bildung und Religion, Schriften zum Bildungsrecht und zur Bildungspolitik 10, Verlag Österreich, ISBN 3-7046-3592-8, Wien 2006
- Heilung und Wunder, Theologische, historische und medizinische Zugänge; Wissenschaftliche Buchgesellschaft, ISBN 3-534-20074-8, Darmstadt 2007
Radio- und Fernsehsendungen
- Gedanken für den Tag: Amir Zaidan zum Ramadan, ORF-Sendungen vom Oktober 2003
- Das rituelle Fasten ist keine Erfindung des Islam, 27. Oktober 2003 [19]
- Über den Sinn des Fastens im Islam, 28. Oktober 2003 [20]
- Wer soll fasten und wer nicht? 29. Oktober 2003 [21]
- Das Fasten und seine sozialen Traditionen, 30. Oktober 2003 [22]
- Am Ende steht das große Fest, 31. Oktober 2003 [23]
- Gedanken für den Tag: Amir Zaidan zum Ramadan, ORF-Sendungen vom Oktober 2005
- Religionen der Welt - Zum Geburtstag des Propheten: ORF-Sendung mit Amir Zaidan, vom 8. April 2006 [28]
Einzelnachweise
- ↑ Kurzbiografie auf Webpage des deutschsprachigen Islamologischen Institutes
- ↑ „Allahs Einzug ins Klassenzimmer", Süddeutsche Zeitung vom 6.11.1998
- ↑ Urteil des Verwaltungsgericht Wiesbaden (AZ: 6 E 2129/04) vom 14. September 2005
- ↑ Jahrestagung 2002 der “Gesellschaft Muslimischer Sozial und GeisteswissenschaftlerInnen e.V.” (GMSG) Köln
- ↑ "Grazer Erklärung zur Standortbestimmung des Islam in Europa", Juni 2003
- ↑ Schlussdokument der Ersten österreichischen Imamekonferenz in Wien, 2005
- ↑ "MuslimInnen aktiv gegen FGM", Wiener Konferenz gegen weibliche Genitalbeschneidung, Juni 2005
- ↑ Schlusserklärung der Konferenz Europäischer Imame und Seelsorgerinnen in Wien, April 2006
- ↑ ORF-Sendung "Imame Konferenz in Wien", 10.04.2006
- ↑ Washington Times Article "Imams vow to preach values of Islam", 10.April 2006
- ↑ Norbert Müller, Rezension für die Zeitschrift “Die Brücke"
- ↑ Methodik der Islamologie
- ↑ Tibi, Bassam: Trilogie zur Begründung der Islamologie, die in der Reihe Suhrkamp-Taschenbuch-Wissenschaft erschien (Bde. 531/1985, 650/1987 und 889/1991), Zivilisationskonflikte und Kulturdialoge. "Für eine neue Wissenschaft der Islamologie", in: Universitas, Nr. 5/1995, 459-470, "Der wahre Imam. Der Islam von Mohammed bis zur Gegenwart" München: Piper. 1996 ISBN 3492227139, Seite 437
- ↑ Fatwa des Fiqh-Rates der IRH vom 07.01.1998, unterschrieben vom Vorsitzenden Amir Zaidan
- ↑ Ahmet Senyurt: "Bei Kilometer 82 endet die Freiheit", taz vom 13. Juli 2000
- ↑ Falter-Artikel "Allah und er" vom 3.5.2006
- ↑ Heftige CDU-Kritik an der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen, Wetzlarer Kurier vom 5.1.2005
- ↑ Das Kopftuch und der neue Rassismus, Texte des Interkulturellen Rates in Deutschland, 1997
- ↑ ORF-Sendung "Das rituelle Fasten ist keine Erfindung des Islam", 27.10.2003
- ↑ ORF-Sendung "Über den Sinn des Fastens im Islam", 28. Oktober 2003
- ↑ ORF-Sendung "Wer soll fasten und wer nicht?", 29. Oktober 2003
- ↑ ORF-Sendung "Das Fasten und seine sozialen Traditionen", 30. Oktober 2003
- ↑ ORF-Sendung "Am Ende steht das große Fest", 31. Oktober 2003
- ↑ ORF-Sendung "Das rituelle Fasten- das spirituelle Tor zum Gottesdienst", 5. Oktober 2005
- ↑ ORF-Sendung "Die spirituellen Dimensionen des Fastens", 6. Oktober 2005
- ↑ ORF-Sendung "Entsagung macht stark - Die soziale Dimension des Fastens", 7. Oktober 2005
- ↑ ORF-Sendung "Teilen macht Freude – die Solidarität im Islam", 8. Oktober 2005
- ↑ ORF-Sendung "Religionen der Welt - Zum Geburtstag des Propheten", 8. April 2006
Weblinks
- Islamologisches Institut
- Islamisches Religionspädagogisches Institut in Wien
- Muslimische Allgemeine Zeitung
| Personendaten | |
|---|---|
| NAME | Zaidan, Amir |
| ALTERNATIVNAMEN | Amir Muhammad Adib Zaidan |
| KURZBESCHREIBUNG | Islamologe |
| GEBURTSDATUM | 22. Juli 1964 |
| GEBURTSORT | Ruhaibeh, Syrien |