Giovanni Segantini

Der Maler Giovanni Segantini (* 15. Januar 1858 in Arco; † 28. September 1899 auf dem Munt da la Bês-cha (Schafberg) bei Pontresina) war ein bekannter Vertreter der Malerei-Epoche des Symbolismus und profilierte sich über die Malerei hinaus als ein Philosoph und Vordenker seiner Zeit.
Leben
Giovanni Battista Emmanuele Maria Segatini (später Segantini) wurde 1858 im damaligen österreichischen Arco am Gardasee als Kind des Schreiners Antonio Segatini und seiner dritten Frau, Magdalena di Gitaldi, geboren. Ein älterer Bruder kam bei einem Feuer ums leben. Nach dem frühen Tod der Mutter 1865 (sie starb mit 29 Jahren) brachte ihn der Vater zu einer Tochter aus erster Ehe, Irene. Diese empfand den Kleinen als Belastung und Giovanni riss deshalb aus, wann immer es ging. Er wurde aufgegriffen und da er keine Papiere hatte und sein Vater 1866 gestorben war, landete er in der Besserungsanstalt Marchiondi. Bei diesen Aufenthalten erlernte er den Beruf des Schusters. Ein alter Anstaltsgeistlicher nahm sich seiner an. Da dieser seine Begabung für das Zeichnen erkannte erzählte er ihm von Fra Angelico, dem Malermönch, und erlaubte ihm, zu zeichnen und zu modellieren. [1] 1873 kam er nach Mailand zu einem Maestro Tettamanzi, der ein Maler von Heiligenfahnen, Transparenten und Wirtshausschildern, Komödiant und Verfasser historischer Dramen war. Er stellte ihn als Gehilfen an und erteilte ihm Zeichenunterricht. [2]
Im Jahre 1875 schrieb er sich an der Kunstakademie Brera in Mailand ein, belegte Tageskurse in Malerei und Abendkurse in Ornamentik und erregte bereits 1879 mit seinem ersten größeren Bild, dem Chorgestühl von St. Antonio, bei Lehrern und Schülern Aufsehen durch die neuartige Behandlung des Lichts. Daraufhin bekam er den Auftrag, für die Studenten kolorierte anatomische Zeichnungen zu machen, wodurch er sich selbst gute anatomische Kenntnisse aneignete.
Das durch ein Seitenfenster belichtete Chorgestühl von „St. Antonio“ galt damals bei den Perspektive-Schülern als unlösbares Problem. Man wollte Segantini den mit 5.000 Lire dotierten „Principe-Umberto-Preis“ erteilen. Neider und Feinde wussten dies aber zu verhindern, indem sie die Jury darauf aufmerksam machten, daß Segantini ein Österreicher und kein Italiener sei. [3]
Infolge von Meinungsverschiedenheiten mit den Professoren an der Brera verließ er diese nach zwei Jahren. Im gleichen Jahr lernte er in der „Galleria Vittore ed Alberto Grubicy“ in Mailand den Kunstkritiker und -händler Vittore Grubicy kennen. Die Galerie veranstaltete eine Gedächtnisausstellung für den früh verstorbenen Tranquillo Cremona, als Segantini diese mit ärmlicher Kleidung und groben Schuhen betrat. Von Grubicy zurechtgewiesen, die Gemälde aber weiterhin mit intensiver Aufmerksamkeit betrachtend, entschuldigte er sich und gab sich als Maler zu erkennen. So begann eine Beziehung und Freundschaft fürs Leben und die finanzielle Not Segantinis hatte vorerst ein Ende, denn Grubicy hatte ihm auch Aufträge für Stilleben verschafft. [4] Alberto Grubicy brachte die Bilder Segantinis in den Kunsthandel und sein Freund und Kritiker Vittore Grubicy brachte ihn mit Reproduktionen der Kunst seiner Zeit in Berührung.
Im Jahre 1880 eröffnete Segantini sein erstes Atelier in Mailand. Hier lernte er die siebzehnjährige Luigia Bugatti, genannt Bice, kennen, die Schwester seines Mitschülers und Freundes Carlo Bugatti - ein später in Mailand und Paris hochgeschätzter und gesuchter Möbelschreiner - kennen. Bice stand Modell für das Bild La Falconiera (Die Falknerin) aus dem Jahre 1881; ein romantisches Bild, welches vollständig den verliebten Zustand des Malers widerspiegelt. Die Heldin des Bildes heißt „Bice del Balzo“, und nahm in den Augen des verliebten Malers „irdische Gestalt in den weiblichen Formen der geliebten Luigia Bugatti an, die von nun an seine Bice wurde.“ [5] Heiraten konnten sie nicht, da er nicht über die notwendigen Papiere verfügte (Segantini starb staatenlos).

1881 zog er mit Bice nach Pusiano in der Brianza, einer ländlichen, hügeligen Seenlandschaft zwischen Lecco und Mailand, wo die beiden Söhne Gottardo, 1882 geboren, später selbst Maler und Biograph seines Vaters und Alberto (1885-1904) geboren wurden und wo er bis 1886 mit seiner Familie lebte. Sein dritter Sohn Mario (März 1885-1916) und die Tochter Bianca (Mai 1886-1980) wurden in Mailand geboren. Mario wurde ebenfalls Maler und Bianca brachte 1909 in Leipzig die Schriften und Briefe ihres Vaters in deutscher Sprache heraus.
Ein halbes Jahr, von 1885 bis 1886, hielt er sich in Caglio auf, um dort eines seiner bedeutendsten Werke An der Barre zu malen, eine lichtvolle, weiträumige Komposition, in der er bereits etwas von seinem Triptychon Sein, Werden, Vergehen vorwegnimmt. [6]
1886 verließ er die Brianza und ließ sich in der Schweiz nieder. Bis 1894 lebte er in Savognin im Oberhalbstein und siedelte im August dieses Jahres nach Maloja über, in ein geräumiges Haus oberhalb des Silser Sees. Hier beginnt die Reihe seiner großen Schöpfungen. In den Niederlanden, Belgien, England, Deutschland, später auch in Österreich, aber auch in Japan [7] hatte er schon Berühmtheit erlangt. Er wurde von Max Liebermann und Ludwig Fulda besucht. Giovanni Giacometti, der im nahegelegenen Stampa lebte und der junge Cuno Amiet erfuhren seine wohlwollende Förderung. [8]

Ab 1896 arbeitete Segantini den Sommer über in Maloja im Engadin und den Winter über in Soglio. Hier entstanden unter anderem Hochgebirgslandschaften in einer dem Neoimpressionismus verwandten Maltechnik. Bekannt ist vor allem das grandiose Alpentriptychon Werden - Sein - Vergehen, (La vita - La natura - La morte) bestehend aus den Teilen Das Leben, Die Natur und Der Tod. Das Leben entstand 1896-1899 in der Nähe von Soglio im Bergell, Die Natur 1897-1899 auf dem Schafberg oberhalb von Pontresina im Engadin und Der Tod 1896-1899 beim Malojapass in Richtung Bergell. Das Triptychon hängt im Segantini Museum in St. Moritz.
Mitte September 1899 stieg Segantini den Schafberg hinauf, um an dem schon fast fertiggestellten Sein zu arbeiten. Den Sommer über hatte er an Werden und Vergehen gearbeitet. Das große Tritychon der Natur sollte im Frühjahr 1900 für die Weltausstellung in Paris fertig sein. Er wurde von Sohn Mario begleitet. Es stellte sich aber rasch eine Darmerkrankung ein. Geplagt von Fieberdurst, Schnee essend, verschlimmerte sich sein Zustand. Sein Sohn eilte hinab nach St. Moritz zu Dr. Bernhard, einem ärztlichen Freund des Malers. Die Hilfe kam jedoch zu spät, auch aufgrund einer ausgebrochenen Peritonitis infolge einer akuten Blinddarmentzündung. [9]
In Anwesenheit seiner Lebensgefährtin Bice, die aus Mailand herbeigeeilt war, seines Sohnes Mario und seines Freundes und Arztes Oskar Bernhard verstarb Segantini auf dem Schafberg. Am 1. Oktober 1899 wurde er auf dem kleinen Kirchhof von Maloja, den er im Glaubenstrost gemalt hatte, begraben. 39 Jahre später, am 13. September 1938, folgte ihm Bice nach. Der Überlieferung nach sollen seine letzten Worte gewesen sein: „Voglio vedere le mie montagne.“ (deutsch: Ich möchte meine Berge sehen.) − ein letztes Bekenntnis zu seinen Bergen. [10] [11]
Der Künstler
„Es ist meine Überzeugung, daß das Lehren der Malerei absurd ist. Wohlverstanden meine ich mit diesem Lehren nicht das Zeichnerische ... Wer nicht als Künstler geboren ist, wird nie Künstler.“ [12]
Mit der Übersiedlung nach der Brianza begann die eigentliche Laufbahn des Künstlers. Hier berührte er sich in seiner künstlerischen Ausdrucksform mit Jean-François Millet, stand aber nicht unter seinem Einfluss. Segantini kannte das Werk des Franzosen nur aus Photographien. Beider Schöpfungen können als direkte Naturübertragungen angesehen werden. In einem Brief an den Dichter Tumiati vom 29. Mai 1898 schreibt er:
- „Um meine Gefühlsbewegungen zu stärkerem Ausdruck zu bringen und auch das ganze Milieu meines Werkes durch die poetisch-malerischen Empfindungen meines Geistes beleben zu können, emanzipierte ich mich in der ersten Zeit von den kalten Modellen, ging abends in den Stunden des Sonnenuntergangs aus und nahm die Stimmung in mich auf, die ich am Tage der Leinwand mitteilte.“ [13]
Diese poetisch-verträumte Epoche fiel zeitlich zusammen mit seiner Befreiung aus dem seelisch einengenden Leben der Großstadt. Die bäuerliche Harmonie seiner Umgebung und sein eigener verliebter Zustand der Umgebung und seinem eigenen jungen Haushalt gegenüber, trugen zu dieser künstlerischen Phase bei und förderte ein Schaffen von innen heraus. [14] [15]
Der Mensch war bei Segantini von Anfang an in die Landschaft eingebettet, er verschmolz in ihr sozusagen. Millet hatte den Bauern poetisiert, ihn romantisch-literarisch erhöht. Bei Segantini bleiben die Hirten und Bauern einfach und ohne jedes Pathos. Millet entdeckte, mit Gustave Courbet, den Bauern als künstlerisches Thema und seine Wahl dieses Motivs ist Ausdruck eines sozialethischen Programmes gewesen. Millet erlebte den Bauern als Intellektueller, als Städter, von außen gesehen und als Kritiker am Städtedasein. Trotz der äußeren Ähnlichkeit der Motive beider Künstler, haben die von Segantini ein ganz anderes Wesen und er hatte dies selbst deutlich gespürt und ausgedrückt. Er wolle einfach seine Modelle „... malen, ganz anders als Millet, glücklich, schön und zufrieden, kein Mitleid erweckend, sicher eher Neid, wenn man sie und ihr Leben kennen lernt, wie ich es getan.“ [16]
- „Ihm ist der Künstler ein Priester der hehren Schönheit des Erschaffenen, der im Dienste dieser erleuchteten Göttin sein Leben zu stellen und, wenn nötig, zu opfern hat.“ [17]
Segantini lebte in einer Zeit, in der der wissenschaftliche Materialismus eine Art Gesetz war und sein Anspruch war zu sagen: „Ein Ideal außerhalb des Natürlichen hat keine Lebenskraft von Dauer; aber eine Wirklichkeit ohne Ideal ist eine Wirklichkeit ohne Leben.“ [18]
In der Biographie zu Segantini warf sein Sohn Gottardo Segantini die Frage auf, ob Segantini ein Naturalist oder ein Idealist war und kam zum Schluss, daß er weder das eine noch das andere war. „Das ist kein Naturalist mehr, der sein Können im Wetteifer mit den Größten seiner Zeit durch ernstes ständiges Bemühen immer mehr vervollständigt hat, das ist ein großer Idealist.“ Die Natur belauschend wiedergeben und nicht ein „Sich-Vertiefen in Groteske und interessante Sonderheiten, sondern das Festlegen der allgemeinen erkannten Schönheiten.“
Hier lag der Kern seines Bemühens und das Menschliche seiner Kunst. Nicht den Kritikern nachlaufen, nicht Volkskunst anstreben, dies war sein Bemühen. Die Bilder Segantinis waren keine Publikumsbilder, sie erregten bei den schaffenden Malern Aufsehen, wurden nur dort anerkannt, wo sie in die Kunstströmung hineinpassten und sie hatten insofern eine Sonderstellung, als sie auch hier und da dazu benutzt wurden, der althergebrachten malerischen Einstellung den Kampf anzusagen. Wenn nach dem Tod des Künstlers seine Werke und sein Name rasch Weltruhm erlangten und das Publikum seine Bilder zu den „Lieblingen ihrer Wahl“ machte, so kann man nicht den Schluss daraus ziehen, sie seien auch als Publikumsbilder gemalt worden. [19]
Werke (Auswahl)
- Dudelsackbläser von Brianza (Tokio, The National Museum of Western Art), 1883-85, Öl auf Leinwand, 107,2 x 192,2 cm
- Kühe an der Tränke (Basel, Kunstmuseum), 1888, Öl auf Leinwand, 83 x 139,5 cm
- Strickendes Mädchen (Zürich, Kunstmuseum), 1888, Öl auf Leinwand, 53 x 91,6 cm
- Die zwei Mütter (Mailand, Galleria d`Arte Moderna), 1889, Öl auf Leinwand, 157 x 280 cm
- Rückkehr vom Wald (St. Gallen, Kunstmuseum), 1890, Öl auf Leinwand, 64 x 95 cm
- Ruhe im Schatten (Zürich, Privatsammlung), 1892, Öl auf Leinwand, 44 x 68 cm
- Frau an der Quelle (Winterthur, Stiftung Oskar Reinhart), 1893-94, Öl auf Leinwand, 71,5 x 121 cm
- Alpweiden (Zürich, Kunsthaus), 1893-94, Öl auf Leinwand, 169 x 278 cm
- Lebensengel (Mailand, Civica Galleria d`Arte Moderna), 1894, Öl auf Leinwand, 275,5 x 212 cm
- Die bösen Mütter (Wien, Österreichische Galerie Belvedere), 1894, Öl auf Leinwand, 105 x 200 cm
- Frühlingsweide (Mailand, Pinacoteca di Brera), 1896, Öl auf Leinwand, 95 x 155 cm
- Liebe am Brunnen des Lebens (Mailand, Galleria d`Arte Moderna), 1896, Öl auf Leinwand, 70 x 98 cm
- Alpen-Triptychon - Werden (St. Moritz, Segantini Museum), 1898-99, Öl auf Leinwand, 190 x 320 cm
- Alpen-Triptychon - Sein (St. Moritz, Segantini Museum), 1898-99, Öl auf Leinwand, 235 x 400 cm
- Alpen-Triptychon - Vergehen (St. Moritz, Segantini Museum), 1898-99, Öl auf Leinwand, 190 x 320 cm
- Frucht der Liebe (Leipzig, Museum der bildenden Künste), um 1900, Öl auf Leinwand, 87,5 x 57 cm
Das Alpentriptychon | |||||
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-
Ave Maria bei der Überfahrt, 1866
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Dudelsackbläser von Brianza, 1883-85
-
Le Cattive Madri (Die bösen Mütter), 1894
-
Lebensengel, 1894
Schriften
- L. Villari: Giovanni Segantini. The story of his life together with seventy five reproductions of his pictures in half tone and photogravure, London 1901, T. Fisher Unwin.
- Bianca Zehder-Segantini (Hrsg. u. Bearb.): Giovanni Segantinis Schriften und Briefe, Leipzig o.J. (1912), Verlag von Klinkhardt & Biermann.
- Gottardo Segantini: Giovanni Segantini. Mit 16 mehrfarbigen und 48 einfarbigen Tafeln und 99 Bildern im Text, Zürich 1949, Rascher & Cie. AG., Zürich.
- Hans Zbinden: Giovanni Segantini. Leben und Werk, Bern 1964, Verlag Paul Haupt
Weblinks
- Vorlage:PND
- Umfassende Internetinformation über Giovanni Segantini
- Segantini-Galerie
- Biografie von Giovanni Segantini von cosmopolis.ch
Quellen
- ↑ Hans Zbinden: Giovanni Segantini. Leben und Werk, Bern 1964, Verlag Paul Haupt, S. 11
- ↑ Hans Zbinden, Bern 1964, S. 11
- ↑ Gottardo Segantini: Giovanni Segantini. Zürich 1949, Rascher & Cie. AG., S. 24
- ↑ Hans Zbinden, Bern 1964, S. 11
- ↑ Gottardo Segantini, Zürich 1949, S. 26
- ↑ Comitatio Segantini St. Moritz (Hrsg.): Giovanni Segantini und das Segantini-Museum in St. Moritz, Engadin Press AG, Samedan 1968, unpag.
- ↑ Über Hermann Hesse, der in seinem Peter Camenzind, der in das Japanische übersetzt wurde und in dem Segantinis Werk eine Rolle spielt, war das Interesse in Japan für Segantini erwacht.
- ↑ Hans Zbinden, Bern 1964, S. 39
- ↑ Hans Zbinden, Bern 1964, S. 58
- ↑ Comitatio Segantini St. Moritz (Hrsg.), Samedan 1968
- ↑ Hans Zbinden, 1964, S. 58
- ↑ Hans Zbinden, Bern 1964, S. 12
- ↑ Gottardo Segantini, Zürich 1949, S. 52
- ↑ Gottardo Segantini, Zürich 1949, S. 52
- ↑ Hans Zbinden, Bern 1964, S. 16
- ↑ Hans Zbinden, Bern 1964, S. 18
- ↑ Gottardo Segantini, Zürich 1949, S. 39
- ↑ Gottardo Segantini, Zürich 1949, S. 39
- ↑ Gottardo Segantini, Zürich 1949, S. 40 ff.
Personendaten | |
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NAME | Segantini, Giovanni |
KURZBESCHREIBUNG | bekannter Vertreter der Malerei-Epoche des Symbolismus |
GEBURTSDATUM | 15. Januar 1858 |
GEBURTSORT | Arco (Italien) |
STERBEDATUM | 28. September 1899 |
STERBEORT | Schafberg bei Pontresina |