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Joachim Hoffmann

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Joachim Hoffmann (* 1. Dezember 1930 in Königsberg in Preußen; † 8. Februar 2002 in Freiburg im Breisgau) war ein deutscher Historiker und Publizist.

Leben und Werk

Ab 1951 studierte er Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte und Vergleichende Völkerkunde. Er promovierte zum Dr. phil. Von 1960 bis 1995 war er am Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr tätig, zuletzt als Wissenschaftlicher Direktor. Sein dienstliches Forschungsgebiet waren die Streitkräfte der Sowjetunion. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher und Aufsätze zur politischen, diplomatischen und militärischen Geschichte des 19. Jahrhunderts und zur Geschichte des deutsch-sowjetischen Krieges.

Einen Schwerpunkt der Arbeit Hoffmanns im Militärgeschichtlichen Forschungsamt bildete die Rolle der Orientvölker der Kaukasusregion während des Zweiten Weltkrieges (Ostlegionen). Er veröffentlichte mehrere Bücher zu diesem Thema. Angesichts der aktuellen Nationalitätenkonflikte, welche zum Zusammenbruch des Sowjetreiches mit beigetragen haben, trugen die Abhandlung dazu bei, deren historische Dimension aufzuzeigen.

Hoffmanns „Geschichte der Wlassow-Armee“[1] liegt zahlreichen Veröffentlichungen in Russland zu dem Thema zugrunde, etwa den Beiträgen von Imanuil Levin, Mitglied des Verbandes der Schriftsteller der UdSSR, in: „Moskovskij Komsomolec“ 18. Dezember 1991 sowie dem von Dr. Boris Sokolov, „Nezavisimaja Gazeta“, 20. Februar 1992. Die Empfehlung des Buches durch Solschenizyn hat zu dem ihm entgegengebrachten Interesse ebenfalls beigetragen. In den 1990-er Jahren entsteht in Russland ein Bewusstsein von der Bedeutung des Phänomens der Wlassow-Bewegung. Das Thema wurde daraufhin in allen wichtigen Zeitungen aufgegriffen. 1990 erschien das Buch in russischer Übersetzung im Pariser YMCA-Verlag, dem Hausverlag Alexander Solschenizyns, als Band 8 seiner historischen Reihe INRI (Issledovanija Novejsej Russkoj Istorii, Forschungen zur neuesten Geschichte Russlands).

Anders als Bewertungen, die die Wlassow-Bewegung ausschließlich aus deutscher Sicht betrachten, nämlich als eine Maßnahme zur Abwendung der dem deutschen Reich drohenden Niederlage, nahm die Arbeit Hoffmanns eine Betrachtung vor, welche die Befreiungsarmee aus sich selbst heraus versteht und damit der russischen Geschichte zuordnet.

1984 kam es zu einem Prozess vor dem Landgericht Freiburg, in dem Wilhelm Deist, der leitende wissenschaftliche Direktor des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Freiburg, Hoffmann auf Widerruf und Unterlassung verklagte, weil dieser am 7. September 1983 in einem Schreiben an den Amtschef des MGFA, Deist bezichtigt hatte, ihn aus ideologischen Gründen zur Unterdrückung der historischen Wahrheit zu veranlassen. Deist wertete dies als ehrverletzend. Das Landgericht wies die Klage ab, da es die Aussagen Hoffmanns durch die freie Meinungsäußerung gedeckt sah und Hoffmann in Wahrnehmung seiner Interessen gehandelt habe.

Würdigung und Kritik

Würdigung

Hoffmanns Arbeiten über die Rolle der Orientvölker der Kaukasusregion während des Zweiten Weltkrieges sind für das Selbstverständnis und Identitätsbewußtsein dieser Völker gerade auch heute noch von entscheidender Bedeutung, wie das Interesse junger Historiker von dort zeigt.

Welche Bedeutung der Arbeit Hoffmanns über die Russische Widerstandsbewegung unter General Wlassow gerade für den russischen Leser zukommt, wird deutlich aus den Worten Oleg Krasovskijs, des Chefredakteurs des in München herausgegebenen Almanach „Vece“ (Unabhängiger Russischer Almanach), Beitrag in Bd. 22/1986:

„Ein deutscher Geschichtswissenschaftler hat der Russischen Befreiungsbewegung mit seinem Werk ein großartiges Denkmal gesetzt; er hat die Persönlichkeit des Führers dieser Bewegung, Andrej Andreevic Vlasovs, in strahlendes Licht gehoben und dem Gedenken seiner nächsten Mitstreiter und zahlloser russischer heldenhafter Märtyrer, die in einem verzweifelten und uneigennützigen Kampf für die Freiheit ihres Vaterlandes fielen, die Ehre erwiesen. Großer russischer Dank ihm!“

Da inhaltliche Fehler des nahezu ausschließlich auf Aktenmaterial beruhenden Buches nicht nachgewiesen werden konnten fand das Buch Stalins Vernichtungskrieg in der Fachwelt des In- und Auslandes positive Aufnahme. Professor Dr. Richard C. Raack, California State University, Harvard, schrieb in der amerikanischen Zeitschrift WORD AFFAIRS 1996 in einem den Forschungsstand beschreibenden Beitrag: „In fact the discussion is international...the genie of truth is now out of the bottle.“ In Russland trug ein dem Buch vorausgehender Aufsatz Hoffmanns in der Zeitschrift der Russischen Akademie der Wissenschaften „Otecestvennaja Istorija“ dazu bei, das Geschichtsbild zu objektivieren. So schrieb am 10. April 2006 Markus Wehner in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Die Publikation eines Aufsatzes des deutschen Historikers Joachim Hoffmann, der Suworows These seit Jahren unterstützt,trug zur Wende bei. Seither bestimmen die Vertreter einer neuen kritischen Historikergeneration die Debatte.“ Die Berliner Morgenpost schrieb am 30. Oktober 1995 zum Erscheinen des Buches: „Stalin hat seinen Krieg gegen das Deutsche Reich als Vernichtungs- und Eroberungskrieg konzipiert. Hierfür liefert Hoffmann aus deutschen und sowjetischen Archiven erdrückende Fakten“. Und die F.A.Z. schrieb am 10. Oktober 1995: „Hoffmanns neuestes Buch referiert [...] den bisherigen Ertrag der wissenschaftlichen Kontroverse, aus der er siegreich hervorgegangen ist. Das präsentierte Material seines Buches ist hinreichend überzeugend.“

Kritik

Hoffmann wurde mehrfach von Fachhistorikern für eine unkritische Haltung gegenüber dem NS-Regime und dem Krieg in Russland gerügt.[2][3][4] Dies galt vor allem für sein Buch Stalins Vernichtungskrieg, 1941-1945, das er 1995 im Jahr seines Ausscheidens aus dem MGFA im Herbig-Verlag veröffentlichte. In ihm setzte sich Hoffmann unter anderem mit der Gesamtzahl der Ermordeten des Holocaust auseinander und kritisierte, dass die Zahl von 6 Millionen Opfern im KZ Auschwitz eine unbelegte Schätzung der sowjetischen Führung gewesen sei.[5] Bisher hätten erst 74.000 Opfer unter den „arbeitsfähigen Deportierten“ aus den freigegebenen Sterbebüchern sowjetischer Archive bestätigt werden können. Obwohl Hoffman dazu schrieb: „Sie machen freilich nur einen Teil der Gesamtopferzahl aus, deren wirkliche Höhe aber im Dunkeln bleibt.“[6] sahen einige Kritiker darin eine Annäherung an die Holocaust-Leugnung. Dieses umstrittene Buch beschäftigte aufgrund Hoffmanns früherer Tätigkeit für das Militärgeschichtliche Forschungsamt 1996 auch den Deutschen Bundestag.[7] Außerdem bezog Hoffmann in diesem Werk ebenfalls Stellung zur sog. Präventivkriegsthese. Er stellte zwar fest, das Stalin selbst einen Angriff auf das Deutsche Reich vorbereitet hätte, doch dies sei weder Grund noch Anlass für Hitlers Entschluss zum Überfall auf die Sowjetunion gewesen. Vielmehr hätten beide Diktatoren unabhängig von einander einen Krieg vorbereitet, und Hitler sei Stalin lediglich zuvor gekommen.[8]

Kurz nach seinem Ausscheiden aus dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt 1995 wurde Hoffmann als Gutachter im Rahmen eines Prozesses vor dem Amtsgericht Tübingen gegen den rechtsextremistischen Grabert-Verlag bestellt, in dessen Verlauf er dem Buch Grundlagen der Zeitgeschichte, das von dem als Holocaust-Leugner verurteilten Germar Rudolf unter dem Namen Ernst Gauss herausgegeben wurde, wissenschaftliche Qualitäten zubilligte. Um die Rolle des Sachverständigen in diesem Prozess hatte er sich nicht gedrängt. Gegenstand des Gutachtens war im übrigen keine inhaltliche, historische Frage. Es ging allein darum, ob das inkriminierte Werk methodisch Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben könne. Zu dem ihm fachfremden Inhalt äußerte sich Hoffmann nicht. Das Buch wurde dennoch auf Beschluss des Gerichts eingezogen und Wigbert Grabert zu einer Geldstrafe in Höhe von 30.000 D-Mark verurteilt.[9] Hoffmanns Gutachten wurde 1997 in der von Rudolf herausgegebenen Zeitschrift Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung ohne Wissen des Autors, der auch eine Zustimmung hierzu verweigert hätte, veröffentlicht.[10] Im gleichen Jahr erschien in dem ebenfalls geschichtsrevisionistischen Journal of Historical Review, in dem zahlreiche Holocaust-Leugner veröffentlichen, ein Artikel Hoffmanns mit dem Titel: Wartime bombings of neutral Switzerland[11].

Auszeichnungen

Hoffmann wurde 1991 mit der „Dr. Walter-Eckhardt-Ehrengabe für Zeitgeschichtsforschung“ des als rechtsextrem geltenden[12] Institut für Zeitgeschichtsforschung in Ingolstadt ausgezeichnet und erhielt 1992 den Kulturpreis „General Andrej Andrejewitsch Wlassow“.[13]

Veröffentlichungen (Auswahl)

  • Die Ostlegionen 1941 - 1943. Turkotartaren, Kaukasier, Wolgafinnen im deutschen Heer. Rombach, Freiburg i. Breisgau 1976, ISBN 3-7930-0178-4
  • Deutsche und Kalmyken 1942 - 1945. Rombach, Freiburg i. Breisgau 1977, ISBN 3-7930-0173-3
  • Der Angriff auf die Sowjetunion, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. mit Jürgen Förster; Horst Boog, 1987
  • Kaukasien 1942/43 - Das deutsche Heer und die Orientvölker der Sowjetunion, Rombach-Verlag, Freiburg/ Breisgau 1991. ISBN 3-7930-0194-6
  • Die Angriffsvorbereitungen der Sowjetunion 1941 , in: Zwei Wege nach Moskau - Vom Hitler-Stalin-Pakt bis zum „Unternehmen Barbarossa“, Piper-Verlag, München / Zürich 1991. ISBN 3-492-11346-X
  • Stalins Vernichtungskrieg 1941-1945, Herbig-Verlag, München 2000, ISBN 3-7766-2079-X
  • Die Tragödie der 'Russischen Befreiungsarmee' 1944/45. Wlassow gegen Stalin. Herbig Verlag, 2003 ISBN 3776623306.

Übersetzungen: Stalins Vernichtungskrieg:

Die Geschichte der Wlassow-Armee:

  • in russischer Übersetzung, erschienen als Band 8 in der von Alexander Solschenizyn herausgegebenen Reihe INRI, Paris 1990, vergriffen, ISBN 2-85065-175-3.
  • in estnischer Übersetzung, erschienen im Verlag "Olion", Tallin, 2004, ISBN 9985-66-363-2.

Anmerkungen

  1. Besprechungen der 1. Auflage 1984 in Zeitschriften des In- und Auslandes: Catherine Andreyev, Soviet Studies, Großbritannien 3/1985; Earl F. Ziemke, The American Historical Review, 4/1985; Lawrence D. Stokes, German Studies Review, USA, Mai 1985; Ralf Georg Reuth, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.5.1985; Roman Dneprov, Novoye Russkoye Slovo, New York, 21.11.1985; F.L. Carsten, The Slavonic and East European Review, Großbritannien 1/1986; H. Freiherr von Vogelsang, Liechtensteiner Vaterland, 11.10.1984
  2. Michael G. Hillinger in The American Historical Review, Volume 81, Issue 5 (Dec., 1976), S. 1155 Review of Hoffmann: Die Ostlegionen, 1941-1943. Turkotataren, Kaukasier und Wolgafinnen im deutschen Heer.
  3. R.J. Overy in The English Historical Review, Volume 102, Issue 404 (Jul., 1987), S. 759 Review of Hoffmann: Die Geschichte der Wlassow-Armee.
  4. G.C. Field in The American Historical Review, Volume 80, Issue 4 (Oct., 1975), S. 964-5 Review of Hoffmann: Deutsche und Kalmyken, 1942 bis 1945.
  5. Joachim Hoffmann: Stalins Vernichtungskrieg, 1941-1945. Planung, Ausführung und Dokumentation. Herbig, München 2000. 6. Auflage, ISBN 3-7766-2079-X, S. 181
  6. Joachim Hoffmann: Stalins Vernichtungskrieg, 1941-1945. Planung, Ausführung und Dokumentation. Herbig, München 2000. 6. Auflage, ISBN 3-7766-2079-X, S. 182, 327
  7. Kleine Anfrage der Abgeordneten Annelie Buntenbach, Volker Beck (Köln), Winfried Nachtwei und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Haltung der Bundesregierung zur Präventivkriegsthese
  8. Joachim Hoffmann: Stalins Vernichtungskrieg, 1941-1945. Planung, Ausführung und Dokumentation. Herbig, München 2000. 6. Auflage, ISBN 3-7766-2079-X, S. 23-84
  9. Amtsgericht Tübingen Az. 4 Gs 173/95
  10. Joachim Hoffmann: Grundlagen zur Zeitgeschichte: Gutachterliche Stellungnahme. In: Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung Jg. 1 (1997) Nr. 3, S. 205-207.
  11. Joachim Hoffmann: Wartime bombings of neutral Switzerland. In: Journal of Historical Review Vol. 16 Nr. 3, p. 16.
  12. Bernd Wagner, Handbuch Rechtsextremismus, Reinbeck bei Hamburg 1994, Seite 164 - dort als Zeitgeschichtliche Forschungsstelle Ingolstadt
  13. Junge Freiheit Nr. 9, 22. Februar 2002.