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Sein und Zeit

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Sein und Zeit ist das Hauptwerk der frühen Philosophie von Martin Heidegger (1889-1976). Es erschien zuerst 1927 und war eines der einflussreichsten Werke der Philosophie im 20. Jahrhundert.

Thema von Sein und Zeit

Thema der Untersuchung ist die Frage nach dem Sinn von Sein, die nach Heidegger in der abendländischen Philosophie bisher nicht wirklich gestellt worden sei.

Blick auf den Todtnauberg, wo „Sein und Zeit“ geschrieben wurde

Sein sei bisher stets nach dem Muster von Seiendem (Vorhandenem) charakterisiert worden. Heidegger unternimmt in Sein und Zeit den Versuch diese nach seiner Auffassung falsche Herangehensweise durch eine fundamentalontologische Untersuchung in den rechten Blick zu bekommen. Die Klärung eines ursprünglicheren Sinns von Sein bestimmt Heideggers Lebenswerk weit über Sein und Zeit hinaus.

Bezüge zu anderen Werken der Philosophie

Sein und Zeit zeigt in der Konzeption wie auch in Passagen, die explizit Ausführungen Immanuel Kants kommentieren, starke Bezüge zur Kritik der reinen Vernunft von Kant, mit dessen Werk sich Heidegger verschiedentlich vor und nach der Abfassung seines Hauptwerks auseinandergesetzt hat. Weniger konzeptionell, jedoch ebenfalls als für Sein und Zeit einflussreich sind die Metaphysik des Aristoteles, das Werk Hegels und die Phänomenologie Edmund Husserls. Ein weiterer Denker, der das heideggersche Denken gerade auch in Sein und Zeit befruchtete (existenziale Problematik), ist der dänische Philosoph Sören Kierkegaard.

Unvollendete Arbeit

Das schließlich veröffentlichte Buch umfasst nur eine Einleitung und die ersten beiden Teile des ersten Bands, mehr wurde von Heidegger zunächst nicht ausgearbeitet. In den 30er Jahren gab Heidegger diese Arbeit ganz auf. Er interpretierte seine eigene Wende als „Kehre“ und suchte einen anderen Zugang zur Seinsfrage. Zwischen seinen späteren Schriften (etwa dem Aufsatz Zeit und Sein) und Sein und Zeit lassen sich gleichwohl viele Verbindungen ziehen. Wie Kontinuitäten und Brüche in Heideggers Werk letztlich zu beurteilen sind, ist in der Forschung umstritten. Ebenso umstritten ist die Rekonstruktion des nicht erhaltenen Werkteils durch verstreute Äußerungen und Texte (etwa die Grundprobleme der Phänomenologie) und deren Interpretation.

Grundbegriffe und -motive des Werkes

Sein und Seiendes

Grundlegend für den Heideggerschen Zugriff auf die Seinsproblematik ist die Unterscheidung von Sein und Seiendem, die Betonung der ontologischen Differenz zwischen beidem. Heidegger vertritt den Standpunkt, dass der klassischen Ontologie (philosophische Seinslehre) von der Antike bis in Heideggers Gegenwart die Verwechslung von Sein und Seiendem (Dingen, denen Sein zugesprochen wird), zugrundeliegt. Die bisherige Ontologie habe die ontologische Frage nach dem Sein vermittels des bloß ontischen Seienden gestellt und damit Sein letztlich vom Seienden (vor allem als bloße Eigenschaft des Seienden) abgeleitet. So wird zum Beispiel erklärlich, warum in der Tradition Sein oftmals nur als bloße Vorhandenheit (von Dingen) thematisiert wird. Heidegger nimmt in Sein und Zeit hingegen denjenigen in den Blick, der die Frage nach dem Sein stellt, den Menschen als Dasein. Die Sein und Zeit zugrundeliegende scharfe Trennung zwischen ontischen und ontologischen Bestimmungen führt in Sein und Zeit zu einer Verdopplung der Begrifflichkeit: Da die Alltagssprache und die philosophische Begrifflichkeit hier nicht unterscheiden, treten zahlreiche Begriffe des Werkes in einer ontischen und einer ontologischen Bedeutung auf, ein Umstand, der in der Rezeption von Sein und Zeit oft zu Missverständnissen geführt hat.

Insofern die Verwechslung von ontischen Bestimmungen und Ontologie auch der bisherigen Metaphysik zugrundeliegt (vgl. Seinsvergessenheit), steht Sein und Zeit im Ansatz für eine Destruktion aller bisherigen Ontologie und Metaphysik, ein Anspruch, der aufgrund der Unabgeschlossenheit des Werkes letztlich nicht ganz eingelöst werden kann, und welchen der spätere Heidegger nach Sein und Zeit nochmals radikalisiert.

Ontischer Begriff/Ontische Bestimmung Ontologischer Begriff/Ontologische Bestimmung
Seiendes Sein
Mensch Dasein
Ding/Kategorie,Eigenschaften Existenzialien

Der Begriff des Daseins

  • Dasein als Ausgangsbegriff anstelle des bereits vielfach ausgelegten und kategorisierten Begriffs Mensch

Der vielleicht wichtigste Begriff des Werks ist Dasein; so nennt Heidegger das Seiende, das „je ich selbst bin“. Den naheliegenden Ausdruck Mensch vermeidet er, weil er sich von der traditionellen Philosophie und ihren Urteilen abgrenzen will. Zudem soll unter Dasein eben nicht die allgemeine Kategorie Mensch verstanden werden, über die jeder bereits Vorurteile hegt, sondern wir sollen von uns selbst und dem, was wir direkt erfahren, ausgehen. Heidegger beginnt seine Untersuchung zum Sein mit dem Dasein, weil dieses die Frage nach dem Sein stellt. Um diese Frage überhaupt stellen zu können, muss das Dasein über ein bestimmtes Vorverständnis von Sein verfügen – sonst wüsste es nicht einmal, wonach es fragen soll (vgl. Platons Dialog Menon).

  • Freilegung der Existenzialien als phänomenologische Analyse des Daseins

Jeder Mensch glaubt ungefähr zu wissen, was „Sein“ bedeutet, und sagt „ich bin“ und: „das da ist“. Das Dasein (allein) kann darüber staunen, dass es „überhaupt etwas gibt und nicht vielmehr nichts.“ Das Dasein findet sich vor -in Heideggers Worten: Es ist geworfen in das „Da-sein“- und muss sich zu seinem Sein und zum Sein als Ganzem verhalten, ob es will oder nicht. Um der Struktur des Daseins und seinem Verhalten auf die Spur zu kommen, analysiert Heidegger das Dasein mit Methoden der Phänomenologie und legt so dessen Existenzialien frei, die man auch als wesentliche Bestandteile des Daseins ansprechen könnte. Als vorläufiges Ergebnis der Analyse ergibt sich: Das Dasein ist sowohl

  • „schon in“ einer Welt („Geworfenheit“) als auch
  • „sich vorweg“, indem es diese Welt versteht und Möglichkeiten darin ergreift (Entwurf) und drittens
  • bei allem innerweltlich Seienden, den Dingen und Menschen (Verfallenheit an die Welt).

In der Einheit dieser drei Punkte sieht Heidegger das „Sein des Daseins“ – in der typisch heideggerschen Terminologie: „Das Sein des Daseins besagt: Sich-vorweg-schon-sein-in-(der-Welt) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden)“.

  • Sorge als Dasein

Das Sein des Daseins – oder mit anderen Worten: die existenziale Gesamtstruktur des Daseins – nennt Heidegger abkürzend „Sorge“. „Sorge“ im heideggerschen Sinne ist ein rein ontologisch-existenzialer Titel für die Struktur des Seins des Daseins. Dieser Begriff der Sorge hat also nichts bzw. nur oberflächlich etwas zu tun mit Alltagsbegriffen wie Besorgnis oder Sorglosigkeit. Das Dasein ist immer schon in einem umfassenden Sinn in Sorge, indem es sich in der Welt wiederfindet, diese von vornherein verstehend auslegt und dabei von Anfang an auf Dinge und Menschen verwiesen ist. Heidegger ist sich bewusst, dass die Identifikation der Struktur des Seins des Daseins mit Sorge problematisch ist. So versucht er in § 42 diese existenziale Interpretation vorontologisch zu „bewähren“. Hierzu greift er auf eine antike Fabel des Hyginus zurück (220. Fabel: Cura cum fluvium transiret...). Vom heutigen Standpunkt her mag man eine solche Bewährung mindestens verwunderlich finden; es zeigt sich hier aber eine Vorgehensweise Heideggers, die für den späteren Heidegger bezeichnend sein wird.

Das Vorlaufen auf den Tod

Um das Dasein als ganzes in den Blick zu bekommen, thematisiert Heidegger den Tod. Erst der Tod als absolute Negation des Daseins in allen seinen Möglichkeiten kann dieses als Ganzes herausstellen. Die Negation aller Möglichkeit qua Tod macht Dasein erst als Möglichkeit (positiv) bestimmbar: Der Tod ist die ausgezeichnete Möglichkeit des vorweg. Er ist die Unmöglichkeit jedes weiteren Verhältnisses zu sich selbst und zur Welt. Er vereinzelt das Dasein, denn vor dem Tod kann sich keiner vertreten lassen. Was das Wort Tod bedeutet, kann aber nicht durch Nachdenken, sondern allein in der Stimmung der Angst erfahren werden. „Dasein ist Sein zum Tode“ (vgl. zu dieser Formulierung Kierkegaards Krankheit zum Tode) und „Das Sein zum Tode ist wesenhaft Angst“.

Tod und Angst als ontologische Begriffe sind dabei weder als ontische Gegebenheiten misszuverstehen: Der Tod ist nicht und hat daher auch keine gegenständlichen Eigenschaften. Angst als ontologischer Begriff meint nicht das bloße Angstgefühl oder die Furcht vor irgendeinem dinglichen Etwas. Noch sind Tod und Angst als wertende Begriffe gemeint: Tod und Angst „vereinzeln“ das Dasein und machen ihm die unwiderrufliche Einzigartigkeit jedes Augenblicks klar. Das „Vorlaufen zum Tod“ wird so zum Ausgangspunkt für ein wesentliches, intensives und -in Heideggers Worten- „eigentliches“ Leben, das sich nicht von der „Verfallenheit“ an das alltägliche „Man“ bestimmen und leben lässt.

Die Zeitlichkeit des Daseins

Heidegger zielt auf die Herausstellung der „Zeitlichkeit“ als Sinn der Sorge. Dabei entsprechen die oben genannten drei Punkte genau den drei Dimensionen (Heidegger nennt sie „Ekstasen“) der Zeitlichkeit, nämlich Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart. Diese entspringen aus dem Dasein selbst. An dem Punkt, wo Heidegger aus ihnen einen allgemeinen Begriff der Zeit herleiten will, bricht das Buch ab.


Der Inhalt des Buches im Einzelnen

Aufbau und Struktur des Werkes

Dem ursprünglichen Plan zufolge sollte Sein und Zeit aus zwei Bänden bestehen, die sich wiederum in je drei Teile gliederten:

  1. Die Interpretation des Daseins auf die Zeitlichkeit und die Explikation der Zeit als des transzendentalen Horizontes der Frage nach dem Sinn von Sein
    1. Die vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins
    2. Dasein und Zeitlichkeit
    3. Zeit und Sein
  2. Grundzüge einer phänomenologischen Destruktion der Geschichte der Ontologie
    1. zu Kant
    2. zu Descartes
    3. zu Aristoteles

Aus dieser Gliederung erkennt man, wie die Untersuchung grob verläuft: Heidegger versucht zuerst (Teil 1.1.) eine „Fundamentalanalyse des Daseins“ (auch „Fundamentalontologie“ genannt), in der die sogenannten „Existenzialien“ des Daseins freigelegt werden. Von diesen her erarbeitet Heidegger das Sein des Daseins als Struktur, welche er „Sorge“ nennt. Die Interpretation der „Sorge“ (Teil 1.2.) zeigt ihren „Sinn“ auf: die „Zeitlichkeit“.

Der anschließende Teil (1.3.) hätte den Bogen von der Zeitlichkeit zur Zeit und von dieser zum Sein selbst spannen sollen, um zur Ausgangsfrage zurückzukehren. Mit der so gewonnenen Erkenntnis sollten in einem weiteren Schritt andere Philosophien „destruiert“ werden. Dazu ist es allerdings, wie oben dargelegt, nicht gekommen.

Da es das Ziel der Untersuchung ist, die Frage nach dem Sinn von Sein zu beantworten, ist zunächst zu klären, was eigentlich gemeint ist, wenn von etwas gesagt wird, es sei seiend. Nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass diese Frage in der philosophischen Tradition bis dato als geklärt oder als unstellbar/unbeantwortbar galt, möchte Heidegger zunächst das Verständnis für diese Frage wecken.

Einleitung

Die Einleitung zu Sein und Zeit ist äußerst umfangreich, was die von Heidegger angesprochenen Themen betrifft. Vieles greift den folgenden Kapiteln vorweg, es wird der Bezug zu andere Philosophen und den Wissenschaften angesprochen.

Erstes Kapitel §§  1–4

  • Die Seinsfrage als scheinbar beantwortete Frage

Zunächst bespricht Heidegger drei Vorurteile gegenüber dem Begriff Sein: 1.) es sei der allgemeinste Begriff, aber doch umgrenzt er nicht einfach eine oberste Gattung, 2.) als allgemeinster sei er nicht zu definieren, also nicht durch niedere Begriffe darzustellen, nicht durch höhere abzuleiten und 3.) der Begriff Sein sei selbstverständlich. (S. 4)

Allerdings zeige gerade der zweite Punkt, dass Sein offensichtlich nicht das gleiche ist wie Seiendes. Ebenso verdunkelt auch die Berufung auf seine Selbstverständlichkeit ein Verständnis: Was meinen wir, wenn wir sagen „Der Himmel ist blau“? Da uns nicht nur die Antwort fehlt, sondern auch die Frage im Dunkeln liegt, soll zunächst wieder ein Verständnis für diese Frage geweckt werden. (Seite 4)

  • Das Seinsverständnis des Daseins als Geleit für die ontologische Frage nach dem Sein

Da uns der Sinn von Sein in gewisser Weise immer schon verfügbar ist, können wir dieses „vage Seinsverständnis“ (Seite 5) als Geleit für unsere Frage nehmen. Sein ist das, was Seiendes als Seiendes bestimmt. Jedes Seiende hat somit sein Sein. Das Sein ist also nicht selbst ein Seiendes, ebenso wenig möchte Heidegger Seiendes durch die Rückführung auf anderes Seiendes erklären. Da die Begrifflichkeiten der Tradition (z. B. Kategorien) auf Seiendes und nicht auf das Sein zugeschnitten sind, ist es notwendig eine eigene Begrifflichkeit zu entwickeln, welche die eben genannten Probleme vermeidet. (Seite 6) Als Ausgangspunkt der Untersuchung wählt Heidegger das Dasein. Mit dem Begriff Dasein versucht Heidegger die Existenzform des Menschen in ontologischer Weise zu fassen, d. h. in Abgrenzung zu anderen Disziplinen, wie der Anthropologie, Psychologie, Biologie. Das Dasein ist einerseits das Befragte beim Erfragten, dem Sinn von Sein, andererseits ist es auch das Fragende selbst. Was zunächst wie ein Zirkel erscheint, ist jedoch keiner, da es bei der Beantwortung der Frage nicht um eine abgeleitete Begründung, sondern um „aufweisende Grund-Freilegung“ geht. Diesen Vorrang des Daseins bei der Beantwortung der Seinsfrage unternimmt Heidegger, im Folgenden zu beweisen.

  • Der ontologische Vorrang der Seinsfrage als Ausdruck der Grundlagenkrise der Wissenschaften

Der ontologische Vorrang der Seinsfrage wird an den Grundlagenkrisen der positiven Wissenschaften deutlich: in der Mathematik (Formalismus vs. Intuitionismus), der Physik (Können wir Natur an sich beschreiben?) und auch in der Biologie (sind Leben und Organismus mehr als Mechanik?). (Seiten 9–10) Da nun die Grundbegriffe der jeweiligen Wissenschaften auch wieder auf einer Auslegung des Seins des Seienden bestehen, können wir von ihnen keine Antworten auf die Seinsfrage erwarten: Die positiven Wissenschaften nehmen diese Grundbegriffe als gegeben und fragen dann nur ontisch weiter. Ontologisches Fragen ist also ursprünglicher. Allerdings gilt auch für das ontologische Fragen, dass es nicht nur Bedingung der Möglichkeit der positiven Wissenschaften ist, sondern dass es zunächst den Sinn von Sein erörtern muss. Dieser steht im Zentrum des ontologischen Fragens. (Seite 11)

  • Seinsverständnis als ontische Auszeichnung des Daseins

Zum ontischen Vorrang der Seinsfrage erläutert Heidegger: Auch die Wissenschaften haben die Seinsart dessen, der sie betreibt. Dies ist das Dasein, welches sich dadurch auszeichnet, dass es ihm „in seinem Sein um dieses Sein selbst geht“. (Seite 12) Da das Dasein diese seine Ausgezeichnetheit immer schon in irgendeiner Weise versteht, sagt Heidegger, es habe Seinsverständnis. Dies ist die ontische Auszeichnung des Daseins, nämlich dass es ontologisch ist: Es geht uns in unserem Sein immer schon um uns selbst, wir verstehen dies, wir sind also ontologisch. Dies meint freilich nicht, dass wir eine Ontologie als Lehre davon ausbilden. Heidegger nennt das Dasein mit vagem Seinsverständnis deshalb präziser „vorontologisch“.

  • Existenz als Begründung des ontischen Vorrangs des Daseins bei der Bestimmung der Seinsfrage

Dass das Dasein vorontologisch ist, meint, dass das Dasein sich immer zu sich selbst verhält und sich aus seiner Existenz versteht. Existenz ist unsere Möglichkeit, wir selbst zu sein innerhalb einer Struktur von Möglichkeiten, in welcher wir uns bewegen und deuten. Unser alltägliches Verständnis dabei ist ein existenzielles. Als Beispiel könnte man nennen: Beim Ergreifen eines Berufes bieten sich verschiedene Möglichkeiten zur Wahl an, aber es werden auch gewisse Forderungen durch Familie und Gesellschaft an uns herangetragen, welche letzteren die Möglichkeit unsere eigene Wahl zu treffen, überlagern können. Bilden wir ein Verständnis davon aus, was Existenz konstituiert, dann nennen wir den Zusammenhang dieser Strukturen Existenzialität (Seite 12) Eine Fundamentalontologie muss also, um die Frage nach dem Sinn von Sein zu beantworten, in einer existenzialen Analytik des Daseins gründen (Seite 13). Dies ist der ontische Vorrang des Daseins.

Das Dasein hat sich also zur Beantwortung der Seinsfrage ontisch und ontologisch als vorrangig erwiesen. Als dritten Vorrang fügt Heidegger hinzu: Das Dasein hat ein Verstehen des Seins alles nicht daseinsmäßigen Seienden, dies ist sein ontisch-ontologischer Vorrang.

Zweites Kapitel §§ 5–8

Seinsfrage und Methode der Untersuchung

Aufgrund des ontisch-ontologischen Vorrangs des Daseins versteht dieses sich selbst zunächst und zumeist aus der Welt heraus: wir verhalten uns zu ihr und verstehen die Welt, ziehen daraus Schlüsse über uns selbst. Aus Heideggers Sicht tendieren wir dazu, „das eigene Sein aus dem Seiendem zu verstehen“ (Seite 15). Wenn aber das Dasein zur Beantwortung der Seinsfrage das zu Befragende ist, so müsse ein möglichst unvoreingenommener Zugang zu ihm gefunden werden, damit das Dasein „sich an ihm selbst von ihm selbst her zeigen kann“ (Seite 16). Es soll also keine „Idee vom Menschen“ der Untersuchung vorangeschickt werden, vielmehr möchte Heidegger von der durchschnittlichen Alltäglichkeit ausgehen, in der sich das Dasein befindet, verhält und versteht. Erst nachdem von dort her Grundstrukturen des Daseins herausgearbeitet worden sind, schließt sich die Ontologie an. Diese soll dann als den Sinn von Dasein die Zeitlichkeit ausweisen. (Seite 17) Damit ist jedoch die Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt noch nicht beantwortet. In einem weiteren Schritt will Heidegger aus dieser Zeitlichkeit des seinsverstehenden Daseins die Zeit als Horizont des Seinsverständnisses ausweisen. Der „vulgäre Zeitbegriff“ (Heidegger) soll hingegen in Sein und Zeit überwunden werden. Hierzu braucht es einen neuen Begriff von Zeit, der zeitlich nicht mehr als in der Zeit seiend begreift und auf dieser Grundlage verschiedene Regionen des Seienden scheidet (wie z. B. das überzeitliche Ewige vom zeitlich Seiendem). Um den besetzten Ausdruck zeitlich zu vermeiden, nennt Heidegger die Seinsbestimmtheit des Seins aus der Zeit seine temporale Bestimmtheit. (Seite 19)

Destruktion der Geschichte der Ontologie

Hier folgt die Einführung für den zweiten Teil von Sein und Zeit (siehe Aufbau und Struktur des Werkes unter 2) welcher jedoch im Buch selber nicht mehr ausgeführt wurde.

Das Dasein neigt nicht nur laut Heidegger dazu, an die Welt zu verfallen, d. h. sich aus dieser heraus zu verstehen, sondern es steht immer schon in einer Tradition des Verstehens, es ist seine Vergangenheit. Heidegger nennt dies die Geschichtlichkeit des Daseins. (Seite 20) Genauso aber wie das Verstehen aus der Welt heraus dem Dasein ein wirkliches Verstehen seiner selbst verdunkelt, so kann dies auch durch die Herrschaft der Tradition geschehen, denn auch diese erlag der Tendenz sich aus der Welt heraus zu verstehen und ließ ihre primären Themen (Subjekt, Ich, Vernunft, Geist, Person) unbefragt auf ihr Sein hin. (Seite 22) Deshalb ist zur Klärung der Seinsfrage eine „Destruktion der Geschichte der Ontologie“ nötig, um sich wieder in „den vollen Besitz der eigensten Fragemöglichkeit zu bringen“. (Seite 21)

Innerhalb der Tradition soll nun vor allem der zu thematisieren versäumte Zusammenhang von Sein und Zeit betrachtet werden. Dies geschieht über drei konkrete Stationen: erstens soll Kants Schematismuslehre untersucht werden, um zu zeigen, wie auch er im vulgären Zeitverständnis bleibt. Kant wiederum übernimmt hierbei dogmatisch die Position Descartes (Seite 24). Dieser hatte mit dem cogito sum einen sicheren Boden für die Philosophie beansprucht, ließ jedoch die Frage nach Seinsart und Seinssinn dieses sum unbeantwortet. Als dritte Station soll Aristoteles' Abhandlung über die Zeit untersucht werden, welche alle nachkommenden Zeitauffassungen bestimmt hat, auch die Kants. (Seite 26)

Erster Teil/Erster Abschnitt

Vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins

Im ersten Kapitel grenzt Heidegger die Untersuchung von scheinbar ähnlichen Untersuchungen ab. Das zweite Kapitel stellt eine Fundamentalstruktur des Daseins vor: das In-der-Welt-sein. Dieses In-der-Welt-sein ist eine ständig ganze Struktur, von welcher sich einzelne Momente abheben. Hierzu gehört die Welt in ihrer Weltlichkeit als Thema des dritten Kapitels. Das vierte Kapitel behandelt das In-der-Welt-sein als Mit- und Selbstsein. Im Fünften wird das In-Sein als solches zum Thema. Durch die in Kapitel zwei bis fünf ausgebreitete Analyse wird im sechsten Kapitel der existenziale Sinn des Seins des Daseins sichtbar: die Sorge.

Erstes Kapitel §§ 9–11

In der Einleitung wurde als nächste Aufgabe die existenziale Analytik des Daseins festgehalten. Dasein ist jedoch nicht bloß Vorhandensein, sondern es ist Seiendes, dem es in seinem Sein um sich selbst geht. Die Tatsache, dass es dem Dasein in seinem Sein um sich selbst geht, nennt Heidegger Jemeinigkeit. In dieser gründen die „Seinsmodi der Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit“ (Seite 43), auf welche in späteren Kapiteln eingegangen wird. Während der überlieferte Terminus der existentia eine bloße Vorhandenheit anzeigt, möchte Heidegger seinen Gebrauch von Existenz hiervon klar abgrenzen. Existenz meint vor allem „mögliche Weisen zu sein“ (Seite 42). Deshalb sagt Heidegger: „Das Wesen des Daseins liegt in seiner Existenz“. In diesen Möglichkeiten, die das Dasein ist, kann es sich selbst wählen - etwas, das bloß Vorhandenem nicht zukommt. „Seiendes ist also ein Wer (Existenz) oder ein Was (Vorhandenheit im weitesten Sinne).“ (Seite 45) Die Seinscharakter des Daseins nennt Heidegger Existenzialien um sie von denen den Kategorien des Vorhandenen abzugrenzen (Seite 44). Diese Einteilung gibt eine erste Vorahnung auf die Frage „was der Mensch sei“. Sie soll auch zeigen, dass die Antwort vor jeder Psychologie, Anthropologie und erst recht Biologie liegt - es ist eben eine fundamental onotologische Untersuchung. Im Folgenden nimmt Heidegger die Abgrenzung zu diesen anderen Untersuchungen vor.

Abgrenzung gegen andere Disziplinen

Für Heidegger verfehlen alle diese Untersuchungen die Antwort auf die Frage „was ist der Mensch“. Vor allem tut dies laut Heidegger ein Ansatz, welcher von einem zunächst gegebenen Ich oder Subjekt ausgeht, wie er sich aus der an Descartes anschließenden Tradition ergibt. (Seite 46) Auch die Lebensphilosophie verfehlt das Wesen des Daseins, da ihr das Leben nicht ontologisch zum Problem wird. (Seite 46) Die Versuche Husserls und Schelers, das Dasein durch die Person bzw. einen Personalismus zu greifen, stoßen an dieselbe Grenze, wenn sie nicht die Seinsart der Person thematisieren (Seite 48). Die traditionelle Anthropologie hat selbst in ihren zwei Kernthesen ein Bild des seienden Mensch als Vorhandensein. Ihre Bestimmung des Menschen als animal rationale und andererseits ihre Idee des Menschen als ein Wesen, welches über sich hinaus geht, bleiben beide im Vorhandensein verwurzelt.

Ebenso ist die Psychologie ohne ontologisches Fundament, welcher Mangel sich auch nicht durch die Zunahme von biologischen Erkenntnissen beheben lässt, denn die Seinsart des Lebens ist nur dem Dasein zugänglich, d. h. die Biologie als Wissenschaft ist wiederum in der Ontologie des Daseins fundiert. (Seite 49)

Abschließend verwehrt sich Heidegger auch dagegen, eine Daseinsanalyse von einer im anthropologischen Sinne primitiven Daseinsstufe (primitiven Völkern) ausgehen zu lassen. Zwar mögen hier die Phänomene weniger kompliziert und verdeckt sein; das empirische Material hierzu wird jedoch vor allem durch die Ethnologie zur Verfügung gestellt, dieser Wissenschaft müsste aber selbst schon eine Analytik des Daseins vorausgehen. (Seite 51)

Zwar lässt sich für das Dasein die ontologische Problematik leicht von der ontischen Forschung abgrenzen, schwieriger wird jedoch die nächste Aufgabe: die Ausarbeitung der Idee eines „natürlichen Weltbegriffes“. Dies soll im nächsten Kapitel geschehen.

Zweites Kapitel §§ 12–13

Das In-der-Welt-sein

Das zweite Kapitel stellt eine Fundamentalstruktur des Daseins vor: das In-der-Welt-sein. Durch diesen Ausdruck möchte Heidegger grundsätzlich jegliche Subjekt-Objekt-Beziehung aufheben und überwinden. Die Schreibweise des Wortes soll zeigen, dass es sich um ein einheitliches Phänomen handelt. Trotzdem lassen sich drei konstitutive Strukturmomente abheben, die zwar für sich betrachtet werden können, nicht aber für sich allein bestehen. Diese drei Strukturmomente des Daseins sind nach Heidegger (Seite 53):

  • Welt
  • Selbst (das Wer? des In-der-Welt-seins)
  • In-sein

Heidegger behandelt zunächst das In-sein. Dies ist nicht einfach sein in, so wie ein Körper im Raum: das In-Sein ist vielmehr ein Existenzial des Daseins. Dasein ist ja, wie bereits erläutert, seiner Seinsart nach nicht einfach Vorhandenes. Zwar ist der bloße Körper des Menschen, als Vorhandenes betrachtet, durchaus in der Welt, aber das In-sein ist gerade die Voraussetzung dafür, dass uns innerweltliche Dinge begegnen. Heidegger macht dies am Beispiel des Sein bei klar: dies ist nie so etwas wie Beisammen-vorhanden-sein von vorkommenden Dingen, denn Dinge begegnen einander nicht. Lehnt der Stuhl an der Wand, begegnet diese ihm nicht. Nur wenn das Seiende die Seinsart des In-Seins hat, können ihm die Dinge begegnen, kann es bei den Dingen sein (Seite 55).

Allerdings ist es nicht so, dass das In-sein einfach eine geistige Eigenschaft ist, der dann Körperdinge begegnen. Die Struktur ist verwickelter: Das Dasein hat zwar auch ein Im-Raum-sein, dies ist aber nur möglich auf dem Grunde des In-der-Welt-seins. Das In-der-Welt-sein wiederum kommt einem innerweltlich Seienden zu. (Seite 56)

In-sein kommt dem Dasein immer schon zu. Es kann nicht darum gehen, ein weltloses Subjekt anzusetzen, welches dann – wie auch immer – die Welt erst erreichen muss: wir sind immer schon in der Welt (Seite 59). In dieser pflegen wir bestimmte Weisen des Umgangs, nämlich zutunhaben mit, verwenden von etwas, erkunden, besprechen usw., welche Heidegger als besorgen fasst. Später wird Heidegger das Sein des Daseins selbst als Sorge sichtbar machen (Seite 57). In § 13 geht Heidegger auf die durch Subjekt-Objekt-Trennung motivierte Erkenntnisproblematik ein, nicht so allerdings, dass er diese löst, sondern ontologisch ihre falschen Grundannahmen aufzeigt, nämlich die Setzung eines „inneren Subjekts“ und einer äußeren „Welt“. (S. 59-62)

Drittes Kapitel §§ 14–24

Das In-der-Welt-sein ist eine ständig ganze Struktur, von welcher sich einzelne Momente abheben. Hierzu gehört die Welt in ihrer Weltlichkeit als Thema des dritten Kapitels.

Die Weltlichkeit der Welt

Für Heidegger ist das Haben von Welt ein grundlegender Charakterzug des Daseins: die Welt ist uns in ihrer Weltlichkeit immer schon gegeben und insofern Voraussetzung für alle Untersuchungen, welche sich den Dingen in der Welt zuwenden (Seite 64). Deshalb unterscheidet Heidegger den Begriff „Welt“ (in Anführungszeichen) als Bezeichnung für all das Seiende, das innerhalb der Welt vorhanden sein kann, von dem Begriff der Welt (ohne Anführungszeichen), der sich auf das Phänomen der Weltlichkeit der Welt bezieht. Dies will Heidegger im nächsten Abschnitt am Beispiel der Umwelt in ihrer Alltäglichkeit verdeutlichen.

Erläuterung: Zunächst ist zu überlegen, was wir meinen, wenn wir von der „Welt“ sprechen: „Welt“ ließe sich beschreiben als die Summe alles Seienden, also Bäume, Häuser, Menschen Berge (Seite 63). Aber dann setzen wir, wenn wir dies aufzählen, doch schon immer eine „Welt“ voraus. Meist wurde in der Philosophie bei der Rede von „Welt“ die Substanz zum Thema. Auch in der neuzeitlichen Physik ist die unbelebte Natur, Materie im weitesten Sinne, zunächst Thema, wenn es darum geht die „Welt“ zu erklären. Allerdings sind doch aber die Gegenstände dieser Untersuchungen wiederum Dinge, die sich in einer immer schon vorausgesetzten „Welt“ begegnen. Für Heidegger ist es eben nicht möglich aus diesem innerweltlich Seiendem rückwirkend „Welt“ zu erklären – sie geht diesen Erklärungen immer voraus (Seite 65).
A. Umweltlichkeit und Weltlichkeit

In unserem alltäglichem Leben haben wir immer schon einen Umgang mit der Welt, meist indem wir etwas besorgen. In diesem Besorgen begegnet uns die zu besorgende Umwelt. (Seite 67) Traditionell hat man nun in der Philosophie zum Thema der Ontologie aber die Substanzialität, Materialität und Ausgedehntheit zum Thema gemacht. Es scheint aber schwierig auf der Grundlage von nackter Materie so etwas wie ein praktisches Ding zu verstehen: Haftet dieses praktisch als Wert zusätzlich an dem Ding?

Heidegger möchte dieses Verhältnis grundsätzlich andersherum verstehen. Hierzu folgt eine Analyse des im Besorgen begegnendem, dem Zeug. Dies ist z. B. Schreibzeug, Papier, Tinte. Allerdings wird keines dieser Dinge aus sich selbst heraus verständlich, sondern ist immer schon in einen Sinnzusammenhang eingebunden, der uns ihre Funktion erschließt. Zeug ist somit immer ein Um-zu, das in einen Kontext eingebunden ist: die Zeugganzheit (Seite 68). Die Seinsart von Zeug nennt Heidegger Zuhandenheit um sie von der bloßen Vorhandenheit abzugrenzen. Die Zuhandenheit erschließt sich uns im Umgang mit dem Zeug (im Hämmern mit dem Hammer), sie geht dem theoretischen Nur-noch-hinsehen auf den Hammer voraus. Dieses Nur-noch-hinsehen macht aus dem Hammer nachträglich ein bloß vorhandenes Masseding, indem wir ihn z. B. auf eine Waage legen, und sieht also von seiner Zuhandenheit ab.

Die Zuhandenheit kommt also nicht erst zu den bloß vorhandenen Dingen hinzu, so als würde man einen subjektiven Schleier über sie werfen, sondern das Zeug ist primär so. Scharf formuliert Heidegger deshalb: „Zuhandenheit ist die ontologisch-kategoriale Bestimmung von Seiendem, wie es «an sich» ist“ (Seite 71).

Die Analyse des Zeugs soll nun vorbereitend gewesen sein, um das Phänomen der Weltlichkeit der Welt zu verdeutlichen. Die Weltlichkeit der Welt meldet sich gerade dann, wenn Zuhandenes beschädigt, unbenutzbar ist: Wenn der Bleistift zerbrochen, die Schere stumpf ist (Seite 73). Das Um-zu der Dinge ist in ihrem Verweisen auf ein Dazu gestört. Die Weltlichkeit der Welt ist dieser Verweisungszusammenhang der Dinge, wie z. B. die Zeugganzheit. Fällt ein Zeug aus, das heißt, wird es vom Zuhandenen zum kaputten und bloß noch Vorhandenen, so wird dieser Verweisungszusammenhang für uns ausdrücklich, dadurch dass er gestört ist: Die Weltlichkeit der Welt meldet sich. Freilich haben wir in einer solchen Situation noch keine ontologische Theorie des ganzen, aber uns ist dann die Weltlichkeit der Welt erschlossen (Seite 75).

Für die Weltlichkeit der Welt ist also eine Verweisungsganzheit konstitutiv. Um das Phänomen des Verweisens herauszustellen, gibt Heidegger eine Analyse des Zeichens. Zeichen ist Zeug, dessen Zeugcharakter im Zeigen liegt (z. B. ein Blinker am Auto) (Seite 78). Das Zeichen steht aber nicht mit einem anderen Ding in Beziehung, sondern hebt die Zeugganzheit (z. B. den Zusammenhang von Verkehrsmitteln und -regelung) in die Umsicht. Das Zeichen lässt also die Verweisungsganzheit sehen, nimmt aber andererseits aus dieser erst seine Bedeutung. Im Umgang mit ihm starren wir es nicht bloß als Vorhandenes an, sondern es wendet sich an unsere Umsicht im besorgenden Umgang mit der Welt.

Diese herausgestellten Verweisungen münden und der Verweisungszusammenhang gründet letztendlich im Dasein: Die Seinsart von Zeug (z. B. einem Hammer) nannten wir Zuhandenheit (im Gegensatz zu Vorhandenheit). Die Zuhandenheit hat den Seinscharakter der Bewandtnis (z. B. das Hämmern). Auch die Bewandtnis ist immer in eine Bewandtnisganzheit eingebunden: Der Hammer hat die Bewandtnis der Befestigung, dient zum Bauen einer Unterkunft zum Schutz des Daseins vor Unwetter. Die Verweisungen münden also alle im Worum-willen des Daseins (Seite 84). Eben auf dieser Grundlage begegnen uns auch die Dinge in der Welt, sei es ein Zeichen, ein Werkzeug, ein Haus oder auch Rohstoffe in der Natur. Dies macht die Weltlichkeit (die Struktur) der Welt aus. Aber man wird fragen: ist das nicht alles nur Gedachtes? Liegt dem allen nicht die Substanz zu Grunde (Seite 87)? Dies ist die Position Descartes, die Heidegger als Gegenfall im nächsten Abschnitt behandelt.

B. Die Welt bei Descartes

Descartes unterscheidet res cogitans, das Mentale und res extensa, das Physische. Das an sich selbst Seiende nennt er substantia. Das Wesen dieser Substanz besteht in der Ausgedehntheit. Diese aber lässt sich nicht erfahren, sondern nur die Substanzialität der Substanz, nämlich Härte, Gewicht, Farbe und so weiter. Diese Bestimmungen können von der Materie weggenommen werden bzw. müssen nicht durch uns erfahren werden und doch bleibt Substanz, was sie ist (Seite 91). Das Sein der Substanz wird also gerade durch eine Unabhängigkeit von anderem Seiendem erklärt.

Wie wenig Descartes ein Bewusstsein dieses Problems hatte, zeigt sich auch an Folgendem: Zwar bestimmt Descartes das Sein Gottes (ens perfectissimum) als von nichts anderem abhängig und das Sein der Welt (ens creatum) als Erschaffenes abhängig von Gott. Aber wenn wir sagen „Gott ist“ und „die Welt ist“ kann doch das Wort ist nicht beides im gleichen Sinne sagen (ein bekanntes Problem der Scholastik). Descartes weicht jedoch dieser Frage aus (Seite 93). Die Bestimmung der Substanz bleibt so oder so gerade durch ihre Unerfahrbarkeit charakterisiert.

Als einziger wirklicher Zugang wird die mathematische Erfassung von Descartes festgelegt, nur was ihr zugänglich wird ist im eigentlichem Sinne (Seite 95). Damit gibt es aber für Descartes weder Welt noch Weltlichkeit, da diese sich, wie Heidegger sagt, eben nicht mathematisch fassen lassen. Auch andere Zugangsarten zum Erfassen des Seienden, also das sinnliche Erleben lehnt er ab: der Intellekt ist der wahre Zugang zum Seienden (Seite 96). So bricht Descartes auch die Empfindung von Härte, die ja eigentlich etwas Gefühltes ist, auf das bloße Nebeneinander-Vorhandensein zweier res extensa herunter. Auf dieser Grundlage kann so etwas wie Dasein allerdings niemals richtig erfasst werden, denn Dasein ist eben nicht einfach nur Vorhandenes, und gerade es macht es erst möglich, dass so etwas wie Härte überhaupt begegnet. Eben von dieser Erfahrung der Härte muss man also zu allererst ausgehen, ihre nachträgliche Rekonstruktion aus der res extensa ist ontologisch äußerst fragwürdig – zumal man gar keinen Bauplan hätte, wenn man nicht zuvor diese Erfahrung gemacht hätte. Auch ein nachträglicher Zusatz von Wertprädikaten, welche der eigentlichen ontologischen Fundamentalschicht, der Substanz, zukommen, ist überhaupt nicht zu verstehen: das Sein dieser Werte bliebe ungeklärt (Seite 99). Nach Heidegger bleibt zu fragen: Warum haben aber Descartes und die Tradition das Phänomen der Welt immer übersprungen und Sein auf innerweltlich Seiendes reduziert?

C. Umwelt und Räumlichkeit des Daseins

Im zweiten Kapitel wurde herausgestellt, dass Dasein nicht einfach in der Welt ist, sondern durch das In-sein beschrieben werden muss. Trotz allem ist das Dasein auch räumlich, wie sich an der Räumlichkeit des Zuhandenen zeigt: Zuhandenes ist zur Hand, in der Nähe, Zeug hat seinen Platz', die Dinge gehören in eine Gegend und stehen nicht etwa im mathematischem Raum herum. Das Oben ist an der Decke, das Unten am Boden usw.. Diese Orientierung an der Gegend macht das Umhafte der Umwelt aus (Seite 103). Sie wird durch die Bewandtnisganzheit bestimmt.

Die Räumlichkeit des Daseins basiert auf dem In-Sein, sie äußert sich durch die Tendenz des Daseins auf Nähe: Dasein Ent-fernt: damit meint Heidegger, Dasein macht Ferne verschwindend, lässt Dinge begegnen, holt sie zu sich, z. B. auch durch Rundfunk und Verkehr (Seite 105). Hierbei fassen wir die Entferntheit nicht als Abstand in gemessenen Metern oder Kilometern auf, sondern durch unsere Umsicht, wir sagen: etwas ist einen Katzensprung entfernt, bis dort ist es ein Spaziergang. Dementsprechend können objektiv (in Metern) kürzere Wege für uns jedoch subjektiv viel länger sein, wenn sie zum Beispiel beschwerlich oder langweilig sind. Heidegger aber lehnt die klassische Zuweisung von objektiv (Meter) und subjektiv (Katzensprung) ab: gerade unsere angebliche Subjektivität zeigt die Welt wie sie wirklich ist, denn „Das umsichtige Ent-fernen der Alltäglichkeit des Daseins entdeckt das An-sich-sein der «wahren Welt» (..)“, denn das „Zuhandene der Umwelt ist ja nicht vorhanden für einen dem Dasein enthobenen ewigen Betrachter (..)“ (Seite 106).

Das Nähern der Dinge basiert auf dem besorgendem In-der-Welt-Sein, diese bringt eine Ausrichtung mit sich, in welcher auch die festen Richtungen nach rechts und links gründen. Heidegger zeigt am Beispiel Kants, dass das In-der-Welt-Sein beim Verständnis von links und rechts stets einhergeht (auch Kant greift nämlich hierauf zurück) und nicht a priori ein weltloses Subjekt angenommen werden kann, dem dann konstruktiv ein Verständnis von links und rechts zugesprochen wird (Seite 109).

Ontologisch primär ist somit die Weltlichkeit des Raums (einen Katzensprung entfernt, an der Decke, in der Gegend). Erst durch Entweltlichung kommen wir dann zu einem vermessendem Umgang mit dem dreidimensionalen mathematischen Raum (Seite 112). Der Raum konstituiert also nicht das Phänomen der Welt, sondern kann erst im Rückgang auf diese begriffen werden (Seite 113). Der Raum ist also weder im Subjekt (Kant) noch ist die Welt im Raum, sondern Dasein ist ursprünglich räumlich (Seite 111).

Viertes Kapitel §§ 25–27

Mit- und Selbstsein. Das Man

Thema dieses Abschnitts ist die Frage nach dem Wer? des Daseins. Die zunächst nahe liegende Antwort ich könnte aber den Blick verstellen: Heidegger zeigt in diesem Abschnitt vielmehr, dass das Dasein in seiner Alltäglichkeit gerade nicht eigentlich es selbst ist (Seite 115).

Da Dasein nicht als Vorhandenes verstanden werden kann, darf die Frage nach dem Wer? nicht mit einer Essenz des Daseins, nicht mit einem Kern des Daseins beantwortet werden. Dasein ist nur, indem es existiert, d. h. die Antwort auf die Frage wird in einer Aufweisung der Seinsart des Daseins bestehen. Heidegger sagt, „die Essenz des Daseins [gründet] in seiner Existenz“. Wir haben also keinen (dinglich-substanziellen) Wesenskern in uns, sondern unser Wesen besteht vielmehr darin, dass wir als Möglichkeit sind: „die Substanz des Menschen ist nicht der Geist als die Synthese von Seele und Leib, sondern die Existenz (Seite 117).

Dasein ist nie alleine, als isoliertes Ich ohne die Anderen. Dieses Mitsein und Mitdasein wird grundsätzlich die Möglichkeit des Selbstseins bestimmen (Seite 116). Daher schließt Heidegger zunächst eine Analyse dieser beiden Bereiche an. Die Anderen begegnen durch den zuhandenen, umweltlichen Zeugzusammenhang: so verweist zum Beispiel das verankerte Boot am Strand auf seinen Besitzer. Die Anderen sind nicht bloß zusätzlich vorhanden, sondern auch und mit da (Seite 118). Auch meint, dass wir die Anderen als Dasein verstehen, ihr Sein als In-der-Welt-Sein. Mit ist Daseinsmäßiges (ein Existenzial) und besagt, dass wir uns gerade nicht von den Anderen unterscheiden, so nämlich, dass eine Brücke von isoliertem Subjekt zu Subjekt zu schlagen wäre: Mitsein lässt die Anderen immer als anderes Mitdasein begegnen, nie als zunächst nur Vorhandene. Mitsein meint also nicht ein summatives Vorkommen noch anderer Subjekte neben mir.

Da das Sein des Daseins als Sorge bestimmt wurde, gründet hierin auch das Mitsein: unser Verhältnis zu Anderen fasst Heidegger in der Fürsorge. Sie umfasst auch die Modi der Defizienz (z. B. Wider-einandersein) und der Indifferenz (Einander-nichts-angehen) (S. 121). Fürsorge kann für den anderen einspringen, dem Anderen die Sorge abnehmen, dies führt für diesen zur Abhängigkeit, oder aber sie kann für den Anderen vorspringen, dann wird er frei für seine eigene Sorge, indem sie ihm durchsichtig wird. Wie zum Besorgen die Umsicht gehörte, so eignet der Fürsorge die Rücksicht und Nachsicht. Mitsein ist somit umwillen Anderer, Besorgen umwillen seiner selbst (S. 123).

Heidegger hat nun den Menschen als Möglichkeit bestimmt: was ihn ausmacht, ist seine Existenz. Allerdings ist unser Verständnis der Möglichkeiten zunächst durch die Anderen bestimmt. Sie nehmen dem Dasein das Sein ab, wir stehen in der Botmäßigkeit der Anderen (Seite 126). Die Anderen sind hierbei niemand Spezielles und so lautet die Antwort auf die Frage, wer das Daseins in seiner Alltäglichkeit ist: das Man.

„Wir genießen und vergnügen uns, wie man genießt; wir lesen, sehen und urteilen über Literatur und Kunst, wie man urteilt; wir ziehen uns aber auch vom «großen Haufen» zurück, wie man sich zurückzieht.“

Das Man wacht über jede sich vordrängende Ausnahmen:

„Alles Ursprüngliche ist über Nacht als längst bekannt geglättet. Alles Erkämpfte wird handlich. Jedes Geheimnis verliert seine Kraft. Die Sorge der Durchschnittlichkeit enthüllt wieder eine wesenhafte Tendenz des Daseins, die wir die Einebnung nennen wollen“ (Seite 127).

Diese Sichtweise des Man ist auch als Öffentlichkeit bekannt. Das Man übernimmt zudem die Verantwortlichkeit für das Dasein, man kann sich stets auf es berufen: Das macht man so. Heidegger formuliert scharf: „Jeder ist der Andere und Keiner er selbst.“ In seiner Alltäglichkeit ist daher das Dasein uneigentlich, diese meint Dasein ist nicht um seiner selbst willen, sondern um willen des Man-Selbst (Seite 129). Das Man bestimmt letztendlich auch das vorontologische Verständnis des Daseins, d. h. die Auslegung des Sinns des Seins, als auch seine ontologische Auffassung des Daseins als aus der Welt heraus verstanden (Seite 130). Dem entgegen stellt Heidegger das eigentliche Selbstsein als existentielle (nicht existentiale) Modifikation des Man. Zum Verständnis dessen ist zunächst noch etwas Vorarbeit nötig, weshalb Heidegger im nächsten Kapitel eine genauere Analyse des In-Seins anschließt.

Fünftes Kapitel §§ 28–38

Das In-Sein als solches

Mit einer Analyse des In-Sein als solches wird die Untersuchung wieder mehr auf das fundamentalontologische Feld zurückgeführt. Das schon im zweiten Kapitel kurz besprochene In-Sein können wir nicht einfach als ein Zwischen Subjekt und Objekt fassen (Seite 132). Dies deutet das Da in Dasein an: die Erschlossenheit von Welt ist dem Dasein wesentlich; bildlich: ihm werden die Dinge im Licht zugänglich, sie sind da, aber es selbst ist diese Lichtung (was nicht heißt, dass es sie produziert). Da es dem Dasein in seinem Sein immer um sich selbst geht, geht es ihm auch darum, sein Da zu sein. Die drei Elemente, welche das Da des Daseins ausmachen, sind

  • Befindlichkeit
  • Verstehen
  • Rede

Eine grundsätzliche Analyse dieser Drei erfolgt im nächsten Abschnitt unter A., während ihr alltägliches Sein unter B. untersucht wird. Heidegger behandelt sie als gleichursprünglich (Seite 161), d. h., er möchte nicht eines auf das andere zurückführen, wie dies sonst meist in der Ontologie geschieht.

A. Das Da des Daseins
  • Befindlichkeit

Das Da in Dasein soll die Erschlossenheit der Welt betonen. Eine dieser Grundarten, welche uns die Welt erschließt, ist die Befindlichkeit. Erschließen meint dabei für Heidegger nicht so etwas wie logisch durch einen Schluss gewinnen, sondern vielmehr Aufgeschlossenheit. Während in der Tradition Affekte und Gefühle lediglich als Begleitphänomene behandelt wurden (Seite 139), betont Heidegger die zentrale Rolle der Befindlichkeit (so sein ontologischer Titel für ontisch ähnliche Phänomen der Stimmung) für unser Erschließen von Welt. Was uns durch die Befindlichkeit erschlossen wird ist

    • der Lastcharakter des Daseins, die Faktizität der Überantwortung, also die Geworfenheit des Daseins. Allerdings erschließt sich dies meist in einer Verstimmung, einer Weise der Abkehr von der verstimmenden Rätselhaftigkeit des Daseins: der Frage nach dem Woher und Wohin des Daseins (Seite 136).
    • Befindlichkeit erschließt das In-der-Welt-Sein als Ganzes und macht so ein Sichrichten auf allererst möglich (Seite 137).
    • Drittens macht die Befindlichkeit ein Erschließen der Umhaftigkeit der Umwelt erst möglich: die Dinge gehen uns etwas an in ihrer Undienlichkeit, Widerständigkeit und Bedrohlichkeit. Solche Phänomene wären ohne die Befindlichkeit nicht zu entdecken.

Zur Verdeutlichung des Phänomens gibt Heidegger in § 30 eine Analyse der Furcht als Modus der Befindlichkeit. Die Aufschlüsselung läuft über die drei Strukturelemente der Furcht: das Wovor (die Bedrohlichkeit eines innerweltlich Seienden), das Fürchten (als sich-angehen-lassen) und das Worum (das Dasein als Seiendes, dem es in seinem Sein um sich selbst geht) (Seite 141).

  • Verstehen

Das zweite Element des Da, das Verstehen, wurde bereits besprochen: „Im Worumwillen ist das existierende In-der-Welt-sein als solches erschlossen, welche Erschlossenheit Verstehen genannt wurde“ (vgl. § 18). Das Verstehen des Worumwillen zielt also auf das Existieren als Sein-können: wir verstehen uns als Möglichkeit und dem entsprechend auch die Welt. Dies fasst Heidegger unter dem Titel Entwurf (Seite 145). Dasein entwirft sich auf seine Möglichkeiten hin. Dies meint nicht, dass wir unser Leben gänzlich durchplanen, sondern dass wir täglich Entscheidungen treffen und uns in Möglichkeiten bewegen.

Das Verstehen geschieht nun in zwei Weisen: als eigentliches und uneigentliches Verstehen. Als uneigentliches Verstehen versteht sich das Dasein aus der Welt heraus, während eigentliches Verstehen sich auf das Worumwillen richtet, dann existiert Dasein als es selbst. Die Sicht, welche mit dem eigentlichen Verstehen einhergeht, nennt Heidegger Durchsichtigkeit, man könnte hierzu auch sagen Selbsterkenntnis (Seite 146). Sicht ist allerdings nicht das optische Sehen, womit beim Verstehen traditionell immer der Primat des Vorhandenen einhergeht, sondern die Sicht entspricht der Gelichtetheit, also dem was wir unter dem Da gefasst haben. Durchsichtigkeit meint dann, dass wir uns im Erkennen auf die Struktur unserer Existenz richten.

Da sich nun Dasein auf Möglichkeiten hin versteht, entwirft es sich auf diese hin. Die Ausarbeitung dieser entworfenen Möglichkeiten nennt Heidegger Auslegung (Seite 148). Sie vollzieht sich in Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff (Seite 150). In der Auslegung wird somit der abstrakt beschlossenen Entwurf, das was man vorhat, auf die Welt hin konkretisiert. Man könnte sagen, die Auslegung ist die Wahl der Mittel zum Zweck, so nämlich, dass sie etwas als etwas in den Blick bringt. Sie bringt also die Mittel auf ihren Zweck hin in einen Interperationszusammenhang. Da wir uns aber hierbei immer schon vorweg sind, ist es andererseits so, dass uns die Dinge innerhalb eines gewissen Interpretationsrahmens begegnen, was auf unsere Auslegung der Dinge zurückschlägt. Dieser Zirkel besteht offensichtlich zu Recht, wenn wir bedenken, dass das Verstehen immer das Ganze des In-der-Welt-Seins erschlossen hat. Es kann dann nur noch darum gehen, in diesen Zirkel nach der richtigen Art hineinzukommen, denn ein Nullpunkt des Verständnis, von dem aus sich erst alles andere entwickelt, ist weder denkbar, noch möglich (Seite 151).

Mit den vorangegangenen Betrachtungen ist es uns nun auch möglich soetwas wie Sinn zu definieren:

„Wenn innerweltlich Seiendes mit dem Sein des Daseins entdeckt, das heißt zu Verständnis gekommen ist, sagen wir, es hat Sinn. (...) Sinn ist das durch Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff strukturierte Woraufhin des Entwurfs, aus dem her etwas als etwas verständlich wird.

Das bedeutet aber, Sinn ist nur für das Dasein. Somit verstehen wir streng genommen auch nicht den Sinn von etwas, sondern das Seiende bzw. das Sein. Für die Leitfrage (die Seinsfrage) der Untersuchung folgt damit, dass wenn wir nach dem Sinn von etwas fragen, wir nicht nach etwas hinter dem Sein fragen, sondern nach dem Sein selbst (Seite 152).

An dieser Stelle erfolgt mit § 33 ein Einschub zur traditionellen Urteilstheorie, in welchem Heidegger die „Aussage als abkünftigen Modus der Auslegung“ zeigt. Die Aussage wird traditionell als Mitteilung von Eigenschaften (Prädikation, d. h. von einem Subjekt wird ein Prädikat ausgesagt) einer Sache gefasst (Seite 154). Allerdings ist doch unser primärer Umgang mit den Dingen gerade das umsichtige Hantieren mit ihnen. Dabei haben wir sie immer schon ausgelegt: wenn der Hammer zu schwer ist, legen wir ihn beiseite und nehmen wortlos einen leichteren. Bei einer Aussage (im Sinne der traditionellen Prädikation) passiert nun jedoch folgendes: Das Womit des Hantierens wird zu einem Worüber der Aussage, die Als-Verweisung der Auslegung wird zu einem bloßen als Vorhandenes. Heidegger sagt, das existenzial hermeneutische «Als» der umsichtigen Auslegung wird zum apophantischen «Als» der Aussage (Seite 158).

Da nun sogar der Logos in der Tradition als Vorhandenes aufgefasst wurde (Wörter), entwickelte sich eine Urteilstheorie, welche das Urteil als das Verbinden und Trennen von Begriffen sieht. Darauf aufbauend entwickelt sie dann eine Logik als Regel für die Beziehung der Begriffe aufeinander. Hiermit geht jedoch für Heidegger eine Nichtursprünglichkeit der methodischen Basis einher, auf welcher die antike Ontologie basiert (Seite 160).

  • Rede

Die Rede liegt Auslegung und Aussage schon zugrunde. Was sie artikuliert, ist der Sinn. „Die Rede ist die bedeutungsmäßige Gliederung der befindlichen Verständlichkeit des In-der-Welt-seins“ (Seite 162). Wenn die Rede hinausgesprochen wird, so kommt sie zu innerweltlichem Sein, sie wird Sprache (Seite 161). Bei der ontologisch richtigen Verstandenen Mitteilung wandert nicht eine Meinung oder ein Wunsch vom einen Subjekt zum anderen, sondern es wird das Mitsein (Mitverstehen und Mitbefindlichkeit) ausdrücklich geteilt. Hören ist das Offensein des Daseins für das Mitsein des Anderen und somit höher anzusetzen als der bloß akustische Vorgang. Für Heidegger ist nämlich sogar das Horchen mehr als nur das Vernehmen von Lauten oder Geräuschen: was wir hören sind konkrete Dinge, also der knarrende Wagen oder das Motorrad, denn wir sind immer schon beim innerweltlich Zuhandenen. So ist dann auch das Hören zu verstehen: wir sind schon mit dem Anderen beim Seienden, worüber die Rede geht.

Da die traditionelle Sprachwissenschaft bis jetzt die Verwurzelung der Sprache in der Ontologie des Daseins nicht in ihren Blick gebracht hat, blieb das Sein dieses Seienden (der Sprache) dunkel. Dieses jedoch muss zunächst geklärt werden, und so fordert Heidegger einen Verzicht auf Sprachphilosophie um den Sachen selbst nachzufragen (Seite 166).

B. Alltäglichkeit und Verfallen

Nachdem Verstehen, Befindlichkeit und Rede als für das Da des Daseins grundlegend untersucht wurden, betrachtet Heidegger sie in diesem Abschnitt in ihrem alltäglichen Auftreten. Da das Dasein zunächst (und auch alltäglich) im Man aufgeht, werden auch die drei Elemente Verstehen, Befindlichkeit und Rede vom Man her bestimmt.

Grundlegende Elemente des Daseins Bestimmung vom Man her
Rede Gerede
Verstehen Neugier
Befindlichkeit Zweideutigkeit
  • Das Gerede

Ging es in der Rede darum im Bezug auf Seiendes sich mitzuteilen, so geht es im Gerede hauptsächlich um das Gesagtsein, das Diktum, welches für die Echtheit und Sachgemäßheit einsteht. Es gibt also keinen Seinsbezug zum Seienden, das Gerede hebt ab und setzt sich in Weiter- und Nachrede fort, ebenso wie im Geschreibe. Somit wird jedoch das Gerede anders als die erschließende Rede zum verschließen eines Verständnisses. Da beide von der Aufgabe echten Verstehens entbinden, erleichtert ihnen dies den Einzug in die Öffentlichkeit: jeder kann das Geredete aufraffen, nach- und weiterreden (Seite 169). In diese alltägliche Ausgelegtheit der Welt wächst nun das Dasein hinein und auch nur in ihr und aus ihr heraus kann sich echtes Verstehen vollziehen. Die Ausgelegtheit durch das Man geht sogar soweit, dass sie die Befindlichkeit vorzeichnet, also die Grundart, in welcher wir uns von den Dingen angehen lassen (Seite 170).

  • Die Neugier

Es folgt in § 36 eine Analyse der Neugier. Ausgehend vom Primat des Sehens für Wissenschaft, schlägt Heidegger eine Brücke zur Neugier: gibt es nichts mehr zu tun, so legt die Sorge sich in die freigewordene Umsicht, die Welt zu sehen in ihrem bloßen Aussehen. Es geht ihr nicht um Verständnis, sondern nur um das Sehen. Daher sucht sie stets das Neue, ihre drei Momente sind Unverweilen, Zerstreuung und Aufenthaltslosigkeit (Seite 172). Auch die Neugier wird durch das Man bestimmt: Es sagt, was man gesehen oder gelesen haben muss.

  • Die Zweideutigkeit

Als drittes Phänomen der Erschlossenheit des alltäglichen Daseins führt Heidegger die Zweideutigkeit an (§ 37): „Alles sieht so aus wie echt verstanden (..)“ . Wenn jeder schon alles weiß und gesehen hat, so erstickt die Zweideutigkeit hierdurch die Möglichkeiten des Daseins in ihrer Kraft (Seite 173). Jeder ahnt, was man so machen könnte, wird dies jedoch einmal wirklich von einem Einzelnen realisiert, so verlieren Gerede und Neugier ihre Macht über ihn - das Gerede aber rächt sich: das hätte man auch machen können. „Gerede und Neugier sorgen in ihrer Zweideutigkeit dafür, daß das echt und neu Geschaffene bei seinem Hervortreten in die Öffentlichkeit veraltet ist“ (Seite 174).

Gerede, Neugier und Zweideutigkeit gehen jedoch nicht aus einer bewussten, gar böswilligen Verstellung hervor. Sie sind vielmehr Folgen des Verfallens und der Geworfenheit.

  • Verfallen und Geworfenheit

In Gerede, Neugier und Zweideutigkeit enthüllt sich als Grundverfassung der Alltäglichkeit das Verfallen des Daseins. Im Wort klingt an, dass das Dasein von ihm selbst abfällt und an die Welt verfällt als „schon sein bei.“ Das Dasein ist sodann uneigentlich: Es ist immer schon bei der Welt als Seinsart des In-Seins jedoch so, dass es von ihm selbst abgefallen ist, d. h. in der Seinsverfassung des Verfallen. („Ein existenzialer Modus des In-der-Welt-seins dokumentiert sich im Phänomen des Verfallens“ Seite 176). Grund für das Verfallen ist das Dasein selber. In Form von Gerede und Ausgelegtheit unterbreitet es sich selbst, die Versuchung zu verfallen. Die Entschiedenheit und Selbstgewissheit des Man beruhigen das Dasein jedoch und führen zu einer Unbedürftigkeit des echten Verstehens. Die Beruhigung jedoch führt nicht zu einem Stillstand sondern geradewegs in den Betrieb, in das Alles-kennen-lernen wollen, das angebliche Verstehen fremder Kulturen, das Spiegeln in allen Deutungsmöglichkeiten (Seite 177). Da jedoch ungefragt bleibt was es überhaupt zu verstehen gilt, treibt das Dasein so einer Entfremdung zu. Da ihm ein echtes Verstehen verschlossen bleibt, verfängt es sich letztendlich in sich selbst. Versuchung, Beruhigung, Entfremdung und Verfangen bilden eine Bewegtheit, die Heidegger den Absturz des Daseins nennt. Dieser Absturz hat den Charakter eines Wirbels, in welchen das Dasein immer schon geworfen ist.

Sechstes Kapitel §§ 39–44

Die Sorge als Sein des Daseins

Durch die in Kapitel 2–5 ausgebreitete Analyse haben wir gefunden: Die durchschnittliche Alltäglichkeit des Daseins kann demnach bestimmt werden als das verfallend-erschlossene, geworfen-entwerfende In-der-Welt-sein, dem es in seinem Sein bei der Welt und im Mitsein mit Anderen um das eigenste Seinkönnen selbst geht (Seite 181). Dieses Strukturganze soll nun im sechsten Kapitel in seiner Ganzheit sichtbar gemacht werden: das Sein des Daseins wird als Sorge bestimmt. Es sollen also nicht die einzelnen Elemente zusammengebaut werden, sondern sich als Vielheit eines übergeordneten Ganzen zeigen.

Sorge soll sich dabei nicht von einer Idee des Menschen ableiten, sondern sich als von sich aus angemessene Bestimmung erweisen. Damit also die Theorie hier nicht gekünstelt und gewaltsam eine Bestimmung vorgibt, wird Heidegger als „vorontologische Bewährung“ der Sorge die Cura-Fabel anführen (Seite 183).

In der Angst als Grundbefindlichkeit wird Heidegger den phänomenalen Boden für das Erfassen des Seins des Daseins als Sorge suchen (§ 40). Innerhalb des Zusammenhangs von Sorge, Weltlichkeit, Zuhandenheit und Vorhandenheit wird anschließend Realität zum Thema und das hiermit verbundene Problem von Idealismus und Realismus (§ 43), an welche Einsichten Heidegger seine Auffassung des Wahrheitsbegriffes anknüpft (§ 44).

Angst

Bei der bereits in § 30 gelieferten Analyse der Furcht stellte sich heraus, dass das Wovor der Furcht immer ein innerweltlich Seiendes ist. Für die Angst gilt dies nicht: das Wovor der Angst ist unbestimmt, kennt kein Hier und Dort aus dem sich das Bedrohliche nähert. Trotz dieser Unbestimmtheit aber führt die Angst zu einer Flucht des Daseins. Das Dasein flieht aber nichts Innerweltlichem sondern sich selbst. „Das Wovor der Angst ist das In-der-Welt-sein als solches“ (Seite 186). In der Flucht aber flieht das Dasein nicht aus der Welt sondern in diese als Welt, d. h. flieht sich selbst, um verfallend in der Welt und im Man aufzugehen.

Befindlichkeiten haben eine erschließende Funktion. Die Angst als Grundbefindlichkeit erschließt dem Dasein sein In-der-Welt-sein und bringt es vor dieses, so nämlich, dass für uns die Bewandtnisganzheit des Zuhandenem zur Unbedeutsamkeit zusammensinkt. Das Dasein wird gleichsam nackt vor sein Selbst-sein-können gebracht: Die Angst hohlt das Dasein aus seinem verfallendem Aufgehen in der Welt und bringt es vor die Welt und vor sich selbst als Möglichsein (Seite 187). Dabei ist dem Dasein in der Angst unheimlich (als Nicht-zuhause-sein): Die alltägliche Vertrautheit bricht in sich zusammen, das Dasein ist vereinzelt und kann sich nicht mehr ohne weiteres in das Man flüchten. Für Heidegger ist diese Unheimlichkeit das ursprünglichere Phänomen gegenüber dem beruhigt-vertrautem In-der-Welt-Sein, d. h., das Dasein muss sich ein Zuhause, in dem sich wohnen lässt, erst schaffen.

Das Wovor der Angst ist das In-der-Welt-sein mit seinen drei Strukturelementen, die durch die Grundbefindlichkeit der Angst jeweils folgendermaßen erschlossen werden:

alltägliches Moment des In-der-Welt-seins durch die Angst erschlossen
Wohnen bei... unheimliches In-sein
Verfallen an die Welt Unbedeutsamkeit, Belanglosigkeit der Welt
Aufgehen im Man Möglichsein, Selbst-sein-können
Sorge

Dasein ist Seiendes, dem es in seinem Sein um dieses selbst geht. Es wird durch die Angst vor sein Seinkönnen gebracht. Sich-vorweg-sein beinhaltet: Dasein ist in seinem Seinkönnen immer schon «über sich hinaus». Es ist auch immer schon in eine Welt geworfen und als verfallenes zunächst und meist beim besorgten innerweltlichen Zuhandenen.

Heidegger fasst dementsprechend Sorge als „Sich-vorweg-schon-sein-in-(der-Welt-) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden).“ Damit umfasst Sorge nicht bloß die Existenzialität, sondern auch Geworfenheit und Verfallen:

Das Sein des Daseins als Sorge ontologische Charaktere Ekstasen der Zeitlichkeit
Sich-vorweg-sein Existenzialität Zukunft
Schon-sein-in-der-Welt Faktizität Vergangenheit
Sein-bei Verfallen Gegenwart

Die Bestimmung des Seins des Daseins als Sorge ist so grundlegend, dass für Heidegger sowohl Theorie als auch Praxis nur als Ausprägungen der Sorge zu verstehen sind. Wenn Heidegger den Begriff Sorge zur Bestimmung des Daseins wählt, betont er damit nicht ein etwaiges Primat der Praxis. Ebenso sind Wollen, Wünschen, Hang und Drang in der Sorge verwurzelt, ein Sachverhalt, den Heidegger aber nur kurz skizziert: Wollen braucht ein Gewolltes, während Wünschen auf Unerfüllbares geht und somit Möglichkeiten eher verschließt denn eröffnet. Der Hang ist durch ein passives Gelebt-Werden charakterisiert, es wird etwas nachgehangen, während hingegen der Drang sich durch ein Hin-zu um jeden Preis auszeichnet und so unter Umständen Befindlichkeit und Verstehen überrennt.

In § 42 möchte Heidegger dann eine vorontologische Bewährung der Bestimmung des Seins des Daseins als Sorge liefern, indem er die Cura-Fabel des Hyginus zitiert (der lateinische Text findet sich hier). Bedeutung gewinnt dieses Zeugnis für Heidegger durch das hiermit herausgestellte vorwissenschaftliche Verständnis und den Ursprung des Begriffs der Sorge in der Geschichte.

Realität
  • Realität und Außenwelt

Das Verfallen des Daseins an die Welt bringt es nach Heidegger mit sich, dass Realität („etwas ist wirklich vorhanden“) und Sein normalerweise miteinander identifiziert werden, weshalb dann Substanzialität als Grundbestimmung des Seins angenommen wird. So wird jedoch das Reale als unabhängig vom Bewusstsein gedacht, als etwas, dem ein eigenständiges An-Sich außerhalb des Bewusstseins zukomme. Damit stellt sich die Frage, wie man vom Bewusstsein nach draußen kommt, in die Sphäre des Realen. Folgt man dem Vorgehen Heideggers, erweist sich dieses Problem als Scheinproblem, denn: „Die Frage, ob überhaupt eine Welt sei und ob deren Sein bewiesen werden könne, ist eine Frage, die das Dasein als In-der-Welt-sein stellt - und wer anders sollte sie stellen? - ohne Sinn“ (Seite 202). Wenn Kant es einen „Skandal der Philosophie“ nannte, dass der Beweis für die Dinge außer uns immer noch fehle, so kontert Heidegger: „Der «Skandal der Philosophie» besteht nicht darin, daß dieser Beweis bislang noch aussteht, sondern darin, daß solche Beweise immer wieder erwartet und versucht werden“ (Seite 205). Ob man die Außenwelt nun versucht zu beweisen, an sie glaubt, oder sie voraussetzt, allen diesen Positionen ist die nach Heidegger verfehlte Auffassung gemeinsam, dass sie zunächst ein weltloses und ontologisch unbestimmtes Subjekt ansetzen, welches sich im Grunde erst einer Welt versichern muss (Seite 206).

Somit bleibt nicht die von Heidegger als Scheinproblem identifizierte Frage nach dem An-sich-Sein der Außenwelt und ihrer Erscheinungen/Dinge zu klären, sondern vielmehr die Frage, warum die Welt als Außenwelt immer wieder zum Problem (und zur Lösung des scheinbaren Realitätsproblems) wird. Für Heidegger liegt der Grund hierfür im Verfallen des Daseins, das in seinem Seinsverständnis zunächst vom Vorhandenen ausgeht. Das Dasein findet dann als Vorhandenes zunächst und sicher nur das Innere (des Bewusstseins, der Person, des Subjekts, des Erkenntnisapparats) vor, von wo aus dann der Absprung in die vermeintliche Außenwelt erfolgen soll (Seite 206).

  • Realismus und Idealismus

Für Heidegger ergibt sich Folgendes zum klassischen philosophischen Gegensatz zwischen Realismus und Idealismus: Der Realismus hat Recht damit, dass die Außenwelt real vorhanden sei, aber die dahinter liegende Beweisbedürftigkeit und Beweisbarkeit der Außenwelt lehnt Heidegger ab. Hingegen hat der Idealismus für Heidegger einen grundsätzlichen (strukturellen) Vorzug, insofern jener betont, Sein und Realität seien nur im Bewusstsein, denn dies entspricht der Unerklärbarkeit von Sein aus Seiendem. Allerdings schließt sich hieran auch die Forderung an, das Sein des Bewusstseins zu klären. Idealismus darf folglich nicht heißen, dass man alle Realität auf ein ontologisch nicht geklärtes Subjekt zurückführt (Seite 208).

Diese Passage unterstreicht, warum Heidegger von manchen Interpreten dem Idealismus zugezählt wird. Heidegger gibt hier jedoch nur Sympathien aufgrund von Strukturähnlichkeiten zwischen idealistischem Weltzugriff und ontologischer Verfasstheit des Daseins zu erkennen. Letztlich lehnt Heidegger die Unterscheidung von Idealismus und Realisms als ontologisch zu kurz greifend ab. Gleichwohl bleibt zu fragen, ob Heideggers Denken in Sein und Zeit nicht in einem weiteren Sinne als idealistisch zu kennzeichnen ist.

  • Realität und Sorge

Realität ist für Heidegger ein ontologischer Titel, der auf innerweltlich Seiendes bezogen ist. Das heißt aber: in der Welt – in der ja Innerweltliches begegnet – ist Realität immer schon vorausgesetzt. Was innerweltlich begegnet, sind Zuhandenes und Vorhandenes als Modi der Realität. Zuhandenes und Vorhandenes gründen in der Sorge. Insofern zeigt sich auch die Realität als in der Sorge gründend.

  • Realität und Dasein

Heideggers Betrachtungen zur Realität stellen heraus: Nur solange Dasein ist, gibt es Sein. Es gibt kein An sich, wenn Dasein nicht existiert, mit anderen Worten: Die Frage nach dem eigenständigen Charakter der Erscheinungen/Dinge in der Welt ist unsinnig, wenn sie nicht zugleich das Dasein als dasjenige, was Welt hat, in den Blick nimmt. Die ontologische Differenz von Sein und Seiendem lässt sich daher auch so fassen: Sein ist in gewisser Weise von Dasein abhängig, jedoch nicht Seiendes. Man könnte sagen, Sein bezieht sich darauf, wie uns die Dinge begegnen, die Dinge als Seiende aber werden weder durch uns geschaffen noch hören sie auf mit unserem Tode. Wenn Heidegger Realität als in der Sorge gründend erfasst, so daher auch nicht in dem Sinne, dass Realität durch Sorge erst erzeugt wird.

Da Welt dem Dasein unmittelbar zugehört, kann die Seinsart des Daseins nicht adäquat als innerweltlich gefasst werden. Damit kann Dasein auch nicht als Vorhandenes begriffen werden, denn Vorhandenheit ist eine Erscheinungsweise von innerweltlich Seiendem. Die Seinsart des Daseins ist vielmehr mit der ontologischen Verfasstheit des Daseins gegeben: „die Substanz des Menschen ist die Existenz“ (Seite 212).

Wahrheit

Zwar wurde schon bei den Griechen Wahrheit und Sein identifiziert, jedoch nicht explizit. Um den Zusammenhang von Wahrheit und Sein zu klären, bespricht Heidegger zunächst den traditionellen Wahrheitsbegriff, um anschließend seine Herkunft aus dem ursprünglichem Phänomen der Wahrheit zu zeigen.

  • Der traditionelle Wahrheitsbegriff

Traditionell versteht man als den Ort der Wahrheit die Aussage (das Urteil). Wahrheit selbst wird als Übereinstimmung definiert, so in der bekannten Formulierung als „adaequatio intellectus et rei“ (Übereinstimmung von Erkenntnis und Gegenstand) (Seite 214). Allein, gehen wir der Art dieser Beziehung nach, wird unklar, was übereinstimmen soll: psychischer Prozess und realer Gegenstand oder idealer Gehalt des Urteils und realer Gegenstand? Als was können wir dann die Beziehung von Idealem auf Reales verstehen: als ideal oder real? Da die Untersuchung so nicht vorankommt, gibt Heidegger ein Beispiel, um zu zeigen, was konkret passiert (Seite 217): Es stehe jemand mit dem Rücken gegen die Wand und mache die Aussage: „Das Bild hinter mir hängt schief“. Wenn er sich nun umdreht, um die Wahrheit der Aussage zu prüfen, entdeckt er, ob das Bild wirklich schief hängt. Wahrheit liegt für Heidegger also nicht in einer Übereinstimmung von Erkennen und Gegenstand (ist also keine Subjekt-Objekt-Beziehung), sondern in der Entdecktheit von Seiendem. Dass aber etwas entdeckt werden kann, ist nur möglich auf Grund des In-der-Welt-Seins. Wenn wir die Richtigkeit einer Aussage bewerten, dann geschieht dies als Bewährung durch Entdecken (Seite 218).

  • Die Genese des traditionellen Wahrheitsbegriffes

Die Definition der Wahrheit als Entdecktheit findet sich nach Heidegger schon im vorphilosophischen Verständnis der alten Griechen. Wahrheit, griechisch: Aletheia (Vorlage:Polytonisch, "Das Unverborgene"), übersetzt Heidegger etymologisch als Unverborgenheit - in Heideggers Interpretation: „Seiendes wird durch ein Entdecken aus der Verborgenheit herausgenommen. Angesichts dieses alten Wahrheitsverständnisses versteht Heidegger seine Arbeit auch als ursprüngliche Wiederaneignung“ (Seite 220).

Um den Zusammenhang von Wahrheit und Dasein zu betonen, spricht Heidegger auch vom Wahrsein: „Wahrsein als entdeckend-sein ist eine Seinsweise des Daseins.“ Damit ergibt sich folgender Vorrang des Daseins als „primär wahr“, das meint „Dasein ist immer in der Wahrheit“, weil überhaupt nur durch es so etwas wie Wahrsein möglich ist. Das Wahrsein wiederum gründet jedoch in der Erschlossenheit als einem Existenzial des Daseins. Ohne Dasein ist auch kein Wahrsein, sobald aber Dasein ist, ist dieses auch primär in der Wahrheit, so zwar, dass es als Verfallenes und durch die Herrschaft des Man durchaus (sekundär) in der Unwahrheit ist (Seite 222).

Angesichts dieses ungewöhnlichen Wahrheitsbegriffs muss Heidegger darstellen, wie es zum allgemein verbreiteten Begriff von Wahrheit, als Übereinstimmung verstanden, kommt. Heidegger zeigt, dass Wahrheit als Übereinstimmung ihre Herkunft in der Erschlossenheit hat. Am Anfang steht daher aber die ursprüngliche Entdecktheit von Seiendem. Hierüber wird sich in der Aussage ausgesprochen. Die Aussage bekommt damit den Charakter des Zuhandenen. Soll dieses Zuhandene nun auf seine Richtigkeit überprüft werden, dann, indem man es als Vorhandenes auffasst und mit dem Vorhandenen, auf welches sich die Aussage bezieht, vergleicht. Dieser Bezug als Übereinstimmung zweier Vorhandener hat dann selbst wiederum den Charakter der Vorhandenheit (Seite 224). Hiermit aber ist dann Wahrheit als Erschlossenheit zur vorhandenen Übereinstimmung von innerweltlich Seiendem geworden. Die Abkünftigkeit der Wahrheit als Übereinstimmung aus der Erschlossenheit ist somit gezeigt.

  • Die Seinsart der Wahrheit

Wahrheit gibt es nur, sofern und solange Dasein ist“ (Seite 226). Wegen dieses Zusammenhangs kann man auch sagen „Sein - nicht Seiendes - gibt es nur, sofern Wahrheit ist“ (Seite 230). Dasein ist wegen der Erschlossenheit wesenhaft in der Wahrheit. Wenn wir sagen, Wahrheit ist relativ auf das Sein des Daseins (Seite 226), meinen wir damit jedoch nicht, dass Wahrheit der Beliebigkeit des Subjekts überlassen wird, denn das Entdecken entzieht sich seinem eigenstem Sinne nach der Beliebigkeit des Subjekts. Auf die Frage, ob wir Wahrheit für unser Erkennen voraussetzen müssen, ist demnach zu antworten: „Die Wahrheitsvoraussetzung müssen wir machen, weil sie mit dem Sein des Wir schon gemacht ist“ (Seite 228). Es kann also auch nicht bewiesen werden, dass es Wahrheit notwendigerweise gibt, denn die Notwendigkeit des Daseins kann und braucht nicht bewiesen zu werden. Auch der Skeptizismus muss nicht widerlegt werden, denn es hat nie einen wirklichen Skeptiker gegeben - man kann sich nicht aussuchen, ob man ins Dasein kommt und somit Erschlossenheit als Existenzial sein eigen nennt: Dasein existiert faktisch, ist also immer schon in der Welt (Seite 229).

Erster Teil/Zweiter Abschnitt

Dasein und Zeitlichkeit

Es wurde in der bisherigen Analyse die Grundverfassung des Daseins als In-der-Welt-sein gefunden. Es steht allerdings immer noch die Antwort auf die Frage nach dem Sinn von Sein aus. Hierzu muss jedoch zunächst das Ganze des Daseins in den Blick gebracht werden. Zwar ist mit der Sorge ein Strukturganzes gegeben worden, jedoch wurde, was das Seinkönnen betrifft, bisher nur von der Uneigentlichkeit geredet. Wenn nun das Ganze in den Blick kommt, so muss hierzu auch das eigentlich Seinkönnen gehören. Als Ganzes des Daseins wird sich aber das Zwischen Geburt und Tod erweisen, in der Zeitlchkeit des Daseins wird auch erst die Sorge verständlich. Dabei muss ein ontologisch angemessener Begriff vom Tod gewonnen werden (der Tod ist nur im Sein zum Tode). Das eigentlich Seinkönnen wird durch das Gewissen-haben-Wollen möglich. Durch die Analyse der Zeitlichkeit wird dann auch die Geschichtlichkeit des Daseins verständlich, ebenso wird der Ursprung des vulgären Zeitbegriffs in der Sorge sichtbar: Sorge braucht Zeit und rechnet mit ihr.

Erstes Kapitel §§ 46-53

Das Sein zum Tode
  • Zur Bestimmung der Ganzheit des Daseins

Offensichtlich ist es problematisch, die Ganzheit des Daseins als Sorge zu fassen, da Sorge gerade durch das Sich-vorweg-Sein charakterisiert wird. Somit steht das Dasein wesentlich in einer Unabgeschlossenheit. Auch kann Gänze als Seiendes nie erfahrbar sein, denn wenn die Gänze im Tod erreicht wird, gehen wir ihrer gerade verlustig (da das Dasein im Tod nicht mehr ist) (Seite 236).

Der denkbare Ausweg, die Ganzheit des Daseins im Tode über den Tod Anderer zu erfahren, wird von Heidegger zurückgewiesen. Zwar können im Mitsein (mit Anderen) bewegende Erfahrungen gesammelt werden, jedoch wird mir hierdurch der Tod niemals als der meine zugänglich (Seite 238). Die Anderen können uns in vielen Dingen des Lebens vertreten, aber keiner kann dem Anderen sein Sterben abnehmen (Seite 240). Zwar machen wir Erfahrungen mit dem Tod Anderer im Übergang vom Dasein zum vorhandenem Körperding (der Leiche), auch zeigt sich an Totenfeier und Totenehrung, dass der Tote kein ausschließlich Vorhandenes ist (wie ein Tisch oder ein Stein). Doch ist offensichtlich, dass Tod im Sinne unserer Erfahrung nur als Prozess des Sterbens aufgefasst wird. Um den Tod aber in den richtigen Blick zu bekommen, braucht es zunächst eine grundlegende Analyse von Ende und Ganzheit.

Versucht man, das Ganze des Daseins in den Blick zu bekommen, so hat sich als Problem vor allem das mit der Sorge einhergehende Noch-nicht erwiesen. Kann man dieses Noch-nicht aber als Ausstand verstehen? Offensichtlich nicht, denn ausstehen können z. B. Zinszahlungen oder sonstiges Fehlendes eines Zuhandenen sein, so nämlich, dass es noch nicht zusammen ist (Seite 242). Hingegen gilt für das Noch-nicht des Daseins: Es gehört zum Dasein: Dasein wird dieses Noch-nicht. Heidegger gibt das Beispiel einer Frucht, die im Werden zur Reife kommt. Hierbei werden ihr nicht Stücke summativ angefügt, sondern sie kommt durch sich selbst zur Reife. Ähnlich haben wir auch das Noch-nicht des Daseins zu verstehen: das, was es noch nicht ist, muss es selbst werden, kann ihm also nicht einfach zugesetzt werden. Es bleibt allerdings ein Unterschied: Die Frucht vollendet sich im Ende, während wir vom Ende des Daseins im Tode nicht behaupten können, nun hätte sich das Dasein vollendet (Seite 244). Das Dasein ist vielmehr zum Ende. Heidegger: „Der Tod ist eine Weise zu sein (..)“ (Seite 245). Gleichwohl bleibt hier das Ende immer noch unbestimmt. Um es besser in den Blick zu bekommen erfolgt zunächst eine

  • Abgrenzung gegenüber dem Todesverständnis anderer Disziplinen

Die Thematisierung des Daseins als bloßes Lebendiges rückt dieses in den Bereich einer biologisch-physiologischen Betrachtungsweise. Jedoch ist einer Ontologie des Lebens notwendigerweise eine Ontologie des Daseins vorgeordnet. Um diese Trennung deutlich zu machen, wird in Sein und Zeit der physiologische Tod des Daseins Ableben genannt, die Seinsweise des Daseins, in welcher es zum Tode ist, nennt Heidegger Sterben (Seite 247). Nach dieser begrifflichen Unterscheidung ist das Erleben des Ablebens dem Verständnis des Sterbens nachgeordnet. Für Heidegger spielen im Kontext der ontologischen Todesanalyse jedoch nicht nur die Wissenschaften Biologie und Psychologie keine Rolle, auch Theodizee-Problematik und Theologie sollen hier nichts beitragen können.

  • Existenzial-ontologische Struktur des Todes

Zuvor wurde gezeigt, dass der Tod nicht als Ausstand begriffen werden kann, da dies hieße, Dasein als Vorhandenes aufzufassen. Besser trifft es wohl die Beschreibung als Bevorstand. Da dem Dasein jedoch vieles bevorstehen kann, braucht es noch eine Besonderheit, welche den Tod auszeichnet. Diese findet sich darin, daß der Tod die Seinsmöglichkeit ist, die das Daseins selbst zu übernehmen hat (Seite 250). Damit „enthüllt sich der Tod als die eigenste, unüberhohlbare Möglichkeit. Als solche ist er ein ausgezeichneter Bevorstand“ (Seite 251). Diesen Sachverhalt jedoch kann das Dasein sich nicht aussuchen: Es ist in diese Möglichkeit geworfen. Sie erschließt sich ihm in der Angst, als Angst vor dem eigensten, unbezüglichen und unüberholbaren Seinkönnen. Hierzu braucht es also kein faktisches Wissen vom Tod, wenn uns der kommende Tod nicht bewusst ist, dann hat dies seinen Grund im Verfallen des Daseins als Flucht vor der Gewissheit, die besagt: „Dasein stirbt faktisch, solange es existiert“ (Seite 251). Es soll dies nun, wie schon einige Male geschehen, am Dasein in seiner Alltäglichkeit gezeigt werden.

Tod und Alltäglichkeit

Alltäglich ist das Dasein in seiner Bestimmtheit durch das Man. Wie erschließt also die Befindlichkeit des Man den Tod? Zunächst als innerweltliches Ereignis, nicht jedoch als je meinen eigenen Tod. Der Tod trifft vielmehr das Man, wie sich an der alltäglichen Rede zeigt: „Man stirbt“ eben auch einmal. In dieser Versuchung verdeckt das Man das eigenste Sein zum Tode. Aber dieses „man stirbt“ ist eigentlich ein Niemand. Hierdurch kommt der Anschein auf, das Dasein könne dem Tod entgehen, es kommt zu einer Beruhigung über den Tod (Seite 244). Auch die Art, wie man sich zum Tod verhält, wird durch das Man bestimmt: Es soll nicht über den Tod nachgedacht werden, keine Angst darf man vor ihm haben. Hierdurch entfremdet das Man das Dasein von seinem eigensten Seinkönnen (Seite 254).

Wenn dem Dasein in seiner Alltäglichkeit der Tod also verdeckt bleibt, bleibt zu klären, wovor es sich eigentlich genau in das Man flüchtet. Immerhin gibt der Ausspruch „man stirbt“ eine spezifische Gewissheit des Todes zu, diese ist jedoch nicht eigentlich gewiß (Seite 256). Gewissheit gründet in Wahrheit. Für die Wahrheit hat sich ergeben, dass Dasein zwar immer schon in der Wahrheit ist (diese ist ein Existenzial), jedoch als faktisches im Modus der Unwahrheit. (Siehe Kapitel sechs) Analog ist die Gewissheit - zwar nicht Ungewissheit - aber verdeckte Gewissheit. Selbst wenn der Tod Gegenstand einer kritischen Untersuchung wird, so nur als empirisches Ereignis (Seite 257) - damit aber ist er noch weniger erschlossen als in der alltäglichen Flucht vor der Gewissheit des Todes. Ebenso verdeckt bleibt dem Man die Unbestimmtheit des Wann des Todes: dass der Tod jederzeit eintreten kann.

Mit all dem soweit Gesagten ergibt sich der volle existenzial-ontologische Begriff des Todes:

Der Tod als das Ende des Daseins ist die eigenste, unbezügliche, gewisse und als solche unbestimmte, unüberhohlbare Möglichkeit des Daseins. Der Tod ist als Ende des Daseins im Sein dieses Seienden zu seinem Ende (Seite 258 unten).

Ziel der Herausarbeitung war es, die mögliche Ganzheit des Daseins aufzuzeigen. Diese ist durch das Sein zum Tode gegeben. Auch Sorge und das ihr entnommene Noch-Nicht-Können soll also diese Ganzheit nicht stören. Bis jetzt jedoch wurde nur das uneigentliche Sein zum Tode betrachtet. Da Uneigentlichkeit in der Eigentlichkeit gründet, bleibt zu zeigen, dass es ein eigentliches Sein zum Tode gibt.

Das eigentliche Sein zum Tode

Was das eigentliche Sein zum Tode nicht sein kann, wurde gezeigt: Es kann nicht in einem Ausweichen, Verdecken und Umdeuten bestehen. Zwar ist das Sein zum Tode ein Sein zu einer Möglichkeit, jedoch von ganz anderer Art als wie wir uns z. B. zu einer besorgenden Möglichkeit verhalten. Der Tod ist ja nichts, das wir besorgen (Seite 261). Auch kann mit dem eigentlichen Sein zum Tode kein Denken an den Tod gemeint sein, dies wird dem Möglichkeitscharakter des Todes nicht gerecht, da es ihn eher distanziert betrachtet. Ein ähnliches Problem ergibt sich, wenn wir den Tod lediglich erwarten. Was bleibt, nennt Heidegger das Vorlaufen in die Möglichkeit. Dieser Titel soll zwei Sachverhalte betonen: wir verhalten uns zum Tod und zwar so, dass hierdurch dieser sich als Möglichkeit enthüllt. Zum Tod als Ende des Daseins können wir uns nicht verhalten, wir sind dann nicht mehr - daher verhalten wir uns im eigentlichen Sein zum Tode zum Tod als unbestimmte, unbezügliche, unüberholbare Möglichkeit, indem wir uns dieser bewusst werden und uns darin halten (Seite 262).

Hiermit zeigt sich die konkrete Struktur des Vorlaufens in den Tod: Das Dasein entreißt sich dem Man und bringt sich so als Vereinzeltes vor sein Da. So vor seine Existenz gebracht, entwirft es sich auf sich selbst hin, nicht auf die durch das Man vorgegebenen Möglichkeiten (Seite 263). Es anerkennt die Unüberholbarkeit und hält sich hierin. Dabei bewahrt es sich davor, seine eigenen mit den Existenzmöglichkeiten der Anderen zu verwechseln. Also kann es nur als Ganzes sein (Seite 264).

Letztendlich ist auch für die eigentliche Gewissheit wieder die Befindlichkeit der Angst ursächlich. Denn die Gewissheit des Todes ist von gänzlich anderer Art, als unser Wissen über Vorhandenes: was uns gewiss wird, ist ja das In-der-Welt-Sein (Seite 265). Dies unterstreicht die Befindlichkeit der Angst als Grundbefindlichkeit.

Was nun gezeigt wurde war die ontologische Möglichkeit eines eigentlichen Seins zum Tode. Es bleibt jedoch zu klären, ob diese überhaupt ontisch sich verwirklichen lässt. Ebenso wird zu untersuchen sein, ob es sich lediglich um eine Möglichkeit oder gar um eine Forderung handelt (Seite 266).

Zweites Kapitel §§54-60

Eigentliches Seinkönnen

Gesucht wird ein eigentliches Seinkönnen des Daseins, genauer: ein eigentliches Selbstseinkönnen. Das Selbst ist eine Weise, zu existieren, so nämlich, dass das Dasein der Herrschaft des Man entrissen wird. Dieses sich Zurückholen aus dem Man wird als Nachholen einer Wahl geschehen, als Wählen der Wahl, d. h. das Dasein selber zu wählen und nicht durch das Man bestimmt zu werden (Seite 268). Was das Dasein hierzu aufruft, ist das Gewissen. Das Gewissen hat erschließende Funktion und äußert sich im Ruf, dieser ist Anruf des Daseins durch es selbst. Das Dasein ruft sich selbst an, so nämlich, dass es sich aufruft zum eigentlichen Selbstseinkönnen. Die zunächst außergewöhnliche ontologische Interpretation des Gewissens wird sich dadurch bewähren müssen, dass sich das vulgäre Gewissens-Verständnis aus ihr ableiten lässt. Dem Ruf des Gewissens, welcher sich an das Dasein richtet, entspricht eine Art, ihn zu hören, nämlich das Gewissen-Haben-Wollen, hierin liegt das Wählen der Wahl als Entschlossenheit (Seite 270).

Das Gewissen

Das Gewissen hat für das Dasein erschließende Funktion, indem es dieses vor sein Da bringt. Das Dasein jedoch überhört sich selbst alltäglich im Hinhören auf das Man. Erst der Ruf durchbricht das Hinhören auf das Man. Er ist ein Modus der Rede, welche die Verständlichkeit gliedert. Der Ruf rüttelt auf (Seite 271).

Es bleibt die wichtige Frage, wen der Ruf trifft. Der Ruf richtet sich an das Selbst, indem er das Man übergeht - jedoch ist das Selbst nicht ein aufregendes Innenleben, noch weniger drängt der Ruf das Selbst in ein Inneres, wo es sich nach außen hin abschließt. Das Selbst ist einzig in der Weise des In-der-Welt-Seins (Seite 273). Das Gewissen ruft, aber es ruft nicht etwas zu, sondern es ruft auf. Es ruft nicht in einer Verlautbarung, sondern im Modus des Schweigens und zwingt so das Selbst eigens in die Verschwiegenheit. Obwohl der Ruf nichts Konkretes zuruft, keine Handlungsanweisung, so ist er trotz allem eindeutig. Missverstehen kann ihn das Dasein erst, wenn es ihn in einem verhandelnden Selbstgespräch mit dem Man verkehrt (Seite 274).

Der Ruf

Der Ruf kann also nicht als auf etwas konkret weltlich Orientiertes aufgefasst werden. Was einzig zählt, ist der Aufruf. Allerdings ist es ontologisch nicht unerheblich, wer ruft. Denn zwar ist der „Ruf des Gewissens“ bekannt, aber seine Erklärungsansätze waren meist hanebüchen, indem der Rufer als fremde Macht aufgefasst wurde, oder personalisiert wurde als Gott. Umgedreht hat die Biologie ihn lediglich wegerklärt (Seite 275). Wer aber ruft, ist das sich „im Grunde seiner Unheimlichkeit befindende Dasein“, das „ursprünglich geworfene In-der-Welt-sein, das nackte Daß im Nichts der Welt“ (Seite 276). Es ist verständlich, dass dieser Ruf das Man befremdet, als fremde Stimme erscheint. Andererseits erklärt es, dass der Ruf inhaltsleer ist. Weil aber der Ruf dem Dasein erst den Entwurf auf das eigene Selbstsein ermöglicht, zeigt er sich als Ruf der Sorge (Seite 277). Als Ruf der Sorge eignet er dem Dasein, dessen Sein als Sorge bestimmt wurde. Allerdings lässt er sich nicht als objektiv verallgemeinern - dies würde schon wieder eine zu große Distanz zu ihm schaffen, da er ja „ein Teil von uns“ ist. Wiederum wäre es aber verkehrt ihn als bloß subjektiv darzustellen, denn als reine Subjektivität würde er herabgemindert (Seite 278). Was zu klären bleibt, ist der Zusammenhang von Gewissen und Schuld; ebenso steht eine Analyse der Art des Hörens (Vernehmens) aus.

Anrufverstehen und Schuld

Ruf und Gewissen stehen in engem Zusammenhang mit Schuld. Allerdings muss die Art der Schuld zunächst geklärt werden. Sie darf nicht einfach eine willkürlich ausgedachte sein (Seite 281). Man könnte Schuld als Schulden haben auffassen, oder als schuld sein an, jedoch das wäre stets eine Schuld gegenüber Anderen. Heidegger möchte hingegen ein noch grundlegenderes Schuldverständnis entwickeln. Hierzu wird man die Idee der Schuld soweit formalisieren müssen, dass Schuld zunächst nicht heißt, sich an den Anderen schuldig zu machen. Deshalb bestimmt Heidegger Schuld als „Grundsein für ein durch ein Nicht bestimmtes Sein - das heißt Grundsein einer Nichtigkeit“ (Seite 283). Das macht das Dasein nicht mangelhaft, denn von der Nichterfüllung einer Forderung kann nicht auf die Mangelhaftigkeit der Ursache zurückgerechnet werden. Dasein ist viel mehr ursprünglich schuldig: Es ist geworfen, also nicht Grund seines Seins und trotzdem hat es diesen, dem es nicht mächtig ist, zu übernehmen, so nämlich, dass es das Sein des Grundes ist. Es übernimmt den nichtigen Grund indem es existiert, also sich in Möglichkeiten bewegt. Eine Möglichkeit ergreifen, heißt auch immer eine für die andere aufgeben - sich an der nicht gewählten schuldig zu machen. Die Sorge selbst ist also ihrem Wesen nach nichtig. Dies macht das Schuldigsein des Daseins aus (Seite 285). Damit steht die existenzial-ontologische Schuld nicht im Zusammenhang mit dem Bösen (als Mangel an Gutem), noch basiert sie auf Moralität, sondern macht diese erst möglich. Auch braucht Schuld kein Schuldbewusstsein, da schuldigsein ursprünglicher ist als jedes Wissen darum.

Der Ruf aber zeigt hier seinen vollständigen Charakter: Er ist vorrufender Rückruf, denn er ruft vor in die Möglichkeit, sich selbst zu ergreifen, zurück in die Geworfenheit, sich dieser bewusst zu werden, ihren nichtigen Grund zu verstehen und er erschließt das Schuldigsein. Das rechte Hören also versteht sein Seinkönnen, es ist „hörig seiner eigensten Existenzmöglichkeit“ (Seite 287). Damit zeigt sich das Rufverstehen als Wählen des Gewissen-Haben-Wollens. Nur so kann Dasein auch verantwortlich sein (Seite 288).

  • Die vulgäre Gewissensauslegung

Die vulgäre Gewissensauslegung ist vor allem durch das Man bestimmt, wodurch sie teilweise der ontologisch-existenzialen Auslegung widerstreitet (Seite 289). Charakterisieren lässt sich die vulgäre Gewissensauslegung durch vier Aspekte, insofern jene beinhaltet, dass das Gewissen (Seite 290)

  1. eine kritische Funktion habe,
  2. sich relativ auf eine bestimmte Tat beziehe
  3. somit sich nicht auf das Sein des Daseins beziehe
  4. als gutes und schlechtes auftreten könne.

Gegen diese Auffassung von Gewissen wendet Heidegger ein: Das Gewissen als schlechtes Gewissen basiert, ebenso wie das vorwarnende Gewissen, in einer Auffassung des Daseins als einem Vorhandenen, welches abläuft. Dasein läuft in seiner Existenz jedoch nicht einfach ab; (konstruktivistisch gewendet könnte man auch formulieren: Das Dasein ist kein Lebenslauf, sondern gegebenenfalls hat/produziert Dasein einen solchen). Nach Heidegger zeigt sich die vulgäre Gewissensauffassung als die eines Verrechnens und Ausgleichens von Schuld und Unschuld (im Lebenslauf) (Seite 292) - daher auch das von Kant in der Kritik der praktischen Vernunft gewählte (letztlich christlich geprägte) Bild vom Gewissen als eines Gerichsthofs sowie Kants Rede von einem (über den Lebenslauf erhabenen) Sittengesetz. Auch das gute Gewissen kann es nicht wirklich geben, denn gerade der Gute würde nicht von sich behaupten, dass er es hätte (Seite 291). Hinsichtlich Punkt zwei mag man den Tatbezug des Gewissensrufs zugestehen, jedoch komme laut Heidegger hier nicht der volle Ruf zur Geltung: Der Gewissensruf der Sorge ist ursprünglicher als der tatbezogene Ruf des Gewissens des Man. Dann aber ist der Gewissensruf der Sorge auch „inhaltsleer“, in dem Sinne, dass er sich auf keine konkrete Tat bezieht, sondern auf die Existenz und das eigentliche Selbstseinkönnen (Seite 294).

Entschlossenheit

Dem Hören des Rufs entspricht das Gewissen-Haben-Wollen. Es ist eine Weise der Erschlossenheit. Die Erschlossenheit setzte sich aus drei Strukturmomenten zusammen. Die eigentliche Erschlossenheit kann mittels der vorangegangenen Untersuchung aufgezeigt werden. Heidegger nennt sie die ENTschlossenheit (Seite 296 unten):

Erschlossenheit (Wahrheit der Existenz) Entschlossenheit (eigentliche Erschlossenheit / Wahrheit)
Verstehen sich entwerfen auf das eigenste Schuldigsein
Befindlichkeit Angst
Rede Verschwiegenheit

Das Verstehen nimmt sich aus der Auslegung des Man zurück in sein Selbst, ebenso kommt das Dasein aus der vom Man vorgegebenen Stimmung in die Grundbefindlichkeit der Angst. Durch die Verschwiegenheit entzieht sich das Dasein dem Gerede des Man. Damit einher geht allerdings auch eine Erweiterung des Wahrheitsbegriffs. Zuvor wurde Wahrheit bestimmt als Wahrheit der Existenz („Dasein ist in der Wahrheit“). In der Entschlossenheit ergibt sich nun eine eigentliche Wahrheit (Seite 297). Sie modifiziert die Entdecktheit der Welt dahingehend, dass sie nimmt deren Bestimmung aus dem Selbstsein vor. Dies meint keine Isolation auf ein freischwebendes Ich, sondern die Entschlossenheit bringt das Dasein gerade in das besorgende Sein beim Zuhandenen und die vorspringend-befreiende Fürsorge für die Anderen, damit diese für ihre Existenz frei werden und ebenso eigentlich sein können. Auch die Entschlossenheit ist auf die Welt des Man angewiesen, aber ihr ist nun das eigene Da erschlossen, die eigene Existenz ist ihr durchsichtig geworden.

Mit diesem Sachverhalt verbindet Heidegger den Titel Situation: Mit der Situation des Daseins ist das erschlossene Da gemeint, nicht ein Gemisch aus Zufall und Umständen. Dem Man ist die Situation nicht zugänglich, erst in der Entschlossenheit hat das Dasein sie erschlossen. Was mit dem Titel Entschlossenheit nicht gemeint sein kann, ist die Betonung des Vorzugs des Handelns gegenüber einer reinen Theorie. Denn da Dasein in seiner Ganzheit als Sorge bestimmt wurde, lässt sich auch Theorie und Praxis nicht voneinander trennen: Dasein handelt als Entschlossenes schon, ebenso wie auch Passivität unter die Sorge fallen kann.

Drittes Kapitel §§ 61-66

Eigentliches Ganzseinkönnen und Zeitlichkeit

In den vorangegangenen Analysen wurde die Möglichkeit eines Ganzseinkönnens des Daseins als Sein zum Tode aufgezeigt. Ebenso wurde die Möglichkeit einer eigentlichen Erschlossenheit (Entschlossenheit) verdeutlicht. Es bleibt zu klären, wie diese zwei Phänomene zusammenkommen. „Was soll der Tod mit der konkreten Situation des Handelns zu tun haben?“ (Seite 302). Es wird sich zeigen, dass die Entschlossenheit erst mit dem Vorlaufen in den Tod eigentlich ist. Weiterhin nimmt die Untersuchung folgenden Gang: Als Sinn der Sorge wird sich die Zeitlichkeit erweisen. Hierzu muss der Zusammenhang von Sorge und Selbst geklärt werden (Seite 303). Zeitlichkeit wird wiederum an der eigentlichen Entschlossenheit erfahren. Auf diesem gesicherten Boden lässt sich dann auch der Ursprung des vulgären Zeitbegriffes verstehen. Das so entdeckte Phänomen der Zeitlichkeit wird sich anschließend in einer erneuten Analyse des Daseins bewähren müssen: Die bis jetzt gewonnenen Strukturmomente des Daseins werden auf ihre Zeitlichkeit hin interpretiert (Seite 304).

Eigentliche Entschlossenheit

Beide Phänomene (Ganzseinkönnen und Entschlossenheit) sollen zusammengebracht werden. Dies kann nicht einfach durch ein Aneinanderfügen geschehen, sondern wird in einer „existenziellen Modalisierung“ der Entschlossenheit hin zur eigentlichen Entschlossenheit bestehen. Im Abschnitt zur Schuld wurde gezeigt, dass diese nichts ist, das auf uns „lastet“, sondern dass Schuld nur im Sein als Existenz ist: Sie ist eine existenzielle Möglichkeit zu sein (Seite 306). Dieses Schuldigseinkönnen jedoch erschließt sich erst durch das Sein zum Tode gänzlich, da erst so die Ganzheit der Existenz in den Blick gebracht wird. Erst dann übernimmt auch das Dasein völlig seine Nichtigkeit. Das Sein zum Tode erst offenbart das ständige Schuldigsein. Damit kommt zur Wahrheit der Existenz nun noch die Wahrheit des Gewissseins': „Die ausdrückliche Zueignung des Erschlossenen bzw. Entdeckten ist das Gewißsein“ (Seite 307). In dieser Gewissheit hält sich das Dasein offen für die faktischen Möglichkeiten. Die äußerste Möglichkeit (und die einzig gewisse) ist jedoch der Tod. Diesem ständig gewiss ist es vorlaufend, erst so ist es in der eigentlichen Entschlossenheit (vorlaufende Entschlossenheit). Nun ist dem Dasein auch die Möglichkeit des Zurückfallens in die Unentschlossenheit des Man mitgewiss, wogegen es sich in der eigentlichen Entschlossenheit zur Wiederholung ihrer selbst verwahrt (Seite 308). Damit aber „verhält“ sich das Vorlaufen nicht zum Tod, sondern es gründet in der Entschlossenheit, kommt aber erst und einzig in der eigentlichen Entschlossenheit voll zur Geltung. Der Tod wird somit nicht überwunden, noch führt die eigentliche Entschlossenheit in die Weltabgeschiedenheit. Zwar ist ihre Grundstimmung die Angst, mit dieser einher geht jedoch eine „gerüstete Freude“ an der nun entdeckten Möglichkeit (Seite 310).

Die hermeneutische Situation

Die vorangegangene Analyse hat deutlich demonstriert: Dasein ist sich selbst das Fernste. „Die Freilegung des Ursprünglichen Seins des Daseins muss ihm vielmehr (..) abgerungen werden“ (Seite 311). Die Untersuchung hatte sich gegen die dem Dasein innewohnende Verdeckungstendenz entgegenzustellen, was gelegentlich den Charakter der Gewaltsamkeit mit sich brachte. Gerade hierdurch jedoch stellt sich die Frage danach, auf welche Art die Untersuchung Evidenz erzeugt. Vor allem muss geklärt werden, woran sich die Eigentlichkeit der Existenz ablesen lässt. Bis jetzt, so Heidegger, ließ sich die Untersuchung von dem im Dasein selbst liegendem Seinsverständnis leiten (Seite 313). Seinsverständnis ist dem Dasein immer schon gegeben und spricht sich zum Beispiel im Mythos aus. Allein, wenn die Untersuchung vom Seinsverständnis des Daseins ihren Ausgang nimmt, um eine fundamental-ontologische Analyse auf den Weg zu bringen, so stellt sich mit aller Schärfe die Frage nach einem hierin liegenden Zirkel. Aber Heidegger kommt es nicht auf Deduktion an, sondern „dass die solches Verstehen ausbildende Interpretation das Auszulegende gerade erst selbst zu Wort kommen läßt, damit es von sich aus entscheide, ob es (..) erschlossen wurde“ (Seite 314 unten).

Die existenziale Analytik kann somit gar nicht nach den Regeln der Konsequenzlogik funktionieren. Was man als Zirkel zu beseitigen wünscht, ist die nicht wegzudenkende Grundstruktur der Sorge. Vielmehr kommt aber der Zirkeleinwand aus der Seinsart des Daseins selbst, das nämlich als Verfallenes nur das Seiende betrachtet, nicht das Sein. Somit verkennt das Dasein das Verstehen als Grundart des Daseins ebenso wie dass das Sein des Daseins durch die Sorge konstituiert wird (Seite 315). In einem solchen Denken wird meist zu wenig vorausgesetzt: Künstlich beschnitten werden die thematischen Gegenstände, um dann erst im Nachhinein an sie anzubauen (Seite 316).

Sorge und Selbstheit

Um im darauffolgenden Abschnitt den Seinssinn der Sorge freizulegen, muss diese noch einmal vollständig in den Blick gebracht werden und ihr Zusammenhang mit dem Selbst geklärt werden. Die Sorgestruktur zeigte sich als vielfach gegliedert: Sich-vorweg-schon-sein-in als Sein-bei, wobei das Sich-Vorweg als Sein zum Ende bestimmt wurde, dies kann durch den Ruf der Sorge in die Eigentlichkeit gerufen werden, so dass es als vorlaufende Entschlossenheit ist. Die Vielzahl dieser Strukturmomente wirft aber erneut die Frage nach ihrer Einheit auf.

Traditionell sollte diese stets durch ein Ich oder das Selbst als tragenden Grund gewährleistet werden (Seite 317) Dies zeigt sich im Ich-Sagen: „Das im Ich-sagen Aus- und Angesprochene wird immer als dasselbe sich Durchhaltende angetroffen.“ (Seite 318) Auch Kant knüpft hieran an, wenn er das transzendentale Subjekt mit dem Ich denke zu fassen versucht. Dieses Ich denke hat für ihn jede Erfahrung zu begleiten. Damit entspricht Kants Ich der res cogitans, dem bloßen Bewusstsein als das, welches die Dinge der Anschauung verbindet. Auch bei Kant hat das Ich also zusammenhaltende Funktion (Ich verbinde) (Seite 319) Allein, Kant fällt doch wieder in das Substanzdenken zurück, wenn er das Ich wieder als Subjekt fasst, „denn der ontologische Begriff des Subjekts charakterisiert nicht die Selbstheit des Ich qua Selbst, sondern die Selbigkeit und Beständigkeit eines immer schon Vorhandenen.“ Kant stellt sich nämlich Subjekt und Erfahrung (Empirie) als gleichzeitig miteinander vorhanden vor. Aber das Empirische ist innerweltlich Vorhandenes, das setzt jedoch Welt schon voraus. Weil Kant das Phänomen der Welt nicht sah, isoliert er nun das Ich wieder aufs Subjekt.

Heidegger hingegen versteht unter dem Ich im Ich-Sagen das sich als in-der-Welt-seiend aussprechende Ich: „Das ich meint das Seiende, das man «in-der-Welt-seiend» ist“ (Seite 322) Erst in der Eigentlichkeit erschließt sich jedoch dieses ständig sich durchhaltende als in-der-Welt-seiend. In der Eigentlichkeit ist das Dasein somit selbstständig. Als Gegenmöglichkeit zur Unselbstständigkeit ist das Dasein in der Selbstständigkeit vereinzelt, verschwiegen und entschlossen. Damit aber ist das Selbst nicht etwas Vorhandenes, sondern vielmehr ein Moment der Sorgestruktur. Auch gründet entgegen der Tradition die Sorge nicht auf einem Selbst, sondern sie schließt es nun mit ein (Seite 323).

Zeitlichkeit als Sinn der Sorge

Den Sinn bestimmte die Untersuchung bereits als „das, worin sich Verstehbarkeit von etwas hält, ohne dass es selbst ausdrücklich und thematisch in den Blick kommt. Sinn bedeutet das Woraufhin des primären Entwurfs, aus dem her etwas als das, was es ist, in seiner Möglichkeit begriffen werden kann.“ Wenn die Untersuchung also den Sinn von Sein aufzeigen möchte, so muss sie folglich das Woraufhin des Entwurfs sichtbar machen. Das Entworfene ist das Sein des Daseins. Das Sein des Daseins ist die Sorge. Die Frage nach dem Sinn des Seins eines Seienden macht das Woraufhin des allem Sein von Seiendem zugrundeliegenden Seinsverstehens zum Thema. Damit wird die Frage nach dem Sinn von Sein zur Frage nach dem Sinn der Sorge. Der Seinssinn des Daseins liegt somit auch nicht «außer ihm» als etwas freischwebendes.

Die Sorge beinhaltete als Strukturmoment das Sich-auf-sich-zukommenlassen: hierin liegt das Phänomen der Zukunft. Zukunft ist jedoch nicht etwas, das noch nicht wirklich geworden ist oder das einmal erst sein wird, sondern „die Kunft, in der das Dasein in seinem eigensten Seinkönnen auf sich zukommt“ (Seite 325). Entsprechend bestimmt Heidegger die Gewesenheit als das, wie das Dasein je schon war. Gegenwart ist das Gegenwärtigen als Begegnenlassen von Anwesenden (Seite 326). Gewesenheit, Zukunft und Gegenwart sind jedoch verschränkt, so nämlich, dass die Gewesenheit der Zukunft entspringt, indem die Zukunft die Gegenwart aus sich entlässt. Damit ergibt sich als die volle Bestimmung:

„Dies dergestalt als gewesend-gegenwärtigende Zukunft einheitliche Phänomen nennen wir die Zeitlichkeit“ (Seite 326).

Eigentlich zukünftig wird das Dasein jedoch erst im Vorlaufen. Auch erst mit der Übernahme seiner Geworfenheit kann das Dasein eigentlich gewesen sein. Die eigentliche Erschlossenheit, nannten wir die vorlaufende Entschlossenheit. Vorlaufen ist jedoch nur durch die Zeitlichkeit des Daseins möglich. Vorlaufende Entschlossenheit ist also nur durch die Zeitlichkeit möglich. Zeitlichkeit enthüllt sich somit als der Sinn der eigentlichen Sorge. Da die Entschlossenheit wiederum ein Modus der Sorge war, heißt das aber: erst die Zeitlichkeit ermöglicht die Einheit der Sorge (Seite 327).

Das Sein des Daseins als Sorge Sinn dieses Seins ontologischer Charakter
Sich-vorweg-sein Zukunft Existenzialität
Schon-sein-in-der-Welt Vergangenheit Faktizität
Sein-bei keine Entsprechung Verfallen


Die Sorge läuft nicht in einer linearen Zeit ab, vielmehr ist die Zeitlichkeit verschränkt, sie zeitigt sich (Seite 328). Da die Zeitlichkeit das Außer-sich des Daseins ermöglicht, nennt Heidegger Gewesenheit, Gegenwart und Zukunft auch Ekstasen der Zeitlichkeit. (Ekstase von εξíστασθαι, exhistasthai = aus sich heraus treten, außer sich sein). Die vulgäre Zeitauffassung einer linear ablaufenden Zeit nivelliert somit gerade den ekstatischen Charakter der Zeitlichkeit. Heidegger räumt innerhalb der drei Ekstasen der Zukunft einen Vorrang ein, sie ist das „primäre Phänomen der ursprünglichen und eigentlichen Zeitlichkeit (..)“ (Seite 329). Dieser Vorrang ergibt sich aus dem Sein zum Ende, Dasein existiert endlich: Erst durch die Zukunft und den Tod wird dem Dasein seine Nichtigkeit bewusst und erst dann kann es auch eigentlich sein.

In dem folgenden Kapitel soll nun die existenziale Analyse des Daseins im Hinblick auf die Zeitlichkeit der Sorgestruktur (d. h. Verstehen, Befindlichkeit, Verfallen und Rede) wiederholt werden. Das Selbst als zur Sorge Zugehöriges wird durch die Analyse seines Zeitigungscharakters das Dasein als geschichtlich enthüllen. Ebenso wird die Ausbildung der Zeitrechnung untersucht werden und wie sich hieraus ein Zeitverständnis von in der Zeit seiend entwickelt. Es wird sich zeigen, dass nur Innerweltliches in der Zeit sein kann, was mit dem Titel Innerzeitigkeit gefasst wird.

Viertes Kapitel §§ 67–71

Zeitlichkeit und Alltäglichkeit

Wenn die Zeitlichkeit auch ontologischer Ursprung des Seins des Daseins, also der Sorge ist, dann empfiehlt sich hierzu einen Anmerkung: Den Ontologischer Ursprung freilegen bedeutet laut Heidegger nicht, dass etwa ein einzelnes einfaches Aufbauelement gesucht wird, von dem aus dann sich die „höheren“ Eigenschaften entwickeln lassen. Vielmehr ist „der Ursprung des Seins des Daseins [der Sorge] nicht geringer als das, was ihm entspringt, sondern er überragt es vorgängig an Mächtigkeit“ (Seite 334).

Es sollen nun für Verstehen, Befindlichkeit, Verfallen und Rede deren jeweilige Modi der Zeitigung untersucht werden. Hiermit ist dann der Boden für die Analyse der Zeitigung des In-der-Welt-Seins gegeben, welches wiederum als Grundlage für theoretisches Erkennen und die spezifische Räumlichkeit des Daseins dient (Seite 335).

Verstehen, Befindlichkeit und Verfallen wird jeweils eine primäre Zeitliche Ekstase zukommen, das heißt, diese bestimmt das jeweilige Phänomen grundlegend. Allerdings sind die drei Elemente auch mit den anderen zwei zeitlichen Ekstasen verwoben, das heißt, die Zeitlichkeit zeitigt sich in jeder Ekstase ganz. (Zeitigung ist kein Nacheinander der Ekstasen, sondern „Zeitlichkeit zeitigt sich als gewesend-gegenwärtigende Zukunft“ (Seite 350)). In dieser ekstatischen Einheit der vollen Zeitigung gründet auch die Einheit der Sorgestruktur.

Strukturmoment der Sorge primäre zeitliche Ekstase
Verstehen Zukunft
Befindlichkeit Gewesenheit
Verfallen Gegenwart
Rede ist in sich selbst zeitlich, ihr entspricht keine primäre Ekstase, gleichwohl
hat das Gegenwärtigen bevorzugte konstitutive Funktion
a. Zeitlichkeit des Verstehens

Zukunft ermöglichte erst das entwerfende Sichverstehen. Da jedoch das Dasein meist unentschlossen ist, zeitigt sich die Zeitigkeit nicht aus der eigentlichen Zukunft. Das heißt, unentschlossen ist das Dasein auf die uneigentliche Zukunft bezogen, es ist nur in der Gegenwart beim zu Besorgenden. Es kommt also nicht auf sich zu (als Sein zum Tode) sondern es ist gegenwärtigend als Man und tut das was man betreibt (Seite 337). Die eigentliche Gegenwart hingegen ist für Heidegger der Augenblick, in welcher der Entschluss die Situation (Situation meint das Da, siehe oben) erschließt. Damit zeitigt sich das uneigentliche Verstehen/Entwerfen aus dem Gegenwärtigen, hingegen der Augenblick aus der eigentlichen Zukunft (Seite 338).

Erst durch die Zukunft (das Sein zum Tode) kommt das Dasein auf sich selbst als Vereinzeltes zurück. Erst dann, wenn es so vor sich selbst (vor sein Da) gebracht wurde, kann es sich die Gewesenheit zueigenen als Wiederholung. Hingegen wird das uneigentliche Entwerfen des Daseins erst durch ein Vergessen möglich. Vergessen ist hierbei nicht ein Fehlen von Erinnerung, sondern ein Modus der Gewesenheit: Vergessend ist das Dasein, weil es in seiner Geworfenheit blind bleibt. Damit zeitigt sich das uneigentlichen Verstehen als vergessend-gegenwärtigendes Gegenwärtigen. Für das Verstehen allgemein bleibt trotzdem festzuhalten: Primär vollzieht sich die Zeitigung des Verstehens in der Zukunft (Seite 339).

b. Zeitlichkeit der Befindlichkeit

Die Grundbefindlichkeit der Angst brachte das Dasein vor sein nacktes Dass. Dies ist nur möglich, weil das Dasein gewesen ist. Damit zeitigt sich die Befindlichkeit primär in der Gewesenheit, so allerdings, dass die Gewesenheit die Ekstasen von Zukunft und Gegenwart modifiziert (Seite 340). Dass Befindlichkeit nur auf Grund von Zeitlichkeit möglich ist, soll gezeigt werden, allerdings nicht so, dass aus der Gewesenheit die Befindlichkeit „abgeleitet“ wird. Es soll und kann stattdessen nur deutlich werden, dass ohne Zeitlichkeit Befindlichkeit nicht möglich ist. Dies zu zeigen bedient sich Heidegger abermals der zwei bekannten Phänomene von Furcht und Angst (Seite 341).

Zunächst wäre zu erwarten, dass Furcht sich auf ein zukünftiges Ereignis bezieht. Jedoch zeigt sich bei der Analyse des Phänomens, dass nicht so sehr das zukünftige Wovor der Furcht eine Rolle spielt, sondern der sich Fürchtende. Die Furcht bringt so nämlich das Dasein auf sich zurück, sie wirkt gegenwärtigend. Das Zurückbringen des Daseins auf sich selbst erklärt auch den mit der Furcht einhergehenden Affektcharakter: das Dasein wird in dieser Gedrücktheit verwirrt, so dass es sich an das Besorgen verliert, indem es sich fürchtend von der nächsten zur nächsten Möglichkeit springt. In der Furcht ist das Dasein Selbstvergessen (Seite 342).

Die Analyse der Angst hatte ergeben: das Wovor wie auch das Worum der Angst ist das In-der-Welt-Sein selber. Damit aber kommt das Wovor nicht aus der Zukunft, es ist ja dieses nackte Da des Daseins, das zum Dasein immer „dazugehörige“ In-der-Welt-Sein. In dieser Nacktheit bringt die Angst das Dasein auf seine Geworfenheit zurück, daher die Befindlichkeit der Angst durch die Gewesenheit konstituiert wird (Seite 343). Da die Angst vor die mögliche Übernahme im Entschluss bringt, geht mit ihr keine Verwirrung einher, denn möglich ist nur der Entschluss, nicht aber das Verlieren an Besorgbares. Der Entschlossene kennt keine Furcht und lässt sich nicht durch nichtige Möglichkeiten einnehmen, sondern er ist frei für das Eigentliche (Seite 344).

Auch wenn nicht alle Stimmungen analysiert werden können, so werden sie für Heidegger doch ebenso durch die Gewesenheit fundiert. Beispielsweise bezieht sich die Hoffnung nur vordergründig auf ein zukünftiges Ereignis, allein, der Hoffende bin ja ich. Dieses Für-sich-Erhoffen zeigt sich als entlastendes - wovon jedoch erleichtert wird, ist die Last des Gewesenen. Auch die Gleichgültigkeit zeigt sich als durch die Gewesenheit bestimmt: wenn man alles sein lässt, überlässt man sich auch der Geworfenheit (Seite 345).

c. Zeitlichkeit des Verfallens

Als die primären Ekstasen von Verstehen und Befindlichkeit hatten sich Zukunft bzw. Gewesenheit gezeigt. Dem Verfallen kommt als primäre zeitliche Ekstase die Gegenwart zu. Allerdings handelt es sich um eine spezifische Weise des Gegenwärtigen, die Heidegger beispielhaft an der Neugier verdeutlicht. Neugier sucht nicht das verweilende Verstehen, sondern sie betrachtet die Dinge nur um zu sehen und gesehen zu haben. In diesem ständigen Unverweilen entspringt (springt heraus) die Neugier aus dem Gegenwärtigen, jedoch so, dass es immer wieder im Gegenwärtigen um der Gegenwart Willen landet. Die Neugier sucht ständig das Neue, jedoch nicht weil sie Interesse an der Sache hat, sondern um sich selbst zu fliehen. Das heißt aber auch, dass nicht das Neue (als potentieller Gegenstand für unser Interesse) die Neugier bewirkt, sondern die Art der Zeitigung der Neugier führt selbst, gleichsam zwanghaft, auf das Neue zu. Damit ist das entspringende Gegenwärtige existenzial-zeitliche Bedingung der Möglichkeit der Zerstreuung. Die Aufenthaltslosigkeit stellt somit auch den schärfsten Kontrast zum Augenblick dar: beide Modi der Gegenwart, sucht erstere das Belanglose, letzterer bringt vor das Da des Daseins (Seite 347).

Zwar ist die Gegenwart die primäre zeitliche Extrase des Verfallens, jedoch dies nur, weil die Zeitlichkeit endlich ist. Der Ursprung des Entspringens ist die Zeitlichkeit selbst, die das geworfene Sein zum Tode erst möglich macht: Erst weil das Dasein zum Tode ist, flieht es diese seine Geworfenheit (Seite 348).

d. Zeitlichkeit der Rede

Der Rede kommt keine primäre zeitliche Ekstase zu, wie dies bei Verstehen, Befindlichkeit und Verfallen der Fall ist, gleichwohl hat sie als Bevorzugte das Gegenwärtige. Die Rede ist an sich selbst zeitlich weil sie in der ekstatischen Einheit der Zeitlichkeit gründet: Das worüber die Rede handelt, ist immer verwurzelt im Besorgen. Hier zeigt sich eine gänzlich andere Auffassung der Zeitlichkeit der Rede, als dies bei der Sprachwissenschaft der Fall ist, die doch die Rede immer im Schatten des traditionellen Zeitbegriffs sieht. Laut Heidegger müssen jedoch zunächst die fundamental-ontologischen Grundlagen verstanden werden, da sich ansonsten ein absurdes Verständnis der Rede entwickelt, wie sich an der Auffassung des ist als Kopula zeigt (Seite 349).

Die Zeitlichkeit des In-der-Welt-Seins

Da nun die zeitlichen Ekstasen von Verstehen, Befindlichkeit, Verfallen und Rede besprochen wurden, bleibt noch zu klären, welcher Zusammenhang zwischen Zeitlichkeit und In-der-Welt-Sein besteht. Es wird sich zeigen, dass auch die Gelichtetheit (sihe oben) des Da nur aufgrund der Verwurzelung des Daseins in der Zeitlichkeit möglich ist. So ist vor allem das Phänomen von Welt nur durch die Zeitlichkeit des Daseins möglich (Seite 351). Heidegger möchte im Folgenden klar machen, dass die Zeitlichkeit das primäre ontologische Phänomen ist und nicht aber die vulgäre Zeitauffassung, welche das Dasein und die Welt als in der Zeit seiend vorstellt. Hierzu zeigt er einerseits, wie sich aus dem Besorgen erst das Rechnen mit Zeit ergibt (a), (b), andererseits, dass Welt erst durch die ekstatische Erschlossenheit ist (c).

  • a) Die Zeitlichkeit des Besorgens

Im Umgang mit Zeug hatte sich gezeigt, dass dieses jeweils in eine Zeugganzheit eingebunden ist. Ein einzelnes Zeug ist somit niemals möglich. Zeug hat den Seinscharakter der Bewandtnis, einen Umgang mit Zeug nannten wir Bewendenlassen. Das Bewendenlassen muss als Element der Sorge zeitlich fundiert sein: Ihm entspricht die zeitliche Struktur des Gegenwärtigens. Vergegenwärtigt wird sich das Wozu des Zeug (Seite 353). Das heißt, man ist weder beim Werk noch beim Werkzeug: Das Gegenwärtigen stiftet erst die Einheit dieser zwei Bezüge. Das Gegenwärtigen macht nun auch das spezifische Vergessen verständlich, welches als das «völligem aufgehen in der Sache» bereits erwähnt wurde. Ebenso lässt sich das mit dem Besorgen einhergehende Gegenwärtigen an den Modi des Begegnenlassens (s.o) beobachten, nämlich Auffälligkeit, Aufdringlichkeit und Aufsässigkeit: Erst das Unzuhandene, das defekte Zeug ließ die Bewandtnisganzheit aufdringlich werden. Nur wenn wir uns im gegenwärtigend-behaltenen Gegenwärtigen befinden, kann überhaupt so etwas wie Unzuhandenheit festgestellt werden (Seite 355). Hierbei bleibt selbstverständlich jegliches Verständnis zunächst vorontologisch.

  • b) Theoretisches Entdecken

Die Frage dieses Abschnitts geht auf die Bedingung der Möglichkeit der Wissenschaft. Wissenschaft wird sich als Modus des In-der-Welt-Seins zeigen, so zwar, dass es mit einer spezifischen Sicht einhergeht, bei welcher das Zuhandene als Vorhandenes aufgefasst wird. Meist beschreibt man diesen Umschlagpunkt einfach als Wechsel von der Umsicht zur Hinsicht, von der Praxis zur Theorie. Dies reicht jedoch laut Heidegger nicht aus, zumal Praxis und Theorie sich vielfach durchdringen: Auch die Theorie hat ihre empirische Praxis, und die Praxis hat wiederum ihre spezifische Sicht (Theorie) (Seite 358).

Um den Zusammenhang aufzuklären, nimmt Heidegger seinen Ausgang von der Umsicht. Diese hat die Bewandtnisganzheit immer schon verstanden und wird von einem Worumwillen „geleitet.“ Sie nähert die Dinge in der Weise der Überlegung, in welcher sich das Wenn-So erschließt: wenn dies geschehen soll, so muss jenes gemacht werden. Hier zeigt sich wieder die zeitliche Struktur der Gegenwärtigung. Das Wenn-So kann nur in einem Bewandtniszusammenhang (der Als-Struktur) verstanden werden. Die Als-Struktur basierte auf dem Verstehen, welches wiederum nur durch die Zeitlichkeit des Daseins möglich war. Somit zeigt sich die Als-Struktur als in der Zeitlichkeit fundiert: Nur weil es Zukunft gibt, können wir das im Gegenwärtigen erfasste Wozu der Dinge verstehen (Seite 360).

Was passiert nun, wenn wir zum Beispiel einen Hammer nicht mehr einfach nur benutzen, sondern ihn auf eine Waage legen und sein Gewicht erfassen? Wir sehen hierbei nicht nur bloß von seiner Eingebundenheit in die Zeugganzheit und seinem Sinn ab, sondern es ist eine völliges Umschlagen unseres Seinsverständnisses. So „übersieht“ zum Beispiel die Physik auch noch den Platz, welchen das Zeug in der Gegend hat (siehe oben): Der Platz wird zu Raum-Zeit-Stelle, Umwelt überhaupt wird entschränkt (Seite 361). Was speziell die mathematische Physik damit zeigt, ist dass sie Seiendes nur durch Vorgabe seiner Seinsverfassung (nämlich der mathematischen Beschreibbarkeit) erschließt, sie gibt einen mathematischen Entwurf der Natur. Die Ausarbeitung dieses damit einhergehenden Seinsverständnisses nun macht dann den vollen Begriff dieser Wissenschaft aus. Die Ausarbeitung nennt Heidegger Thematisierung – sie erst objektiviert das Seiende. Damit aber die Thematisierung vollzogen werden kann muss das thematisierte Seiende transzendiert werden – die Möglichkeit hierzu ist Thema des nächsten Abschnitts.

  • c) Die Transzendenz der Welt

Um das zeitliche Problem der Transzendenz der Welt zu klären, muss nach dem Sein der Welt gefragt werden (Seite 364). Die Analyse der Weltlichkeit der Welt hatte ihre Struktur freigelegt: Innerhalb der Bewandtnisganzheit zeigten sich deren Elemente als Um-zu, Wozu, Dazu, Um-willen, deren Verbindung untereinander wir Bedeutsamkeit nannten. Dies ist dem Dasein in seinem Da erschlossen. Die Erschlossenheit des Da wird durch die Sorge konstituiert. Sorge basierte auf Zeitlichkeit. Damit zeigt sich die Zeitlichkeit als Bedingung der Möglichkeit von Welt: Die Welt ist für uns ein Verweisungszusammenhang von Dingen, sie ergeben jedoch nur Sinn und haben einen Nutzen auf der Grundlage von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir Sinn und Nutzen erst wie einen Schleier über die Dinge werfen, sondern sie sind nur so. Bereits vorher stellte die Untersuchung fest: Ohne Dasein gibt es keine Welt. Nun zeigt sich: Auch ohne den Horizont der Zeitlichkeit kann Welt nicht sein. Heidegger beschreibt dies als horizontales Schema: Der Zukunft korrespondiert das Um-willen, der Gewesenheit das Wovor und Warum, der Gegenwart das Um-zu. Innerhalb dieses Schemas ist erst das Phänomen der Welt möglich. Damit ist die Welt aber nicht in der Zeit sondern Welt zeitigt sich (Seite 365).

Die Transzendenz der Welt meint nun, dass Welt ekstatisch (durch die zeitlichen Ekstasen) erschlossen sein muss, damit überhaupt Innerweltliches begegnen kann. Ohne Zeit können wir keinen Umgang mit den Dingen haben. Unser zeitliches Herausragen in die Welt bedeutet aber auch, dass die Welt immer weiter draußen ist als jedes uns unmittelbar gegebene Objekt. Dieses Weiter Draußen macht gerade die Transzendenz der Welt aus: Welt ist nichts Greifbares und doch brauchen wir sie, damit uns in ihr (innerweltlich) Dinge begegnen können (Seite 366). Somit ist die Transzendenz der Welt auch Bedingung der Möglichkeit der wissenschaftlichen Erforschung von Innerweltlichem.

  • Die Zeitlichkeit der daseinsmäßigen Räumlichkeit

Da die Weise des Daseins zu Sein zeitlich ist, so muss sich auch die daseinsmäßige Räumlichkeit als durch die Zeitlichkeit konstituiert erweisen (S. 367). Die daseinsmäßige Räumlichkeit wurde bestimmt als ein Hang des Daseins zur Nähe durch das Ent-Fernen. Die Dinge haben ihren Platz in einer Gegend. Dasein ist damit nicht im Raum vorhanden, sondern es räumt sich ein. Beim Einräumen entdeckt Dasein Gegend, also das Wohin des Zeug. Hierfür muss es jedoch die Bewandtnisbezüge kennen. Da wir im vorigen Abschnitt gesehen haben, dass Bewandtnis nur im Horizont einer ekstatisch erschlossenen Welt möglich ist, zeigt sich somit auch die Räumlichkeit des Daseins als durch die Zeitlichkeit fundiert: Das Nähern und Ent-Fernen der Dinge, das Entdecken von Gegend geschieht durch ein Gegenwärtigen. Im Gegenwärtigen ist erst ein sich Ausrichten auf das Dorthin und Hierher der Dinge möglich. Damit ist aber die Welt nicht im Raum vorhanden, sondern dieser lässt sich nur innerhalb einer Welt entdecken (Seite 369).

'Der zeitliche Sinn der Alltäglichkeit

Es wurde nun die Zeitlichkeit der Alltäglichkeit besprochen, ihr zeitlicher Sinn blieb jedoch noch im Dunkeln. Alltäglichkeit meinte eine bestimmte Seinsart, also ein Wie der Existenz. In diesem Zusammenhang wurden auch die Ausdrücke „zunächst und zumeist“ gebraucht, dabei meinte „zunächst“ die Weise des Daseins, in welcher es uns geläufig und bekannt ist, während „zumeist“ sich darauf bezog, wie sich uns das Dasein in der Regel zeigt. Alltäglichkeit ist für Heidegger nicht ein bloßer Aspekt, sondern eine weise zu sein (Seite 371). Wenn wir einmal sagen, dass unsere alltägliche Weise zu sein von unserer Einstellung zur und unseren Vorstellungen über die Welt abhängt, dann bedeutet dies soviel wie dass wir sind was wir denken. Wir sind also nicht schon immer, quasi „kraft Geburt“, eigentlich oder un-alltäglich, aber wir können andere Menschen sein (Wie dies möglich ist, entwickelt Heidegger in den ersten drei Kapiteln des zweiten Abschnitts). Um nun den zeitlichen Sinn der Alltäglichkeit aufzuklären, muss jedoch zuvor eine Idee des Sinns von Sein überhaupt gewonnen werden, erst auf dieser Grundlage lässt sich das Problem angemessen in den Blick bringen.

Fünftes Kapitel §§ 72-77

Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit

Um die Frage nach dem Sinn von Sein zu beantworten, muss das Phänomen umgrenzt werden, in dem selbst so etwas wie Sein zugänglich wird, also das Seinsverständnis. Um es ganz in den Blick zu bringen, muss zuvor die Seinsverfassung des Daseins gänzlich geklärt werden (Seite 372). Zwar wurde es in Hinblick auf seine Ganzheit als Sein zum Tode bestimmt, jedoch ist diese Bestimmung gewissermaßen einseitig, da sie das Daseins nicht in die andere Richtung - hin zu seiner Geburt - verfolgt. Das Dasein ist gewissermaßen das Zwischen Geburt und Tod, jedoch bleibt die Frage wie es sich dazwischen erstreckt: Wie also ist der Zusammenhang des Lebens möglich? Eine bloße Abfolge von Erlebnissen kann es nicht sein, denn dann wäre immer nur ein Augenblick wirklich, ohne dass diese miteinander in Verbindung stünden. Ein solches Verständnis impliziert nur wieder eine Auffassung des Daseins als Vorhandenes (Seite 373). Vielmehr aber erstreckt sich Daseins selbst zwischen Geburt und Tod: Beide sind solange Dasein ist und da das Sein des Daseins als Sorge bestimmt wurde, diese aber in der Zeitlichkeit gründet, sind auch Geburt und Tod nur durch die Zeitlichkeit des Daseins möglich. Dieses Sich-Erstrecken des Daseins nennt Heidegger das Geschehen. Es wird sich als wesentlich für die Geschichtlichkeit des Daseins erweisen (Seite 375). Geschichtlichkeit ist jedoch nicht die Historie als Wissenschaft von der Geschichte. Ihre Aufhellung soll sich im Folgenden dadurch vollziehen, dass zunächst der vulgäre Begriff von Geschichte geklärt wird, anschließend soll ihre Verwurzelung in der Zeitlichkeit aufgewiesen werden. Abschließend wird die Herkunft der Wissenschaft von der Geschichte aus der Geschichtlichkeit gezeigt (Seite 376).

Das vulgäre Geschichtsverständnis

Zunächst wollen wir Geschichte nur als das auffassen, was geschehen ist und den Bezug des Worts auf die Wissenschaft der Geschichte außer Acht lassen. Der Begriff tritt dann in verschiedenen Verwendungen auf. Geschichte ist dann:

  • Bezug auf Seiendes, das vergangen ist
  • als Herkunft im Sinne von Geschichte haben
  • als das was den Menschen betrifft und sich in der Zeit wandelt (als Gegensatz zu Naturabläufen in der Zeit)
  • als das, was überliefert wird

Es bleibt dann aber die Frage, ob das Dasein geschichtlich ist oder erst durch Eintreten in besondere Umstände geschichtlich wird (Seite 379). Ebenso bleibt das offensichtliche Primat der Vergangenheit zu untersuchen. Da das Dasein zeitlich ist, soll an diesem letzten Punkt angesetzt werden, mit der Frage: was heißt vergangen?

Als erläuterndes Beispiel wählt Heidegger die museale Präsentation von alten Gebrauchsgegenständen (Zeug). Diese sind sicherlich von geschichtlicher Bedeutung, jedoch sind sie nicht vergangen. Offensichtlich haben sie sich in irgendeiner Form verändert. Was sich jedoch genau verändert hat, das ist die Welt, in welche sie eingebunden waren, genauer: die Welt in welcher sie zum Zeugzusammenhang gehörten ist vergangen. Welt aber ist nur, solange Dasein ist. Dasein kann also nicht vergehen, wir sagen es ist da-gewesen. Damit ergibt sich für den Geschichtscharakter der alten Gebrauchsgegenstände: „Die noch vorhandenen Altertümer haben einen Vergangenheits- und Geschichtscharakter auf Grund ihrer zeughaften Zugehörigkeit zu und Herkunft aus einer gewesenen Welt eines da-gewesenen Daseins. Dies ist das primär Geschichtliche“ (Seite 380 unten). Sekundär geschichtlich ist also das innerweltlich Begegnende. Heidegger nennt es das Welt-Geschichtliche in bewusster Anspielung auf Weltgeschichte (Seite 381), deren Herkunft er in § 75 aus der Orientierung am Innerweltlichen zeigt.

Die Grundverfassung der Geschichtlichkeit

Es gilt zu zeigen, dass Geschichte nur auf dem Grund von Geschichtlichkeit möglich ist. Da das Dasein zeitlich ist, wird das Problem im Zusammenhang mit der Zeitlichkeit betrachtet werden müssen. Heidegger nimmt hierbei seinen Ausgang von der eigentlichen Zeitlichkeit und entwirft eine Vorstellung von eigentlicher und uneigentlicher Geschichtlichkeit. Im darauffolgenden Paragraphen 76 wird er diese auf die Wissenschaft von der Geschichte beziehen und kommt so zu einer Auffassung von eigentlicher und uneigentlicher Historie.

Wenn das Dasein seine Eigentlichkeit in der vorlaufenden Entschlossenheit gewinnt, und sich im Entwurf auf sein eigenstes Seinkönnen hin entwirft, dann bleibt die Frage, woher es überhaupt die Möglichkeiten schöpfen kann, auf die es sich entwirft. Heidegger antwortet: „Die Entschlossenheit, in der das Dasein auf sein Selbst zurückkommt, erschließt die jeweiligen faktischen Möglichkeiten eigentlichen Existierens aus dem Erbe, das sie als geworfene übernimmt“ (Seite 383) Damit konstituiert sich in der Entschlossenheit das Überliefern des Erbes. Nur so aber kann das Dasein den nichtigen Dingen entgehen und kommt in die Einfachheit seines Schicksals. Da Dasein immer mit Mitsein einhergeht, gibt es ein Mitgeschehen mit anderen. Dies ist das Geschehen einer Gemeinschaft, eines Volkes, welches Heidegger als das Geschick bezeichnet (Seite 384).

Schicksal ist für Heidegger das eigentliche Geschehen, indem sich das Dasein an eine ererbte Möglichkeit überliefert. Nur aber wenn das Dasein zukünftig ist, zum Tode ist, dann ist es in der eigentlichen Zeitlichkeit. Und nur so ist auch eigentliche Geschichtlichkeit möglich (Seite 385). Dasein entwirft sich dann in der Wiederholung auf eine Daseinsmöglichkeit einer da-gewesenen Existenz: Das Dasein wählt sich seine Helden. Dabei soll es nicht bloß nachmachen, was bereits jemand getan, sondern es erwidert die dagewesene Existenz. Damit überlässt sich die Wiederholung weder dem Vergangenen, noch zielt sie auf einen Fortschritt (Seite 386). Mit dieser Nachfolge geht eine Treue zum Wiederholbaren einher und doch liegt ihre Bestimmung in der Zukunft, auf die hin sich das Dasein entwirft. Insgesamt ist damit klar geworden, dass nur auf dem Grund der Zeitlichkeit des Daseins Geschichtlichkeit möglich ist, der Ekstase der Zukunft kommt dabei die Bedeutung zu, dass sie das Dasein im Sein zum Tode erst eigentlich geschichtlich werden lässt.

Weltgeschichte

Wenn immer noch die Frage offen ist, wie das Dasein zwischen Geburt und Tod zusammenhängt und wie es überhaupt mit der Geschichte zusammenhängt, dann muss man der Vermutung nachgehen, ob diese Frage nicht in einem falschen Verständnis von Geschichtlichkeit, in der uneigentlichen Geschichtlichkeit gründet (Seite 387).

Der Lebenszusammenhang ließe sich zwar durch das alltägliche Besorgen im Handel und Wandel beschreiben, aber damit wären wieder eine Subjekt-Objekt-Beziehung gedacht, deren Verkettung zwischen Subjekt und Objekt unbestimmt bliebe. Für Heidegger ist das Geschehen der Geschichte das Geschehen des In-der-Welt-Seins. Somit geschieht auch immer schon Geschichte, solange nur Dasein ist. Auch das Innerweltliche ist stets schon mitgemeint, da dem Dasein immer schon Innerweltliches begegnet. Wir haben dieses Innerweltliche das Welt-Geschichtliche genannt. Hiermit ist zweierlei gemeint: das Geschehen von Welt, sowie das innerweltliche Geschehen von Vor- und Zuhandenem. (Wird zum Beispiel ein Ehering weitergegeben, dann geschieht dabei sehr viel mehr, als bloß eine Ortsverschiebung des vorhandenen Dings) (Seite 389).

Weltgeschichtliches ist somit je schon da, wird aber durch das verfallene Dasein fälschlich als Ankommendes, Anwesendes und Verschwindendes aufgefasst. Aus diesem errechnet es dann seine Geschichte und nur so erst ergibt sich die falsche Frage nach dem Zusammenhang von Dasein und Geschichte.

Im Gegensatz zur Zerstreuung in der Uneigentlichkeit, wird die eigentliche Geschichtlichkeit durch Selbstständigkeit, Schicksalhaftigkeit, Entschlossenheit und Wiederholung bestimmt. Die Treue der Existenz gilt dem eigensten Selbst, ihre einzige Autorität ist die wiederholbare Möglichkeit. Damit geht eine Ehrfurcht vor der wiederholbaren Möglichkeit einher. Das Man hingegen weicht der Wahl aus, versteht die Vergangenheit immer nur aus der Gegenwart, indem es ihr seine Interpretation aufzwingt. Die uneigentliche Existenz sucht das Moderne, hingegen die eigentliche Geschichtlichkeit die Geschichte als Wiederkehr der Möglichkeiten versteht (Seite 391).

Der Ursprung der Historie

Da das Dasein immer geschichtlich ist, bleibt auch das Betreiben von Wissenschaft allgemein in der Geschichte verwurzelt. Vorzüglich gilt dies aber für die Wissenschaft der Geschichte, die Historie. Die Erschließung von Geschichte ist also geschichtlich verwurzelt. Damit stammt auch die Idee der Historie (also das, was diese Wissenschaft sein soll) aus der Geschichtlichkeit des Daseins. Die Idee ist die Erschließung des Seienden, sie wird in der Thematisierung (siehe oben unter b.) konkretisiert und auf eine Region begrenzt, hier: das Vergangene. Damit dies überhaupt zugänglich werden kann, muss es in irgendeiner Form immer schon erschlossen sein, was nichts anderes heißt, als dass das Dasein geschichtlich sein muss, um seine Vergangenheit zu erschließen (Seite 393).

Was heißt dann aber eigentliche Historie? Eigentliche Historie hat das Mögliche zum Thema. Weder also das Einmalige (bloß Empirische) noch das Allgemeine (Abstrahierte) ist ihr Thema. Sie schöpft aus der Kraft der Möglichkeit, als etwas, das sich in der Wiederholung wiedererwecken lässt. Somit ist auch die Auswahl der Wiederholung durch das Zukünftige bestimmt. Sie ist sozusagen gelebte Historie. Nur so aber ist sie einzig objektiv, wenn sie für uns von Bedeutung ist. Und nur deshalb erst können ihr einzelne Tatsachen wichtig werden und nur daher macht es Sinn, dass sie sich in verschiedene Unterdisziplinen aufspaltet (Seite 395). Forschung kann dann sehr unterschiedlich aussehen und nicht jeder der viel weiß, ist schon eigentlich geschichtlich. Umgedreht kann jemand, der nur Quellen editiert, eigentlich geschichtlich sein. Auch der Historismus kann ebenso ein Zeichen dafür sein, dass die Historie das Dasein von seiner eigentlichen Geschichtlichkeit zu entfremden trachtet. Heidegger knüpft hier an Nietzsche an, welcher die Historie in der zweiten Unzeitgemäßen (Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben) dreifach unterteilt hatte in monumentalische, antiquarische und kritische Historie. Die eigentliche Historie findet ihre Entsprechung in der Einheit dieser drei, so dass sie in der entschlossenen Wiederholung monumentalisch ist, sie durch das Monumentalische das Dagewesene verehrt, also antiquarisch ist und letztlich diese beiden sie zur Kritik an der Gegenwart bemächtigen (Seite 397).

Geschichte bei Dilthey und dem Grafen von Yorck

In § 77 geht Heidegger auf die Geschichtsvorstellung Diltheys und des Grafen von Yorck ein, von welchen er grundlegende Anregungen für seine fundamental-ontologische Analyse der Geschichtlichkeit erhalten hat. Diltheys Forschungsarbeit teilt Heidegger in drei Bereiche: 1) Eine Theorie der Geisteswissenschaften in Abgrenzung zu den Naturwissenschaften 2) Forschungen über Gesellschaft und Staat 3) Entwicklung einer Psychologie, welche die ganze Tatsache Mensch berücksichtigt (Seite 398). Ziel war es sonach für Dilthey, den Menschen und sein Leben zu verstehen, wie sie sind, Mittel hierzu waren die Hermeneutik, die Selbstbesinnung und die Analyse. In enger Freundschaft mit dem Grafen von Yorck fand ein Teil dieser Auseinandersetzung im Briefwechsel der beiden statt. Yorck korrigiert hier Dilthey, indem er die „generische Differenz zwischen Ontischem und Historischem“ betont. Damit meint er, dass die bisherige Geschichtswissenschaft sich zu sehr an die Gestalt klammert, die Dinge nur der Form nach behandelt, aber nicht in sie eindringt. Sie kennt keine Charaktere (Seite 400). Sie klebt an der Form, weil sie sich zu sehr an die Methoden der Naturwissenschaften anlehnt. Allein, so Yorck, diese Sicht der Dinge ist auch wieder ein historisches Produkt, sie führt zu Entfremdung des Menschen von sich selbst. Daher fordert er mehr Kritik in der Historie, da Kritik allein Lebendigkeit sicherstelle. Yorck: „Geschichte ist nicht [ontisch], sondern sie lebt [historisch]“ (Seite 401). Erst die Selbstbesinnung lässt einen sich historisch bestimmt finden und so kann auch die Philosophie nicht von der Geschichte abstrahieren.

Praktische Abzweckung dieses Begriffs von Historie ist die Pädagogik, aber nicht in krampfhafter Form einer Ethik als Wissenschaft, sondern es soll ein neues, wahres Verstehen geschaffen werden, welches sich aus einem Erleben erhebt. Erlebtes kann aber nicht ohne weiteres versprachlicht werden, daher hat die Philosophie mit Recht ihre eigene Sprache, mit der sie versucht, das Erlebte exoterisch darzustellen. Ein solch neues Verständnis von Geschichte ist das Ziel der Lebensphilosophie (Seite 403).

Sechstes Kapitel §§ 78-83

Ursprung des vulgären Zeitbegriffs

Was noch aussteht ist eine Analyse der Zeit (nicht Zeitlichkeit), dies vor allem deshalb, weil wir täglich mit ihr rechnen, weil sie Grundlage für die Wissenschaften von Geschichte und Natur ist (Seite 404). Die Zeit wird sich hierbei als ein besonderer Umgang des Daseins mit der Zeitlichkeit erweisen. Zu zeigen ist der Ursprung der Zeit aus der Zeitlichkeit des Daseins. Da hierbei gewisse Parallelen zu Hegel deutlich werden, wird auf dessen Zeitbegriff gesondert eingegangen – auch um den Heideggerischen besser hiervon abzugrenzen (Seite 405).

Das Besorgen von Zeit

Der besorgende Umgang mit der Welt gründet in der Zeitlichkeit des Daseins. Dies spricht sich aus, so z. B. im dann – soll das geschehen, zuvor – jenes, jetzt dieses und so weiter. Die Bezugsstruktur dahinter nennt Heidegger Datierbarkeit. Es muss der Frage nachgegangen werden, worin Datierbarkeit gründet und auf was sie sich bezieht (Zeitpunkte?). Offensichtlich, so Heidegger, ist Datierbarkeit nur möglich, weil das Dasein sich in der Aussprache des jetzt, dann und zuvor immer schon selbst mit ausspricht. Das heißt, in der Aussprache der Datierbarkeit findet eine Selbstauslegung des Daseins statt. Diese ist möglich, weil die Welt dem Dasein immer schon erschlossen ist und weil die Zeitlichkeit des Daseins das Da lichtet. Damit ist die Datierbarkeit der Widerschein der Zeitlichkeit des Daseins, denn die Struktur der Datierbarkeit bildet die ekstatische Zeitlichkeit des Daseins ab (Seite 408). Im Datieren fassen wir die Zeit außerdem als gespannte auf, als Zeitspanne. Die erlebte Zeit ist kein bloßer Fluss von Jetzt-Punkten, sondern bestimmt sich aus dem Besorgten. Dabei verliert der Unentschlossene seine Zeit an das Besorgte, hingegen kann der Entschlossene keine Zeit verliehren, weil er sich im Augenblick hält. Im alltäglichen Besorgen hat die Zeit den Charakter der Öffentlichkeit (Seite 411).

Öffentliche Zeit

Wenn man sich nach der öffentlichen (ausgesprochenen) Zeit richtet, so muss diese offensichtlich in irgendeiner Form vorfindlich sein. Die Veröffentlichung der Zeit geschieht vor allem in der Zeitrechnung. Dabei muss Zeitrechnung noch nicht eine Quantifizierung von Zeit beinhalten. Die Geworfenheit des Daseins ist der Grund dafür, dass es als Verfallenes öffentliche Zeit ausbildet. So versteht sich das Daseins als Verfallenes zunächst aus der Welt. Im täglichen Besorgen ist der Wechsel von Tag und Nacht die erste zeitliche Orientierung für das Dasein (Seite 412). Es ergibt sich das erste Zeitmaß, der Tag. Dieser kann weiter unterteilt werden, je nach Sonnenstand. Es ergeben sich dann Zeitangaben, welche für jedermann zugänglich sind, ein Zeitmaß. Im Maß liegt schon die Idee der Messung und somit eines Zeitmessers, der Uhr. Die Entdeckbarkeit des Zeitmaßes und seine Notwendigkeit für das Besorgen gründen in der Zeitlichkeit des Daseins (Seite 413).

Bei genauerer Analyse der öffentlichen Zeit zeigt sich: diese beinhaltet stets eine gewisse Ausgelegtheit. Sie implizierte eine Wenn-Dann-Struktur, das heißt, wenn es soviel Uhr ist, dann ist es günstig oder ungünstig dieses oder jenes zu tun. Damit spiegelt die Wenn-Dann-Beziehung die Bedeutsamkeit der Welt wieder und somit die Weltlichkeit der Welt. Deshalb gibt Heidegger der öffentlichen Zeit, der besorgten Zeit den Titel Weltzeit. Die Weltzeit geht somit nicht aus einem verdinglichten Zeitverständnis hervor, sondern da sie mit der Weltlichkeit der Welt verwoben ist gehört sie zur Welt (Seite 414).

Was bedeutet es in diesem Zusammenhang, die Zeit abzulesen? Offensichtlich gibt es verschiedene Stufen, in welchen die Zeitmessung verfeinert werden kann. Vom Tag über die Tageszeit gibt es verschiedene Methoden der Erfassung: Heidegger nennt die Bauern- und die Sonnenuhr. Allerdings findet sich nirgends auf der Sonnenuhr die Zeit: weder im Schatten noch zwischen den eingeteilten Bahnen. Das Zeitablesen, die Datierung, lässt sich somit nur als Gegenwärtigen eines Vorhandenen bestimmen; es ist wesenhaft ein Jetzt-Sagen, wobei dieses Jetzt schon durch die Zeitlichkeit des Daseins verstanden und ausgelegt ist (Seite 416). Zeit gibt es immer nur im Bezug zu uns, die wir wesenhaft zeitlich sind, wir entdecken sie nicht erst in der Welt als von uns unabhängig, wohl aber messen wir sie mit in der Welt Vorhandenem, dies so, dass wir im Messen erfassen, wie oft ein Maßstab in eine vorgegebene Strecke passt (wie oft er anwesend ist). Da, wie weiter oben gezeigt, der Raum erst durch die Zeitlichkeit konstitiuiert wird, findet sich auch die besorgte Zeit nicht in ihm, wohl aber muss sie als öffentliche in ihm bei Gegenwärtigen eines Vorhandenem (z. B. einer Uhr) vorfindlich werden. Somit ist außerdem gezeigt, dass die Zeitmessung nicht auf Raumstrecken basiert (wie Bergson glaubt), sondern diese nur benutzt als Ausprägung der Zeitlichkeit des Daseins (Seite 418).

Zur Frage ob die Zeit nun subjektiv oder objektiv sei, ist zu sagen: sie ist nicht objektiv in dem Sinne, dass sie an sich vorhanden wäre. Auch ist sie nicht subjektiv im Sinne eines Kantischen Subjekts. Sie ist jedoch objektiv als Bedingung der Möglichkeit von Welt überhaupt, ebenso ist sie subjektiv in dem Sinne, dass sie das Sein als Sorge und damit das Selbst erst möglich macht (Seite 419).

Genesis des vulgären Zeitbegriffs

Wie gezeigt wurde, richtet sich das alltägliche Besorgen nach der Zeit. Dies tut es, indem es mit der Zeit rechnet: die Uhr ist der Zeitrechner und im Gegenwärtigen des Zeigers zählt das Dasein die Zeit. Dabei besteht dieses Zählen im Jetzt-Sagen, welches sich zugleich für den Horizont des Früheren und Späteren (des kommenden und gehenden Jetzt) offen hält. Zeit wird somit zum Gezählten. Diese Definition entspricht der des Aristoteles: „Das nämlich ist die Zeit, das Gezählte an der im Horizont des Früher und Später begegnenden Bewegung“ (Seite 421). Allerdings wurde für Aristoteles der Ursprung der Zeit (also die Zeitlichkeit) nicht zum Problem.

Was sich im Zählen zeigt, ist ein Verständnis der Zeit als bloßes Jetzt, weshalb Heidegger die gezählte Zeit die Jetzt-Zeit nennt. In ihr zeigt sich eine Zeitauffassung, welche die Zeit als Fluss von vorhandenen Jetzt-Punkten auffasst. Damit aber fehlt der Weltzeit die ihr wesentliche Struktur von Datierbarkeit und Bedeutsamkeit: Ihre ekstatisch-horizontale Struktur wird nivelliert (Seite 422). Wenn dem Verstehen ein solch nivillierter und nackter Zeitbegriff zu Grunde liegt, dann werden hierdurch auch andere Phänomene wie Welt, Bedeutsamkeit und Datierbarkeit verdeckt werden. Zusätzlich bekommt die Zeit die Eigenschaften des Vorhandenen: Die Jetzt-Punkte lassen sich in immer kleinere Abschnitte teilen - dies unendlich oft - und es stellt sich die Frage nach der Kontinuität der Zeit, wenn erst einmal ihre Gespanntheit verdeckt wurde. Zeit wird zur Jetzt-Folge ohne Anfang und Ende (es lässt sich immer noch ein Jetzt mehr hinzu denken). Durch diesen Charakter eines an sich vohandenen Jetzt-Ablaufs entsteht der Gedanke einer unendlichen Zeit. Grund für diese Nivellierung sieht Heidegger in der Flucht vor dem Sein zum Tode, wodurch von der Ekstase der Zukunft abgesehen wird, und so auch von der eigentlichen Zeitlichkeit insgesamt (Seite 424). Dies schlägt sich im Gerede nieder: Man hat bis zum Ende noch Zeit, welche man sich nehmen kann und wenn man tot ist, so wird die Zeit auch ohne einen weiter gehen.

Heidegger räumt der vulgären Zeit allerdings ein gewisses Recht ein, da sie uns im alltäglichen Umgang geläufig ist. Allein, sie darf nicht beanspruchen der wahre Zeitbegriff zu sein. Die vulgäre Zeit ist erst aus der Zeitlichkeit entsprungen, daher die Zeitlichkeit ursprünglicher ist (Seite 426). Das bedeutet aber auch, dass sich die Begriffe der vulgären Zeit und der Zeitlichkeit nicht decken: Das Jetzt und der Augenblick, die vulgäre und die ekstatische Zukunft, die Vergangenheit und die Gewesenheit sind grundsätzlich verschiedene Formen des Zeitverständnisses.

Abgrenzung zu Hegel

Zum besseren Verständnis des Zeitphänomens gibt Heidegger noch eine Abgrenzung zum Zeitverständnis Hegels. Für Hegel ist der Geist in der Zeit, jedoch stellt sich die Frage, was ihm ermöglicht in die Zeit zu fallen.

  • Hegels Begriff der Zeit

Seinen Zeitbegriff entwickelt Hegel in der Enzyklopädie der Philosophischen Wissenschaften unter dem Abschnitt Philosophie der Natur (Seite 429). Hegel stellt zunächst Raum und Zeit nebeneinander, um anschließend zu zeigen, dass der Raum sich, richtig gedacht, als Zeit enthüllt. Raum ist für Hegel die Vielheit der Punkte. Die bloße Anschauung eines Punktes erfasst jedoch noch nicht das Sein des Raumes, dies erst wenn er durch das Denken, also durch These, Antithese hindurch gegangen und in der Synthese aufgehoben ist. Erst aber in der Negation der Negation setzt sich der Punkt dann für sich, in Abgrenzung (Außersichsein) zu anderen Punkten. Dies ist dann die Zeit: „Weil sonach das reine Denken der Punktualität , das heißt des Raumes, je das Jetzt und das Außersichsein der Jetzt denkt, ist der Raum die Zeit“ (Seite 430). Zeit ist dann das angeschaute Werden, welches sich aus der Jetzt-Folge darbietet. Damit wird Zeit wieder aus dem Jetzt verstanden, es handelt sich also auch hier um eine nivellierte Zeit ohne einen ekstatischen Horizont. Hegel sagt: „Das Jetzt hat ein ungeheures Recht, - es ‚ist‘ nichts als das einzelne Jetzt (..)“ (Seite 431). Es wird sich zeigen, dass Hegel diesen vulgären Zeitbegriff benötigt, um den Zusammenhang von Geist und Zeit herzustellen.

  • Der Zusammenhang von Geist und Zeit bei Hegel

Das Wesen des Geistes ist der Begriff, das heißt, das sich Begreifen als Erfassen des Nicht-Ich (die Negation der Negation) (Seite 433). Die dem Geist innewohnende Unruhe bewirkt ein Prinzip der Ausschließung, aber auch der Überwindung. Dieser Fortschritt hat das Ziel, seinen eigenen Begriff zu erreichen. Die Unruhe fällt allerdings in die Zeit: Das Ausschließen meint ein Nicht-Sein als das was jetzt nicht mehr ist, zumindest so lange, bis der Geist sich erfasst, also die Zeit tilgt. Damit sind zwar Zeit und Geist einerseits ähnlich (als Negation der Negation), weil aber die Zeit nivellierte Weltzeit ist, steht der Geist ihr auch gegenüber – damit sie zusammenkommen, muss er in sie fallen (Seite 435).

  • Schlusswort (§ 83)

Heidegger sieht seine Untersuchung nicht als die letzte Antwort auf alle gestellten Fragen, sondern als eine erste Annäherung. Für ihn bleibt vor allem das weitere Fragen wichtig. Sein und Zeit stellt einen Teil des Weges dar. Ziel bleibt die Ausarbeitung der Seinsfrage überhaupt.

Wirkung

Das Buch war in philosophischen Kreisen eine Sensation und machte Heidegger schlagartig berühmt, weil es eine neue Sicht auf den Menschen zu eröffnen schien. Die Verwendung von Heideggers eigenwilliger Sprache (siehe unten) wurde kurzzeitig Mode. Eine mögliche politische Interpretation einiger Tendenzen des Buches ließ Heidegger als einen Vertreter der Konservativen Revolution erscheinen.

Der Existenzialismus, insbesondere Jean-Paul Sartre, sah sich in direkter Nachfolge des Werks. Heidegger hat die „existenzialistische Interpretation“ abgelehnt; dass der Existenzialismus aber grundlegende Thesen aus diesem Buch übernommen hat, kann kaum bezweifelt werden.

Wirkungsgeschichtlich bedeutsam war auch Heideggers im Buch angeschnittener Versuch, die Geschichtswissenschaft neu zu begründen, sowie sein Hinweis auf den hermeneutischen Zirkel: Das Dasein hat immer schon ein gewisses Vorverständnis von sich, dem Sein und dem Seienden; es kann nicht bei Null anfangen. Heideggers Schüler, Hans-Georg Gadamer, baute darauf seine Hermeneutik auf. Weitere von Sein und Zeit angeregte Philosophen sind etwa Karl Jaspers und Karl Löwith.

Kritik

  • Sprache und Verständlichkeit

Verschiedene Kritiker machen Heidegger die schlechte Verständlichkeit des Werks zum Vorwurf. Einige meinen, das Werk sage im ganzen recht wenig, jedenfalls wenig Neues, und verschleiere dies mit vielen Worten. Der erste Kritiker der Sprache Heideggers war Walter Benjamin, der schon 1914 den Gebrauch von Neologismen in der Philosophie abgelehnt hatte. Adorno kritisierte viel später, aber daran anschließend, den „Jargon der Eigentlichkeit“, wie er Heideggers Stil nannte. Begriffe der Umgangssprache würden hier suggestiv umgedeutet, um eine bestimmte Art des Denkens zu popularisieren (vgl. hierzu oben die Verwendung von Sorge). Die scharfe Abgrenzung Adornos gegenüber Heidegger ist insofern bemerkenswert, als beide Denker inhaltlich viele Berührungspunkte aufweisen und auch Adornos Sprache aufgrund ihrer Eigentümlichkeiten oft kritisiert worden ist.

  • Fehlen einer expliziten Ethik und Benutzung implizit wertender Begriffe

Gegenstand dauernder Auseinandersetzung ist die Frage, ob sich in der frühen Philosophie Heideggers, deren Hauptstück Sein und Zeit ist, Tendenzen zeigen, die in Zusammenhang mit seinem späteren Engagement für den Nationalsozialismus stehen. Auffällig ist hier zunächst das Fehlen jeglicher Ethik in dem Buch. Auf den zweiten Blick ist jedoch bemerkbar, dass eine Reihe von Passagen sich auch gut im Rahmen des Gedankenkreises, der in den 20er-Jahren als Konservative Revolution Einfluss erlangte, lesen lassen. In seinem Zurückgehen auf „Ursprüngliches“, bei dem er oft Metaphern aus dem bäuerlichen Leben benutzt, sei Heideggers Konservativismus erkennbar. Zwar betont Heidegger immer wieder, dass seine Sätze und Begriffe nicht wertend gemeint seien; aber es fällt leicht, Teile des Werks – Passagen gegen die „Verfallenheit“ an das „Man“, gegen das „Gerede“ des „Alltäglichen“ und die Aufrufe zur „Eigentlichkeit“ im Gegensatz zum „uneigentlichen“ Alltag - auch politisch und im Kontext der Kritik an der Moderne, der Anonymität in der Massengesellschaft und an der liberalen Demokratie zu lesen. Dies wurde dann auch getan.

  • Verwendung traditionell negativ besetzter Begriffe

Weitere Kritik richtete sich gegen Heideggers Vorliebe für im klassischen Sinn negativ besetzte Begriffe wie Tod, Sorge, Angst. Im ganzen Buch kommen Bereiche wie Liebe, Lust oder Freude so gut wie nicht vor. Kritiker nannten Heidegger polemisch einen „Todesphilosophen“, Heideggers Schülerin Hannah Arendt entwarf eine Philosophie der „Gebürtlichkeit“ im Gegensatz zu Heideggers „Todesphilosophie“.

  • Die Frage nach dem Sein als Ausdruck eines problematischen Umgangs mit Sprache
  • Die Kritik Ernst Tugendhats
  • Die Fragwürdigkeit der „Methode“ des Aufweisens; Kritik am phänomenologischen Zugriff
  • Kritik aus phänomenologischer Sicht

Auch Husserl begegnete dem Werk von Anfang an mit einer gewissen Skepsis. Er sah darin eine „anthropologische Regionalontologie“ und vermisste die Linientreue zu seiner Methode, „zu den Sachen selbst“ zurückzukommen. Später kritisierte auch er die zentrale Rolle, die der Tod bei Heidegger spiele. Husserl hielt Heideggers Denkansatz für inkompatibel mit der phänomenologischen Methode; insbesondere seine Phänomenologie der Lebenswelt unterscheidet sich erheblich von Heideggers Konzept des „In-der-Welt-Seins“, es ist konkreter und leiblicher, auch sozusagen soziologischer im Bemühen, die „Klippe des Solipsismus“ (Sartre) zu umschiffen - während Heidegger aufs vereinzelt Geistige, „Wesentliche“ abhebt. Maurice Merleau-Ponty folgte in dieser Hinsicht dem Husserlschen Modell. Sartre pendelt in dieser Hinsicht zwischen beiden.

  • Heideggers eigene Abkehr von Sein und Zeit

Heidegger selbst wandte sich Mitte der 30er-Jahre mit der „Kehre“ von seiner bisherigen Philosophie ab. Zwar war die Seinsfrage weiterhin sein größtes und einziges Interesse, er hielt aber den Zugang über das Dasein, den er in Sein und Zeit gewählt hatte, für verfehlt. Insofern könnte man Heideggers „Denk-Weg“ als Selbstkritik auffassen. Andererseits konnte man ihn noch im hohen Alter vor seiner Hütte in Todtnauberg antreffen, Sein und Zeit lesend – weil dies doch etwas „Vernünftiges“ sei.

Historisches

Die ersten Auflagen von Sein und Zeit enthielten eine Widmung Heideggers an seinen Lehrer Edmund Husserl, der jüdischer Abstammung war. In der fünften Auflage von 1941 fehlte diese Widmung; Heidegger zufolge geschah dies auf Druck des Verlegers Max Niemeyer. In allen Auflagen nach der Zeit des Nationalsozialismus ist die Widmung wieder enthalten.

Hinweise zur Lektüre

Heideggers Sprache ist gewöhnungsbedürftig. Er benutzt altertümliche Satzkonstruktionen, viele Neologismen und Bindestrich-Wörter, (Beispiele: In-der-Welt-sein, Zeugganzes). Dies entspringt Heideggers Vorhaben, sich von der bisherigen Philosophie zu lösen und Wörter neu zu gebrauchen, um ausgetretene Denkpfade zu verlassen. Hinzu kommt, dass Heidegger viele Wörter benutzt, die aus der Alltagssprache bekannt sind, aber damit etwas ganz anderes zu bedeuten gibt (Beispiele: Sorge, Angst). Ferner ist zu bedenken, dass in den 1920er-Jahren der Expressionismus blühte und sich eine Rhetorik entwickelte, die inzwischen oftmals komisch bis idiosynkratisch und über die Maßen pathetisch wirken kann. Dies hat auch auf die philosophische Prosa ausgestrahlt. Philosophie strapaziert die gewöhnliche Sprache, man muss sich einlesen. Es kann fruchtbar sein, zugleich verschiedene Dichtungen von George, Rilke, Trakl zu lesen. Die Sprache Heideggers ist jedoch keinesfalls so unverständlich, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag (ohne Frage ist sie aber von starker suggestiver Wirkung) – man wird ihr am ehesten gerecht, wenn man sie im unmittelbaren Wortsinne versteht (und gegenüber dem Klang des „Geraunes“ die Ohren verschließt). Es wird dann deutlich, dass Heidegger sehr kleinschrittig und genau vorgeht, sicherlich ein angemessenes Verfahren angesichts des hohen Eigenanspruchs an die Bedeutung seines Werkes, andererseits aber ein Vorgehen, das bisweilen den Eindruck der Aufgeblasenheit vermittelt.

Mit der Phänomenologie sollte man sich ebenfalls vertraut machen (siehe Literatur: Waldenfels). Heidegger entwickelte seinen Ansatz im Durchgang durch die Phänomenologie seines Lehrers Edmund Husserl. Allerdings sind die Unterschiede gravierend (siehe oben: Kritik). Heidegger selbst verstand sein Buch ferner in scharfem Kontrast zur Philosophischen Anthropologie, die in etwa zeitgleich (Weimarer Republik) in Gestalt von Max Scheler und Helmuth Plessner in Erscheinung getreten ist. Indes sind stilistische Ähnlichkeiten oft sehr auffällig (siehe Literatur: Safranski). Heidegger selbst sah in Karl Jaspers einen Geistesverwandten und verweist in Sein und Zeit auch auf diesen.

Ergänzend zur Einleitung kann Heideggers frühe Schrift (1922) Anzeige der hermeneutischen Situation (etwa in: Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles, Reclam 2002, ISBN 3-15-018250-6) gelesen werden, in der die Richtung der Untersuchung vorweggenommen und einige spätere Gedanken, teilweise noch mit anderem Vokabular, dargelegt werden.

Zitate

Kursivdruck aus dem Original

  • Das ‚Wesen‘ des Daseins liegt in seiner Existenz.“ (§9, Seite 42)
    • Dieser Satz wurde vom Existenzialismus als Kernthese übernommen. Heidegger verwahrte sich gegen diese Interpretation im Brief über den Humanismus. In seinem Handexemplar zu Sein und Zeit vermerkt er ebenfalls neben dem Satz „Die Frage nach dieser [der Existenz] zielt auf die Auseinanderlegung dessen, was Existenz konstituiert.“ (§ 4, Seite 12) handschriftlich „Also keine Existenzphilosophie.
  • „Das Man ist überall dabei, doch so, daß es sich auch schon immer davongeschlichen hat, wo das Dasein auf Entscheidung drängt. Weil das Man jedoch alles Urteilen und Entscheiden vorgibt, nimmt es dem jeweiligen Dasein die Verantwortlichkeit ab. [...] Das Man entlastet so das jeweilige Dasein in seiner Alltäglichkeit. Nicht nur das; mit dieser Seinsentlastung kommt das Man dem Dasein entgegen, sofern in diesem die Tendenz zum Leichtnehmen und Leichtmachen liegt. Und weil das Man mit der Seinsentlastung dem jeweiligen Dasein ständig entgegenkommt, behält es und verfestigt es seine hartnäckige Herrschaft.“ (§ 27, Seite 127 f.)
  • Wovor die Angst sich ängstet, ist das In-der-Welt-sein selbst. [...] Die Angst benimmt so dem Dasein die Möglichkeit, verfallend sich aus der Welt und der öffentlichen Ausgelegtheit zu verstehen. [...] Die Angst vereinzelt das Dasein auf sein eigenstes In-der-Welt-sein“ (§ 40, Seite 187)
  • „Als Seinkönnen vermag das Dasein die Möglichkeit des Todes nicht zu überholen. Der Tod ist die Möglichkeit der schlechthinnigen Daseinsunmöglichkeit. So enthüllt sich der Tod als die eigenste, unbezügliche, unüberholbare Möglichkeit.“ (§ 50, Seite 250)
  • „Damit aber das Dasein mit einem Zeugzusammenhang soll umgehen können, muss es so etwas wie Bewandtnis, wenngleich unthematisch, verstehen: es muss ihm eine Welt erschlossen sein.“ (§ 69, Seite 364)

Literatur

Sein und Zeit

Zur Einführung

  • Andreas Luckner: Martin Heidegger: Sein und Zeit. Ein einführender Kommentar. Stuttgart: UTB 2001.
  • Thomas Rentsch (Hrsg.): Sein und Zeit. Berlin: Akademie Verlag 2001. (Klassiker Auslegen)
  • Thomas Rentsch: Sein und Zeit: Fundamentalontologie als Hermeneutik der Endlichkeit. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger-Handbuch : Leben - Werk - Wirkung. Stuttgart / Weimar : Metzler 2003, 51-80.

Wichtige Interpretation

  • Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. Berlin : de Gruyter 1967

Hilfreich zur intensiven Textarbeit

  • Hildegard Feick/Susanne Ziegler: Index zu Heideggers „Sein und Zeit“. Tübingen: Niemeyer, 1991 (ISBN 3-484-70014-9)

Für den zeitgeschichtlichen Hintergrund

  • Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit. Frankfurt a.M.: Fischer 2001.
(weitgehend biographisch, nicht systematisch)
  • Hans Ulrich Gumbrecht: 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003.
(zur Kontextualisierung in der Konservativen Revolution)

Kommentar und Interpretation in enger Anlehnung

Heideggers letzter Schüler, Friedrich-Wilhelm von Herrmann, kommentiert und interpretiert in folgenden Werken dessen Werk streng aus dem Geist der Heidegger-Schule:

  • Einleitung: die Exposition der Frage nach dem Sinn von Sein. - 1987. - XXXVI, 408 S. - ISBN 3-465-01738-2, 3-465-01739-0
  • Subjekt und Dasein: Grundbegriffe von „Sein und Zeit“ - Frankfurt am Main: Klostermann, dritte, erweiterte Auflage 2004
  • Der Begriff der Phänomenologie bei Heidegger und Husserl- Frankfurt a.M.: Klostermann, 1981

Instruktiv zur allgemeinen Einordnung

Kritische Auseinandersetzung mit Heideggers hermeneutischem Ansatz

  • Hans Albert: Kritik der reinen Hermeneutik. Tübingen: Mohr 1994
  • Theodor Adorno: Werk Bd. 6 Negative Dialektik, Jargon der Eigentlichkeit. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2003.

Allgemein

siehe Hauptartikel Martin Heidegger#Literatur

Siehe auch