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Ulrike Meinhof

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Ulrike Meinhof als junge Journalistin (um 1964)

Ulrike Marie Meinhof (* 7. Oktober 1934 in Oldenburg; † 8. Mai 1976 in Stuttgart) war Journalistin und wurde 1970 Gründungsmitglied und Führungsperson der linksextremistischen Terrororganisation Rote Armee Fraktion (RAF), deren ideologisches Konzept sie maßgeblich verfasste. Sie war an der Baader-Befreiung 1970 und an fünf Sprengstoffanschlägen 1972 mit vier Todesopfern beteiligt. Sie wurde 1972 verhaftet und starb 1976 durch Suizid in der Haft.

Leben

Ulrike Meinhof wurde als Tochter des Kunsthistorikers Dr. Werner Meinhof geboren. 1940 starb ihr Vater, 1948 auch ihre Mutter Ingeborg Meinhof. Der Historikerin Renate Riemeck, einer engen Freundin Ingeborg Meinhofs, wurde die Vormundschaft für die damals 14-jährige Ulrike und ihre ältere Schwester Wienke (* 10. Juli 1931 in Oldenburg) übertragen.

1955 legte Ulrike Meinhof ihr Abitur am Gymnasium Philippinum in ihrem damaligen Wohnort Weilburg ab, wo sie außerdem die dort noch heute erscheinende Schülerzeitung „Spektrum“ gründete.

Nach dem Studium der Philosophie, Pädagogik, Soziologie und Germanistik in Marburg 1955/1956, wobei sie von der Studienstiftung des deutschen Volkes gefördert wurde, engagierte sich Meinhof zunächst in der evangelischen Reformbewegung. 1957 wechselte sie zur Westfälischen Wilhelms-Universität nach Münster und schloss sich dort dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) an. Sie wurde während der 1957 entstehenden breiten Protestbewegung gegen Pläne der CDU-Regierung unter Konrad Adenauer, die Bundeswehr atomar zu bewaffnen (vgl. auch Friedensbewegung), Sprecherin des „Anti-Atomtod-Ausschusses“ in Münster. 1958 war sie kurze Zeit Mitglied des AStA der dortigen Universität. Sie veröffentlichte Artikel in verschiedenen studentischen Blättern, u. a. in david, herausgegeben von der SDS-Gruppe in Münster. 1959 trat sie der seit 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen KPD bei.

Journalistische Karriere

Meinhof arbeitete von 1959 bis 1969 für die linke Zeitschrift konkret, bei der sie von 1960 bis 1964 Chefredakteurin war. In dieser Zeit wurde sie eine Symbolfigur der deutschen Linken, die an zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen und Demonstrationen teilnahm.

1961 heiratete sie Klaus Rainer Röhl, den Herausgeber der Zeitschrift konkret. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor, die Zwillinge Regine und Bettina Röhl. Ende 1967 trennte sich das Ehepaar, worauf kurze Zeit später die Scheidung folgte und Meinhof mit den Kindern nach Berlin zog. Beim „Frankfurter Kaufhaus-Brandstifterprozess“, über den sie publizierte, lernte sie die dort angeklagten Thorwald Proll und Horst Söhnlein sowie die späteren RAF-Gründer Andreas Baader und Gudrun Ensslin kennen.

Wende zur radikalen Kritik

Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke veröffentlichte Meinhof am 11. April 1968 in konkret den folgenden in Auszügen zitierten Kommentar, der exemplarisch für die spätere Radikalisierung ihrer Einstellung steht:

„‚Protest ist, wenn ich sage, das und das paßt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, daß das, was mir nicht paßt, nicht länger geschieht. (...)‘ So ähnlich (...) konnte man es von einem Schwarzen der Black-Power-Bewegung auf der Vietnamkonferenz im Februar in Berlin hören. (...)
Die Grenze zwischen verbalem Protest und physischem Widerstand ist bei den Protesten gegen den Anschlag auf Rudi Dutschke (...) erstmalig massenhaft, (...) tatsächlich, nicht nur symbolisch – überschritten worden. (...)
Nun, nachdem gezeigt worden ist, daß andere Mittel als nur Demonstrationen, Springer-Hearings, Protestveranstaltungen zur Verfügung stehen, andere als die, die versagt haben, weil sie den Anschlag auf Rudi Dutschke nicht verhindern konnten, nun, da die Fesseln von Sitte & Anstand gesprengt worden sind, kann und muß neu und von vorne über Gewalt und Gegengewalt diskutiert werden. Gegengewalt, wie sie in den Ostertagen praktiziert worden ist, ist nicht geeignet, Sympathien zu wecken, nicht, erschrockene Liberale auf die Seite der Außerparlamentarischen Opposition zu ziehen. Gegengewalt läuft Gefahr, zu Gewalt zu werden, wo die Brutalität der Polizei das Gesetz des Handelns bestimmt, wo ohnmächtige Wut überlegene Rationalität ablöst, wo der paramilitärische Einsatz der Polizei mit paramilitärischen Mitteln beantwortet wird. (...)
Der Spaß hat aufgehört.“ [1]

1970 produzierte Meinhof noch den Fernsehfilm Bambule, für den sie auch das Drehbuch schrieb. Hier kritisierte sie die autoritären Methoden der Heimerziehung („Fürsorgeerziehung“), die in der Handlung des Films zu einer Revolte von weiblichen Heiminsassinnen führen. Das Drehbuch gilt auch als Parabel der zu der Zeit herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse und einer neuen Art von Klassenkampf.

Wandlung zur Rebellin

Meinhof wurde in der Folgezeit zunehmend radikaler und kompromissloser. Am 14. Mai 1970 nahm sie an der Befreiung Andreas Baaders teil. Dabei wurde Georg Linke, ein Angestellter des Deutschen Zentralinstituts für Soziale Fragen in Berlin, durch einen Unfall angeschossen und schwer verletzt. Dies wird allgemein als erste Aktion und Gründungsakt der RAF bezeichnet. Meinhof wurde seit diesem Zeitpunkt steckbrieflich gesucht.

Meinhof kommentierte die Kritik am Schusswaffengebrauch bei der Baader-Befreiung in einem Tonbandinterview mit der französischen Journalistin Michèle Ray, das später im Spiegel abgedruckt wurde, mit den Worten:

Wir sagen natürlich, die Bullen sind Schweine. Wir sagen, der Typ in Uniform ist ein Schwein, kein Mensch. Und so haben wir uns mit ihnen auseinander zu setzen. Das heißt, wir haben nicht mit ihm zu reden, und es ist falsch, überhaupt mit diesen Leuten zu reden. Und natürlich kann geschossen werden.[2]

Im Untergrund war Ulrike Meinhof an mehreren Banküberfällen und 1972 an insgesamt fünf Bombenanschlägen beteiligt, bei denen vier Menschen starben und über 50 verletzt wurden. Meinhof formulierte 1971 und 1972 insgesamt drei sogenannte Kampfschriften der RAF, die den sogenannten „bewaffneten Kampf“ ideologisch untermauerten.

Da Ulrike Meinhof die Erziehung ihrer beiden Töchter nicht dem Vater Klaus Rainer Röhl überlassen wollte, stimmte sie einem Plan zu, demzufolge die beiden Kinder in ein palästinensisches Waisenlager verschleppt werden sollten. Dieser Plan scheiterte allerdings auf Grund des Eingreifens Stefan Austs, der die Kinder persönlich aus einem Versteck in Sizilien zurück nach Hamburg holte und sie dem Vater übergab.

Festnahme

Am 15. Juni 1972 wurde die Polizei in Langenhagen bei Hannover durch den Lehrer Fritz Rodewald darauf hingewiesen, dass er fürchte, Leute der RAF wollten in seiner Wohnung übernachten. Eine mutmaßliche „Quartiermacherin” der RAF wollte die Wohnung mieten und suchte indes eine Unterkunft für Meinhof. Polizeibeamte in Zivil prüften das Haus hinsichtlich Observationsmöglichkeiten, als sie zwei unbekannte Leute bemerkten, die den Hauswart nach der Wohnung von Fritz Rodewald fragten. Sie verfolgten einen der beiden zu einer nahen Telefonzelle und nahmen ihn dort fest. Es stellte sich heraus, dass es sich um den gesuchten Gerhard Müller handelte, der auch bewaffnet war.

Unwissend, um wen es sich handelte, überwältigte die Polizei eine sich vehement zur Wehr setzende Frau dann in der Wohnung Rodewalds. Kurze Zeit später stellte sich bei einer Untersuchung heraus, dass es sich um Ulrike Meinhof handelte. Rodewald sagte später, das Paar Meinhof/Müller habe die Tür zu seiner Mietwohnung gewaltsam aufgebrochen.

Haft

Vom 16. Juni 1972 bis zum 9. Februar 1973 war Ulrike Meinhof im von ihr so genannten „Toten Trakt“ der Justizvollzugsanstalt Köln inhaftiert und offenbar vollständig isoliert. [3]

Meinhof empfand diese Zeit als äußerst quälend und veröffentlichte den Text „Brief aus dem Toten Trakt“ [4], der aus dem Gefängnis geschmuggelt wurde. Sie erreichte damit eine starke Wirkung in der Sympathisantenszene. Unerwähnt blieb, dass Meinhof in der Zeit der angeblichen Isolation fast täglich Besuch von Anwälten oder Angehörigen bekam.

Am 29. November 1974 wurde sie wegen des Sprengstoffanschlags auf das Stammhaus des Axel Springer Verlages in Hamburg 1972 zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, für die sie in die Justizvollzugsanstalt Stuttgart eingewiesen wurde. Dort war sie mit bis zu neun anderen RAF-Häftlingen zusammengelegt.

Am 21. Mai 1975 wurde sie im Stammheimer Prozess wegen vierfachen Mordes und vielfachen Mordversuchs angeklagt, zu einer Verurteilung kam es aufgrund ihres Todes nicht mehr.

Tod

Am 9. Mai 1976 fand der Sekretär im Strafvollzugsdienst Peter Großmann Ulrike Meinhof in ihrer Zelle 719 in der JVA Stuttgart tot auf, wo sie sich mit einem in Streifen gerissenen und verknotenen Handtuch selbst am Zellenfenster erhängt hatte. Untersuchungen ergaben, dass der Tod vor Mitternacht, also bereits am 8. Mai eingetreten war.

Mitglieder der RAF und linksgerichteter Kreise bezweifeln bis heute, dass sich Meinhof selbst getötet habe. Die Todesumstände und die Veröffentlichung des Untersuchungsergebnisses vor der Obduktion sorgten zusammen mit der damaligen aufgeheizten gesellschaftlichen Stimmung für zahlreiche Spekulationen, in denen auch ein staatlich beauftragter Mord nicht ausgeschlossen wurde.

Eine „Internationale Untersuchungskommission“ kam Ende 1978 zu dem Schluss, dass sich Ulrike Meinhof nicht selbst erhängt haben könne. Diese Untersuchung, an der der französische Journalist Claude Bourdet und der Physiker Jean-Pierre Vigier beteiligt waren, wurde von den Behörden nicht unterstützt und fand keine offizielle Anerkennung. Ihre Ergebnisse gelten als sehr zweifelhaft, da die Beobachter keinen Zugang zur JVA hatten und auch die Leiche Meinhofs nicht untersuchen durften.

Später gefundene Kassiber zeigten zudem, dass Meinhof innerhalb der Gefangenengruppe zunehmend isoliert war. So beschimpfte Gudrun Ensslin Meinhof als „zu schwach“, und auch Andreas Baader griff sie scharf an.

Da sich viele Gemeinden in Deutschland weigerten, eine Grabstelle zur Verfügung zu stellen und sich lediglich die Gemeinde des Dreifaltigkeitsfriedhofes in Berlin-Mariendorf zur Bestattung bereit erklärte, wurde Ulrike Meinhof dort am 15. Mai 1976 unter der Teilnahme von etwa 4000 Trauernden beigesetzt. Klaus Wagenbach hielt die Grabrede.

Grab in Berlin-Mariendorf

Im Herbst 2002 erfuhr ihre Tochter, die Journalistin Bettina Röhl, dass das Gehirn ihrer Mutter nicht mitbeerdigt worden war. Stattdessen war das Gehirn jahrzehntelang in Formalin aufbewahrt worden, und wurde erneut in einer Klinik in Magdeburg untersucht. Den Professoren wurde daraufhin von einer Ethik-Kommission untersagt, weiter an dem Gehirn zu forschen oder ihre bisherigen Forschungen zu veröffentlichen. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart forderte das Gehirn von den Professoren zurück, ließ es einäschern und die Asche den Angehörigen übergeben. Am 22. Dezember 2002 wurde das Gehirn von Ulrike Meinhof ebenfalls auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof beerdigt.

Dramaturgische und musikalische Werke über Meinhof

Um die Lebensgeschichte von Ulrike Meinhof geht es in Johann Kresniks gleichnamigem Stück, das 1990 im Bremer Theater uraufgeführt wurde. In der Spielzeit 2005/2006 steht es im Programm der Bonner Oper.

Die DDR-Punkband AufBruch widmete ihr den Song „Für Ulrike“.

Das Theaterstück Ulrike Maria Stuart von Elfriede Jelinek wurde 2006 am Hamburger Thalia-Theater aufgeführt.

Das Theaterstück Ulrike MONDZEIT – NEONZEIT von Helma Sanders-Brahms

Das Theaterstück "Leviathan" von Dea Loher beschreibt die Entscheidungssituation von Ulrike Meinhof - unter ihrem zweiten Vornamen "Marie" fast unkenntlich - ob sie nach der Befreiungsaktion für Baader im Untergrund bleiben oder in die "Normalität" zurückkehren soll.

Das Lied „Cross The Tracks“ der Stuttgarter Band Freundeskreis

Das Lied „To Ulrike M.“ der schwedischen Band Doris Days

Das Lied „Briefe aus dem toten Trakt“ der Band Guts Pie Earshot vertont einen Text von Ulrike Meinhof.

Werke Ulrike Meinhofs

Zeitzeugenzitate über Ulrike Meinhof

„Sie war die erste Person in der Bundesrepublik, nachdem wir aus Polen 1958 nach Westdeutschland gekommen waren, die nach meiner Zeit im Warschauer Ghetto fragte. Wir trafen uns damals im Cafe Funkeck in Hamburg. Am Ende des Interviews, das viel länger dauerte, als ursprünglich geplant, hatte Ulrike Meinhof Tränen in den Augen.“ Marcel Reich-Ranicki [5]

Ulrike Meinhof war „... die größte deutsche Frau seit Rosa Luxemburg.“ Erich Fried

„Mit allem, was sie getan hat, so unverständlich es war, hat sie uns gemeint.“ Gustav Heinemann

„Bei der ersten Begegnung mit Ulrike Meinhof sagte ich: Sie reden, wie ich es zuletzt von meinem nationalsozialistischen Führungsoffizier im Krieg gehört habe. Der erzählte uns von der Zukunft der Welt und Deutschlands Aufgaben dabei.“ Joachim Fest

„Sie war und ist die wichtigste Journalistin, die Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg hatte, und zugleich die, die am besten schrieb. Noch heute sind ihre Artikel in ihrer Schärfe und Klarheit das Beste, was man über jene Jahre, die sie analysieren, lesen kann. Ihre Texte sind so intensiv, daß sie nach Umsetzung drängen [...] Sie geben denen, die sie lesen, die Sicherheit, der Kampf gegen Ungerechtigkeit sei notwendig und lohne sich – wenn auch nicht materiell, so doch moralisch. Das machte sie, von der Gegenseite her gesehen, gefährlich.“ Helma Sanders-Brahms[6]

Sekundärliteratur

Film

Siehe auch

Commons: Ulrike Meinhof – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Quellen

  1. Zitiert nach: Ulrike Meinhof: Die Würde des Menschen ist antastbar. Aufsätze und Polemiken. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 2004, ISBN 3-8031-2491-3
  2. „Natürlich kann geschossen werden.“ Ulrike Meinhof über die Baader-Aktion. in: Der SPIEGEL Nr. 25 vom 15. Juni 1970, S. 74f
  3. Angaben des ehemaligen Bundesjustizministers Gerhard Baum in der ZDF-Sendung History
  4. Brief Ulrike Meinhofs aus dem Toten Trakt (Auszug)
  5. siehe auch dazu: Interview von Bettina Röhl mit Marcel Reich-Ranicki über seine Begegnung mit Ulrike Meinhof
  6. Helma Sanders-Brahms: Ulrike. In: Christiane Landgrebe, Jörg Plath (Hrsg.): '68 und die Folgen. Ein unvollständiges Lexikon. Argon Verlag, Berlin 1998, ISBN 3-87024-462-3, S. 127.