Network-Centric Warfare
Network Centric Warfare (kurz NCW) ist ein militärisches Konzept, das durch die Vernetzung aller Entitäten in einem Operationsgebiet eine Beschleunigung des Informationsflusses und damit die Steigerung der militärischen Kampfstärke erreichen möchte.
Begriffsdefinition
Im Militärwesen hat NCW inzwischen einen ähnlichen Stellenwert erlangt wie der Begriff E-Business für die Wirtschaft.
Beide Begriffe verbindet, dass sie Informationen als Schlüssel für die Gewinnung von Wettbewerbsvorteilen verstehen. Sie erreichen dies durch eine höhere Effektivität und Effizienz beim Einsatz vom Informationstechnologie und einer gleichzeitigen "kundenorientierten" Fortentwicklung von Organisationen und Prozessen.
Siehe auch "Vernetzte Operationsführung", "Gefecht der verbundenen Waffen" und "Führungs- und Informationssystem".
Vernetzung von Entitäten
Network Centric Warfare verspricht eine Steigerung der militärischen Kampfstärke gegenüber konventionellen Konzepten. Dies wird durch eine Vernetzung aller Entitäten innerhalb eines Operationsgebietes erreicht. Diese Entitäten werden dabei in Sensoren, Entscheider und (Waffen-)Systeme unterschieden.
Durch die Vernetzung aller Entitäten im Operationsgebiet sollen bisherige Reichweitenbegrenzungen überwunden werden und gleichzeitig die Reaktionsgeschwindigkeit und Genauigkeit erhöht werden.
Digitale Vernetzung ermöglicht eine bisher unerreichte Geschwindigkeit bei der Distribution von Informationen. Die Kosten für die Vervielfältigung von Informationen tendieren gen Null. Dank digitaler Kopien entsteht kein Qualitätsverlust und die Zeitverzögerung ist extrem gering.
Beispiel für die Auswirkungen der Vernetzung
An einem simplen Beispiel kann kurz erläutert werden, was sich hinter dem Begriff Entitäten beim NCW verbirgt und wie durch die Vernetzung die Reichweite, Reaktionsgeschwindigkeit und Genauigkeit erhöht werden können:
Ein Soldat verfügt über Sensoren (Augen, Nase, Ohren, ...) zur Aufnahme von Informationen über seine Umgebung. In diesem Beispiel ist er selbst Entscheidungsträger und das von ihm betreute System ist die Waffe in seiner Hand.
Er nimmt die Informationen seiner Sensoren auf und kombiniert sie mit den Befehlen oder Anweisungen übergeordneter Stellen. Auf Basis dieser Informationen fällt er seine Entscheidungen: Er kann
- seine Sensoren zu einer erweiterten Informationsaufnahme veranlassen
- Untergeordneten Anweisungen geben
- seine Waffe einsetzen, um ein identifiziertes Objekt anzugreifen
Die Einsätzfähigkeit der Entitäten wird in diesem Beispiel im Wesentlichen durch ihre Reichweiten bestimmt. Die Reichweite der Sensoren des Soldaten (Sichtfeld, Hörreichweite, usw.) bestimmt den Radius des Informationshorizonts. In den Entscheidungsrahmen fällt nur das unmittelbare Umfeld. Der Soldat kann also zum Beispiel nur die Waffe bedienen, die er in der Hand hat, und nur die übergeordneten oder untergeordneten Stellen kontaktieren, die in der unmittelbaren Gesprächsreichweite sind. Zuletzt hat natürlich auch die Waffe eine eingeschränkte Reichweite (Schussweite, etc.), die den Radius des Soldaten einschränkt.
Mit Hilfe von Sprechfunk lässt sich die Kommunikationsreichweite des Soldaten erhöhen. Er kann sich also zum Beispiel mit übergeordneten oder untergeordneten Stellen über Funk austauschen. Auf seine Sensor- oder Waffenreichweite hat dies allerdings kaum Einfluss. Ein Ziel, das sich außerhalb seiner Sensorreichweite befindet, könnte er auch bei einer höheren Waffenreichweite nicht zielsicher angreifen, da er es über Sprechfunk nicht anvisieren kann.
Mit Hilfe einer Datenverbindung zwischen allen Entitäten kann ein Soldat auf die Sensoren eines anderen Soldaten zugreifen. Zum Beispiel wäre dies durch eine Helmkamera möglich, die ihr aktuelles Umgebungsbild auf einem kleinen Monitor im Sichtfeld jedes Soldaten einblendet. Alle Soldaten können daher das Blickfeld eines anderen Soldaten einblenden.
Bei einer engen Vernetzung der Entitäten in nahezu Echtzeit würden diese im Idealfall zu einer kollektiv agierenden Entität verschmelzen. Dank des Informationsaustausches untereinander wird eine Selbstsynchronisation erreicht, die Handlungen aufeinander abstimmt und eine schnellere Adaption auf veränderte Umgebungsbedingungen ermöglicht.
Vernetzte Unternehmen als Vorbild
Beim klassischen militärischen Kommunikationskonzept waren Sensoren, Entscheidungsträger und Systeme nur partiell untereinander verbunden. Jede Entität war mit nur einigen wenigen Entitäten verbunden. Daten wurden in Inselsystemen verwaltet, die nur von einem kleinen Teil der Entitäten im Operationsgebiet eingesehen werden konnten. NCW möchte diese Grenzen überwinden und eine Komplettvernetzung realisieren. In der freien Wirtschaft sind ähnliche Konzepte bereits im Einsatz. Unter dem Begriff Collaborative Business werden Abteilungs- und Unternehmensgrenzen mit Hilfe offener Systeme überwunden und ein ungehinderter Informationsaustausch ermöglicht. Hier zeigt sich, dass sich das Militär bei der Idee des Network Centric Warfare ganz direkt an den Erfahrungen der Wirtschaft orientiert.
Bei einem vollständigen Einsatz von NCW bedeutet es also, dass jeder einze lnen Entität alle relevanten Informationen zugeführt werden, die im Operationsbereich zur Verfügung stehen - auch über die Grenzen der einzelnen Heeresteile hinweg. Gemäß der Metcalfe-Reg el, die besagt, dass der Nutzen eines Netzes mit der Zahl der Teilnehmer steigt, hat diese umfassende Einführung von NCW auch wieder einen positiven Rückkopplungseffekt auf das Ergebnis der Vernetzung.
Aktuelle Entwicklungen
Während des Irakkrieges von 2003 wurde erstmals das Konzept des Network Centric Warfare im großen Umfang eingesetzt. Es hat zwar nicht wirklich alles funktioniert. Prinzipiell bot das neue System den Nutzern jeodch einige Möglichkeiten:
- Die militärische Führung (CENTCOM) war mit fast allen Einheiten der US-Streitkräfte über direkte Datenleitungen verbunden (E-Mail, Videokonferenz, Chat).
- Radardaten wurden in Echtzeit an Schiffe, Flugzeuge, Panzer und weitere Kampfeinheiten übermittelt und größtenteils mit so genannten Freund-Feind-Kennungen versehen, um den Kommandeuren eine genaue Übersicht zu ermöglichen.
- Missionsdaten, Karten, Satellitenfotos, Einsatzvideos von vorherigen Missionen sowie aktuelle Angaben über Lagerbestände, Waffenausrüstung und Zustand von Geräten und Fahrzeugen konnten über eine Art Intranet abgefragt werden.
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Literatur
- Stefan Plogmann: Der "Just-in-Time-Krieg". Feldkirch 2004
- David S. Alberts, John J. Garstika, Frederick P. Stein: Network Centric Warfare - Developing and Leveraging Information Superiority. Washington D.C.: DoD C4ISR Cooperative Research Program (CCRP), 2000
- David S. Alberts, John J. Garstika, Richard E. Hayes, David A. Signori: Understanding Information Age Warfare. Washington D.C.: DoD C4ISR Cooperative Research Program (CCRP), 2001
- Stefan Aust, Cordt Schnibben: Irak - Geschichte eine modernen Krieges. Hamburg: SPIEGEL-Buchverlag, 2003, ISBN 3421058040