Nibelungenlied


Das Nibelungenlied ist ein mittelalterliches Heldenepos. Es entstand zu Beginn des 13. Jahrhunderts und wurde in der damaligen Volkssprache Mittelhochdeutsch aufgeschrieben. Der Titel, unter dem es seit seiner Wiederentdeckung Mitte des 18. Jahrhunderts bekannt ist, leitet sich von der Schlusszeile in einer der beiden Haupttextfassungen, *C, ab: hie hât daz mære ein ende: daz ist der Nibelunge liet („hier hat die Geschichte ein Ende: das ist ‚das Lied von den Nibelungen‘“). Allerdings muss man beachten, dass „liet“ im Mittelhochdeutschen nicht als „Lied“ in unserem Sinne zu verstehen ist, sondern „Strophen“ oder „Epos“ bedeuten kann. Die dem (verlorenen) Original näher stehende Fassung *B (Haupthandschrift in St. Gallen) endet diz ist der Nibelunge NOT. Angehängt an das Nibelungenlied ist in den mittelalterlichen Handschriften eine formal eigenständige Erzählung, die das Geschehen fortzusetzen und zu rekapitulieren scheint, die „Klage“.
Der historische Kern
Das Nibelungenlied ist die wichtigste hochmittelalterliche deutsche Ausformung der Nibelungensage, deren Ursprünge bis in das heroische Zeitalter der germanischen Völkerwanderung zurückreichen. Ein historischer Kern der Sage ist die Zerschlagung des Burgunderreiches im Raum von Worms in der Spätantike (um 436) durch den römischen Heermeister Aëtius mit Hilfe hunnischer Hilfstruppen. Weitere historische Ereignisse, die hier vermutlich eine Rolle spielen, sind der Streit im Haus der Merowinger zwischen Brunichild und Fredegunde sowie die Hochzeit zwischen Attila und der germanischen Fürstentochter Ildikó (453). Vgl. dazu den Artikel Nibelungensage.
Verfasser und Entstehung
Der Verfasser des Nibelungenliedes wird im Text nicht genannt. Dies entspricht der Gattungskonvention der Heldenepik, die nicht die literarische Eigenleistung eines Dichters akzentuiert, sondern die Verwurzelung des Erzählstoffes in der mündlichen Überlieferung (altiu maere, „Sagen“) hervorhebt. Heutzutage wird nur mehr selten diskutiert, ob es eine einzige „Originalfassung“ (und damit einen einzigen „Autor“) jemals gegeben hat, oder ob es sich eher um einen Redaktor oder gar nur um einen oder mehrere begnadete Rezitatoren von älteren, mündlich überlieferten Stoffen handelt. Zu deutlich ist, dass das Werk eine geschlossene Dichtung eines einzigen Autors ist und dass es auf schriftlich vorliegende Werke Bezug nimmt und das Original (sei es vom Dichter selbst, sei es nach seinem Diktat) niedergeschrieben wurde. Allerdings enthalten die einzelnen Handschriften größere oder kleinere Änderungen und Zusätze von Bearbeitern. Die Handschrift "B" scheint solche Änderungen nur in geringem Ausmaß zu enthalten, während vor allem "C" eine starke Umarbeitung mit anderer Aussage und anderem Gestaltungswillen darstellt.
Die Entstehung des Textes lässt sich durch in ihm vorausgesetzte politische Strukturen und durch Bezüge zur zeitgenössischen Dichtung auf die Jahre 1180 bis 1210 (und damit auf die „Blütezeit“ der mittelhochdeutschen Literatur) eindeutig eingrenzen; Indizien gibt es für eine Entstehung knapp vor 1204.
Genauere Ortskenntnis des Verfassers, ein Übergewicht der frühen Überlieferung im südostdeutsch-österreichischen Raum und die augenfällige Hervorhebung des Bischofs von Passau als handelnder Figur machen das Gebiet zwischen Passau und Wien als Entstehungsort wahrscheinlich, insbesondere den Hof des als Mäzen bekannten Bischofs von Passau, Wolfger von Erla (Bischof in Passau 1191–1204). Wolfger ist für die Datierung mittelhochdeutscher Literatur von großer Bedeutung, weil sich in seinen Reiserechnungen mit dem Datum 12. November 1203 eine Notiz findet, dass dem cantor ("Spielmann") Walther von der Vogelweide Geld für einen Pelzmantel ausgezahlt wurde. Diese Notiz stellt den einzigen außerliterarischen Nachweis für die Existenz dieses Dichters dar und ist damit ein wichtiges Indiz zur zeitlichen Einordnung der mittelhochdeutschen Dichtung, die größtenteils ohne Jahres- und Verfasserangaben überliefert ist. Meist geht man heute davon aus, dass der Dichter des Nibelungenliedes ein sowohl geistlich wie literarisch gebildeter Mann im Umkreis des Passauer Bischofshofs und dass sein Publikum ebenfalls dort unter den Klerikern und adligen Laien zu suchen war.
In einer Art Anhang zum Nibelungenlied, der Nibelungenklage, wird auch von der Entstehung der Dichtung erzählt. Diesen für die Heldenepik topischen Angaben ist daran gelegen, den Inhalt der Sage als „wirklich geschehen“ auszuweisen und die erste Aufzeichnung noch in die Lebenszeit der Protagonisten zu verlegen. Ein „Meister Konrad“ wird genannt, den der Bischof „Pilgrim“ von Passau als Augenzeuge der Geschehnisse mit der Niederschrift beauftragt habe. Man nimmt an, dass dies einen ehrenden Verweis auf einen Amtsvorgänger des mutmaßlichen Förderers Wolfger darstellt, den heiligen Bischof Pilgrim von Passau (971–991).
Suche nach einem Verfasser
Die germanistische Erforschung des Nibelungenlieds ist von jeher verbunden mit einer geradezu verzweifelten Suche nach einem Verfassernamen. In den letzten Jahrzehnten hat die seriöse Fachwissenschaft diese Suche eingestellt. Besonders seit Michel Foucaults Untersuchungen über die unwillkürliche Fixierung auf den Autor ist deutlich geworden, dass textuelle Anonymität nur für uns Leser der Neuzeit eine unerträgliche Erscheinung ist. Der mittelalterlichen Literatur, zumal der noch weitgehend mündlich verbreiteten Heldenepik, ist dieser Zwang zur Zuschreibung unangemessen. Heute ist es Aufgabe der Mediävistik, die Andersartigkeit mittelalterlicher Dichtung und ihrer (beispielsweise autorlosen) Existenzformen zu beschreiben und zu zeigen, wo der unreflektierte moderne Blick diese Texte verzeichnet.
Vor allem populärwissenschaftliche und heimatgeschichtliche Forschungen haben im Laufe der Zeit das Nibelungenlied an nahezu jeden zwischen 1180 und 1230 im baierisch-österreichischen Raum bezeugten Literaten anknüpfen wollen. Auch heute werden regelmäßig Namen aufs Tapet gebracht. Ausnahmslos handelt es sich dabei um methodisch fragwürdige Außenseiterthesen, die sich der Diskussion in anerkannten Fachzeitschriften nicht stellen. Dazu gehören (geordnet nach Wahrscheinlichkeit):
- Der Kürenberger (Der Kürnberger Wald liegt bei Linz, Oberösterreich), in dessen Strophenform das Nibelungenlied geschrieben ist, und auf dessen "Falkenlied" auch der Falkentraum Kriemhilds verweist. Der Kürenberger wird aber von den meisten Forschern zu früh für das Nibelungenlied datiert.
- Walther von der Vogelweide. Auf ihn treffen viele für den Dichter des Nibelungenliedes geforderte Charakteristika zu: starke Anteile gemeinsamen Wortschatzes, die aber wohl aus der gemeinsamen räumlichen Herkunft (österreichischer Donauraum) zu erklären sind; Gönnerschaft Bischof Wolfgers von Passau. In wesentlichen Punkten der Weltsicht unterscheidet sich aber das Nibelungenlied von Walther stark.
- Bligger von Steinach
- Konrad von Fußesbrunnen (Feuersbrunn, Niederösterreich), urkundlich um 1182 bezeugt. Er ist Autor des in 3.000 Reimpaarversen verfassten Werkes „Die Kindheit Jesu“ und wirkte in Passau[1]. Sein Stil hat aber nichts mit dem des Nibelungenliedes gemeinsam.
- eine unbekannte Niedernburger Nonne[2]. Die Erwähnung des Klosters Passau-Niedernburg, neben dem Passauer Bischof und den Kaufleuten der Stadt, im Nibelungenlied ist aber am besten so zu erklären, dass sie zum Publikum des Autors bei einem Vortrag gehörten und als Gönner und Mäzene verewigt wurden; nicht so, dass sich der Autor (oder eine Autorin) unter ihnen befunden hätte. Bischof Wolfger von Passau war wohl der Haupt-Mäzen, der die Arbeit sicherlich einem erfahrenen und gleichzeitig literarisch gebildeten und schriftkundigen Sänger von Heldenliedern anvertraute.
- Die drei letztgenannten "Verfasser"theorien (Bligger von Steinach, Konrad von Fußesbrunnen und die Niedernburger Nonne) werden von den meisten Fachgermanisten als kaum diskussionswürdig angesehen.
Form und Sprache
Das Nibelungenlied ist in sangbaren vierzeiligen Strophen gedichtet (heute als Nibelungenstrophe bezeichnet), deren Melodie sich jedoch nicht rekonstruieren lässt. Diese metrische Form ist ein Charakteristikum der Heldenepik (vgl. das Kudrun-Epos eines unbekannten Dichters und die Dietrichepik); tritt aber schon vor dem Nibelungenlied in der Lyrik auf, beim "Kürenberger". Gesungene Strophenepik unterscheidet sich aufs deutlichste von der zeitgleichen höfischen Erzählliteratur, vor allem dem Antiken- und Artusroman, die fast ohne Ausnahme in (gesprochenen) Reimpaarversen gehalten ist. In dieser Hinsicht war das Nibelungenlied „archaischer“ als die „moderne“ Ritterliteratur eines Hartmann von Aue, Gottfried von Straßburg und Wolfram von Eschenbach.
Die ca. 2.400 Strophen des Nibelungenlieds sind in 39 âventiuren (sprich: Aventüren) untergliedert, kapitelartige Erzähleinheiten von variabler Länge, die in den meisten Handschriften Überschriften tragen. Diese Überschriften und die Bezeichnung der Abschnitte als 'Aventüren' gehen jedoch nicht auf den Autor zurück, da jede Handschrift andere Titel setzt, diese also unabhängig von einander sind, und die dem Original am nächsten stehende St. Galler Handschrift nur Absätze zwischen den Abschnitten macht, ohne Titel.
An der Sprache und Erzählhaltung des Nibelungenliedes lässt sich ein zweifaches Dilemma ablesen: Nicht nur die Kluft zwischen mündlicher Improvisationstradition und Literarisierung (Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit) wollte überbrückt sein; daneben war auch die Kunde mythisch-heroischer germanischer Vorzeit in ein christlich-hochadelig-höfisches Umfeld zu adaptieren. Der Kern der Nibelungensage muss 700 Jahre lang durch Epensänger rein mündlich tradiert worden sein. Dabei entstanden unzählige Varianten der Geschichte; verschiedene Sagenkreise wurden aneinandergeknüpft, Figuren wechselten ihre Rolle usw. Kein Wille eines Autors konnte den Stoff bewusst formen oder fixieren. Im deutschsprachigen Raum hatte man vor 1200 noch nie eine Umsetzung dieser Sage in eine buchliterarische Form versucht. So weist das Nibelungenlied – als Erstling einer neuen literarischen Tradition – sowohl (inhaltliche) Spuren seiner autorlosen Vorgeschichte wie (sprachliche) Spuren der Dichtersprache der mündlichen Erzählkunst auf; aber zugleich zeigt es Züge des „großen“ antik-historischen Buchepos, an denen sich der Verschriftlichungsprozess sicherlich orientierte.
Die bekannte Eingangsstrophe ist ein wohl erst später, von der Fassung "C", eingefügter einleitender Zusatz:
Uns ist in alten mæren wunders vil geseit
von helden lobebæren, von grôzer arebeit,
von freuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen,
von küener recken strîten muget ir nu wunder hœren sagen.
Das Original begann sicher, wie die Handschrift "B", mit der Vorstellung Kriemhilds:
Ez wuohs in Burgonden ein vil edel magedîn,
daz in allen landen niht schoeners möhte sîn,
Kriemhild geheizen. Si wart ein schoene wîp.
dar umbe muosen degene vil verliesen den lîp.
'Es wuchs im Burgundenland eine Prinzessin (wörtlich: ein sehr adliges Mädchen) auf, so schön, dass es auf der ganzen Welt (wörtlich: in allen Landen) nichts Schöneres geben könnte, Kriemhild genannt. Sie wurde eine schöne Frau. Deswegen mussten viele Helden das Leben verlieren.'
Viele berühmte Szenen der Sage, wie der Drachenkampf Jung-Siegfrieds etwa, tauchen im Lied selber nur in Form von Erwähnungen auf; die ganze Vorgeschichte wird entweder als bekannt vorausgesetzt oder, wahrscheinlicher, zu Gunsten Kriemhilds als Hauptfigur reduziert. Das Lied ist stilistisch von den Ansprüchen des mündlichen Vortrags geprägt, denn Alltagssprache und Hochsprache mischen sich ebenso, wie bereits damals schon historisches Vokabular und zeitgenössische Begriffe des frühen dreizehnten Jahrhunderts. Kunstvoller literarischer Ton und komplizierte Konstruktionen wechseln mit formelhaften Formulierungen und einfachen, fast distanzierten Schilderungen durch den Erzähler, der sich selbst nur an wenigen Stellen des Werks erwähnt.
Die literarische Version der Zeit um 1200 thematisiert anhand der Personen unterschiedliche Konzepte feudaler Gesellschaft: Siegfried verkörpert den klassischen Adligen, dessen Herrschaft auf körperlicher Stärke beruht, aber auch auf ererbtem königlichem Rang und der Akzeptanz der Gefolgsleute, die er sich durch weise Urteile verdient. König Gunther repräsentiert einen Herrscher, dessen Macht sich auf Familienangehörige und Ministeriale stützt, und der den Kampf um Herrschaft delegiert. Der zentrale Konflikt ist der zwischen Vasallität, die Unterordnung und Gehorsam verlangt, und einer modernisierten Feudalherrschaft, die nicht mehr oder nur zum Teil auf dem Lehnswesen fußt. So sehen es jedenfalls derzeit viele Interpreten; da Begriffe wie "Vasallität" und "Ministerialität" im Nibelungenlied nicht genannt werden, sondern nur das Ergebnis von Interpretationen sind, ist diese Sichtweise stark umstritten. Der Begriff 'Vasall' wird in Deutschland im Mittelalter fast nie gebraucht; er trifft eigentlich nur auf die Verhältnisse in Frankreich zu, von denen sich die deutschen auch um 1200 ziemlich stark unterscheiden. Während die Ministerialität um 1200 gerade nicht aus der Verwandtschaft der Herrscher kam, sind am Wormser Hof die bedeutendsten Positionen durch Verwandte der Könige besetzt (Hagen, Dankwart, Ortwin von Metz). Die soziale Welt des Nibelungenliedes gibt sich, zumindest teilweise, archaisch. Vor allem in der Denkwelt Hagens ist ein zentraler Begriff 'mitfolgen', das heißt, der Gefolgsmann muss mit dem Herrn mitkommen (auf Reisen oder Kriegszüge), wenn dieser es befiehlt. Dem Namen nach ist also das alte Gefolgschaftswesen noch lebendig, wenn es sich auch inhaltlich stark vom sogenannten 'altgermanischen Gefolgschaftswesen' unterscheidet.
Die Handlung
Das Nibelungenlied besteht aus zwei Teilen: Im ersten Teil steht Kriemhilds erste Ehe mit Siegfried und Siegfrieds Tod, im zweiten ihre Rache im Mittelpunkt. Das räumliche Umfeld ist das Burgundenreich am Rhein, sowie (im zweiten Teil) Südostdeutschland und das Donaugebiet des heutigen Österreichs und Ungarns.
Am Königshof in Worms lebt Kriemhild zusammen mit ihren drei Brüdern Gunther, Gernot und Giselher, die ihre Vormunde sind, und ihrer Mutter Ute. Wichtige Gefolgsleute der Könige sind Hagen von Tronje, ein Verwandter der Könige, Hagens Bruder Dankwart, aus deren Verwandtschaft weiterhin Ortwin von Metz, sowie unter den Hofbeamten der Küchenmeister Rumold. Kriemhild träumt, dass sie einen Falken aufzieht, den zwei Adler zerfleischen. Ihre Mutter deutet den Traum: der Falke bedeutet einen edlen Mann, und Kriemhild läuft Gefahr, ihn zu verlieren, wenn Gott ihn nicht beschützt. Kriemhild weist den Gedanken an Mann und Liebe von sich; sie will bis an ihren Tod jungfräulich bleiben, weil die Liebe schon vielen Frauen Leid brachte. Die Mutter versucht, sie zu beruhigen und weder den Traum noch die Liebe, die den Menschen glücklich macht, als gefährlich darzustellen. Trotzdem wird Kriemhild lange Zeit die Liebe ablehnen. Parallel dazu wird Siegfried vorgestellt, der Sohn König Siegmunds und Königin Sieglindes von Xanten am Niederrhein. Siegfried hat wunderbare Anlagen und wird von weisen Erziehern zu einem in jeder Hinsicht vorbildlichen zukünftigen Herrscher erzogen, der trotzdem seine Eltern respektiert und nicht zum Abdanken bringen will sondern auszieht, sich ein eigenes Reich zu erwerben und um die alle Werber ablehnende Kriemhild zu werben. Mit nur zwölf Gefährten zieht Siegfried aus. Als er in Worms ankommt, ahnt Hagen, dass der Ankömmling nur Siegfried sein kann, und erzählt dem Hof dessen Geschichte: Siegfried hat den wunderbaren Hort des verstorbenen Königs Nibelung erworben, indem er dessen Söhne erschlug, die bei der Erbteilung in Streit gekommen waren, daraufhin Siegfried baten, ihnen den Hort zu teilen, aber auch mit seinem Teilungsvorschlag nicht einverstanden waren und zornig auf ihn losgingen. Vorausschauend hatte Siegfried im voraus als Lohn das Schwert des Nibelung, Balmung, verlangt, und erschlug sie und ihr riesisches Gefolge. Dem Zwergen (Zwerg) Alberich, der den Hort in einem unsichtbar machenden Tarnmantel, genannt tarnkappe (Tarnkappe), bewachte, konnte er diese abnehmen und ihn dann fesseln. Alberich musste hinfort als Kämmerer den Hort für Siegfried bewachen. Außerdem, setzt Hagen fort, erschlug Siegfried einmal einen Drachen und badete in dessen Blut, so dass er seither eine unverletzliche Hornhaut besitzt. Wir sehen: das erste, was Hagen von Siegfried berichtet, ist die Erwerbung des Hortes. Vor allem Hagens Gedanken sind das Werk hindurch immer wieder auf dessen Besitz fixiert. Gunther geht daraufhin Siegfried entgegen, der zur Überraschung aller Gunther zum Zweikampf herausfordert: dem Sieger sollen die Erbe beider gehören. Der Wormser Hof geht darauf nicht ein: das Burgundenreich ist ein Erbreich, man hat es weder nötig, jemandem sein Reich mit Gewalt abzunehmen noch will man es gegen Gewalt abtreten. Daraufhin entschließt sich Siegfried, die freundschaftlichen Angebote der Wormser anzunehmen und als Gast zu bleiben. Dass sein eigentlicher Zweck die Werbung um Kriemhild ist, erwähnt er nicht, denn das niederrheinische Reich um Xanten ist nicht so bedeutend wie das Burgundenreich um Worms; man würde die Prinzessin wohl nicht dorthin verheiraten. Er bleibt ein Jahr, in dem es ihm gelingt, sich den Wormsern unentbehrlich zu machen. Insbesondere hilft er ihnen, als die Sachsen und Dänen mit einem übermächtigen Heer das Wormser Reich erobern wollen. Siegfried leitet umsichtig den ganzen Kriegszug und besiegt außerdem persönlich die beiden feindlichen Könige im Zweikampf und nimmt sie gefangen. Beim Siegesfest versucht man, ihn mit Kriemhild zu ködern, um weiterhin seiner Hilfe sicher zu sein, da man erkannt hat, was ihn zur Hilfeleistung motiviert. Kriemhild und Siegfried tauschen liebevolle Blicke. Trotzdem will Siegfried erst werben, wenn er auch Gunther zu einer Braut verholfen hat. Gunther hat sich Brünhild in den Kopf gesetzt, die Königin von Island, wovon Siegfried abrät. Siegfried war schon an Brünhilds Hof und kennt sich dort gut aus. Brünhild verlangt von den Werbern, sie in einem Dreikampf zu besiegen; ansonsten verlieren sie das Leben. Gunther könnte ihre magischen Kräfte nie besiegen. Hagen rät, Siegfried möge Gunther zu ihr verhelfen. Siegfried verspricht es, wenn Gunther ihm dafür Kriemhild zur Frau gibt. Auf märchenhafte Weise segeln Gunther, Siegfried, Hagen und Dankwart nur zu viert in einem kleinen Schifflein nach Island. Brünhild erwartet zunächst, Siegfried wolle um sie werben. Um nicht Brünhilds Verdacht zu erregen, warum er mitkommt, wenn Gunther wirbt, gibt Siegfried sich als ein Gefolgsmann Gunthers aus. Um diese Täuschung zu vervollkommnen, leistet Siegfried für Gunther den Stratordienst: er führt Gunthers Pferd vor aller Augen am Zügel. Durch die Tarnkappe unsichtbar gemacht, besiegt Siegfried Brünhild so, dass sie glaubt, Gunther habe es geleistet. Um die Ehe (damit auch die politische Einheit Gunther-Brünhild) nicht zu gefährden, darf sie nicht erfahren, dass sie einem Betrug aufgesessen ist. In Worms wird Siegfried zu ihrer Verwunderung genau so königlich behandelt wie Gunther. Seine Vermählung mit ihrer Schwägerin Kriemhild erscheint ihr trotzdem als eine Mesalliance (franz. Missheirat). In der Hochzeitsnacht (in Worms) fesselt Brünhild Gunther mit ihrem Gürtel und hängt ihn an einen Haken an der Wand, weil er ihr nicht verrät, warum seine Schwester Kriemhild nicht zu gut als Frau für Siegfried ist, obwohl Siegfried als Gatte für Brünhild nicht ebenbürtig wäre. Erst Siegfried bezwingt Brünhild in der zweiten Nacht – wieder mit Hilfe der Tarnkappe. Dabei entwendet er ihren Ring und ihren Gürtel, die klassischen Zeichen für eine erfolgreiche Defloration, obwohl ausdrücklich betont wird, dass Gunther seine Frau selber entjungfert hat.
Noch Jahre später bewegt Brünhild immer wieder die Frage nach einer eventuellen Vasallität Siegfrieds. Neun Jahre später lädt Gunther auf Bitten seiner Frau Siegfried und Kriemhild nach Worms ein. Siegfried und Kriemhild leben teils im Reich seines Vaters, um Xanten, teils im Nibelungenland, das in Norwegen gedacht ist. Hagen denkt auch bei dieser Gelegenheit wieder an Siegfrieds Reichtum und den Nibelungenhort. In Worms geraten die Frauen über die Frage nach dem Rang ihrer Männer in Streit: Brünhild erklärt, dass sie mit eigenen Augen beobachtet habe, dass Siegfried Gunther als Vasall und „Knecht“ gedient habe. Kriemhild hingegen kann Ring und Gürtel von Brünhild vorweisen (die ihr Siegfried geschenkt hatte) und nennt sie die Kebse (Mätresse) ihres Mannes. Der Streit (den Streit in den altnordischen Parallelüberlieferungen bezeichnet man mit dem altnordischen Wort "Senna") endet mit Tränen Brünhilds. Daraufhin schlägt Hagen Gunther im "Mordrat" die Ermordung Siegfrieds vor.

Hagen von Tronje hält Siegfried für eine Bedrohung des Hofes von Worms. Hagen überzeugt Gunther davon, dass es ihm nützt, wenn man Siegfried ermordet. Zögernd gibt Gunther nach. Hagen gelingt es, Kriemhild das Geheimnis zu entlocken, dass eine Stelle von Siegfrieds Rücken, die beim Bad im Drachenblut von einem Lindenblatt bedeckt wurde, verwundbar blieb. Hagen tötet Siegfried mit einer Lanze, als dieser sich zu trinken über eine Quelle beugt. Er hatte Siegfrieds verwundbare Stelle von Kriemhild auf der Kleidung markieren lassen unter dem Vorwand, gerade diese Stelle besonders beschützen zu wollen.
Hagen bringt die Könige dazu, Kriemhild zu überreden, den Nibelungenhort nach Worms kommen zu lassen. Sie benutzt aber den Schatz (ihre Morgengabe, daher ihr Eigentum), um fremde Recken an sich zu binden, indem sie ihnen Geschenke macht, aus denen sie eine Verpflichtung herleiten kann. Hagen ahnt, dass sie damit Freunde gewinnen könnte, die den Mord rächen und Hagen gefährlich werden könnten. Als Hagen das bemerkt, unterrichtet er Gunther von der Bedrohung. Während die Könige einen „Ausflug“ machen, stiehlt Hagen den Schatz und versteckt ihn im Rhein. Der Ausflug dient der Rechtfertigung der Könige, die so vorgeben können, nichts bemerkt zu haben. Kriemhilds Klagen bei ihren Brüdern bleiben fruchtlos, sie weisen die Verantwortung von sich, Hagen zieht sich für eine Weile vom Hof zurück. Damit endet der erste Teil.
Kriemhilds Rachepläne erhalten eine Chance zur Umsetzung, als der Hunnenkönig Etzel sie heiraten will. Schon im Vorfeld sichert sie sich die unbedingte Gefolgschaft Rüdigers von Bechelaren. Hagen versucht die Ehe zu verhindern, er erkennt, dass Kriemhild ihre Macht benutzen wird, um Siegfried zu rächen. Die Könige, besonders Giselher, hoffen aber, sie mit dieser Heirat, die ihr Ehre und Ansehen zurückgeben wird, zu „ergetzen“, d. h. die Schuld (Siegfrieds Tod) zu sühnen. Kriemhild zieht mit großem Gefolge ins Land der Hunnen und wird dort zu einer mächtigen Monarchin.
Jahre später lädt sie ihre Brüder und Hagen, dem sie den Mord an Siegfried und den Raub des Nibelungenschatzes niemals verziehen hat, ins Land der Hunnen (Ungarn) zu einem Hoffest ein. Die Eingeladenen vermuten eine Falle, begeben sich jedoch trotzdem auf die Reise entlang der Donau, weil sie der Meinung sind, durch die Mitnahme von 1000 Kriegern (mit 9000 Knechten) genug gegen Rachepläne Kriemhilds oder Herrschaftspläne Etzels geschützt zu sein. Während der Reise an Etzels Hof wird Hagen von weissagenden Wasserfrauen gewarnt, allen stehe der Untergang bevor, nur der Kaplan werde die bevorstehenden Ereignisse überleben. Hagen will diesen sogleich töten, damit die Prophezeiung sich nicht erfülle, und wirft ihn in die Hochwasser führende Donau, aber der Kaplan kann sich durch ein Wunder Gottes ans Ufer retten. Die Burgunden weigern sich, am Hof Etzels die Waffen abzulegen: im Feudalismus eine offene Kampfansage und schwere Beleidigung des Gastgebers. Doch Etzel gibt nach und lässt den Gästen die Waffen. Er ahnt nichts von den Racheplänen seiner Frau. Kriemhild versucht mit Hilfe von Etzels Bruder, Hagen töten zu lassen. Das misslingt jedoch. Ebenso kann Kriemhild ihre beiden Brüder Gernot und Giselher nicht zur Abkehr von Hagen bewegen. Etzel ist den Gästen freundlich gesinnt und will den sechsjährigen Sohn Kriemhilds und Etzels, Ortlieb, den sie hatte christlich taufen lassen, als Bindeglied zwischen beiden Reichen den Burgunden zur Erziehung nach Worms mitgeben. Hagen prophezeit daraufhin den Tod des Kindes; er ahnt in diesem anscheinend guten Angebot einen Vormachtsanspruch Etzels. Zugleich bringt Kriemhild es durch ihr Intrigenspiel dazu, dass Etzels Bruder Blödel den Bruder Hagens, Dankwart, der die Knechte beaufsichtigt, zum Zweikampf herausfordert. Hagen erschlägt Blödel sofort; daraufhin erschlägt eine Schar von Hunnen die wehrlosen Knechte der Burgunden. Dankwart kann sich durch die Hunnen eine blutige Gasse zum Rittersaal bahnen und Hagen den Vorfall berichten. Daraufhin tötet Hagen Ortlieb und fordert die Burgunden auf, die Hunnen zu erschlagen. Es kommt zum Blutbad. Im Laufe der Kämpfe gehen die Helden beider Seiten zugrunde; von den Burgunden leben nur mehr Gunther und Hagen. Dietrich von Bern bezwingt Hagen und Gunther und liefert sie gefesselt Kriemhild aus, verlangt aber, dass sie ihnen das Leben lassen soll, falls sie zu Genugtuung für das ihr angetane Leid bereit sind. Dietrich vertritt den Standpunkt, dass auch für einen Mord Geldbuße geleistet werden kann. Daraufhin fordert Kriemhild von Hagen Genugtuung, um Dietrichs Bedingung zu erfüllen - allerdings ohne zu erwarten, dass Hagen sie leisten wird. Hagen erklärt, so lange einer der drei Könige lebt, nicht zu verraten, wo sich der Hort befindet. Daraufhin lässt sie Gunther das Leben nehmen. Als sie mit dem Haupt ihres Bruders vor Hagen tritt, erklärt dieser, nun wüssten nur Gott und er den Aufenthalt des Hortes. Provokant hat er das Schwert Siegfrieds, das er widerrechtlich, durch Leichenraub, sich nach dem Mord angeeignet hatte, an den Etzelshof mitgenommen. Dieses ergreift nun Kriemhild und, nachdem es den von ihr dazu angestifteten Männern nicht gelungen war, sie zu rächen, schlägt sie Hagen eigenhändig mit Siegfrieds Schwert den Kopf ab. Die Männer sind entsetzt, auch Etzel; nicht über den Tod Hagens, den er selbst wünschte, sondern dass der größte Held durch die Hand einer Frau starb. Zur Rache dafür erschlägt Hildebrand, der alte Waffenmeister Dietrichs, Kriemhild. Am Ende stehen Dietrich von Bern, Hildebrand, Etzel und die ritterliche Gesellschaft weinend vor der Bilanz unsagbaren Elends, und auch der Erzähler nimmt trauernd Abschied.

Überlieferung
Der Text des Nibelungenlieds ist in ca. 35 (großteils nur fragmentarisch erhaltenen) deutschen Handschriften und einer niederländischen Umarbeitung erhalten (darunter zwei Handschriften, die nur die „Klage“ enthalten und ein Aventiurenverzeichnis). Die Handschriften wurden vorwiegend in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz gefunden, die meisten im Raum Tirol. Die drei ältesten Textzeugen (Haupthandschriften) sind von Karl Lachmann mit Buchstaben (Siglen) folgendermaßen kategorisiert worden:
- A = Hohenems-Münchener Handschrift (letztes Viertel 13. Jh.), in der Bayerischen Staatsbibliothek
- B = St. Galler Handschrift (Mitte 13. Jh. oder etwas früher), in der Stiftsbibliothek St. Gallen
- C = Hohenems-Laßbergische / Donaueschinger Handschrift (2. Viertel 13. Jh.), seit 2001 in der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe, vgl. [1]
Diese drei Manuskripte gelten gleichzeitig als Hauptvertreter dreier verschiedener Textfassungen, deren Verhältnis zueinander bis heute weitgehend ungeklärt ist. Die autornächste Fassung ist zweifellos B. Neben den drei Hauptüberlieferungssträngen (A, B und C) wird man auch von einer breiten mündlichen Tradition ausgehen müssen, deren Rückwirkung auf die schriftlichen Fassungen jedoch schwer einzuschätzen ist.
Weiterhin gruppiert man die Handschriften bzw. ihre Textfassungen nach dem letzten Vers des Textes. So enden Handschrift A und B mit dem Text: „daz ist der Nibelunge not“ („das ist der Untergang der Nibelungen“). Diese Texte werden darum als Not-Fassung bezeichnet. Handschrift C allerdings endet auf „daz ist der Nibelunge liet“ („das ist das Lied/Epos von den Nibelungen“). Dieser Text wird darum „Lied-Fassung“ genannt. Der C-Text ist eine Bearbeitung mit Rücksicht auf das Publikum und mildert vor allem die Tragik. Dadurch wurde er beliebter, obwohl, zumindest für heutiges ästhetisches Empfinden, der B-Text die größere künstlerische Leistung darstellt.
Nibelungenkenntnis im deutschen Mittelalter
Der nibelungische Stoff war im deutschen Sprachraum das ganze Mittelalter hindurch sehr bekannt und verbreitet. Dichter und Geschichtsschreiber erwähnen gelegentlich Figuren oder Konstellationen der Sage; dabei kann man jedoch kaum je entscheiden, ob die Kenntnis auf das Nibelungenlied (oder eine seiner Vorstufen) selbst zurückgeht oder ob es nicht auch ganz andersartige Fassungen (Teilversionen) dieses Stoffes gegeben hat.
So erzählt im 10. Jahrhundert ein sanktgallischer Mönch in dem lateinischen Schulepos Waltharius Hagens und Gunthers Vorgeschichte, die im Nibelungenlied in der 28. Aventiure in der Strophe 1756 und in der 39. Aventiure in der Strophe 2344 anklingt. Auch dem lateinischen Ruodlieb des 11. Jahrhunderts hat man nachgesagt, dass er von Siegfrieds Biographie angeregt gewesen sein könnte. Um 1165–1175 erwähnt der Kleriker Metellus von Tegernsee (Ode 30), dass ein bei den Teutones berühmtes Lied von den Taten des Roger (Rüdiger) und Tetrix (Dietrich) an der Erlaf (Fluss, der bei Pöchlarn in die Donau mündet) handelt. Etwa zur selben Zeit muss sich der Bischof Gunther von Bamberg von seinem Domscholaster Meinhart dafür rügen lassen, dass er sich immer nur mit Attila und den Amelungen (Dietrich von Bern) beschäftigt – damit ist die Heldenepik insgesamt angesprochen.
Der Spruchdichter Herger (2. Hälfte des 12. Jahrhunderts) vergleicht Wernhart von Steinsberg (bei Sinsheim) mit Rüedeger von Bechelaeren (26,2). Damals war also am Mittel-/Oberrhein in Adelskreisen der Nibelungenstoff gut bekannt. Der dänische Geschichtsschreiber Saxo Grammaticus berichtet um 1200 von einem Lied cuiusdam parricidii (von einem gewissen Verrat), mit dem ein sächsischer Sänger den 1131 ermordeten schleswigschen Herzog Knut habe warnen wollen. Saxo selbst denkt dabei an notissimam Grimilde erga fratres perfidiam (die berühmte Treulosigkeit Kriemhilds gegenüber ihren Brüdern). Auch die Versenkung des Nibelungenhorts im Rhein war sprichwörtlich. Der Minnesänger Otto von Botenlauben spielt in einem seiner Lieder darauf an (ze loche in dem rine). Literarisch bedeutsame Querbeziehungen hat das Nibelungenlied insbesondere mit dem vermutlich nahezu gleichzeitig entstandenen Parzival-Roman Wolframs von Eschenbach.
Mitte des 13. Jahrhunderts erwähnt der gelehrte Wanderdichter Marner Kriemhilds Verrat an ihren Brüdern, Siegfrieds Tod und den Nibelungenhort als Publikumsrenner, die er jedoch selbst nicht im Programm habe. Hugo von Trimberg spricht in seiner höfischen Lehrschrift Renner in einer ähnlichen Aufzählung von gern gehörten Erzählstoffen von Kriemhilds „mort“, von Siegfrieds Drachen und vom Nibelungenhort (V. 16183ff.).
Der Nibelungenstoff im Spätmittelalter
Aus dem 15. Jahrhundert stammen Fassungen des Nibelungenlieds, die es im Grunde zu neuen Texten umarbeiten. Generell besteht in der handschriftlichen Überlieferung die Tendenz zur Integration des Stoffes in das Leben des Dietrich von Bern. In diesen Fassungen werden beispielsweise der erste Teil stark reduziert (z. B. Handschrift n) oder neue motivliche Anbindungen gesucht (z. B. Heldenbuch-Prosa um 1480: Burgundenuntergang als Kriemhilds Rache an Dietrich für den Mord an Siegfried im Rosengarten zu Worms).
Im 16. und 17. Jahrhundert wird das strophische Lied vom Hürnen Seyfried (Vom verhornten Siegfried) gedruckt, das in Details wohl auf das 13. Jahrhundert zurückgeht und manche Züge aufweist, die sonst nur die nordische Überlieferung kennt. Der Vater Kriemhilds heißt hier Gybich (nord. Gjuki); Günther, Hagen und Gyrnot sind Brüder.
1557 dramatisiert Hans Sachs in seiner „Tragedj mit 17 personen: Der Huernen Sewfrid“ das Lied. Im 17. bis 19. Jahrhundert blieb der Stoff populär, wie an den mehrfachen Auflagen des Volksbuchs mit dem Titel Eine Wunderschöne Historie von dem gehörnten Siegfried abzulesen ist. Der älteste bekannte (jedoch nicht erhaltene) Druck dieser Prosa-Umarbeitung erschien 1657 in Hamburg. Dem Zeitgeschmack entsprechend heißt Kriemhild hier Florimunda (Florigunda?).
Rezeptionsgeschichte
Nach der Wiederentdeckung der Handschriften des Nibelungenlieds durch Jacob Hermann Obereit (1755) und der ersten vollständigen Übertragung durch Christoph Heinrich Myller (1782) wusste die Aufklärung zunächst wenig mit dem Stoff anzufangen. Am 22. Februar 1784 schrieb Friedrich der Große an Myller, der das Werk (unter anderen) dem König gewidmet hatte, folgendes:
- Hochgelahrter, lieber Getreuer!
- Ihr urtheilt viel zu vorteilhafft von denen Gedichten aus dem 12., 13. und 14. Seculo, deren Druck Ihr befördert habet, und zur Bereicherung der Teutschen Sprache so brauchbar haltet. Meiner Einsicht nach sind solche nicht einen Schuss Pulver werth; und verdienten nicht aus dem Staube der Vergessenheit gezogen zu werden. In meiner Bücher-Sammlung wenigstens würde Ich dergleichen elendes Zeug nicht dulten; sondern herausschmeißen. Das Mir davon eingesandte Exemplar mag dahero sein Schicksal in der dortigen großen Bibliothek abwarten. Viele Nachfrage verspricht aber solchem nicht,
- Euer sonst gnädiger König Frch.
Goethe las den Weimarer Damen in einer Folge mehrerer Abende das ganze Nibelungenlied vor und machte mehrere detaillierte Bemerkungen dazu (dass sich nach seinem Tod in seiner Bibliothek ein unaufgeschnittenes, d.h. nicht gelesenes, Exemplar fand, bedeutet also nicht, dass er das Nibelungenlied nicht gelesen hätte). Erst nach Goethes freundlichem Urteil über das „köstliche Werk“ und seiner Forderung, das Heldenlied in eine epische Form zu bringen, setzen in der Romantik zahlreiche Bemühungen um eine dramatischen Neuformung ein. Seitdem wurden zwei Wege eingeschlagen: Teilweise wurde der Stoff des Nibelungenlieds bearbeitet, teilweise griffen die Autoren auf die Sigurd-Brünhild-Version zurück, die in der Mitte des 13. Jahrhunderts entstandenen Wölsungensaga, beziehungsweise in einigen Liedern der Edda gestaltet ist.
Von den zahlreichen Bearbeitungen des neunzehnten Jahrhunderts sind heute nur noch drei Werke von Interesse, die Trilogie „Der Held des Nordens“, eine dramatische Bearbeitung von Friedrich de la Motte Fouqué, Hebbels Drama und Wagners „Ring des Nibelungen“.
Friedrich de la Motte Fouqués dramatisches Gedicht folgt im ersten Teil „Sigurd, der Schlangentödter“ der nordischen Tradition: Sigurd befreit Brynhild aus der Waberlohe, heiratet aber nach einem Vergessenstrank Gunnars Schwester Gudrun, hilft Gunnar bei der Werbung um Brynhild, die nach seiner Ermordung durch einen Bruder Gunnars Selbstmord begeht. Im zweiten Teil „Sigurd's Rache“ heiratet Gudrun – erneut unter dem Einfluss eines Zaubertranks ihrer Mutter – den Hunnenkönig Atli. Er will sich in den Besitz des Horts bringen und lädt die Brüder in sein Land ein. Nach deren Ermordung tötet Gudrun ihre eigenen Kinder und setzt sie Atli als Speise vor. Schließlich wird Atli ermordet, und Gudrun wählt wie Brynhild den Freitod. Der dritte Teil „Aslauga“ erzählt, angelehnt an ein Bruchstück aus der Edda, das womöglich auf eine Sage der Ostgoten zurückgeht, das Geschick der Tochter Sigurds und Brynhilds: Sie wächst bei Hirten als Hütemädchen auf, wird aber wegen ihrer Schönheit vom König von Dänemark geheiratet, worauf die üblichen Verwicklungen folgen. Im Gegensatz zur ostgotischen Sage geht die Geschichte gut aus.
Fouqué hatte mit dem Werk beim Publikum großen Erfolg und erhielt auch von anderen Dichtern der Zeit wie Jean Paul, Adelbert von Chamisso und Rahel Varnhagen großes Lob. Heinrich Heine dagegen bemängelte die fehlende Charakterisierung der Personen und das Fehlen der dramatischen Spannung. Diese Meinung hat sich durchgesetzt, und seit fast 100 Jahren gibt es keine Ausgabe des Werkes mehr. Wichtiger als das Werk selbst ist aus heutiger Sicht seine Wirkung auf Richard Wagner, der im „Ring des Nibelungen“ viel von Fouqué übernommen hat, ja sogar bezüglich des Versbaus und des Sprachrhythmus als Fouqués Schüler betrachtet werden kann.
Friedrich Hebbel hält sich im Gegensatz zu Fouqué im Handlungsverlauf seiner Trilogie an das Nibelungenlied und blendet den mythologischen Hintergrund der Vorgeschichte weitgehend aus. Seine Figuren sind in unterschiedlicher Ausprägung Typen und Individuen zugleich und dadurch ohne durchgängige Motivation. Brunhild wird zum Ding, zum Tauschobjekt erniedrigt, Kriemhild am Ende wie im Nibelungenlied quasi kommentarlos erschlagen. Wegen der Schlussworte wurde in das Stück mitunter ein geschichtsphilosophisches Anliegen hineininterpretiert (Ablösung der mythischen Welt der Riesen durch das Christentum), aber in Hebbels Äußerungen lassen sich dafür keine Hinweise finden. Hebbels Stück fand auf dem Theater eine günstige Aufnahme und verdrängte die anderen dramatischen Bearbeitungen fast vollständig von den deutschen Bühnen – auch die Fassung von Emanuel Geibel, der den Stoff zu einem bürgerlichen Trauerspiel umformte.
Im Gegensatz zu Goethe äußerte sich Heinrich Heine (1797–1856) negativ über den Ton des Nibelungenlieds: „Es ist eine Sprache von Stein, und die Verse sind gleichsam gereimte Quadern. Hie und da, aus den Spalten, quellen rote Blumen hervor wie Blutstropfen oder zieht sich der lange Epheu herunter wie grüne Tränen.“

Trotz Heines Kritik erlangte der Stoff im 19. Jahrhundert den Rang eines deutschen Nationalepos. Zusätzlich zu den Theaterfassungen entstanden viele z. T. illustrierte Ausgaben (z. B. von Alfred Rethel, 1840, und von Julius Schnorr von Carolsfeld, 1843).
In der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts diente das Nibelungenlied mehreren Romanen mit nationalistischer Tendenz als Vorlage. Mit dem Stück „Der Nibelungen Not“ knüpfte Max Mell an die Wölsungen-Variante, Wagners Mythologisierung und das Walkürenmotiv an. Er konzentrierte das Geschehen auf die bühnenwirksamen Höhepunkte. Im ersten Teil: Siegfrieds und Kriemhilds Ankunft in Worms, der Streit der Königinnen, Siegfrieds Ermordung, Brünhilds Freitod in den Flammen und ihre Rückkehr in den Bereich der Götter. Im zweiten Teil: Empfang der Burgunden an Etzels Hof, Racheintrige Kriemhilds, Untergang der Burgunden, Kriemhilds Ermordung und ein Schluss, der der Dietrichsage entnommen ist (Dietrich reitet auf seinem Pferd davon).
Im Nationalsozialismus feierte man die Wiederkehr der germanischen Größe und des Heldentums, der germanischen Gefolgstreue und des männlichen Rittertums und unterlegte die Idee des deutschen Volkstums mit diesen „germanischen Tugenden“. Man berief sich auf die schöpferischen Kräfte der Germanen, denen das Dritte Reich wieder Lebensmöglichkeiten gebe. Das Nibelungenlied wurde so als Vehikel nationaler Ideen instrumentalisiert und missbraucht. Wie z. B. von Hermann Göring, der die Lage der deutschen Soldaten im Kessel von Stalingrad mit der Lage der Nibelungen im brennenden Saal verglich („Wir kennen ein gewaltiges historisches Lied...“) – Anscheinend kannte er das Stück nicht wirklich, denn der Ausgang war hier und dort derselbe.
Nach 1945 war das Nibelungenlied wegen der Inanspruchnahme des Stoffes durch den Nationalsozialismus zunächst mit einem Tabu belegt, und jahrelang gab es keine zeitgemäße Prosafassung. Erst seit dem Einströmen von Fantasy-Elementen in die literarische Unterhaltungsliteratur - schon in J. R. R. Tolkiens Werken (Herr der Ringe) lassen sich etliche Elemente der Nibelungensaga (das Ring-Motiv!) wiederfinden - beschäftigten sich mehrere Romane aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit dem Thema. Z. B. folgt „Rheingold“ von Stephan Grundy der Wölsungen-Linie, „Siegfried und Krimhild“ von Jürgen Lodemann dagegen dem Nibelungenlied, in drei anderen Romanen steht entweder Kriemhild (Roman von Sabina Trooger), Hagen (Siehe Wolfgang Hohlbeins Roman „Hagen von Tronje“) oder Brünhild im Mittelpunkt. Der Roman „Sigfrieds Tochter“ von Eric Gutzler verknüpft die Wölsungensaga mit dem Nibelungenlied zu einem durchgehenden Handlungsstrang und erweitert den Stoff zu einem historischen Fantasy-Roman, in dem Sigfrieds Tochter im Brennpunkt steht. Baal Müllers „Die Nibelungen - nach alten Quellen neu erzählt“ schildert die Geschichte vom Untergang der Burgunden aus der Sicht des alten Hildebrand.
Siehe auch
Literatur
Textausgaben
- Das Nibelungenlied. Paralleldruck der Handschriften A, B und C nebst Lesarten der übrigen Handschriften. Hrsg. von Michael S. Batts. Niemeyer, Tübingen 1971. ISBN 3-484-10149-0
- Das Nibelungenlied. Nach der Ausgabe von Karl Bartsch hrsg. von Helmut de Boor, ergänzt von Roswitha Wisniewski. Deutsche Klassiker des Mittelalters. Wiesbaden 1988 (22. Aufl.). ISBN 3-7653-0373-9 (Mittelhochdeutscher Text mit reichhaltigem Anmerkungsapparat)
- Das Nibelungenlied. Mhd./Nhd. Nach dem Text von Karl Bartsch und Helmut de Boor ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert von Siegfried Grosse. Reclam Universal-Bibliothek. Bd 644. Reclam, Stuttgart 1997. ISBN 3-15-000644-9
- Das Nibelungenlied. Zweisprachig Mhd.-Nhd. Herausgegeben und übertragen von Helmut De Boor Sammlung Dietrich Verlagsgesellschaft Leipzig 1959,1992 4.Auflage ISBN 3-7350-0104-1
- Das Nibelungenlied. Nach der St. Galler Handschrift hrsg. u. mit einer Einl. v. Hermann Reichert. de Gruyter, Berlin 2005. ISBN 3-11-018423-0.
- Das Nibelungenlied. Mhd.-Nhd. Nach der Handschrift C der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe. Hrsg. und übers. von Ursula Schulze. Artemis & Winkler, Düsseldorf - Zürich 2005. ISBN 3-538-06990-5.
Forschungsgeschichtlich wichtige Ausgaben (Reprints)
- Christoph Heinrich Myller: Samlung deutscher Gedichte aus dem XII., XIII. und XIV. Jahrhundert. Bd 1. Der Nibelungen Liet. Eneidt. Got Amur. Parcival. Der arme Heinrich. Von der Minnen. Dis ist von der Wibe List. Dis ist von dem Pfennige. Hrsg. von Christoph Heinrich Myller. Berlin 1784.
- Karl Lachmann: Der Nibelunge Noth und die Klage – Nach der ältesten Überlieferung, mit Bezeichnung des unechten und mit den Abweichungen der gemeinen Lesart. Reimer, Berlin 1941, de Gruyter, Berlin 1960. ISBN 3-11-000177-2
Sekundärliteratur
- Otfrid Ehrismann: Nibelungenlied. Epoche – Werk – Wirkung. München 2002 (2. Aufl.). ISBN 3-406-48719-X.
- Otfrid Ehrismann: Das Nibelungenlied. München 2005. ISBN 3-406-50872-3.
- John Evert Härd: Das Nibelungenepos. Wertung und Wirkung von der Romantik bis zur Gegenwart. Francke, Tübingen-Basel 1996. ISBN 3-7720-2157-3
- Christoph Fasbender (Hrsg.): Nibelungenlied und Nibelungenklage, neue Wege der Forschung. Darmstadt 2005. ISBN 3-534-18185-9
- Joachim Heinzle, Anneliese Waldschmidt (Hrsg.): Die Nibelungen, ein deutscher Wahn, ein deutscher Alptraum. Studien und Dokumente zur Rezeption des Nibelungenstoffs im 19. und 20. Jahrhundert. Suhrkamp, Frankfurt M 1991. ISBN 3-518-38610-7
- Joachim Heinzle, Klaus Klein, Ute Obhof (Hrsg.): Die Nibelungen. Sage - Epos - Mythos. Wiesbaden 2003. ISBN 3-89500-347-6.
- Werner Hoffmann: Das Nibelungenlied. Sammlung Metzler. Bd 7. Stuttgart-Weimar 1992 (6. Aufl.). ISBN 3-476-16007-6
- Jan-Dirk Müller: Spielregeln für den Untergang - Die Welt des Nibelungenliedes. Tübingen 1998. ISBN 3-484-10773-1.
- Jan-Dirk Müller: Das Nibelungenlied. Bamberg 2005 (2. Aufl.). ISBN 3-503-07951-3
- Hermann Reichert: Nibelungenlied-Lehrwerk. Sprachlicher Kommentar, mittelhochdeutsche Grammatik, Wörterbuch. Passend zum Text der St. Galler Fassung („B“). Wien: Praesens Verlag 2007. ISBN 978-3-7069-0445-2. Preis: EUR (D) 26,20.
- Ursula Schulze: Das Nibelungenlied. Reclam, Stuttgart 1997. ISBN 3-15-017604-2
Rezeption
Lit. Bearbeitungen
- Franz Fühmann: Das Nibelungenlied. Rostock 1971 (und viele folgende Auflagen)
- Jürgen Lodemann: Siegfried und Krimhild. Klett-Cotta, Stuttgart 2002. ISBN 3608935487
- Moritz Rinke: Die Nibelungen. Rowohlt, Reinbek 2002. ISBN 3499232022
- Helmut Krausser: Unser Lied. Nibelungendestillat. In: Helmut Krausser: Stücke 93-03. Fischer, Frankfurt M 2003, S.325-375. ISBN 3596159792
Verfilmungen
Der Stoff des Nibelungenliedes wurde 1924 und 1967 fürs Kino und 2004 für das Fernsehen verfilmt. Am erfolgreichsten und filmhistorisch bedeutendsten ist die zweiteilige Stummfilmversion von 1924 unter der Regie von Fritz Lang.
Weblinks
- Nibelungenhandschrift C digital
- Nibelungenliedgesellschaft Worms e. V.
- der mittelhochdeutschen Versionen A, B, und C
- Nibelungenlied-Lehrwerk der Bibliotheca Augustana von Hermann Reichert
- ub.fu-berlin.de Linksammlung der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin
- Umfangreiche Linkzusammenstellung
- Rezeption der Nibelungen in Literatur und Musik (Gunther E. Grimm)
- "Sie kämpften bis zum letzten" - Karlsruhe präsentiert "Das Nibelungenlied und seine Welt" - und das Versagen der deutschen Intellektuellen (Die Welt, 23. März 2003)
Zu 'Goethe und das Nibelungenlied':
Quellen
- ↑ Walter Hansen, Die Spur des Sängers 1987, ISBN 3785704550
- ↑ Berta Lösel-Wieland-Engelmann, Verdanken wir das Nibelungenlied einer Niedernburger Nonne?, "Monatshefte", Vol. 72, No. 1, Madison, Wisconsin, 1980