Viola da gamba
Viola da gamba |
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engl.: Viol, ital.: Viola da gamba frz.: Viole de gambe |
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Klassifikation |
Chordophon Streichinstrument |
Stimmungen (Diskant, Alt/Tenor, Bass)[1]: |
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Verwandte Instrumente: |
Baryton, Violine, Viola d’amore Viola bastarda, Lira da gamba, Lira da braccio |
Die Viola da gamba (zu ital. viola „Geige“ und gamba „Bein“, im Deutschen auch verkürzt Gambe oder Kniegeige genannt), ist eine Sammelbezeichnung für eine Familie historischer Streichinstrumente. Die Gamben entstanden zur selben Zeit wie die Violinenfamilie. Die Bezeichnung da gamba deutet auf die Spielhaltung hin, die Instrumente sämtlicher Stimmlagen – Diskant-, Alt-/Tenor- und Bassgambe bzw. Violone – werden im Gegensatz zu den viole da braccio, d. h. „Armgeigen“, zwischen den Beinen gehalten bzw. die kleineren Typen mit dem Korpus auf den Schoß gestellt, wobei der Hals nach oben ragt.
Die Gamben, die schon im 15. Jahrhundert wohl in Spanien entstanden waren und sich bis ins 18. Jahrhundert in zahlreichen europäischen Ländern, vornehmlich in Italien und Frankreich, England und Deutschland mit jeweils eigenen Ausprägungen von Mensur und Gestaltung sowie in unterschiedlichen Funktionen des Solo- wie des Ensemblespiels behaupteten, besitzen fünf bis sieben Saiten und ein mit Bünden versehenes Griffbrett. Der Bogen wird im Untergriff gehalten. Mit dem Aufkommen von Violoncello und Kontrabass gerieten die Gamben, die bis dahin die Kammermusik von Akademien, Aristokratie und wohlhabendem Bürgertum bestimmt hatten, allmählich in Vergessenheit – nicht jedoch, ohne einige ihrer bau- und spieltechnischen Eigenheiten an die modernen Instrumente weiterzugeben. Vor allem durch die historische Aufführungspraxis erlebte die Viola da gamba seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine Renaissance.[2]
Begriff und Begriffsgeschichte
Etymologie
Der aus dem Italienischen bzw. Altprozenzalischen stammende Begriff viola und seine etymologischen Verwandten vielle (afrz.. „Drehleier“) und vièle (afrz. „Fidel“) sind seit dem Mittelalter bekannt, ebenso ist deren Beziehung zum mhd. Wort fidel durchsichtig. Am frühesten belegt ist mlat. viella, das ebenso die Fidel meint. Die unterschiedlichen Tonerzeugungsarten spiegeln sich am auffälligsten in der Familie der spanischen Vihuelas, die seit dem 13. Jahrhundert bezeugt ist und als Vihuela de péndola mit einem Federkiel angerissen, als Vihuela de arco mit dem Bogen gestrichen und als Vihuela de mano mit den Fingern gezupft wird; diese Bezeichnung hielt sich bis ins 16.Jahrhundert, während der Violen-Begriff in anderen Sprachen bald nur noch auf Streichinstrumente eingeengt wurde. Ob alle diese Bezeichnungen, wie Johann Christoph Adelung vermutet, über das mlat. fiala „Saiteninstrument“ auf lat. fides „Lyra“ zurückgehen, kann nicht geklärt werden.
Im 16. Jahrhundert begannen sich mit der Entwicklung des Instrumentenbaus Ableitungen zu viola herauszubilden. Diese betrafen zum einen das Format, z. B. violino und violetta als verkleinerte, violone als vergrößerte Bauform; zum anderen teilte sich die Violenfamilie nach der Spielhaltung in Armgeigen (viole di braccio) und Kniegeigen (viole di gamba), wobei in Italien die Gattungsbegriffe viola und lira weitgehend synonym angewendet wurden. Der Bezeichnung Viola da gamba ging der allgemein beliebtere Name violone voraus, der noch 1553 in Diego Ortiz’ Tratado als Bezeichnung für die ganze Familie galt, bevor er allein den Bassinstrumenten vorbehalten war.[2][3]
Viola, Violen und Gambe
Das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm führt unter dem Lemma Viole aus:
„VIOLE, f., aus viola, wie dieses früher allgemeiner name eines bestimmten typus von streichinstrumenten; mit näheren bestimmungen discantviole, geige; alt-, tenor-, basz-viole (…). alle diese namen, auch viole selbst, womit eine bratsche bezeichnet werden könnte, sind jetzt ungebräuchlich. in älterer sprache kann viole wohl auch ungenau für geige gebraucht werden, wie noch jetzt mundartlich: viol, violine (…).“
Darin zeigt sich einerseits, dass der Begriff nicht allein die Violen-, sondern auch die Violinenfamilie in sämtlichen Registern bezeichnete, andererseits ist die analog zu Bratsche gebildete Kurzform Gambe noch nicht erwähnt. Eine eingedeutschte Violdigamb findet sich aber bereits in Johann Matthesons Der vollkommene Capellmeister (1739)[5], die Violdigamme zuvor schon in Kaspar von Stielers Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs (1691)[6]. Adelungs Grammatisch-kritisches Wörterbuch setzt die Violen- und Geigenfamilie gleich:
„Die Viole, plur. die -n, ein aus dem Französ. Viole und Italien. Viola entlehntes Wort, dasjenige musikalische Saiten-Instrument zu bezeichnen, welches man im Deutschen eine Geige nennet. Ehedem wurde jedes Instrument dieser Art, es mochte zu einer Stimme gehören, zu welcher es wollte, Viole genannt; allein mit der Zeit hat jede ihre eigenen Nahmen bekommen. Besonders ist die Discant-Viole jetzt unter dem Nahmen der Violine am bekanntesten. Die Alt- und Tenor-Violen nennt man jetzt lieber Alt- und Tenor-Geigen, die Baß-Viole, die Baß-Geige oder den Violon u. s. f. Viole d’Amour und Viole de Gambe sind noch zwey aus dem Französischen beybehaltene Nahmen; (…) diese, welche wegen ihrer Größe zwischen den Beinen gehalten wird, heißt im Deutschen auch die Kniegeige.“
Ähnlich wie die Violen sind auch die Geigen eine Streichinstrumentenfamilie, wie die gebräuchlichen Benennungen Bassgeige oder eben Kniegeige zeigen. Erst mit dem Auftreten der Barockvioline, die noch nach Art der Braccio-Instrumente auf dem Arm gespielt wurde, beschränkt sich die Bedeutung von Geige auf das Diskant-Instrument, das bis heute Violine genannt wird. Erst Johann Georg Krünitz ist die Gambe bekannt, wenngleich seine Oekonomische Encyklopädie (1773 ff.) das Lemma Viola di Gamba wählt:
„Viola di Gamba, italienischer Name der Gambe. Gambe, ein veraltetes Instrument, dessen Supplement nunmehr das Violoncell geworden ist, mit welchem es auch bezüglich des Baues, der Form und Gestalt am nächsten verwandt war, und daher die synonymen Beinamen Viola di Gamba oder Kniegeige erhielt.“
Im 18. Jahrhundert haben die modernen Bauformen die Gamben bereits so weit verdrängt, dass das ohnehin zur Erscheinungszeit nicht mehr aktuelle Nachschlagewerk sie nur noch als historische Instrumente nennt. Darüber hinaus gibt die Einschränkung auf die Tenor- und Basslage schon zu erkennen, wie das Wort benutzt wird: wird nicht durch Zusätze wie z. B. „Diskantgambe“ die Stimmlage näher definiert, so geht man bis ins 21. Jahrhundert vom Tenorinstrument aus. Dem folgte schon Johann Heinrich Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon (1732 ff.):
„VIOLA di (da) GAMBA, ist Italienisch, Französisch heis[s]t es: Basse de Viole, ingleichen Viole de Gambe, und ist eine Beinviole, weil sie zwischen den Beinen gehalten wird (…).“
In nahezu allen anderen europäischen Sprachen setzte sich der italienische Terminus viola di [da] gamba durch, so im Englischen viol (de gamba) und teilweise gambo(violl), im Französischen viole (de gambe), im (frühen) Niederländischen fiool de gamba, im Russischen Виола.[2] Zur Unterscheidung von der heutige gebräuchlichen Viola bildete sich eine neue Bezeichnung heraus, die nach der Stimmlage des Bratsche heißt: engl. und frz. alto, poln. Altówka, russ. Альт. Einzig das Norwegische kennt wie das Deutsche Bratsj und Gambe.
Bau
Michael Praetorius beschreibt in De Organographia (1619), dem zweiten Teil des Syntagma musicum die Familie der Gamben folgendermaßen:
„Und haben den Namen daher / daß die ersten [d. h. Viole de Gamba] zwischen den Beinen gehalten werden: Denn gamba ist ein Italienisch Wort / und heist ein Bein/ legambe, die Beinen. Unnd dieweil diese viel grössere corpora, und wegen des Kragens lenge / die Säiten auch ein lengern Zug haben / so geben sie weit ein lieblichern Resonanz / Als die anderen de bracio, welche uff dem Arm gehalten werden. (…) Die Violen de Gamba haben 6. Saiten / werden durch Quarten, und in der Mitten eine Terz gestimmet / gleich wie die sechs Chörichte Lauten. (…) Die Alten haben dieser Violen de gamba, wie im Agricola zu finden / dreyerley Arten gehabt: Dann etliche sind mit drey Säitten; Etliche mit vier; Und etliche (…) mit fünff Säitten bezogen worden.“
Entstehung
Die Gambenfamilie hat drei Vorläufer: den Rebab, die Viella und die Laute. Der Rebab (arab. رباب) war mit der maurischen Kultur nach Spanien gelangt und ist seit dem 10. Jahrhundert als bundloses Zupf- und Streichinstrument mit zwei einfachen oder doppelten Saiten bekannt.[11] Als Streichinstrument wird er im Schoß gehalten oder hängt von der Griffhand. Den langen Bogen führt der Spieler im Untergriff; dessen Länge erlaubt es ihm, ganze Passagen auf einen Strich zu spielen, anstatt für jeden Ton zwischen Auf- und Abstrich wechseln zu müssen.[12]
Die Laute, die Spieltechnik und Namen dem Oud (arab. عود) entlehnte, war ebenso eine Entwicklung des arabischen Kulturkreises. Allein in Spanien stand sie im 16. Jahrhundert in Konkurrenz zur Vihuela, im übrigen Europa entwickelte sie sich in zahlreichen Bauformen zum beliebtesten Zupfinstrument, da sie durch die Anzahl ihrer Saiten den Spieler beliebig transponieren ließ. Die Bünde erlaubten außerdem die Tabulaturnotation, so dass das Instrument nicht nur leicht zu erlernen war, sondern Informationen über die Spieltechnik auch relativ einfach niedergeschrieben werden konnten.[13]
Vieles spricht für die Herkunft der Viella aus Nordfrankreich oder Flandern. Sie war ein der Fidel ähnelndes „Modeinstrument“ des 12. Jahrhunderts, das nach Spanien gelangte und in der Vihuela sowohl etymologisch als auch bautechnisch weiterlebte: im Gegensatz zu den runden Korpora von Rebab und Lauten besitzt sie einen flachen Boden und seitlich eingerundete Zargen. Die von Johannes Tinctoris in De usu et inventione musicae (um 1487) beschriebenen Vihuelas werden schon nach ihren Spieltechniken Zupfen und Streichen unterschieden. Einige Bilddarstellungen der Vihuela da mano aus dem 15. Jahrhundert lassen die spätere Gambenform bereits klar erkennen. Die Viola da gamba war in der Summe eine gestrichene Vihuela da mano mit Stimmung, Bünden und Saitenzahl der Laute sowie Spielhaltung und Bogenhaltung des Rebab.[13]
Als Produkt dreier Bautypen blieben die Violen einerseits bautechnisch ohne einheitliche Normen, die lange und kurze Hälse kannten, runde und flache Schultern, verschiedene Formen von Schalllöchern; andererseits eigneten sie sich in ihrer Vielgestalt zum solistischen Spiel als Melodieinstrument ebenso wie im Gambenconsort als Akkordinstrument – und nicht zuletzt im Generalbass. Als Produkt dreier Kulturen gelangte die Viola da gamba nach Italien, als die Katholischen Könige am Ende der Reconquista 1492 zur „Reinerhaltung des Blutes“ Juden und Muslime aus Spanien vertrieben. Mit jüdischen Musikern gelangte sie nach Ferrara an den Hof der Este und an die humanistischen Akademien.[14]
Allgemeine Bauform
Die Viola da gamba wurde in drei Größen gebaut, Diskant, Alt/Tenor und Bass. Ihre beiden Entwicklungsstufen unterscheiden sich vor allem durch die Stimmung. Während der nordalpine Typ, der möglicherweise flandrischen Ursprungs war, fünf in Quarten gestimmte Saiten besaß, war der südalpine Typ aus Italien sechssaitig und hatte die Quart-Terz-Stimmung der Lauten übernommen. Die italienische Form erwies sich als besser und verdrängte im Laufe des 17. Jahrhunderts die nordalpine. Sie zeigte bereits die Gestaltungsmerkmale der klassischen Gambe, die spitz zulaufenden Oberbügel bzw. Schultern und den flachen Boden.
Bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts sind es Instrumente im 12’-Register, wie sie die Theoretiker Praetorius, Pietro Cerone und Adriano Banchieri beschreiben; noch das in Marin Mersennes Harmonie universelle (1636) abgebildete und mit einer Höhe von 4¼ Pariser Fuß (146 cm) bezeichnete Bassinstrument behielt diese Lage, die im Ensemblespiel Transpositionen erforderte, um die Stimmungen der unterschiedlichen Instrumente aneinander anzupassen. Die Mensur misst ungefähr 80 cm (zum Vergleich: der Kontrabass hat 102–108 cm, das Violoncello 69–71 cm an schwingender Saite), bei Tenor-Gamben ungefähr 60 cm, im Alt 50 cm, im Diskant 40 cm.[15][16]

Jakob Stainer (Absam in Tirol 1673), Joachim Tielke (Hamburg um 1699), Barak Norman (London 1699), Nicolas Bertrand (Paris 1701), Pieter Rombouts (Amsterdam 1708)[17]
Die Decke der Viola da gamba besteht gewöhnlich aus Fichten-, Boden, Zargen und Hals samt Schnecke aus unterschiedlichen Ahornhölzern.[18] Ebenso Birke und Obsthölzer wie Pflaume und Kirsche sind geeignete Bodenhölzer.[19] Auf dem innen mit Leisten verstärkten Boden, der unterhalb des Oberklotzes abgeschrägt ist, sitzt der Zargenkranz, der mit Eckklötzchen verstärkt wird; im Unterschied zur Violinenform ragen diese jedoch nicht aus, die Mittelbügel bleiben stumpf. Die Decke bog der Instrumentenbauer – anders als bei den heutigen industriell gefertigten Kontrabässen – nicht über Dampf, sondern stach sie aus massivem Holz.[20] Moderne Nachbauten gehen mehr und mehr zum Dampfbiegen über.[19] Im Gegensatz zum Violinentyp steht die Decke nicht über den Zargen hervor. Griffbrett und Saitenhalter fertigte man seit dem 17. Jahrhundert aus Ebenholz, wie es heute bei Streichinstrumenten üblich ist. Zuvor waren Ahorn und Birne die bevorzugten Hölzer. Für die seitenständigen Wirbel eignen sich Harthölzer.[21] Seit dem Barockzeitalter sind bei den Gamben Stimmstock mit Bodenplatte sowie der Bassbalken in Gebrauch.

Der Steg wurde zwar teilweise auf die Decke geleimt, ist aber auch als bewegliches Teil verbaut worden. Silvestro Ganassi empfahl in der Lettione seconda (1543), je nach Spielpraxis den Steg auszuwechseln: ein flacherer Steg erlaubt einfacheres Akkordspiel, ein runder eignet sich besser für das solistische Spiel auf der einzelnen Saite. Weiterhin ist die Gestaltung des Stegs von großem Einfluss auf den Klang; die Stege wurden mit der Zeit weniger massig und eher durchbrochen gebaut, so dass sie für einen klaren, leicht nasalen Klang sorgten. Sie sitzen ungefähr in der Mitte der beiden Schalllöcher.[23]
Diese Schallöffnungen erscheinen nicht nur in ƒ- oder C-Form, sondern auch in vielen individuellen Gestaltungen der Gambenbauer; in einige Decken sind zusätzlich an die Laute erinnernde Rosetten eingelassen, verkleidet mit geschnitztem oder gesägtem Gitterwerk. Viele Exemplare der Viola da gamba schmücken sich dazu mit aufwändigen Verzierungen: geschnitzte Löwen- und Drachen-, Menschen- und Engelsköpfe an Stelle der Schnecke, Intarsienarbeit aus Furnier und Elfenbein auf Griffbrett und Saitenhalter, Boden und Zargen, Brandmalerei, farbige Einfassung, Vergoldung usw. Dies trifft vor allem auf englische Instrumente zu, denen gegenüber die französischen deutlich schlichter gehalten sind.[19]
Die Viola da gamba besaß ursprünglich sieben, seit dem 17. Jahrhundert acht Bünde im Halbtonabstand. Sie bestehen aus Darm – dazu werden mitunter ausgediente Saiten verwendet – und werden ein- oder zweimal um das Griffbrett geschlungen und verknotet. (Heute sind auch Bünde aus Polyamid erhältlich.) Ein Bund ist nicht als Griffhilfe zu verstehen, er dient als künstlicher Sattel, der den Klang der schwingenden Saite klarer werden lässt.[24]
Besaitung
Gambeninstrumente wurden in vergangenen Jahrhunderten gewöhnlich mit Darmsaiten von 0,3 bis 4 mm Dicke bespannt; da sie jedoch zu keiner Zeit „genormt“ waren, hängt die richtige Besaitung von zahlreichen Faktoren wie der Bauweise, der Lage des Wolftons und der Stimmung. Die Praxis übertrug die Verhältnisse der Saiten-Intervalle (4:3 für die Quarte, 5:4 für die große Terz) umgekehrt proportional auf die zugehörigen Saitenstärken, so dass die höchste Saite eines sechssaitigen Instruments noch ein Viertel, die eines siebensaitigen noch ein knappes Fünftel an Durchmesser der Basssaite besaß.
Außer mit einfachen Saiten aus Schafs- oder Rinderdarm kann die Viola da gamba auch mit gedrehten oder umsponnenen Saiten bespannt werden (Florentiner und Catlines). Mit Metallsaiten wurde die Viola da gamba erst im Zuge ihrer Wiederentdeckung experimentell bespielt; der zwar lautere, aber zugleich scharfe und weniger substanzreiche Klang stieß schon im 17. Jahrhundert auf Widerstand. Einzelne Versuche gab es ebenso mit Kunststoffsaiten.[25]
Stimmungen
Der charakteristische Unterschied der Violen zu den Violinen ist ihre Saitenstimmung, deren Leitintervall nicht die Quinte, sondern die Quarte ist. Eine ausschließliche Quartstimmung, wie sie heute noch beim Kontrabass in Gebrauch ist, zeigte sich bei den Instrumenten der französischen Renaissance. Die deutschen Gamben dieser Epoche fügten einen Terzabstand ein, dessen Lage jedoch wechselte. Diese Saitenstimmung übernahmen die deutschen Musiker von den italienischen, die die Stimmpraxis der Laute auf die Violen übertrugen. Zum einen stand die vierte der sechs Saiten – auch die Saitenzahl passte sich der Laute an – im Abstand einer großen Terz, zum anderen bevorzugten die Italiener eine möglichst hohe Lage und spannten den höchsten Chor darum so stark wie möglich. Martin Agricolas Musica instrumentalis deudsch (1529) empfiehlt gar, die höchste Saite bis knapp vor den Zerreißpunkt zu spannen. Zum anderen wurde eine Stimmung der tiefsten Saite auf D üblich, wie sie dann auch später bei den vielchörigen Barocklauten Praxis sein sollte.[26]
Die Quartstimmung wurde in der Folgezeit zum Standard, so dass auch die zusätzlichen Saiten des französischen Pardessus und die siebensaitigen Violen jeweils im Quartabstand zu der nächstunteren standen. Die Stimmungen der deutschen Viola bastarda, der englischen Lyra viol und des Barytons waren nicht fest, sondern wurden jeweils der Tonart des zu spielenden Stücks angeglichen. Ohnehin sind die in historischen Werken angegebenen Stimmungen nicht als absolute Vorschrift, sondern immer nur als relative Modelle zu betrachten, da sie sich einerseits auf die höchste Saite als Referenzton beziehen (welche wiederum von der Bauart, dem individuellen Instrument sowie dessen Besaitung abhängt und darum erheblich schwanken kann) und andererseits im Ensemblespiel ein gemeinsamer Stimmton notwendig ist. Wird also die höchste Saite einer Lyra viol als d’ angegeben, so ist dies nicht als Stimmton im heutigen Sinne zu verstehen.[26]
Diese Entwicklung vollzogen erst die englischen Instrumente um 1620, die mit den Violinen und den seinerzeit gebräuchlichen Tasteninstrumenten wie Virginal und Spinett zusammen eingestimmt werden konnten, wie es bis in die Gegenwart in der Kammer- und Orchestermusik praktiziert wird. Damit nahm für die Spieler die Notwendigkeit der Transposition ab und die Gambe bekam im Ensemble eine „feste“ Stimmung.[15] Als Standard kann die von Ganassi in der Regola Rubertina (1542) angegebene Stimmung gelten.[1] Die solistischen Stimmungen weichen zum Teil erheblich von den Ensemblestimmungen ab. Hauptsächlich die englische Lyra viol und der deutsche Dessus de viole wandelten ihre Rolle vom Akkord- zum Melodieinstrument, namentlich in den Werken der Sololiteratur ab dem 18. Jahrhundert, die eine charakteristische Klangfarbe erforderten.[27]
Ensemblestimmungen der Viola da gamba:[28]
Solistische Stimmungen einzelner Instrumententypen:[28][27]
Geschichte

Die Viola da Gamba war in Renaissance und Barock im Gebrauch und wurde in allen Größen gebaut. Eine typische Ensemble-Form war das aus mehreren Instrumenten bestehende Gambenconsort. Es wurde aber auch zahlreiche Solo-Literatur für das Instrument geschrieben. Auch für die Generalbass-Praxis waren die Bassviolen sehr wichtig.
Im Laufe des Hochbarock wurden die Gamben jedoch als Orchesterinstrumente zunehmend unattraktiv. Als letzte große Gambisten sind Carl Friedrich Abel, Ludwig Christian Hesse und Franz Xaver Hammer anzusehen. Neben diesen stellen unter anderem folgende Komponisten wichtige Punkte in der Entwicklung der Gambe und ihrer Literatur dar: aus England: Christopher Simpson, Henry Purcell; aus Frankreich: Marin Marais, Monsieur de Sainte-Colombe, Monsieur Demachy, Antoine Forqueray, Jean-Baptiste-Antoine Forqueray; aus den Niederlanden: Johannes Schenck; aus Deutschland: (siehe oben), Georg Philipp Telemann.
Im 20. Jahrhundert wurde die Viola da Gamba im Rahmen der aufkommenden historischen Aufführungspraxis für die Aufführung Alter Musik wiederentdeckt. Bedeutende Gambisten, die aus dieser Bewegung hervorgegangen sind, sind Wieland Kuijken, Jordi Savall, Susanne Heinrich und Hille Perl.
Siehe auch
- Viola Bastarda
- Baryton
- Christian Ferdinand Abel
- Carl Friedrich Abel
- Monsieur de Sainte-Colombe
- Marin Marais
- Joachim Tielke
Quellen
Literatur
- Alfred Einstein: Zur deutschen Literatur für Viola da Gamba im 16. und 17. Jahrhundert. (Dissertation) Leipzig: Breitkopf & Härtel 1905, Nachdruck 1972. ISBN 3-500-24050-X
- Nathalie Dolmetsch: The viola da gamba. Its origin and history, its technique and musical resources. New York/London/Frankfurt am Main/Zürich: Hinrichsen Edition 1962
- Nikolaus Harders: Die Viola da gamba und Besonderheiten ihrer Bauweise. Frankfurt am Main: Verlag das Musikinstrument 1977. ISBN 3-920112-58-X
- Annette Otterstedt: Die Gambe. Kulturgeschichte und praktischer Ratgeber. Kassel u. a.: Bärenreiter 1994. ISBN 3-7618-1152-7
- Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, begründet von Friedrich Blume. Zweite, neubearbeitete Ausgabe herausgegeben von Ludwig Finscher. Kassel/Basel/London/New York/Prag: Bärenreiter und Stuttgart/Weimar: J. B. Metzler 1998. Artikel Viola da gamba, Sachteil Bd. 9, Spp. 1572–1597
Einzelnachweise
- ↑ a b Nathalie Dolmetsch: The viola da gamba. S. 24
- ↑ a b c MGG Sachteil Bd. 9, Sp. 1573
- ↑ Hans Heinrich Eggebrecht (Hrsg.): Meyers Taschenlexikon Musik. Mannheim 1984. Bd. 3, S. 297
- ↑ Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Leipzig 1854–1960. Bd. 26, Sp. 365
- ↑ Johann Mattheson: Der vollkommene Capellmeister. Hamburg 1739. S. 479
- ↑ Kaspar von Stieler: Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs/ oder Teutscher Sprachschatz. Nürnberg 1691, S. 490
- ↑ Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. 2. Auflage. Leipzig 1793-1801. Bd. 4, Sp. 1213
- ↑ Johann Georg Krünitz: Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirthschaft. Berlin 1773–1858. Bd. 225, S. 23
- ↑ Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Halle an der Saale/Leipzig 1732–1754. Bd. 48, S. 839
- ↑ Michael Praetorius: De Organographia. Wolfenbüttel 1619. Neudruck Kassel 1929. S. 44 f.
- ↑ Hans Heinrich Eggebrecht (Hrsg.): Meyers Taschenlexikon Musik. Mannheim 1984. Bd. 3, S. 87
- ↑ Annette Otterstedt: Die Gambe. S. 16
- ↑ a b Annette Otterstedt: Die Gambe. S. 17
- ↑ Annette Otterstedt: Die Gambe. S. 18
- ↑ a b MGG Sachteil Bd. 9, Sp. 1580
- ↑ Nikolaus Harders: Die Viola da gamba. S. 25
- ↑ Annette Otterstedt: Die Gambe. S. 155
- ↑ Nikolaus Harders: Die Viola da gamba. S. 26 f.
- ↑ a b c Annette Otterstedt: Die Gambe. S. 202
- ↑ Nikolaus Harders: Die Viola da gamba. S. 37
- ↑ Annette Otterstedt: Die Gambe. S. 214
- ↑ Annette Otterstedt: Die Gambe. S. 212
- ↑ Annette Otterstedt: Die Gambe. S. 211 f.
- ↑ Annette Otterstedt: Die Gambe. S. 210
- ↑ Annette Otterstedt: Die Gambe. S. 215 ff.
- ↑ a b MGG Sachteil Bd. 9, Sp. 1587
- ↑ a b Alfred Einstein: Zur deutschen Literatur. S. 37
- ↑ a b MGG Sachteil Bd. 9, Sp. 1589
Literatur
Historische Werke
Viola da gamba
- Christopher Simpson: The Division Viol or The Art of Playing Ex Tempore Upon a Ground. London 1665. Faksimile-Nachdruck hrsg. von J. Curwen & Sons: London 1955
- Thomas Mace: Musick’s Monument. London 1676. Faksimile-Nachdruck hrsg. vom Centre National de la Recherche Scientifique. Paris 21966
- Le Sieur Danoville: L’Art de toucher le dessus et le basse de violle. Paris 1687. Faksimile-Nachdruck hrsg. von Minkoff: Genf 1972
- Jean Rousseau: Traité de la viole. Paris 1687. Faksimile-Nachdruck hrsg. von Minkoff: Genf 1975
- Michel Corrette: Méthode pour apprendre facilement à jouer du pardessus de viole à 5 et à 6 cordes avec des leçons a I. et II. parties. Paris 1738. Faksimile-Nachdruck hrsg. von Minkoff: Genf 1983
- Hubert le Blanc: Défense de la basse de viole contre les entreprises du violon et les prétensions du violoncelle. Amsterdam 1740; Faksimile-Nachdruck hrsg. von Karel Lelieveld. Den Haag 1983
- Michel Corrette: Méthodes pour apprendre à jouer de la contre-basse à 3, à 4 et à 5 cordes, de la quinte ou Alto et de la viole d’Orphée, Nouvel instrument ajousté sur l’ancienne viole. Paris 1781. Faksimile-Nachdruck hrsg. von Minkoff: Genf 1977
Spielpraxis und Theorie
- Girolamo Dalla Casa: II vero modo di diminuir con le tutte le sorte di stromenti. 2 Bdd. Venedig 1584. Facsimile-Nachdruck hrsg. von Giuseppe Vecchi. Bologna 1970
- Scipione Cerreto: Della Prattica musica vocale, et strumentale. Opera necessaria a coloro, che di musica si dilettano. Carlino: Neapel 1601
- Pietro Cerone: El Melopeo. Tractado de musica theorica y pratica. Neapel 1613. Faksimile-Nachdruck hrsg. von Franco Alberto Gallo. Bologna 1969
- Jean Baptiste Besard: Isagoge in artem testudinariam. Augsburg 1617. Faksimile-Nachdruck hrsg. von Peter Päffgen. Junghänel Päffgen Schäffer: Neuss 1974
- Marin Mersenne: Harmonie Universelle, contenant La Théorie et la Pratique de la Musique. Paris 1636. Faksimile-Nachdruck hrsg. vom Centre National de la Recherche Scientifique. Paris 1965
- Marin Mersenne: Harmonicorum Libri XII. Paris 1648. Faksimile-Nachdruck hrsg. von Minkoff: Genf 1972
Weiterführende Literatur
Instrument
- Christian Döbereiner: Ueber die Viola da Gamba und die Wiederbelebung alter Musik auf alten Instrumenten. Sonderdruck aus Zeitschrift für Musik 1940, Heft 10. Leipzig 1940
- Hans Bol: La Basse de viole du temps de Marin Marais et d’Antoine Forqueray. (Dissertation) Creyghton: Bilthoven 1973
- John Rutledge: How did the Viola da gamba sound?. In: Early Music 7 (Januar 1979), S. 59–69
- Ian Woodfield: The Early History of the Viol. Cambridge University Press 1984
- Adolf Heinrich König: Die Viola da gamba. Anleitung zum Studium und zur Herstellung der Instrumente der Viola da gamba-Familie. Eine Berufskunde für Gambenbauer. Erwin Bochinsky: Frankfurt am Main 1985. ISBN 3-923639-64-3
- Annette Otterstedt: Die Englische Lyra Viol. Instrument und Technik. (Dissertation) Bärenreiter: Kassel 1989. ISBN 3-7618-0968-9
- Christian Ahrens: Viola da gamba und Viola da braccio. Symposium im Rahmen der 27. Tage Alter Musik in Herne 2002. München 2006. ISBN 3-87397-583-1
Instrumentalspiel und Musik
- Barbara Schwendowius: Die solistische Gambenmusik in Frankreich von 1650–1740. (Dissertation) Kölner Beiträge zur Musikforschung Bd. 59. Bosse: Regensburg 1970. ISBN 3-7649-2563-9
- Veronika Gutmann: Die Improvisation auf der Viola da gamba in England im 17. Jahrhundert und ihre Wurzeln im 16. Jahrhundert. Wiener Veröffentlichungen zur Musikwissenschaft Bd. 19. Schneider: Tutzing 1979
- Alison Crum/Sonia Jackson: Play the viol. The complete guide to playing the treble, tenor, and bass viol. Oxford University Press 1989. ISBN 0-19-317422-7
- Mark Lindley: Lauten, Gamben und Stimmungen. Deutsch von Alois Hoizkrumm. Wilsingen 1990. ISBN 3-927445-02-9
- Fred Flassig: Die solistische Gambenmusik in Deutschland im 18. Jahrhundert. (Dissertation) Cuvillier: Göttingen 1998. ISBN 3-89712-241-3