Zum Inhalt springen

Reineke Fuchs

Dieser Artikel ist ein Teilnehmer am Schreibwettbewerb
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 8. September 2007 um 17:22 Uhr durch Felistoria (Diskussion | Beiträge) (Der Reineke-Zyklus Wilhelm von Kaulbachs: - der Weber stört hier, gehört ganz woanders hin.). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Wilhelm von Kaulbach: Reineke Fuchs als Sieger. Illustration, erschienen 1846

Reineke Fuchs ist die Hauptfigur eines Tierepos in Versen, dessen europäische Tradition bis ins Mittelalter zurückreicht. Eine 1498 in Lübeck gedruckte niederdeutsche Fassung, Reynke de vos, wurde seit dem 16. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum zum Bestseller. Darin wird erzählt, wie sich der Übeltäter Reineke, der Fuchs, durch geniale Lügengeschichten und ausgesuchte Bosheiten aus allen prekären Lagen rettet und sich am Ende gegen seine Widersacher als Sieger durchsetzt.

Die seit dem 18. Jahrhundert erfolgten neuhochdeutschen Prosafassungen, insbesondere die von Johann Christoph Gottsched im Jahre 1752, tradierten die Geschichte in ihrer jahrhundertealten deutschsprachigen Fassung nahezu unverändert bis auf den heutigen Tag; das Werk und sein Titelheld inspirierten Schriftsteller und Illustratoren. Sein heute gebräuchlicher Name Reineke Fuchs wurde durch das gleichnamige Versepos Johann Wolfgang von Goethes etabliert.

Die Geschichte von Reineke

Inhalt

Seite aus Reyneke Vosz de olde, 1592: Bär und Wolf wird das Fell abgezogen, woraus der König dem Reineke ein Ränzlein schneidern lässt, in welchem dieser ihm den Kopf des Hasen Lampe zukommen lasst, wofür der Bote, der Widder Bellyn, mit dem Leben bezahlt.

Die Geschichte besteht aus zwei Teilen, die jeweils von einem Gerichtsverfahren erzählen. Der Löwe Nobel, König der Tiere, hat zu Pfingsten zum Hoftag geladen. Die Anwesenden, groß und klein, allen voran jedoch Isegrim, der Wolf, beschweren sich über die Untaten des nicht anwesenden Fuchses Reineke und fordern seine Bestrafung. Braun, der Bär, und Hintz, der Kater, werden nacheinander losgeschickt, um Reineke aus seiner Burg Malepartus an den Hof zu holen. Nacheinander scheitern beide; durch Reineke jeweils gezielt in Lebensgefahr gebracht entrinnen sie, schwer malträtiert, kaum dem Tode.

Der König nimmt die Schmach persönlich und setzt Reinekes Erscheinen vor Gericht durch. Das Urteil lautet auf Tod. Unter dem Galgen, den Kopf bereits in der Schlinge, gelingt Reineke die Erfindung einer als Beichte getarnten Historie von Verrat und Goldschatz, die den Bären Braun und den Wolf Isegrimm zu Hochverrätern erklärt und den Löwen Nobel gierig macht. Reineke wird entlassen und macht sich unter dem Vorwand einer Pilgerreise nach Rom auf und davon. Reinekes Verrat wird offenbar, nachdem er den abgebissenen Kopf seines Pilgergefährten Lampe, des Hasen, mit einem dreisten Begleitschreiben an den König zurückgeschickt hat.

Nachdem Grimbart, der Dachs, Reineke erneut zum Hof gebracht hat, entwickelt sich eine zweite Gerichtsverhandlung, in der die Schandtaten Reinekes ans Licht kommen und in Reden der Anklage und der Verteidigung verhandelt werden, wobei Reineke auf allerlei Wohltaten seiner Familie am Hofe verweist, insbesondere auch auf die Rettung von Nobels krankem Vater durch seinen eigenen. Der Vorwurf Isegrims jedoch, Reineke habe seine Gattin Gieremund geschändet, veranlasst Nobel zu der Entscheidung, Isegrim und Reineke in einem öffentlichen Zweikampf auf Leben und Tod gegeneinander antreten zu lassen. Für den Fuchs bedeutet dies das zweite Todesurteil, denn er ist dem Wolf körperlich unterlegen. Reineke gewinnt, indem er dem Wolf einen Strahl Urin in die Augen schießt und Sand hinterher schmeißt. Das überzeugt das Publikum und veranlasst den König Nobel, Reineke zu seinem Rat und Reichsverweser zu ernennen.

Merkmale

Das sich türmende Lügengebäude des Fuchses hat eine Verdichtung seiner Heucheleien, Bosheiten und Gewalttaten zur Folge, woraus der Zweikampf am Ende, ähnlich dem sogenannten Showdown klassischer Filmgenres, konsequent entwickelt ist. Der innere Aufbau der Erzählung besteht in einer Steigerung der jeweiligen prekären Lagen des Fuchses und seiner Widersacher, dem ein äußerer Aufbau seit dem 15. Jahrhundert Rechnung trug, indem er ihm durch Einteilung in Kapitel und Bücher Ausdruck verlieh.

Die anthropomorphen Eigenschaften der durch Eigennamen individualisierten Tiere, die einerseits ihrer Natur folgen, sich aber andererseits in den von menschlichem Geist geprägten Ordnungen bewegen, treiben die Handlung voran, die durch allen Lebewesen gemeinsame elementare Motive, wie zum Beispiel die Nahrungssuche oder die Flucht vor Verfolgung, ebenso bestimmt ist wie durch solche ausschließlich humanen Lebens, wie zum Beispiel den Ehebruch oder die Formen der Anklage und Verteidigung vor einem Gericht. Die das Geschehens bestimmenden Charaktere, insbesondere Nobel, Braun, Reineke und Isegrim, sind gekennzeichnet durch Eitelkeit, Dummheit, List und Gier; diese Züge werden in den zahlreichen Nebenfiguren und ihren Schicksalen fortgesetzt und erweitert zu einem Panoptikum, in dem die menschliche Tragödie von Macht, Gewalt und Tod gestaltet ist als eine tierische Komödie.[1]

Reinekes Quellen

Der schlaue Fuchs - das Tier ist schwer zu jagen - findet sich in den Sagenkreisen der Weltgegenden, in denen er beheimatet ist, wie in Eurasien, Nordamerika und dem Mittelmeerraum. In Europa tauchte er in der Antike auf. In einer der Fabeln des Äsop wird von einem Fuchs erzählt, der einen kranken Löwen heilt; der Ursprung Reinekes wird dort vermutet. Im europäischen Mittelalter sind Tiererzählungen mit einem Fuchs durchgehend nachzuweisen, seit dem 12. Jahrhundert erscheint er auch als tragende Figur .

Der Reineke des lateinischen Mittelalters

Als erste literarische Fassung in epischer Länge, in der der Fuchs eine Rolle spielt, gilt die Ecbasis captivi, eine um 1040 entstandene Satire in lateinischer Sprache aus St. Evre bei Toul, in der von einem Gerichtstag des Löwen mit Klagen gegen den Fuchs erzählt wird.[2]

Einem Nivardus aus Gent wird der Ysengrimus zugeschrieben, ein 1148 vollendetes Tierepos in lateinischer Sprache, in dem der Wolf Ysengrimus (in den Handschriften auch Isengrimus, Ysengrinus und Isengrinus) die Hauptrolle spielt und sich stetig mit seinem Gegner Reinardus, dem Fuchs, auseinandersetzen muss. Das Epos ist eine Satire auf den Mönchsstand; Ysengrimus ist darin der Mönch, sein Widersacher Reinardus der Laie. Das Epos, von dem auch eine gekürzte Fassung aus dem 14. Jahrhundert, der Ysengrimus abbreviatus, überliefert ist, fand im 15. Jahrhundert kaum noch Beachtung; seine Anspielungen und seine Polemik waren unterdessen veraltet.

Der Reineke in den Volkssprachen des Mittelalters

Die Textüberlieferungen der überwiegend fragmentarischen Handschriften zeigen, dass Reinekes Geschichte sich über die Sammlungen einzelner Tiererzählungen und deren Verschmelzungen zunehmend in den verschiedenen Volkssprachen des europäischen Mittelalters zu einer die Sprachgrenzen überschreitenden literarischen Komposition verdichtete. Die im Jahre 1498 gedruckte niederdeutsche Fassung basierte auf niederländischen Versionen mit französischem Ursprung.

Aus dem Roman de Renart. Handschrift des 14. Jahrhunderts. BNF Ms fr.12584f. 18v, 19r
Heinrich: Reinhart Fuchs. Handschrift, ca. 1320–1330; Universitätsbibliothek Heidelberg, Cpg 341, 177r

Roman de Renart

Zwischen 1170 und 1250 entstand im nördlichen Frankreich der in der Volkssprache verfasste Roman de Renart über einen schlauen Fuchs, der über einen starken Löwen triumphiert.[3] Der Roman besteht aus branches verschiedener Verfasser, deren Anzahl und Anordnung in den 20 überlieferten Handschriften und Fragmenten variieren. Die Individualisierung der Tiere durch Eigennamen erscheint in den branches zunehmend ausgeprägt. Die Geschichten zeigen Merkmale der höfischen Welt, deren Handlungen durch das Vermischen von menschlichen und tierischen Verhaltensweisen parodiert werden; Renart ist ein baron revolté, der die Macht des Konigs der Tiere, des Löwen Noble, ständig gefährdet. Die in der branche XI erzählte Geschichte wird als grundlegend angesehen für die weitere Entwicklung des Stoffes im 13. Jahrhundert; sie handelt davon, wie Renart die Löwin verführt, während Noble sich auf einem Kreuzzug befindet.[4]

Der romanische Sprachraum wies bereits im 12. und 13. Jahrhundert eine Fülle von Fuchsdichtungen auf und entwickelte darin eine erfolgreiche Tradition. Relevant für die Entwicklung des niederdeutschen Reyncke wurde indes nur der Roman de Renart, der bereits im Mittelalter auch die altfranzösische Sprache eroberte: die Bezeichnung des Fuchses als goupil wurde durch den Namen renart ersetzt und vergessen.[5]

Reinhart Fuchs

Heinrich der Glîchezære (der Gleißner) aus dem Elsass dichtete Ende des 12. Jahrhunderts den mittelhochdeutschen Reinhart Fuchs. Das Werk enthält bereits den Stoff und die Handlung des späteren Reynke de Vos in vielen Zügen. Einige Partien der Erzählung lassen deren Anlehnung an den Roman de Renart vermuten, dessen zyklisch-episodische Struktur hier jedoch in eine lineare, sich steigernde Handlung gefasst ist.[6] Heinrich erfand auch eine in der Stofftradition neue Pointe: der Fuchs vergiftet den Löwen am Schluss.[7]

Das Werk zeigt gesellschaftskritische Züge und nimmt als warnende Satire auch ausdrücklich Stellung gegen die Staufer. Es ist das einzige deutschsprachige Tierepos aus dieser Zeit und bis ins 14. Jahrhundert in Handschriften nachgewiesen. In der Frühzeit des Buchdrucks fand Reinhart Fuchs keine Verbreitung mehr; wiederentdeckt wurde er von Jacob Grimm.

Reynaerts Historie

Im 13. Jahrhundert verfasste ein Flame namens Willem eine mittelniederländische Version des Epos, Van den vos Reynaerde, in dem ebenfalls die Spuren des Roman de Renart festzustellen sind. Willems Fassung erzählt vom Hoftag des Löwen, den Anklagen gegen den abwesenden Fuchs und wie dieser die beiden Boten Bär und Katze betrügt. Sie endet mit dem Todesurteil gegen den Fuchs und seiner Erfindung der Lügengeschichte, mit der er seinen Kopf aus der Schlinge zieht, und seinem Versprechen, nach Rom zu pilgern. Im Gegensatz zum eher didaktischen Reinhart Fuchs ist Willems Werk durch ungebremste Erzählfreude und eine Häufung lustiger Einfälle gekennzeichnet. Womöglich provoziert durch den offenen Schluss - der Fuchs entrinnt knapp dem Tode -, erfuhr das Werk um 1370 eine Bearbeitung durch einen unbekannten Verfasser, der die Erzählung als Reynaerts Historie erheblich erweiterte und die Struktur der Doppelung der Gerichtsverfahren aufbaute.[8] Die beiden Versdichtungen werden heute als Reynaert I und Reynaert II geführt.[9]

Weitere Bearbeitungen

Der Reynaert II erfuhr in der Inkunabelzeit noch zweimal eine Bearbeitung, dabei eine in Prosa, gedruckt von Geeraert Leeu in Gouda 1479 unter dem Titel Historie van reynaert die vos, die 1485 von Jacob Jacobsz van de Meer in Delft nachgedruckt wurde. Die andere, eine Fassung in Versen mit Prosakommentaren, erschien zwischen 1487 und 1490 in Antwerpen, wiederum gedruckt von Geeraert Leeu, der unterdessen seine Offizin dorthin verlegt hatte. Diese Versfassung ist nur in sieben heilen Blättern erhalten.[10] Die Fragmente lassen die Annahme zu, dass diese Fassung die Vorlage für den Lübecker Druck 1498 gewesen ist.[11]

Von den Niederlanden aus hielt Reynaert als Reynard auch Einzug in England und begründete dort eine eigene Texthistorie; Rückwirkungen auf die kontinentale Entwicklung des Stoffes sind nicht eindeutig nachgewiesen. 1481 druckte William Caxton die Historye of reynart the foxe, eine englische Übersetzung der niederländischen Prosafassung der Goudaer Ausgabe von Geeraert Leeu. [12] Die Fassung Willems wurde zur niederländischen Nationalliteratur; die Stadt Hulst, darin erwähnt, hat dem Reynaerde ein Denkmal gesetzt.[13]

Der Lübecker Druck von 1498

Illustration aus der von Hans van Ghetelen 1498 gedruckten Ausgabe des Reynke de Vos

Im Jahre 1498 gab Hans van Ghetelen in seiner Mohnkopfdruckerei in Lübeck das Werk Reynke de Vos heraus, eine niederdeutsche Dichtung in 7791 knittelnden und in Paaren gereimten Versen, deren capittel in vier boek (Bücher) unterschiedlicher Länge eingeteilt waren und von denen zwei mit Prosavorreden versehen wurden. Den einzelnen capitteln waren Glossen in Prosa angefügt, die dem Leser die Geschehnisse für seinen Alltag kommentierten. Die Ausgabe war mit 89 Holzschnitten reich illustriert; einige Motive wurden, auch mehrfach, wiederholt.

Die in dieser Ausgabe erzählte Geschichte Reynkes, die sich in ihrer Handlung und in ihrem Personal bis heute tradierte, spielt in Flandern, wie anhand einiger Verweise im Text, wie zum Beispiel auf die Stadt Gent, erkennbar ist; zudem meldete sich im Vorwort ein vom Namen her ebenfalls den Niederlanden zuzuordnender Hinrek von Alkmar als Vermittler der Geschichte. Sein Name als Verfasser ebenso wie die Angaben zu seiner Vita sind lediglich aus diesem Druck überliefert und die Urheberschaft wurde bereits im 19. Jahrhundert bestritten; sie konnte bis heute nicht eindeutig belegt werden. Als Bearbeiter kommt ein namentlich unbekannter Lübecker Ordensgeistlicher ebenfalls in Betracht.[14]

Der Druck ist nur in einer einzigen Inkunabel vollständig erhalten, die sich in der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel befindet. Gleichwohl begründete er die Tradierung Reinekes im deutschsprachigen Raum in der Geschichte seiner Nachdrucke und deren Rezeption.

Von der Inkunabel zum Volksbuch

Ausgehend von dem Lübecker Druck von 1498 verbreitete sich die niederdeutsche Verserzählung von Reynke de Vos im 16. Jahrhundert über weitere Druckorte; darüber hinaus erreichte sie durch ihre Übersetzung ins Lateinische auch internationalen Absatz. Über Lübeck gelangte die Geschichte insbesondere in den gesamten skandinavischen Sprachraum und wurde in Nordeuropa zum Volksbuch.

Die Ausgaben des 16. und 17. Jahrhunderts

Reyneke Vosz de olde, 1592. Das Titelblatt entspricht dem der von Ludwig Dietz 1539 in Rostock gedruckten Ausgabe.
Aus der von Hartmann Schopper besorgten lateinischen Ausgabe, erschienen in Frankfurt am Main, 1579; Oktavformat: Bruno, der Bär, überbringt Reinike die Vorladung des Königs.

Der Lübecker Reynke de vos wurde 1510 und 1517 in Rostock nachgedruckt. Der erste Nachdruck ist nicht erhalten; der zweite von 1517 enthielt nur noch 30 Holzschnitte und und hatte einen deutlich geringeren Umfang an Blättern als die Lübecker Inkunabel. Sowohl die angesichts der Absatzmöglichkeiten für Buchpublikationen in der großen Hansestadt relativ lange Zeit zwischen den Auflagen als auch die deutliche Reduzierung des überlieferten Nachdrucks führten in der neueren Forschung zu der Vermutung, dass die Geschichte zunächst keine bemerkenswerte Aufnahme durch das Publikum erfuhr.[15]

Die eigentliche Erfolgsgeschichte des Reynke de Vos begann 1539 mit einer von Ludwig Dietz wiederum in Rostock gedruckten Ausgabe, die nunmehr mit erheblich erweiterten Kommentaren versehen und von Erhard Altdorfer, Hofmaler in Schwerin, mit neuen Holzschnitten ausgestaltet worden war. Der Umfang der Glossen und deren deutlich protestantische Ausrichtung beanspruchten die Vorherrschaft gegenüber dem Epos und der umfangreichen Bilderserie. Der niederdeutsche Reynke erfuhr von 1549 bis 1610 noch elf weitere Auflagen in Rostock, Frankfurt am Main und Hamburg. Die Ausgaben unterschieden sich in Format und Ausstattung. So gab der Frankfurter Drucker Cyriacus Jacob 1550 einen mit aufwendigen Holzschnitten ausgestatteten und kostspieligen Band im Quartformat heraus, der allerdings auf die Kapitelglossen verzichtete und deshalb mit 150 Blättern auskam. Ebenfalls in Frankfurt erschien bei Nikolaus Bassée ein Reinke-Druck im wohlfeilen Oktavformat; die Drucke des Hamburgers Paul Lange von 1604 und 1606 sowie ein später Nachkömmling des niederdeutschen Reinke de Vos, 1660 bei Zacharias Dose in Hamburg, folgten in diesem Format.[16]

Noch vor der Rostocker Ausgabe von 1549 hatte Cyriacus Jacob im Jahre 1544 in Frankfurt einen Druck im Folioformat herausgegeben mit dem Titel Von Reinicken Fuchs, eine hochdeutsche Übertragung des Reynke de Vos, die vermutlich von Michael Beuther verfasst worden war und in dessen Folge Frankfurt zum wichtigsten Druckort für die Reineke-Tradition wurde; bis zum Beginn des 30jährigen Krieges erschienen hier 21 hochdeutsche, fünf niederdeutsche und sieben lateinische Auflagen. Die erste Übertragung ins Lateinische hatte Hartmann Schopper besorgt nach der hochdeutschen Version, sie erschien 1567 unter dem Titel Opus poeticum de admirabili fallacia et astvtia vvlpecvlae Reinikes bei Sigmund Feierabend und Simon Huter in Frankfurt am Main und enthielt eine Widmung ad divvm Maximilianvm secundum, den Kaiser Maximilian II. Die Ausgabe erschien in fünf Auflagen bis zum Jahre 1612; 1588 wurde eine lateinisch-hochdeutsche Bearbeitung Joseph Lauterbachs gedruckt.

Die lateinische Ausgabe förderte die Verbreitung Reinekes auch über den regionalen Sprachraum hinaus, zumal er sich seit seiner zweiten Auflage von 1574/75 den Untertitel Speculum vitae aulicae gab, den Spiegel des Hoflebens. Eine englische Übersetzung aus dem Jahre 1706 folgte dieser Fassung. Die Verbreitung Reinekes im skandinavischen Sprachraum folgte der niederdeutschen Rostocker Ausgabe des Reynke de Vos von 1539. Eine erste dänische Übersetzung erschien 1555 in Lübeck; in Stockholm kam Reynke im Jahre 1621 auch auf schwedisch heraus, bearbeitet nach der in Hamburg 1604 gedruckten lateinischen Ausgabe. [17]

In der deutschen Überlieferung nach dem 30jährigen Krieg gab es erste, im barocken Stil ziselierende Reimfassungen, die sich auf die hochdeutsche Tradition der Frankfurter Ausgaben stützten; 1650 erschien eine poetisch freie Bearbeitung der hochdeutschen Fassung, die Ende des Jahrhunderts in Prosa umgearbeitet wurde und mehrere Auflagen erfuhr.[18] Reineke war zum Volksbuch geworden, zum Stoff für freie Gestaltungen, die hinreichende Aussicht auf kommerziellen Absatz versprachen und meist als als „Erstdrucke“ auf den Markt kamen.[19]

Die Kommentare

Kommentar zum ersten Buch mit einer Kritik der Käuflichkeit und Schmeichelei bei Hofe; als Beispiel wird Hans Schenck angeführt. Die Vignette zeigt eine Allegorie der Untreue. Aus: Reyneke Vosz de olde, 1592

In der langen Geschichte seiner Drucke wurde Reineke von Glossen begleitet, die einen deutlichen Wandel in den Absichten der jeweiligen Bearbeiter dokumentieren, den stets nahezu unveränderten Text in seiner Lesart für das Publikum aufzubereiten.

Der Glossator der Ausgabe von 1498 wandte sich erkennbar an ein städtisches Publikum. Er war bemüht, dem Leser einen Sündenspiegel vorzuhalten, indem er die Geschichten im Sinne einer Fabel und ihrer Moral auslegte und den Fuchs als figura diaboli herausarbeitete. Zwar übte er auch Kritik an der Kirche, nahm aber wiederum deren Vertreter in Schutz, indem er zum Beispiel in einer Anmerkung zum 1. Buch davor warnte, als Laie einem Geistlichen Schlechtes nachzusagen. Die Glossen unterstützten die Vermutung, dass der Bearbeiter der Lübecker Fassung ein Geistlicher aus den Ordenskreisen der Stadt gewesen sei.[20]

Die Glossen des Rostocker Drucks von 1539 äußerten eine deutlich veränderte Sicht; sie nahmen Kirche, Papstum, monastisches Leben und kirchliches Recht nun grundsätzlich ins Visier. Der Bearbeiter kritisierte nicht nur das unnütze Leben der Nonnen (1. Buch, 18. Kapitel), sondern geißelte auch das Ablasswesen, die Wallfahrten und das kirchliche Bannverfahren (1. Buch, 29. Kapitel) und unterstrich damit seinen reformatorischen Standpunkt. Desgleichen wandte er sich in der Grundsätzlichkeit seiner Kommentare gegen Misstände seiner Zeit. Gekennzeichnet sowohl „als Kritik an der alten Kirche und den sozialen Verhältnissen, entfaltete die Dichtung ihre volle Wirkung und gewann die Gunst des Publikums.“[21]

Die 1544 von Cyriacus Jacob in Frankfurt herausgegebene heuhochdeutsche Fassung zeigte eine weitere Tendenz, die Dichtung von Reineke zu beleuchten. Bereits im Titel verwies diese Ausgabe auf ein beliebtes Buch der Zeit: Schimpf und Ernst von Johannes Pauli. Der hochdeutsche Bearbeiter teilte bereits in seiner Vorrede an den Leser mit, dass er sich mit seinen Vorgängern auseinanderzusetzen gedenke, deren Kommentare zu kürzen vorhabe und überdies anonym bleiben wolle. Seine Anmerkungen zeigen literarische Ambitionen, indem er zum Beispiel gelegentlich statt eines Kommentars ein Gedicht beisteuert und damit die bereits im Titel angedeutete Möglichkeit erschließt, durch die Manier der Anspielung dem Leser selbst anheimzustellen, sich durch seine Kritik angesprochen zu fühlen oder nicht.[22]

Auch wenn die Glossen in ihrer Tradition, allein von ihrem Umfang her, den Text eher zuzudecken als zu erschließen schienen[23], verdeutlichten sie die besondere Eignung der Erzählung für Auseinandersetzungen sowohl mit gesellschaftlichen Problemen als auch mit dem jeweiligen Gegner in der Form der Glosse als Mittel der literarischen Fehde; der besonderen Erfolg der Geschichte von Reineke seit dem 16. Jahrhundert wird deshalb auch insbesondere ihren Kommentaren zugeschrieben.[24]

Die Illustrationen

Die Inkunabel von 1498 enthielt bereits zahlreiche Holzschnitte. Für die Nachdrucke wurde eine neue Serie entworfen, die in allen Auflagen des 16. Jahrhunderts erschienen. Die kleinformatigen Ausgaben des 17. Jahrhunderts erhielten Stiche, die auch von verschiedenen Verlegern übernommen wurden.

Vom Volksbuch zum Heldenepos

1711 gab Friedrich August Hackmann das Epos nach der Fassung des Lübecker Druckes von 1498 neu heraus, da der Text in den zahlreichen Nachdrucken der vorangegangenen zwei Jahrhunderte zahlreiche kleine Veränderungen erfahren hatte.

Gottsched und Goethe

Johann Christoph Gottsched um 1750
J. Chr. Gottsched: Reineke der Fuchs, Prosafassung 1752. Titelblatt
Johann Wolfgang von Goethe:Reineke Fuchs. Einband der Cotta'schen Ausgabe von 1846

Johann Wolfgang von Goethe verwendete die 1752 von Gottsched herausgegebene gleichnamige Prosafassung für seine Fabel vom Reineke Fuchs. Gottsched hatte seiner Ausgabe nicht nur die völlig neuen Kommentare eines Professor Baumann angefügt, sondern auch die alte niederdeutsche Versdichtung. Wahrscheinlich konnte sich Goethe auch auf die Historie van reynaert de vos (Delft 1485, Nachauflage 1783) stützen.

Von einem ungenannten Verfasser stammte der Reineke Fuchs am Ende des philosophischen Jahrhunderts, angeblich erschienen 1797 in Itzehoe. Tatsächlich war dieses Werk aber aus Altona und zeigte den dänischen König Christian VII. als kakaotrinkenden Trottel. [25]

1846 erschien ein Neuer Reineke Fuchs; der Autor war der Berliner Adolf Glaßbrenner. Das Werk gilt als eine der bedeutendsten gesellschaftssatiren des Vormärz und entging nur knapp der Zensur.[26]

Der Reineke-Zyklus Wilhelm von Kaulbachs

Wilhelm von Kaulbach illustrierte die Ausgabe des Reineke Fuchs von Johann Wolfgang von Goethe (1846 erschienen) umfangreich.

Vom Helden zum Browser

1872 adaptierte der luxemburgische Autor Michel Rodange die Fabel in Goethes Version als Renert oder de Fuuss am Frack an a Maansgréiss. Er übertrug sie auf die aktuellen Verhältnisse in seinem Land und benutzte dabei regionale Dialekte.

Forschung

Editionen

1834 veröffentlichte Jacob Grimm, der sich zu dieser Zeit mit dem mittelalterlichen Tierepos auseinandersetzte, eine Edition von "Reinhart Fuchs" des Elsässers Heinrich zusammen mit anderen mittelhochdeutschen Tierfabeln.

1852 gab August Heinrich Hoffmann von Fallersleben den Reineke Vos. Nach der Lübecker Ausgabe vom Jahre 1498 heraus; die Ausgabe erschien in Breslau.

Zur wissenschaftlichen Erfassung

Die neuere Forschung konnte nachweisen, dass die Geschichte der Handschriften seit dem Auftritt des Reinardus, die zu einer der erfolgreichsten Editionsgeschichten in der Literatur führte, keine lineare ist, sondern eine der gegenseitigen Inspiration.

Ausgaben

  • De Warheyt my gantz fremde ys/ De Truwe gar seltzen/ dat ys gewiß. Reynke Vosz de olde/ nyge gedrücket / mit sidlikem vorstande vnd schonen figuren/ erlüchtet vñ vorbetert. Jn der lauelyken Stadt Rozstock/ by Ludowich Dyetz gedrucket. 1539
  • Reineke Fuchs: das niederdeutsche Epos "Reynke de vos" von 1498. Übertragung und Nachwort von Karl Langosch. Stuttgart: Reclam, 1967, Nachdruck 1994 ISBN 3-15-008768-6
  • Von Reinicken Fuchs. Heidelberg, 1981. Faksimile der Ausgabe Frankfurt 1544 (mit einer Einführung von Hubertus Menke)

Bibliographie

  • Hubertus Menke: Bibliotheca Reinardiana. Teil I: Die europäischen Reineke-Fuchs-Drucke bis zum Jahre 1800. Stuttgart: Hauswedell 1992, ISBN 3-7762-0341-2

Literatur

  • Helmut de Boor/Richard Newald: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hamburg, 1953. Zweiter Band, S. 398 - 400.
  • Amand Berteloot / Loek Geeraedts (Hrsg.): Reynke de Vos - Lübeck 1498. Zur Geschichte und Rezeption eines deutsch-niederländischen Bestsellers. Münster: Lit 1998 (Niederlande-Studien, Kleinere Schriften 5) ISBN 3-8258-3891-9
  • Klaus Düwel: Heinrich, Verfasser des "Reinhart Fuchs". In: In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. (VL) Bd. 3. Berlin/New York, 1981; Sp. 666–677
  • Jan Goossens: Reynke de Vos. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. (VL) Bd. 8. Berlin/New York, 1992; Sp. 12–20
  • Hans Robert Jauß: Untersuchungen zur mittelalterlichen Tierdichtung. Tübingen 1959
  • Jill Mann: Nivardus von Gent. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. (VL) Bd. 6. Berlin/New York, 1987; Sp. 1170–1178
  • F. P. Knapp: Renart. In: Lexikon des Mittelalters (LMA), Band 7; München 1995; Sp. 720 – 724
  • Hubertus Menke / Ulrich Weber (Hrsg.): Die unheilige Weltbibel: der Lübecker Reynke de Vos (1498 - 1998). Ausstellung der Abteilung für Niederdeutsche Sprache und Literatur der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel in Zusammenarbeit mit der Bibliothek der Hansestadt Lübeck und der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Kiel: Abt. für Niederdt. Sprache und Literatur der Christian-Albrechts-Universität 1998
Commons: Reineke Fuchs – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Textausgaben und Scans

Weiteres zum Thema

Anmerkungen

  1. Vgl. dazu u.a.: Hans Robert Jauß: Untersuchungen zur mittelalterlichen Tierdichtung. Tübingen 1959; Peter Schneider: Das unheilige Reich des Reineke Fuchs. Frankfurt am Main 1990
  2. Ecbasis cuiusdam captivi per tropologiam. Die Flucht eines Gefangenen (Tropologisch). Text und Übersetzung. Mit Einleitung und Erläuterungen herausgegeben von Winfried Trillitzsch, historisch erklärt von Siegfried Hoyer. Leipzig 1964. Eine Kurzinformation über das Werk steht hier; der Text ist online als Ausgabe der Bibliotheca Augustana verfügbar.
  3. Auf der Webseite zu einer Bestiarien-Ausstellung der Bibliothèque nationale de France (BNF) über Tiere in mittelalterlichen Illuminationen lassen sich unter dem Link roman de Renart eine Einführung (Audioversion, frz.) in das Werk und Scans einiger Seiten eines Manuskripts der BNF abrufen. Auch der Text findet sich im Netz.
  4. Vgl. F. P. Knapp: Renart. In: LMA, Bd. 7 (1995), Sp 721–722
  5. Vgl. F. P. Knapp: Renart. In: LMA, Bd. 7 (1995), Sp 721
  6. Vgl. Düwel, VL Bd. 3, Sp. 671
  7. Online sind Textausschnitte aus dem Reinhart Fuchs des Elsässers Heinrich verfügbar.
  8. Vgl. F. P. Knapp: Renart. LMA Bd. 7 (1995), Sp. 723; Amand Berteloot: „Were al dat laken pergement/dat dar wert ghemaket tho Gent,/men scholdet dar nicht in konen schryuen...“. Zur Vorgeschichte des „Reynke de Vos“. in: Amand Berteloot u.a. (1998), S. 23
  9. Transkriptionen der Texte ediert von Jauss (Reynaerd I) und ediert von Hellinga (Reynaerd II); Handschriftenliste für Reinaert I und Reinaert II
  10. Cambridge, University Library, Inc. 4 F 6.2 (3367)
  11. Vgl. Goossens, VL Bd. 8, Sp. 14–15 und Amand Berteloot in: Berteloot u.a. (1998), S. 13ff
  12. William Caxton: The Historye of reynart the foxe (1481) nach der Ausgabe von Henry Morley 1889
  13. Das Fuchsdenkmal in Hulst (Detail)
  14. Vgl. Goosens VL Bd. 8, Sp. 17
  15. Vgl. W. Günther Rohr: Zur Rezeption des Reynke de Vos. In: Berteloot u.a. (1998), S. 104 – 107
  16. Rohr, in: Berteloot u.a. (1998), S. 107; S. 115
  17. Rohr, in: Berteloot u.a. (1998), S. 122f.
  18. Goosens, VL Bd. 8 (1992); Sp. 18
  19. Die Drucke seit 1498 sind erfasst in der Bibliographie von Hubertus Menke: Bibliotheca Reinardiana. Teil I: Die europäischen Reineke-Fuchs-Drucke bis zum Jahre 1800. Stuttgart 1992
  20. Goosens, in: VL Bd. 8, Sp. 16f.; ausführlicher bei: Rohr, in: Berteloot u. a. (1998), S. 108ff.
  21. W. Günther Rohr: Zur Rezeption des „Reynke des Vos“. In: Berteloot u.a. (1998), S. 112
  22. Vgl. Rohr, in: Berteloot u.a. (1998), S. 118 – 122
  23. Vgl. dazu: A. Bieling: Die Reineke–Fuchs–Glosse in ihrer Entstehung und Entwicklung. Berlin 1884; S. 10f.
  24. Rohr, in: Berteloot u.a. (1998), S. 113
  25. Vgl. Rohr, in: Berteloot u.a. (1998), S. 124.
  26. Vgl. Rohr, in Berteloot u.a. (1998), S. 125