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Lester Young

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Lester Willis Young, genannt "Prez" oder "Pres" (* 27. August 1909, Woodville, Mississippi; † 15. März 1959, New York City) war ein US-amerikanische Tenorsaxophonist und Klarinettist. Lester Young war einer der einflussreichen Saxophonisten des Jazz. Seine Spielweise markiert den Punkt des Übergangs vom Swing zum Bebop. [1]

Einleitung

Der Tenorsaxophonist Lester Young war, zusammen mit dem Gitarristen Charlie Christian und dem Bassisten Jimmy Blanton, eine der Schlüsselfiguren in der Übergangszeit vom Swing zum Bebop. Charakteristisch war - ganz im Gegensatz zum kraftvollen Sound von Coleman Hawkins - sein schlanker, heller Ton und sein elegantes Spiel. Einen hörbaren Einfluss auf das Spiel von Lester Young hatte Frankie Trumbauer, der ein sog. "C-Melody Saxophone" spielte. Dieser Einfluss ist auf Aufnahmen wie "For No Reason At All In 'C'" von 1927, das Trumbauer zusammen mit Bix Beiderbecke [cn,p] und dem Gitarristen Eddie Lang aufgenommen hat, sehr gut zu hören.

Sein Leben

Die frühen Jahre – 1909-1934

Sein Vater, Willis Handy Young war ein umherziehender Musiker und Musiklehrer, der am Tuskegee Institut studiert hatte und der mit Karnevals- und Minstrel Shows ständig auf Tournee war. Seine Mutter war eine Schullehrerin kreolischen Ursprungs. Lester Young erzählt: Mein Vater war ein Karnevalsmusiker. Er konnte alle Instrumente spielen, obgleich er die Trompete am liebsten mochte. Er gab auch Gesangsunterricht und reiste unentwegt durch die Lande, und gab immer weiter Musikunterricht, bis er in den vierziger Jahren starb[2]

Lester war noch ein Kind, als seine Familie nach New Orleans zog, nach Algiers auf die andere Seite des Mississippi. Er wuchs mit der Jazzmusik von New Orleans auf und verteilte als Kind Handzettel, in denen die Bands ihre Auftritte ankündigten. Als Kind sah er seinen Vater selten, aber als er zehn war kehrte der Vater zurück und nahm ihn, seine Schwester Irma und seinen Bruder Lee in strengen Unterricht, um eine Familienband vorzubereiten. Um dieselbe Zeit ließen sich die Eltern scheiden. Lester spielte zunächst Schlagzeug, dann studierte er Violine, eine Weile Trompete, dann Altsaxophon.

Als Lester Young ungefähr elf Jahe alt war, zog die Familienband der Youngs gen Norden nach Memphis, ließen sich dann in Minneapolis nieder und tourten während der (schulfreien) Karnevalszeit durch Minnesota, Dakota und Kansas, mit Lester als Schlagzeuger und Plakatträger für die Minstrel Shows.

Mit 18 Jahren verließ er die Familienband als diese in Texas tourte und trat einer Gruppe namens Art Bronson´s Bostonians bei, in der er meist Bariton- und Altsaxophon spielte, aber auch schon zum Tenorsaxophons wechselte, da der Tenorist der Band nicht sehr gut war. Benny Carter erinnert sich: Als ich 1932 auf Tour mit den McKinney’s Cotton Pickers war, waren wir in Minneapolis und jemand erzählte uns von einem wunderbaren Altsaxophonspieler in einem Club im Ort. Ich ging hin, um „Prez“ zu hören und war völlig hingerissen. Das war das größte Ding, was ich je gehört hatte.[3]. September 1930 verließ er die Bostonians und trat Walter Pages „Blue Devils“ bei, mit denen er einige rauhe Zeiten erlebte. Wir, die „Blue Devils“, wurden wirklich ausgequetscht, erzählte er Leonard Feather, und sollten vor drei Leuten spielen. Einmal wurden uns alle Instrumente abgenommen, und sie brachten uns zu den Eisenbahnschienen und sagten, wir sollten uns aus der Stadt machen... [4].

Für einige Jahre arbeitete Lester Young nach diesem Erlebnis freelance in der Gegend um Minneapolis, wo er im „Nest Club“ spielte, und in Oklahoma City. In Minneapolis hörte er zum ersten Mal Count Basies Band: Hatte sie schon oft im Radio gehört und fand, dass sie einen Tenoristen brauchen konnten. Sie spielten in Kansas City im „Reno Club“. Bediente Band, brachten ihn gewaltig. Bloß dieser Tenorist war so sauer. Ich überlegte mir, dass es so nicht weitergehen konnte. Also schickte ich Basie ein Telegramm. Er hatte mich schon vorher gehört. Wir waren zwischen Minneapolis und Kansas City hin und her gependelt. Mussten uns einfach treffen. [5]

Lester Young hatte sich alle Frank TrumbauerBix Beiderbecke-Platten gekauft (Frank war mein Idol!) Er mochte den Klang von Trumbauers C-Melody-Saxophon und seine Art der Annäherung an die Melodie. Durch Bud Freemans einzigartige Phrasierung und Timbre wurde er schließlich auf das Tenorsaxophon gebracht.

Inzwischen war Coleman Hawkins der „König“ auf dem Tenorsaxophon, und nachdem Lester Young zum Tenor gewechselt hatte, entwickelte er auf seinem Hauptinstrument einen Coleman entgegengesetzten Stil, weniger kühn hervortretend und extrovertiert wie der des fünf Jahre älteren Hawkins. Young war inzwischen nach Kansas City gezogen und der Bennie Moten Band beigetreten. Aufmerksamkeit erregte er in Jam Sessions 1933, in denen er sich mit Coleman Hawkins von der Fletcher Henderson duellierte. Nach einem ersten kurzen Engagement in der Count Basie Band 1934 verließ er die Gruppe, um Hawkins in der Fletcher Henderson Band zu ersetzen.

Die Basie Band – Kansas City 1934-1940

Schon bald ging Lester Young nach Kansas City zurück, versehen mit einem Brief von Fletcher Henderson, in dem dieser versichert, ihn nicht gefeuert zu haben. Ein halbes Jahr später spielte er erneut in der Count Basie Band; der Plattenproduzent John Hammond hörte ihn und machte mit Lester am 9. Oktober 1936 seine erste Platte; vier Stücke, in Chicago mitgeschnitten, als sie ein Engagement im „Grand Terace“ hatten, mit Basie, dem Trompeter Carl "Tatti" Smith, der Rhythmusgruppe aus Walter Page und Jo Jones, sowie dem Sänger Jimmy Rushing. Als die Platten auf Vocalion unter dem Namen Jones-Smith Inc. erschienen, wurde klar, dass es sich um eine neue Art von Musik handelte. Ökonomisch, weniger ist mehr, schrieb Gunther Schuller sehr viel später.[6]

Drei Monate später nahm das ganze Count Basie Orchestra in New York City seine erste Session auf (The Original American Decca Recordings), und schnell erfuhr die damalige Jazzszene, dass es eine neue Art und Weise des Saxophonspiels gab. Dexter Gordon beschreibt diesen Moment: Hawkins hatte wirklich alles Mögliche getan und war ein Meister auf seinem Horn, aber als Prez erschien, hörten wir nur noch ihn. Prez hatte einen völlig anderen Klang, einen, auf den wir alle gewartet hatten; der erste, der wirklich eine Geschichte auf dem Tenor erzählte.[7]

Die Ankunft von Lester Young in der Basie Band 1936 ging zeitlich einher mit einer fünfjährigen Abwesenheit von Coleman Hawkins (der in Europa war), was ein gewichtiger Faktor dafür war, dass Lester für seine innovativen Experimente mehr Zuspruch bekam, als es möglich gewesen wäre, wenn Hawkins noch die ganze Aufmerksamkeit der amerikanischen Jazzszene aufsichgezogen hätte.

Nun erlebte er die fruchtbarste und glücklichste Zeit seiner Karriere. In den so genannten "Tenor Battles" lieferte sich Lester Young musikalische Schlachten mit seinem Bandkollegen Herschel Evans, der in der Hawkins-Tradition stand. Als dieser 1939 plötzlich starb, übernahm Lester dessen musikalische Rolle in der Band. Dessen Tod erschütterte ihn so sehr, dass er stark zu trinken anfing. Jo Jones erinnert sich: Damals hatte Lester größten Respekt und Bewunderung für Herschel Evans; als er starb, war es gerade so, als würden Zwillinge sterben. Er wollte seinen Mantel nehmen und den Sitz verlassen, aber die Jungs brachten ihn zurück. [8]

Die Kriegszeit

1940 verließ Lester Young die Basie Band. Sein Bruch mit Count Basie liegt in seiner komplexen Persönlichkeit begründet: Er weigerte sich, an einem Freitag, den 13. an einer Aufnahmesitzung mitzuwirken. Danach leitete er eine kurzlebige Gruppe im Jazzclub "Kelly´s Stable" auf der New Yorker 52nd Street. Dann trat er mit seinem Bruder, dem Schlagzeuger Lee Young, in ein Sextett ein, das im Cafe Society und in Kalifornien spielte. Trotz all der Bewunderung und der Publicity, die ihm entgegenschlug, war er einfach nicht der geborene Bandleader. Die Partnerschaft mit seinem Bruder endete 1943 und Lester fand sich – welche Ironie – als Sideman wieder in einer Band, die von dem fähigen, aber nicht bedeutenden Tenorsaxophonisten Al Sears geleitet wurde.

Im Dezember 1943 stieg er so abrupt, wie er ausgestiegen war, wieder in die Count Basie Band ein. Dieses zweite Mal war ihre Zusammenarbeit zwar nicht so spektakulär wie von 1936 bis 1940, hielt aber während des Streiks an; daher gibt es keine offiziellen Plattenaufnahmen aus dieser Zeit.

Ein halbes Jahr später – Lester Young hatte die Basie Band 1944 wieder verlassen – wurde er in die U.S. Army eingezogen. Nach den Aufnahmen zum Film „Jamming The Blues“ wurde er buchstäblich von der Bühne geholt (er hatte mehrere Einberufungsbescheide ignoriert) und eingezogen, wie auch gleichzeitig der Schlagzeuger der Band Jo Jones. Im Gegensatz zu vielen berühmten anderen Jazzmusikern (insbesondere weisser Hautfarbe) ließ man ihn nicht in einer Army-Band mitspielen - schon den obligatorischen Kurzhaarschnitt fand er entwürdigend - stattdessen wurde er in Fort McClelland (Alabama) zu Hilfsdiensten in einem Armeehospital herangezogen. Dort verurteilte man Lester Young wegen eines Drogendeliktes (man fand bei ihm Marihuana) und eines rassistischen Zwischenfalls mit einem Major (der bei der Durchsuchung seines Spinds ein Bild von Lester Youngs Verlobten, einer Weißen fand) zu fünf Jahren Gefängnis, was schließlich in ein Jahr im Armeelager Fort Gordon in Georgia umgewandelt wurde. Ein Armeepsychiater diagnostizierte ihn als „konstitutionellen Psychopathen“, da er nichts Schlimmes an seinem Marihuana Konsum fand, der bei Musikern aus New Orleans weit verbreitet war. Die Bedingungen im Straflager waren hart, allerdings „durfte“ er Sonntags vor Offizieren spielen. Diese Erlebnisse haben Lester Young, der nie mit bürgerlichen Normen klarkam, erheblich traumatisiert. [9]. Sein Aufenthalt im Straflager der Armee gab Anlass zu seiner Komposition D.B. Blues (D.B. für „detention barracks“).

Als Lester Young nach seiner unehrenhaften Entlassung gegen Ende des Jahres 1945 wieder auf die Jazzszene der New Yorker 52nd Street zurückkehrte, fand er die Jazzwelt mitten in einem Umbruch: Der Bebop war angesagt, und eine neue Generation von jungen Tenorsaxophonisten hörte seine Platten und begann, seine musikalischen Ideen zu absorbieren. Für seine Bewunderer und Imitatoren fand Lester Young wenig Zeit: Er bevorzugte den Mainstream Jazz und hörte privat Easy Listening-Musik von Frank Sinatra oder Dick Haymes. Young hatte zunächst große Probleme, sich musikalisch und persönlich im zivilen Leben zurechtzufinden.

Seinen Spitznamen „Prez“ (oder „Pres“), gemeint ist „the president“, hatte er von der Sängerin Billie Holiday oder „Lady Day“, wie er sie titulierte. Seit sie 1937 gemeinsame Plattenaufnahmen gemacht hatten, bestand eine enge Freundschaft von Lester Young und Billie Holiday, die bis zu Lesters Tod 1959 anhielt. Als Lester starb, sagte sie: Ich bin die Nächste, die geht.

Die ’’Aladdin’’-Sessions 1945-1947

Kurz nach seiner Rückkehr auf die Jazzszene ging Lester Young nach Südkalifornien, wo er mit dem kleinen Plattenlabel "Philo" – später "Aladdin Records" – einen Plattenvertrag abschloss. Die von Leonard Feather produzierten "Aladdin"-Sessions von Juli 1945 bis Dezember 1947 zählen zu den bedeutendsten Aufnahmen, die Lester Young nach seiner Zeit in der Basie Band aufgenommen hat. In dieser Periode teilte Lester seine Zeit auf in seine Auftritte bei den Jazz At The Philharmonic-Konzerten von Norman Granz, mit dem er lange in Verbindung bleiben sollte (Granz nahm Lester für Mercury und seine eigenen Jazzlabel Clef und Norgran, später Verve Records auf) und Nachtclubauftritte und Aufnahmen mit seinen eigenen Bands, zu denen der junge Bebop-Pianist Argonne Thornton (alias Sadik Hakim), die Bassisten Red Callender und Curly Russell, die Gitarristen Fred Lacey, Chuck Wayne, Nasir Bakaraat und die Schlagzeuger Henry Tucker und Roy Haynes gehören sollten. Im Dezember 1945 nahm er für Aladdin auch Platten mit der Sängerin Helen Humes auf, die Granz produzierte.

Die erste Aladdin-Session fand im Dezember 1945 mit einem alten Kollegen aus der Basie Band statt, mit dem Posaunisten Vic Dickenson, der 1940 bis 1941 bei Basie war, und einem jungen Bebop-Pianisten namens Dodo Marmarosa. In dieser Zeit entstanden in kleiner Besetzung Glanzlichter des Jazz[10], wie die Titel These Foolish Things, It´s Only A Paper Moon, Lover Come Back To Me, She´s Funny That Way, You´re Driving Me Crazy. Nach den Aladdin-Sessions 1947 begann der gesundheitliche und künstlerische Abstieg von Lester Young.

Der Abstieg

Lester Young war mit Jazz At The Philharmonic jeweils im Frühjahr 1952 und 1953 in Europa. Schon seit 1946[11] hatte er mit Norman Granz auf dessen Clef und Norgran-Label, später auf Verve Records Plattenaufnahmen gemacht.[12] Bis 1958 nahm Norman Granz den Tenoristen auf, unter anderem mit den Trompetern Roy Eldridge und Harry Sweets Edison, den Pianisten Nat King Cole, John Lewis, Teddy Wilson, Hank Jones und Oscar Peterson, dem Gitarristen Freddie Green, Barney Kessel, dem Bassisten John Ore, Ray Brown, den Schlagzeugern Buddy Rich, Jo Jones und J.C. Heard. Es entstanden in dieser Zeit – stilistisch dem Mainstream Jazz zuzuordnen – noch eine Reihe von Glanzlichtern, so Stücke wie Up 'n' Adam (1950, mit Nat Cole), Undercover Girl Blues (1951, mit John Lewis), Gigantic Blues (1956, mit Vic Dickenson und Roy Eldridge) und Prez´ Return (1956, mit Teddy Wilson)[13]

Insgesamt waren die Sessions für Norman Granz nur noch ein schwacher Abglanz des großen alten „Präsidenten“. Aber oft funkelte es noch in ihnen, und man spürte noch immer etwas vom Genie dieses großen Musikers – etwa auf der Verve-Platte The Jazz Giants `56 mit Teddy Wilson, Roy Eldridge, Vic Dickenson und anderen großen Swingmusikern.[14] Neben diesen erfolgeich verlaufenden Sessions kam es aber auch zu katastrophalen Situationen, als ein völlig alkoholisierter Lester Young Auftritte platzen ließ, zusammenbrach und zumindest musikalisch enttäuschte.[15]

Ein längerer Krankenhausaufenthalt ab November 1955 brachte nur eine vorübergehende Besserung seines zerrütteten gesundheitlichen Zustand. Die letzten Verve-Sessions für Granz geben davon ein Zeugnis ab: Die Doppelsession vom 7. und 8. Februar fand kurz nach seinem Aufenthalt im New Yorker Kings County Hospital statt. Ihm, dem 49jährigen, wurde gesagt, wenn er nicht sofort, mit dem Trinken aufhöre, wäre er bald tot, und er hörte nicht auf. Hinzu kam eine mangelnde Widerstandskraft aufgrund Unterernährung. Es schmerzt, die meisten Aufnahmen dieser Session anzuhören, aber der eröffnende Klarinetten-Chorus auf They Can´t Take That Away From Me ist das letzte großartige Dokument seiner Aufnahmekarriere: Vorsichtig, tastend, unerhört sich windend.[16]. 1957 spielte er noch einmal mit dem Count Basie Orchester auf dem Newport Jazz Festival.

Währenddessen war auch seine dritte Ehe in die Brüche gegangen. Seine Probleme waren für jeden offensichtlich. Er wohnte ab Frühjahr 1958 nicht mehr in seinem Haus, sondern im Hotel Alvin direkt gegenüber dem Musikertreffpunkt Birdland (an der Ecke der 52. Straße und des Broadway), wo sich eine Frau um ihn kümmerte. Er zeigte zwar Zeichen von Erholung und spielte im Juli in Newport mit Jack Teagarden, hatte aber Rückfälle. Meist war er in seinem Hotelzimmer, wo er bis zu drei Flaschen Gin am Tag trank und mit Vorliebe Sinatra Platten hörte. Bisweilen war zu sehen, wie er betrunken in einem Stuhl gegenüber dem Club saß und sich vorstellte Saxophon zu spielen.

Schließlich besuchte er – u.a. mit den Birdland All Stars – 1959 Paris und hatte im „Blue Note“ Club einen katastrophalen Auftritt. Ben Benjamin, der Chef des Clubs berichtet: Lester war sehr krank, als er für mich spielte. Er war fast apathisch. Er wollte nach Hause fahren, weil er, wie er sagte, mit den französischen Ärzten nicht sprechen konnte. Er hatte ein Magengeschwür und ich glaube, er trank etwas zuviel... [17].

Lester Young kehrte völlig erschöpft nach New York zurück. Kurze Zeit später entdeckte ihn eine Freundin in seinem Hotelzimmer im Koma. Er starb an Herzversagen, letztlich aber an Folgen seiner Alkohol- und Drogenabhängigkeit und den verschiedenen Krankheiten, die in den Jahren zuvor seine Gesundheit untergraben haben. „Prez“ steht damit in einer Reihe mit anderen großen Jazzmusikern wie Charlie Parker oder Billie Holiday, die wenig später starb - sie erlitt bei Erhalt der Nachricht von Youngs Tod einen Zusammenbruch.

Seine Persönlichkeit

Leonard Feather beschreibt Lester Youngs Persönlichkeit in einer Anekdote: Ein früherer Mitspieler von ihm habe ihm erzählt: Ich gab ihm einmal ein Paar Schuhe, und eines Tages kam ich rein und fand sie in seinem Papierkorb. Dann erst begriff ich, dass es welche mit harten Sohlen waren, und er würde immer nur Mokassins oder Slipper tragen. Die Geschichte zeigt, was das Wesen von Lester Young als Mensch und als Musiker ausmachte. Er war grundsätzlich freundlich, aber einsam; einer, der sich in dieser Welt von „one night stands“, Hotelzimmern, Agenten, Saufgelagen in schäbigen Clubs und der Rassentrennung und Diskriminierung nicht zurechtfand, was einen schrecklichen Höhepunkt in seinen Erlebnissen während der Armeezeit fand.[18]

Ein Agent sagte von ihm Lester hat die Sensibilität eines Charles Baudelaire oder James Joyce. Er lebt in einer eigenen Welt, und was außerhalb dieser Welt ist, ist Prez´ Überzeugung nach nicht auf der Welt. Aber: diese seine eigene Welt ist eine wunderbare Welt, die mild und freundlich und lieblich ist. Der Schlagzeuger Jo Jones meinte, Alles was irgend ein menschliches Wesen verletzt, verletzt ihn[19]

Seine Musik

Lester Young prägte den Satz Ein Musiker sollte den Text der Musik kennen, die er spielt.[20] Lester Young versucht, wenn er über eine Melodie improvisiert, den Text dieser Melodie unmittelbar und ohne Worte an den Hörer heranzutragen. Den größten Teil meiner Zeit verbringe ich, indem ich Schallplatten mit Sängern höre und die Texte der verschiedenen Songs zu lernen versuche, meinte Lester Young.[21] Young hielt diese Kenntnis für unabdingbar, um nicht einfach über die Changes zu dudeln, wie er am Spiel seiner Zeitgenossen zu bemängeln hatte.[22]

Der Schlüssel zu Lester Youngs melodisch souverän über Takt- und Formperioden hinweg schwingenden Improvisationen liegt eben gerade in seiner Persönlichkeit und ihrer erklärten Nähe zu Sprache und Gesang.[23]

Stimmen seiner Kollegen

Wenn man sich vollends darüber klar geworden ist, dass Lester Youngs Originaliät unerschöpflich ist, dann hat man begriffen, weshalb er eine Klasse für sich ist. Nie schleicht sich ein Fehler ein; man erlebt einen überragenden Solisten, dem niemals die Ideen ausgehen, der niemals einem anderen etwas klaut: eine absolut eigenständige Person. (Boris Vian) [24]

Ich weiß noch, wie Lester schon damals in Kansas City im Subway Club kühle Klänge auf seinem Tenor blies. Das war ein ganz kleiner Laden (...) Als ich Lester zum ersten Mal hörte, war ich überrascht. Er brauchte mehrere Chorusse, um in Fahrt kommen, aber dann, Menschenskind, was für ein Horn! (Mary Lou Williams) [25]

Ich habe eine Zeit lang in der Basie Band gesungen, und Lester wohnte bei meiner Mutter und mir zu Hause. Ich gab ihm den Namen „President“, er nannte mich „Lady“, und meiner Mutter gab er den Namen „Duchess“. Wir waren die königliche Familie Harlems. Pres und Herschel Evans dachten immer nur daran, wie einer den anderen übertrumpfen könnte. Man fand sie im Orchesterzimmer, wie sie an ihren Blättchen herumschnitzten, es immer wieder mit neuen und anderen versuchten und alles nur Denkbare taten, um den anderen zu überrunden. Einmal fragte Herschel Lester: "Mensch, warum spielst du nicht Alt? Du hast einen Ton, der ist für´ n Alt geschaffen!" Lester tippte sich an die Stirn: "Hier oben passieren die Sachen, mein Lieber", sagte er zu Herschel, "die meisten von euch sind primitive Burschen. Bloß Bauch und sonst nichts." (Billie Holiday)[26]

Jeder, der ein Instrument spielt, drückt das aus, was er denkt. Lester spielte einen Haufen musikalischer Phrasen, die in Wirklichkeit Worte waren. Er konnte buchstäblich auf seinem Horn sprechen. Das ist seine Art von Gespräch. In 85 Prozent der Fälle kann ich sagen, worüber er spricht. Ich könnte seine Gedanken auf Papier schreiben – auf Grund dessen, was ich aus seinem Horn höre. Benny Goodman machte sogar ein Musikstück aus einer Phrase, die Lester gespielt hat: „Ich brauche etwas Geld“ (Jo Jones)[27]

Es war einfach diese absolut großartige Musik, die er machte. Es war nicht, dass es ihm besonders gut gegangen wäre, sondern er war völlig daneben. Wir dachten uns nichts dabei. Wir ließen ihn da einfach abseits auf einer Bank sitzen. ...es war auch nicht einmal sehr traurig. Ich erinnere mich nicht, dass irgend wer gesagt hätte: „Ich glaube, er stirbt bald“. Daran dachten wir nicht (Milt Hinton 1957)[28]

Sein Einfluss auf den Jazz

Der Jazz-Historiker Marshall W. Stearns markierte seine historische wie seine künstlerische Position; er nannte ihn den "Cezanne des Jazz": Wie Paul Cezanne die moderne Kunst vorbereitete, so bereitete Lester Young den modernen Jazz vor.[29]

Joachim-Ernst Berendt schreibt zum Einfluss Lester Youngs: Der Klang des modernen Jazz ist – um ein Wort des Arrangeurs Bill Russo zu gebrauchen, „tenorisiert“. Der Mann, der ihn tenorisiert hat, ist Lester Young.[30] So war auch der Klang des Miles Davis Capitol Orchesters 1948-50 eine „Orchestrierung“ des Tenorsaxophonspiels von Lester Young. Nach Behrendt waren alle wichtigen Tenorsaxophonisten der 1950er Jahre, selbst Alt- und Baritonsaxophonisten, Trompeter, Posaunisten, Pianisten des Cool Jazz von Lester Young beeinflusst.

Sein Spiel beeinflusste Paul Quinichette, dessen Spiel ihm so ähnlich war, dass er Vice President genannt wurde, Zoot Sims und Stan Getz. Kurz bevor Lester Young starb, komponierte Charles Mingus als Referenz an ihn das Stück Goodbye Pork Pie Hat (auf Mingus Ah Um, 1959). Der Titel spielt auf den für Young typischen flachen Hut an. In dem französischen Spielfilm "Um Mitternacht" (Round Midnight) von Bertrand Tavernier basiert die erfundene Figur des „Dale Turner“ (im Film gespielt von Dexter Gordon) in Teilen auf den Erfahrungen Lester Youngs in Paris und in New York nach seiner Rückkehr kurz vor seinem Tod.

Lee Konitz sagte über ihn: Und dann der Sound von Lester Young auf den alten Basie-Platten! Richtig schöner Tenorsaxophonklang, reiner Klang. Darauf kommt es an. Auch beim Alt; reiner Klang. Wieviel Leute hat er beeinflusst, wie viele Leben! Denn er ist entschieden der Ausgangspunkt all der Dinge, die dann geschahen. Und sein rhythmisches Konzept! Komplex bei aller Einfachheit! Wie soll ich das analysieren? Sollen wir dem Kind einen Namen geben? Dann lasst uns „polyrhythmisch“ sagen[31]

Ehrungen

1959 wurde Lester Young posthum in die „Jazz Hall Of Fame“ gewählt. In einer Umfrage Leonard Feathers unter 101 führenden Musikern nach ihrem "all time favourite" wurde mit absoluter Mehrheit – noch vor Hawkins und Stan Getz – Lester Young genannt.[32]

Seine Aufnahmen

Diskographie (Auswahl)

  • Count Basie: The original American Decca Recordings (1937 - 1939) (Decca/MCA/GRP)
  • Kansas City Six: The Kansas City Sessions (1936-1938; mit Mitgliedern der damaligen Count Basie Big-Band) (Commodore)
  • Billie Holiday: The Quintessential Billie Holiday Vol.3 (Columbia 1936-37), Vol. 4 (Columbia 1937), Vol. 5 (Columbia 1937-38), Vol. 9 (Columbia 1940-42)
  • Nat King Cole: 1941-1943 (Classics)
  • Billie Holiday: 'Lady In Autumn (Verve, 1946-59)
  • Lester Young: The Aladdin Sessions (Oktober 1945 - Dezember 1948; Blue Note Re-Issue Series).
  • Jazz At The Philharmonic (ab 1946) (Clef/Verve), von Norman Granz produzierte Liveaufnahmen in wechselnder Besetzung
  • Lester Young: Live-Aufnahmen aus den späten Dreißiger- bis Fünfzigerjahren: Prez's Hat, Vol.1 - Vol.4 auf Philology (italienisches Label); erhältlich auf LPs oder als 2-CD-Set. Allein "Prez's Hat, Vol.1" enthält u. a. den einzigen Live-Mitschnitt aus dem legendären Pariser „Blue Note“ ("There Will Never Be Another You") sowie eine Live-Aufnahme von "This Is Always / I Cover The Waterfront" mit einer Piano-Einleitung von Hank Jones.
  • Lester Young:The Complete Verve Studio Sessions (Verve 1946-1958) (die gesamten von Norman Granz auf Mercury, Clef, Norgran und Verve Records produzierten Aufnahmen)

Film- und Fernsehaufnahmen

Bei dem Auftritt für die CBS-TV-Reihe "The Sound Of Jazz" von Billie Holiday mit dem Stück Fine And Mellow am 8. Dezember 1957 wird die Sängerin von Lester Young, Gerry Mulligan, Doc Cheatham, Ben Webster, Mal Waldron Milt Hinton. Osie Johnson und Danny Barker begleitet. Beindruckend ist der kurze Ausschnitt, als Lady Day während des Solos von Lester Young in sich hineinlächelt.[33]

Ein 10-minütiger Kurzfilm von Gjön Mili (bei dem Norman Granz als Berater wirkte) Jammin the blues von 1944 zeigt Lester Young in einer Jam Session mit Illinois Jacquet, Sweets Edison, Barney Kessel, Red Callender, Sid Catlett, Jo Jones.

Literatur und Quellen

  • Joachim Ernst Behrendt: Das Jazzbuch, Frankfurt/Main, Krüger, 1976
  • Werner Burkhardt, Joachim Gerth: Lester Young, Pegasus Verlag, Wetzlar 1959
  • Luc Delannoy Pres - the story of Lester Young, University of Arkansas Press 1993
  • Donald Clarke: Billie Holiday – Wishing on the Moon – Die Biographie, München, Piper, 1994
  • Leonard Feather: Liner Notes zu Lester Young – The Complete Aladdin Recorduing (Blue Note)
  • Dave Gelly – liner notes zu The Complete Lester Young Studio Recordings (Verve, ersch. 1999)
  • ders. Being Prez- the Life and Music of Lester Young, Equinox Publishing 2007, ISBN 1845530586
  • Martin Kunzler: Jazz-Lexikon, Reinbek, Rowohlt, 1993
  • Nat Hentoff & Nat Shapiro: Jazz erzählt – Hear Me Talkin´To Ya, München, Nymphenburger, 1959
  • Richard Morton & Brian Cook: The Penguin Guide to Jazz On CD, Sixth edition’’, London, Penguin, 2002
  • Arrigo Polillo Jazz, Piper 1984, Kapitel Young
  • Lewis Porter Lester Young, Twayne 1985
  • Boris Vian: ‘’Stolz und Vorurteile – Schriften, Glossen und Kritiken zum Jazz’’, Wien, Hannibal, 1990

Anmerkungen

  1. Richard Morton & Brian Cook: The Penguin Guide To Jazz On CD, Sixth Edition, S. 1588
  2. Hentoff/Shapiro: Jazz erzählt, S. 320
  3. Leonard Feather – liner notes zu Complete Aladdin Recordings
  4. Leonard Feather – liner notes zu Complete Aladdin Recordings. Der Zwischenfall ereignete sich in Beckley, West Virginia.
  5. Hentoff/Shapiro: Jazz erzählt, S. 321 f.
  6. Donald Clarke: Billie Holiday – Wishing on the Moon – Die Biographie, S. 156
  7. Leonard Feather – liner notes zu Complete Aladdin Recordings
  8. Leonard Feather – liner notes zu Complete Aladdin Recordings
  9. Kunzler: Jazz-Lexikon, S. 1324
  10. Kunzler: Jazz-Lexikon, S. 1324
  11. So nahm Lester Young mit Nat King Cole und Buddy Rich für Grantz I Cover The Waterfront im März oder April 1946 auf. Sie erschienen zusammen in den Jubilee shows der Armed Forces Radio Service zit. nach Dave Gelly – ‘’liner notes’’ zu ‘’The Complete Lester Young Studio Recordings’’ (Verve, ersch. 1999)
  12. Ausführlich dokumentiert auf den 8 CDs der „Complete Lester Young Studio Sessions on Verve“
  13. Kunzler: Jazz-Lexikon, S. 1325
  14. Joachim-Ernst Behrendt: Das Jazzbuch, S. 86
  15. Kunzler: Jazz-Lexikon, S. 1325
  16. Dave Gelly – liner notes zu The Complete Lester Young Studio Recordings (Verve, ersch. 1999)
  17. zit nach Joachim-Ernst Behrendt: Das Jazzbuch, S. 86. Dem Journalisten Postif gegenüber sagte er um diese Zeit, dass er bald sterben würde, Jazz Hot, April 1959, zitiert nach Polillo Jazz
  18. Leonard Feather – liner notes zu Complete Aladdin Recordings
  19. Joachim-Ernst Behrendt: Das Jazzbuch, Frankfurt/Main, Krüger, 1976, S. 84
  20. Dave Gelly – liner notes zu The Complete Lester Young Studio Recordings (Verve, ersch. 1999)
  21. zit nach Joachim Ernst Behrendt: Das Jazzbuch, Frankfurt/Main, Krüger, 1976, S. 85
  22. zit nach Kunzler: Jazz-Lexikon, S. 1321
  23. zit nach Kunzler: Jazz-Lexikon, S. 1321
  24. Boris Vian: Stolz und Vorurteile. Plattenkritik zu "Lover Come back To me/It´s Only a Paper Moon"
  25. Hentoff/Shapiro: Jazz erzählt, S. 323
  26. Hentoff/Shapiro: Jazz erzählt, S. 324 f.
  27. zit nach Joachim Ernst Behrendt: Das Jazzbuch, Frankfurt/Main, Krüger, 1976, S. 85
  28. Milt Hinton zum TV-Auftritt Lester Youngs mit Billie Holiday am 8. Dezember 1957, zit. nach Donald Clarke: Billie Holiday – Wishing on the Moon – Die Biographie, S. 486
  29. Joachim Ernst Behrendt: Das Jazzbuch, S. 83
  30. Joachim Ernst Behrendt: Das Jazzbuch, S. 82
  31. zit. nach Shapiro/Hentoff
  32. Kunzler: Jaz-Lexikon
  33. Donald Clarke: Billie Holiday – Wishing on the Moon – Die Biographie, S. 486


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