Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar
Die Geschäfte des Herrn Julius Cäsar ist ein unvollendeter Roman des deutschen Schriftstellers Bertolt Brecht. Brecht schrieb das unvollendete Werk 1938 bis 1939 im dänischen Exil. 1949 erschien das zweite Buch des Romans „Unser Herr C.“ in der Zeitschrift "Sinn und Form" (Berlin). 1957 wurden postum das dritte Buch „Klassische Verwaltung einer Provinz“ ebenfalls in "Sinn und Form" sowie das gesamte Fragment (Bücher 1-4) im Gebrüder Weiss Verlag (Berlin/West) und im Aufbau-Verlag (Berlin/DDR) veröffentlicht. Die Haupthandlung des Romans beschreibt die Zeit von Caesars Beteiligung am [[Catilinarischen Aufstand]] (691 bzw. 63 v. Chr.) bis zu seiner Statthalterschaft in Spanien und seiner daran anschließenden Bewerbung um das Konsulat (694 bzw. 60 v. Chr.). Eingebettet ist die Haupthandlung in eine Rahmenerzählung, die das Vorhaben eines jungen Anwalts wiedergibt, eine Biographie über den zwanzig Jahre zuvor ermordeten Caesar zu verfassen. Der Roman gehört gemeinhin zu den weniger bekannten Werken Brechts. Dennoch bleibt die Bedeutung des Fragments allgemein und innerhalb des brechtschen Gesamtwerkes nicht zu unterschätzen: Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar bildet einerseits ein Beispiel für die Gattung des historischen Romans der Zwischenkriegszeit. Andererseits aber stellt das Werk die Übertragung des Verfremdungseffekts aus dem Bereich des epischen Theaters auf den Roman dar und offenbart besonders Brechts Verständnis der Geschichte als „Perspektive der anderen Seite“.
N.B. Den nachfolgenden Ausführungen liegt folgende Textausgabe zugrunde: Hecht, Werner/Knopf, Jan u.a. (Hrsg.), Bertolt Brecht. Prosa 2. Romanfragmente und Romanentwürfe (= Bertolt Brecht. Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Band 17). Frankfurt am Main.

Inhaltsübersicht
Aufbau (Erzähl- und Zeitebenen)
Der Roman gliedert sich in sechs Bücher, wobei Brecht lediglich die ersten drei Buücher und den Anfang des vierten Buches vollständig ausgeführt hat. Die erzählten und erlebten Geschehnisse lassen sich drei Erzählebenen zuordnen: Die ersten beiden sind in der Rahmenhandlung anzusiedeln; es handelt sich dabei um die Ebene des jungen Anwalts, der aus der Ich-Perspektive die Rahmenhandlung darlegt, und die Ebene Mummlius Spicers. Letzterer erinnert sich in seinen Gesprächen mit dem Ich-Erzähler an seinen Umgang mit Caesar. Da der Ich-Erzähler seinerseits diese Erinnerungen in der Rahmenerzählung wiedergibt, ist die Erzählebene Spicers innerhalb der des Ich- Erzählers festzusetzen. Die dritte Erzählebene bilden die Tagebuchaufzeichnungen des Sekretärs Caesars namens Rarus, die die eigentliche Haupthandlung darstellen. Die Erzählebene des Rarus steht somit losgelöst von den beiden anderen Erzählebenen.
Die Einteilung der Erzählebenen deckt sich dabei in etwa mit derjenigen der Zeitebenen: Die ersten beiden Zeitebenen bestehen in den Berichten des Erzählers und der übrigen Figuren der Rahmenhandlung (Spicer, Carbo, Alder, der Legionär). Der Erzähler berichtet aus der Rückschau über seine Erlebnisse bei Spicer, die über drei Tage verlaufen und etwa im Jahr 730 anzusiedeln sind [1]. Während die Figuren der Rahmenerzählung in einem nennenswerten Abstand zu den bei Rarus beschriebenen Ereignissen befinden, schreibt Rarus selbst seine Erlebnisse unmittelbar nach deren Geschehen nieder. So stellen die Figuren der Rahmenerzählung und Rarus zwar dieselben Jahre der römischen Geschichte dar, ihre Perspektive ist aber eine andere. Nach Claas ermöglicht der geringe, aber vorhandene Zeitabstand der Rahmenhandlung zu den Geschehnissen der Verschwörung Catilinas einerseits eine abgeschlossene Legendenbildung; der Caesarmythos ist also bereits gewachsen. Andererseits, so Claas, könnten die Gesprächspartner des Ich-Erzählers als Zeitzeugen gelten, was ihren Berichten eine gewisse „fiktive Authentizität“ verleihe [2]. Die römische Zeitrechnung selbst, die Brecht den gesamten Roman hindurch verwendet, erscheint abschließend als Teil jener fiktiven Authentizität.
Buch 1: „Karriere eines vornehmen jungen Mannes“
Das erste Buch des Fragments „Karriere eines vornehmen jungen Mannes“ umfasst die Rahmenhandlung des Romans: Ein junger Anwalt, der Ich-Erzähler, beschließt eine Biographie über den vor 20 Jahren ermordeten Caesar zu schreiben. Dazu besucht er Mummlius Spicer, Caesars ehemaligen Bankier, der 11 Tagesreisen von Rom enfernt in einer Villa auf einem wohlhabenden, von Sklaven bewirtschafteten Landgut lebt. Er bittet Spicer um die Herausgabe der Tagebücher des Sklaven Rarus, eines Sekretärs Caesars, von denen er glaubt, dass sie sich in Spicers Besitz befänden. Spicer treibt zunächst ein Spiel mit dem Ich-Erzähler, indem er anfangs behauptet, er habe die Tagebücher weggeworfen, dann erklärt, der Anwalt könne damit überhaupt nichts anfangen, und schließlich die exorbitante Summe von 12000 Sesterzien für die Leihgabe der Tagebücher verlangt, unter der Bedingung, dass der Ich-Erzähler dazu die „Erläuterungen“ Spicers zu den Tagebüchern berücksichtige. Verärgert willigt der junge Anwalt ein. Im weiteren Verlauf der Handlung, die einen Zeitraum von einigen Tagen einnimmt, erhält der Ich-Erzähler von Spicer sowohl erste Berichte über die Situation im Rom zur Zeit, als Caesar die politische Bühne betrat, als auch zu Caesar selbst. Spicer erzählt ihm in einer Weise, die der Anwalt als „gleichgültig“ (S. 178, Z. 32) und „schamlos“ (S.187, Z. 9) bezeichnet, von Caesars Verhältnis zur sog. „City“ (Oberschicht der Kaufleute in Rom), von Caesars ersten scheiternden Versuchen als Anwalt und seinem Zusammentreffen mit den kleinasiatischen Piraten (der berühmten „Seeräuberanekdote“). Später trifft der Ich-Erzähler weitere Personen, die ihm über Caesar berichten, unter anderem einen ehemaligen Legionär aus Caesars Heer und den Anwalt Afranius Carbo, der von den wirtschaftlichen Konflikten in Rom zu Caesars Zeiten erzählt. Das erste Buch schließt mit einem von Spicer gegebenen Überlick über Caesars gesamte Karriere, der gleichfalls als grobe Gliederung der nachfolgenden Bücher zu verstehen ist.
Buch 2: „Unser Herr C.“
Das zweite Buch „Unser Herr C.“ gibt den ersten Teil der Tagebuchaufzeichnungen von Caesars Sekretär Rarus wieder. Die Aufzeichnungen beinhalten die Ereignisse der Monate August bis Dezember des Jahres 691 (d.h. 63 v. Chr.). Rarus legt den Schwerpunkt auf die Beschreibung der finanziellen und zwischenmenschlichen Schwierigkeiten Caesars. Im Vordergrund steht hier die Verschwörung Catilinas und Caesars Rolle innherhalb dieser Verschwörung. Daneben werden die Privatgeschäfte Caesars und Crassus' geschildert. Die römische Republik befindet sich in Unruhe, die Fraktionskämpfe zwischen City und Senat (bestehend aus der Schicht der reichen Großgrundbesitzer) bilden den Rahmen der Catilinarischen Verschwörung. Caesar und Crassus stehen offiziell auf Seiten der City, nutzen die Unruhen aber für ominösen Getreidehandel und Grundstücksspekulationen. Die City, die sich mit dem Senat im Streit um die Eroberung Kleinasiens befindet, versucht, eine Diktatur des Pompeius zu erzwingen. Zweck dieser Diktatur, über deren Einzelheiten sich City und Pompeius im Voraus verständigt haben, soll es sein, die (ökonomische) Macht des Senats zu brechen. Dazu soll Pompeius Catilina an seinem Aufstand hindern. Um Antrag und Ausrufung der Diktatur zu rechtfertigen, augmentiert die City künstlich die wirtschaftliche Not Roms und fördert die Verschwörung Catilinas. Schließlich zieht sich die City aber von ihrem Handel mit Pompeius zurück aus Angst vor Catilina. Die Niederwerfung Catilinas übernimmt nach dessen gescheiterter Konulatsbewerbung somit der Senat, der als Sieger aus den Fraktionskämpfen hervorgeht. Da Caesar (ebenso wie bedingt auch Crassus) auf den Sieg der City spekuliert hatte, sieht er sich nun mit einer hohen Verschuldung konfrontiert. Gleichzeitig drohen ihm wegen seiner Unterstützung Catilinas politische und juristische Repressalien. Die Stimmung im Volk hat sich mittlerweile gegen Catilina gewandt und man spricht nur noch von der „Abwehrung der Diktatur“ (S. 280, Z. 28). Die sog. „Sturmrotten“ und „Straßenklubs“, in denen sich die Anhänger Catilinas aus den unteren Schichten zusammengeschlossen hatten, werden aufgelöst und ihre Mitglieder verhaftet. In den Unruhen kommt es zum Börsensturz, über die Gründe dieses ökonomischen Zusammenbruchs herrschen unterschiedliche Spekulationen. Caesar entwindet sich seiner politischen Ächtung, indem er nach erfolgreicher Kanditatur um das Praetorenamt selbst die Prozesse gegen die Catilinarier führt. So kann er zugleich alle Verdachtsmomente gegen sich außer Kraft setzen. Das gesamte zweite Buch zeugt von inhaltlicher Komplexität, was sich vornehmlich darin begründet, dass es Rarus selbst an Überblick und des tiefergreifenden Verständnis der Geschehnisse mangelt. Dieses fehlende Verständnis könnte sich zum Teil daraus ergeben, dass Rarus sich um seinen Geliebten Caebio sorgt, der den Rotten Catilinas beigetreten ist. Die Auflösung und die Hintergründe der Ereignisse erfährt Rarus (und somit auch der Leser) erst am Schluss des zweiten Buches von Caesar selbst.
Buch 3: „Klassische Verwaltung einer Provinz“
Das dritte Buch „Klassische Verwaltung einer Provinz“ behandelt intensiver Caesars Umtriebe bei und nach dem Ende der Catilinarischen Verschörung. Es ist geteilt in die diesmal knappen Aufzeichnungen des Rarus und die daran anschließenden mündlichen Ergänzungen Spicers. Caesar, der auf die Rückkehr des Pompeius mitsamt seines Heeres hofft und demzufolge auf ein neues Siedlungsprogramm setzt (daher die Grundstücksspekulationen), beseitigt als Praetor die Beweise seiner Beteiligung an der Verschwörung Catilinas. Da Catilinas Heer jedoch vorzeitig vernichtet wird, ist eine Diktatur des Pompeius oder dessen Eingreifen mit seinem eigenen Heer unnötig. Pompejus kehrt daher ohne Heer in Rom ein, was seine Popularität im Volk immens sinken lässt: Eine Lösung der Bodenfrage und der ökonomischen Probleme durch eine eventuelle Machtergreifung des Pompeius ausgeschlossen. Caesar sieht sich nun mit massiven Schulden konfrontiert, die aus seinen Grundstücksspekulationen herrühren. Da er nach dem Ablauf seiner Amtszeit seinen Amtsschutz nicht mehr genießt, setzt er sich zur Statthalterschaft nach Spanien ab. Einen zweiten, parallel verlaufenden Handlungsstrang bildet Rarus' Reise zum Schlachtfeld von Pistoria, dem Ort der Niederlage Catilinas, wo er sich auf die vergebliche Suche nach Caebio begibt. Seine Trauer um Caebio bildet die Ursache dafür, dass der zweite Teil der Aufzeichnungen des Rarus verhältnismäßig kurz ausfällt, weshalb die Erzählung von Spicer ergänzt wird. Dazu tritt in der Rahmenhandlung die Begegnung des Ich-Erzählers mit dem Dichter Vastius Alder, der sich über die historische Bedeutung Caesars und sein Verhältnis zu Senat und City verbreitet. Spicer berichtet abschließend über die finanziellen Folgen der Verschwörung Catilinas und die Flucht Caesars in die Statthalterschaft nach Spanien.
Buch 4: „Das dreiköpfige Ungeheuer“
Das vierte, nicht vollständig ausgeführte Buch enthält die Aufzeichnungen des Rarus über Caesars Rückkehr aus Spanien und dessen anschließende Bewerbung um das Konsulat. Caesar hat in Spanien beachtliche Erfolge erzielt, vor allem finanzieller Natur. Um seiner Wahl zum Konsul möglichst große Erfolgschancen zu garantieren, plant er einen Triumphzug als Wahlwerbung. Da sich aber die hohen finanziellen Kosten des Triumphzuges nicht aus den spanischen Einkünften begleichen lassen, wird Caesar durch Verwicklungen mit den römischen Bankiers in Spanien aufgehalten. Er kann so nicht mehr vor der Zeit zur Konsulatsbewerbung nach Rom kommen, in der er die Stadt noch vor dem Triumphzug betreten darf. Deshalb entschließt er sich, auf den Triumphzug zu verzichten, was für ihn wiederum hohe finanzielle Verluste zur Folge hat. Geschickt und opportunistisch kalkulierend nutzt er aber nun die Stimmung des Volkes gegen Kriege und Eroberungen und stellt sich, statt als Feldherr, als Friedensbringer dar. Hier endet das vierte Buch.
Die inhaltliche Konzeption der letzten drei Bücher
Das eigentliche Thema des vierten Buches sollte in dem 1. Triumvirat bestehen, daher auch der Titel „Das dreiköpfige Ungeheuer“. Aus Brechts Aufzeichnungen geht hervor, dass der Schwerpunkt in der inhaltlichen Konzeption auch weiterhin auf Caesars „finanziellen“ Motivationen begründet liegt (S. 349, Z. 11-12): Die Lösung der Bodenfrage durch die Lex Julia wird „entlarvt“ als „eine gigantische Grundstücksspekulation des historischen Triumvirats“ (S. 349, Z. 17-18), wobei Caesar sich trotz „Amtsmissbrauch“ wachsenden Schulden gegenüber sieht. Weiterhin soll der „wahre Wert“ politischer Legalität innerhalb des römischen Staates dadurch entlarvt werden, dass Caesars Handlungen weitgehend als legal anerkannt werden (S. 349, Z. 37-38). Die weitere Handlung beschreibt die Gründung der „Gallischen Handelsgesellschaft“ und die Flucht Caesars vor Anklagen (nach dem Ende des Konsulats) in die gallische Provinz. Die privaten Liebschaften des Rarus werden ebenfalls weitergesponnen, wobei die Schicksale seiner beiden neuen Geliebten stellvertretend für das römische Volk konzipiert sind (S. 350, Z. 31-33). Der Gallische Krieg bildet den Inhalt des fünften Buches, das nach Brecht als das „idyllischste“ der sechs Bücher konzipiert ist (S. 351, Z. 26-27). Näher behandelt werden auch hier Caesars ökonomische Umtriebe: So versucht er bewusst, das Ende des Krieges hinauszuzögern, um größtmöglichen Profit aus seiner Statthalterschaft in Gallien zu ziehen. Die Aufzeichnungen Brechts zum Inhalt enden mit der Beschreibung von Caesars Überschreitung des Rubikons und seiner Rückkehr nach Rom sowie einem Ausblick auf die düstere Zukunft des römischen Staates.
Figuren des Romans
Figuren der Rahmenhandlung
Bei den Figuren der Rahmenhandlung handelt es sich in allen Teilen um von Brecht erdachte, nicht reale Charaktere, die jeweils unterschiedlichen Zwecken innerhalb der Romankonzeption dienen. Sie lassen sich auf keine historischen Personen zurückführen.
Der Ich-Erzähler
Der junge, namenlose Anwalt, der es sich zur Aufgabe erkoren hat, eine Biographie über den großen Politiker Gaius Julius Caesar zu schreiben, stellt für die Rahmenerzählung die zentrale Vermittlungsinstanz zwischen den Ereignissen und dem Leser dar. Bereits ganz zu Beginn des Romans deutet sich die Absicht an, die der Ich-Erzähler mit seiner Biographie verfolgt, nämlich die Entschleierung der Caesarlegende und die Aufdeckung der wahren Beweggründe der Handlungen des Staatsmannes Caesar („Da war die Legende, die alles vernebelte. Er hatte sogar Bücher geschrieben, um uns zu täuschen. [...] Vor die Erkenntnis der wahren Beweggründe ihrer Taten haben die großen Männer den Schweiß gesetzt.“, S. 167, Z. 19-23). Der Ich-Erzähler ist sich eines bedenklichen Wahrheitsgehalts der Berichte von und über Caesar bewusst. Dennoch ist er zunächst von der ruhmvollen Vergangenheit des Politikers überzeugt, den er als sein Idol betrachtet (S. 171, Z. 32). Besondere Empörung ruft bei ihm deshalb die gleichgültige und schamlose Darstellung Caesars von Seiten Spicers hervor (S. 178, Z. 31-35). Später zeigt der Ich-Erzähler neben Ärger auch Gleichgültigkeit gegenüber den aus seiner Sich pejorativen Äußerungen Spicers (S. 187, Z. 17-19). Die Einstellung des Ich-Erzählers zu Caesars Person bzw. zu den Ausführungen Spicers ist allerdings einem Sinneswandel unterworfen und scheint von Brecht bis zur schließlichen Umkehr des Caesarbildes ins Negative konzipiert gewesen zu sein. Vollständig ausgeführt allerdings ist lediglich der wachsende Zweifel des Ich-Erzählers an der Caesargestalt sowie seinem eigenen biographischen Vorhaben (S. 320, Z. 23). Durch die Perspektive des Ich-Erzählers und die Subjektivität seiner Darstellung ist dem Leser die Identifikation mit dem jungen Anwalt unvermeidbar. Der Leser befindet sich zu Beginn der Lektüre in derselben Position wie der Ich-Erzähler, der ein, wie sich zeigen soll, ins allzu Positive gesteigertes, "falsches" Bild des historischen Caesar besitzt. Der besagte langsame Sinneswandel des Ich-Erzählers ist von Brecht so konzipiert, dass er sich eins zu eins auf den Leser übertragen lässt und zur „Entschleierung“ der Caesarlegende beiträgt [3]. Folglich befindet sich der Leser in der Position des Ich-Erzählers, der Ich-Erzähler ist also quasi die „Personifikation“ des Lesers im Roman.
Mummlius Spicer
Ebenso wie auch die übrigen Charaktere der Rahmenhandlung wird Mummlius Spicer durch die Eindrücke und Vermutungen des Ich-Erzählers charakterisiert. Spicer, ehemals Gläubiger und Bankier Caesars, hat offensichtlich von Caesars Geschäften profitiert: Er besitzt ein reiches, von Sklaven bewirtschaftetes Landgut mit Oliven- und Weinanbau sowie eine schlichte, ländliche Villa mit einer Bibliothek (S. 167-168). Äußerlich wird Spicer als groß, knochig und mit vornüber gebeugtem Körper beschrieben; die Handhabung der Empfehlungsschreiben, die der Ich-Erzähler ihm vorweist, verweisen auf Spicers Beruf (S. 167, Z. 35-38).
Der Erzähler spricht darüber hinaus oft von Spicer als „der Alte“; nimmt man überdies an, dass Spicer während der von Rarus geschilderten Ereignisse mindestens zwanzig Jahre alt war, muss er zur Zeit der Rahmenerzählung wiederum wenigstens ein Alter von vierzig Jahren oder mehr erreicht haben (zu den Zeitebenen siehe unten). Dieses Attribut verleiht Spicer eine gewisse Autorität in Hinblick auf seine Lebenserfahrung; der Ich-Erzhähler differenziert ihn außerdem bewusst von den „großstädtischen Emporkömmlingen“ und „unseren neuen Senatoren“ (S. 167 Z. 25-29) und betont damit die Bescheidenheit Spicers. Dagegen sind die Berichte Spicers wiederum von einer Mischung aus Gleichgültigkeit und Allwissenheit geprägt: Der Ich-Erzähler berichtet von der scheinbaren Trägheit des Bankiers, die dieser beim Erzählen an den Tag legt (S. 180, Z. 3-14). Dennoch durchschaut er zugleich die Beweggründe der Taten Caesars und der City auf bemerkenswerte Weise (z.B. S. 186, Z. 38 – S. 187, Z. 7), übrigens ganz im Gegensatz zu Rarus.
Die Bedeutung Spicers für und innerhalb der Konzeption des Romans wird bei näherer Betrachtung seiner Einstellung zur Geschichtsschreibung deutlich: Spicer selbst äußert sich an mehreren Stellen abwertend über die römischen Historiker; einmal spricht er davon, dass die „geschäftliche Seite“ der Unternehmungen Caesars, die im Roman die zentralen Motive Caesars offenbart, „unsere Historiker wenig“ interessiere (S. 169, Z. 25-26); ein anderes Mal merkt der Ich-Erzähler selbst an, Spicer habe bei seinem ersten Besuch „sehr vage Bemerkungen über Geschichtsschreibung, Bemerkungen sehr abschätziger Art übrigens“ gemacht (S. 172, Z. 15-17). Spicer wird für Brecht somit zum "Sprachrohr", durch das er einen Teil der Entschleierung der Caesarlegende vornehmen und zugleich eine grundlegende Kritik an der bisherigen Geschichtsschreibung (bzgl. Caesars) äußern kann.
Übrige Personen
Innerhalb der Rahmenerzählung begegnen dem Ich-Erzähler (und damit dem Leser) drei weitere, knapp umrissene Personen, die alle ihrerseits eigene Meinungen zu Caesar vorbringen. Allerdings endet jede der drei Unterhaltungen für den Erzähler mit für ihn enttäuschenden Ergebnissen. Zunächst trifft er einen alten Legionär, den sein Sekretär Sempronius als Brennholzlieferanten ausgesucht hatte. Der Legionär lebt in einer Hütte zusammen mit einem Sklaven; seinen Lebensunterhalt verdient er mit einem kleinen Olivenbetrieb und gelegentlichem Fischen. Viel erfährt der Anwalt nicht von dem Veteranen, da dieser Caesar lediglich zweimal in zehn Jahren und überdies nur aus großer Entfernung gesehen hat (S. 189, Z. 10, Z. 26-27). Auch für seine Meinung bzgl. der Beliebtheit Caesars bei den einfachen Soldaten erhält der Erzähler keine befriedigende Antwort („ ,Er war sehr beliebt?', fragte ich. Er schwieg eine ganze Weile, mich beinahe unsicher anblickend. Dann sagte er: ,Er galt als fix.' ,Aber der einfache Mann hatte Vertrauen zu ihm?' ,Die Verpflegung war nicht schlecht. Darauf soll er geachtet haben, hieß es.' “, S. 189, Z. 30-36). Die weiteren Ausführungen des Legionärs bzgl. seines Schicksals als Soldat im Bürgerkrieg lassen ihn als einen typischen Vertreter der unteren Volksschichten erscheinen, denen nur die Alternative zwischen einem Leben als Soldat oder dem Leben als Bauer auf einem Stück Land offensteht, das für Ackerbau prinzipiell zu klein erscheint. In Brechts Konzeption personifiziert der Legionär somit das vom Kapitalismus "ausgebeutete" einfache Volk.
Die beiden anderen Personen, die dem Ich-Erzähler im weiteren Verlauf der Rahmenhandlung begegnen, sind der Anwalt Afranius Carbo und der Dichter Vastius Alder, beides wohlhabende und erfolgreiche Männer des römischen Staates. Carbo erfreut den Ich-Erzähler zunächst mit Schmeicheleien und Lob bezüglich seines Plans, eine Caesarbiographie zu verfassen (S. 192, Z. 8- 14). Diese Freude wandelt sich aber bald in Enttäuschung über die offenbar "oberflächliche" und „anfechtbare“ Darstellungsweise der Person Caesars durch Carbo (S. 193, Z. 3-4). Bald aber offenbart sich die heuchlerische Art Carbos, die den Erzähler hoffen lässt, dass jener seine Rede bald beende (S. 195, Z. 37 – S. 196, Z. 3).
Ganz ähnlich verhält es sich bei Alder: Sein Äußeres beschreibt der Erzähler wie das einer Mumie (S. 303, Z. 11-14) und seinen militärischen Ruhm relativiert er ebenso wie seine dichterischen Leistungen („Er lebte einzig seinem Ruhm, den er ebenso aus seinen Versen wie aus seinen Feldzügen zu ziehen trachtete. [...] Jedoch mochte sein Schwert eher [...] aus einem Altertumsladen der Campanischen Straße gestammt haben. Und die Schauplätze seiner militärischen Unternehmungen wählte er bestimmt nach der Möglichkeit aus, die ihm ihre nachträgliche Beschreibung für die Unterbringung seltener Wörter gab.“ S. 303, Z. 14-23). Die abschätzigen Bemerkungen Spicers bezüglich des Dichters tun ihr Übriges (S. 306, Z. 31-35; S. 307, Z. 14-20). Insgesamt ergänzen die übrigen Figuren der Rahmenerzählung die Funktion Spicers: Obwohl der Ich- Erzähler ihren eigenen Äußerungen abwertend gegenüber steht, sind sie doch Stellvertreter bestimmter Personengruppen, die jede auf ihre Art die negativen Seiten der Geschichte Caesars verdeutlichen, der Legionär als „Ausgebeuteter“, Carbo und Alder als „Ausbeuter“.
Figuren der Haupthandlung
Im Gegensatz zur Rahmenhandlung basieren die Charaktere der Haupthandlung auf real existierenden, historischen Persönlichkeiten, abgesehen von Alexander, Crassus' Bibliothekar, und Rarus sowie seinen Geliebten Caebio und Glaucos. Die tatsächlichen Eigenschaften der historischen Figuren sind allerdings im Sinne des brechtschen Geltungsanspruch mehr oder minder stark modifiziert. Daher bietet ihre Darstellung keine „Dokumentation“ der realen historischen Akteure.
Rarus
Die Figur des Rarus, Caesars Sklave und Sekretär, bildet die Erzählinstanz der Haupthandlung: Seine Tagebuchaufzeichnungen entsprechen dem Text des zweiten und in Teilen des dritten und vierten Buches des Romans; neben Spicer übernimmt folglich Rarus im Wesentlichen die Charakterisierung Caesars und damit die von Brecht vorgesehene "Entlarvung" der Caesarlegende. Innerhalb der ausgearbeiteten Teile des Romans wird Rarus selbst einerseits durch Spicer charakterisiert, dessen Äußerungen ohne Kommentar oder Bewertung vom Erzähler wiedergegeben werden. Andererseits erfährt der Leser einiges über Rarus durch dessen eigene Äußerungen in seinen Tagebuchaufzeichnungen.
Spicer spricht erstmals über Rarus bzw. dessen Berichte bei seinem ersten Gespräch mit dem Ich- Erzähler, als letzterer mit ihm über die Aufzeichnungen verhandelt. Er gibt zu verstehen, dass Rarus hauptsächlich die „geschäftliche Seite“ der Biographie Caesars dokumentiere und die Berichte nicht ohne Erläuterungen zu gebrauchen seien (S. 169, Z. 19-20, Z. 24-25). Diese Äußerungen Spicers über Rarus verdeutlichen bereits in der Rahmenhandlung (und erfahren Bestätigung in Rarus' Aufzeichnungen), dass Rarus die Handlungsweisen Caesars, der City und des Senats erst versteht, als Caesar ihm sie selbst erklärt („Es wird Licht! Über das ganze schreckliche, verworrene halbe Jahr verbreitet sich jetzt plötzlich die Klarheit des Herbstes und des Bankrotts. “, S. 284, Z. 11-13). Die zweite Charaktereigenschaft, auf die in den Ausführungen Spicers angespielt wird, ist Rarus Sinn für private Angelegenheiten: Neben Caesars „Frauengeschichten“ räumt er vor allem seiner Beziehung mit Caebio großen Raum in seinen Aufzeichnungen ein; die Suche nach seinem Geliebten auf dem Schlachtfeld von Pistoria bildet den Hauptteil der zweiten Schriftrolle des Rarus. Diese Beschreibung der Suche offenbahrt zugleich Rarus' Sensibilität als auch eine gewisse Naivität seinerseits. Obwohl er sich bewusst ist, dass die Schlacht bereits zuende sein und er zu spät zu Caebios Rettung kommen könnte, macht er sich dennoch hoffnungsvoll auf, Caebio nach Rom zurückzubringen, „selbst wenn er in Gefangenschaft geraten sein sollte“ (S. 299, Z. 19). Dieser fehlende Realitätssinn ergänzt sich mit Rarus' ausbleibendem Verständnis für Caesars Strategien und Geschäfte. Rarus selbst scheint sich dieser seiner Charaktereigenschaften nicht bewusst zu sein, glaubt er sich doch anderen Sklaven und vor allem den Klienten Caesars überlegen („Der Klientenbetrieb ist schauderhaft. Um neun Uhr werden sie eingelassen. Sie stehen aber schon ab sieben Uhr auf der Straße an und machen einen Lärm wie die Schafherden, die man früh fünf Uhr die Appische Straße herein in die Schlachthäuser treibt. [...] Sie schleppen an den Stiefeln Dreck herein und im Maul Klatsch.“, S. 202, Z. 25-30). Gerade das Zusammenwirken dieser drei zentralen Eigenschaften des Rarus macht den Sekretär Caesars für Brecht jedoch zum quasi ideal konzipierten Träger seiner „Caesarentlarvung“: Nicht nur wird der Leser durch die inhaltliche Komplexität der Tagebuchaufzeichnungen zum konzentrierten Verfolgen der Handlung gezwungen; auch mit der naiven und teils gar ignoranten, wirklichkeitsfremden Haltung des Rarus gelingt es Brecht, eine Gruppe der Gesellschaft darzustellen, die die Not der unteren Bevölkerungsschichten nicht nachvollziehen kann. Die Schilderung der Liebschaft mit Caebio ist letztlich ebenfalls Teil dieser Darstellung.

Die Hauptfigur in Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar, d.h. Gaius Julius Caesar selbst, tritt nie persönlich innerhalb des Romans in Erscheinung: Stets wird er indirekt charakterisiert, entweder durch die Gesprächspartner des Ich-Erzählers in der Rahmenhandlung oder durch Rarus' Tagebuchaufzeichnungen (Beschreibungen der Geschäfte Caesars, Wiedergabe von Dialogen, Reden, etc.). Caesar wird also zum Objekt der Darstellungen mehrerer Erzähler, die ihren Berichten jeweils unterschiedliche subjektive Prägungen geben. Man ist deshalb versucht, diesen Charakterisierungen der Caesarfigur eine gewisse Unglaubwürdigkeit zu unterstellen. Dem bleibt entgegenzustellen, dass man sich aus den beispielsweise bei Rarus beschriebenen „Geschäften“ Caesars eine objektive Sicht auf seine Person zu bilden vermag – schließlich bleibt der Realitätsgehalt der Handlungen Caesars gerade von einer subjektiven Blickweise des Rarus unangefochten, weil hierdurch eine intimere Sicht auf Caesar erfolgen kann. Noch genauer verleiht der Charakter der Tagebuchaufzeichnungen selbst Rarus eine besondere Glaubhaftigkeit: Wie Hans Dahlke anmerkte, ermögliche das Tagebuch als Gattung eine ungeschminkte Darstellungsweise bei Rarus, der somit ohne Rücksicht auf eine eventuelle Leserschaft Caesars „wahre“ Lebensweise beschreiben kann [4].
Dass Caesar selbst nicht persönlich und als ein Erzähler selbst innerhalb des Romans in Erscheinung tritt, wird von Seiten des Ich-Erzählers bereits zu Beginn des Werkes gerechtfertigt: Hier erklärt der junge Anwalt, Caesar habe „sogar selber Bücher geschrieben, um uns zu täuschen“ (S. 167, Z. 20-21). Somit ist offensichtlich, weshalb Caesar nicht selbst im Roman als Erzähler und nicht nur als Objekt der Beschreibung erscheinen kann: Ein im Roman als eigenständiger Erzähler agierender Caesar wäre der Entschleierung der Caesarlegende nur hinderlich, da er vermutlich seine Berichte verfälschte, um sich möglichst positiv darzustellen. Dass Spicer und Rarus hingegen von Caesar vornehmlich als „(Herr) C.“ sprechen, ist Element des Verfremdungseffektes als Motiv der Entschleierung der Caesarlegende.
Der Schwerpunkt der Romanhandlung wird von vornherein durch die Wahl der Erzähler auf Caesars finanziellen Geschäfte festgelegt, Rarus als Seketär Caesars, Spicer als Bankier des Politikers. So nehmen auch Caesars Finanzen und seine geschäftlichen Kalkulationen einen zentralen Raum innerhalb der Charakterisierung seiner Person ein. Caesars chronische Schuldenlast ist daher ein immer wiederkehrendes Motiv des Romans. Der anfänglich beschriebene "sorglose Umgang" mit Geld wird fast zur Verschwendungssucht gesteigert: Caesar plant die Errichtung einer neuen Reitbahn, die 40.000 Sesterzien kosten soll. Rarus bezeichnet den Bau als unsinnig, da man bald umziehen wolle. Die Renovierung des neuen Hauses hingegen verschlingt laut dem Sekretär ihrerseits Unsummen; wenn Rarus Caesar darauf hinweise, werde letzterer wütend (S. 201, Z. 11-23). Wenn schließlich über reiche Klienten Caesars oder Provisionen größere Mengen Geld zufließen, müssen auch diese gleich wieder ausgegeben werden, um Rechnungen zu zahlen und Gläubiger zu beruhigen; es herrsche „nackter Bargeldmangel“, so Rarus (S. 252, Z. 4-5). Allerdings handelt Caesar bei allen geschäftlichen Unternehmungen, ungeachtet ihres jeweiligen Erfolges, berechnend und gelassen. Spicer berichtet einmal, Caesar habe ihm trotz seiner aussichtslosen Finanzlage Vertrauen eingeflöst und Rarus beschreibt mehr als einmal Caesars ausgesprochenen Geschäftssinn, den er allerdings nicht immer als solchen erkennt („C. sagte dann etwas, was mich sehr überraschte: ,Und doch haben wir richtig gelegen, als wir die ganze Sache nur als eine Gelegenheit fürs Geschäft betrachteten. Wir betrachteten sie genau wie die Banken. Das spricht für unseren Instinkt.' “, S. 286, Z. 1-4). Besonders beispielhaft erweist sich in dieser Hinsicht auch Caesars „Komödie“ im Senat: Um Pompeius (aus geschäftlichen Gründen) zu Maßnahmen gegen den Senat zu reizen, inszeniert man im Senat einen Aufruhr, woraufhin Caesar und der Volkstribun Nepos abgesetzt werden. Diese Absetzung gleicht einem Bruch der Volksrechte und soll einen Grund für Pompeius darstellen mit seinem Heer gewaltsam zu intervenieren. Caesar selbst verlässt gelassen den Ort der Unruhen, „als hätte er nur das Interesse an den Vorgängen verloren“ (S. 289, Z. 7 – S. 299, Z. 3). Die Politik ist für Caesar folglich insgesamt nur Mittel zum Zweck, um seine Schulden und seinen aufwendigen Lebensstil zu finanzieren.
Caesars Verhältnis zu Crassus beruht wiederum unmittelbar auf Caesars geschäftlichen und politischen Kalkulationen. Crassus wird von Caesar instrumentalisiert, einmal, damit er ihm seine Praetur finanziere, ein anderes Mal, damit er die Bürgschaft für Caesars Schulden vor dessen Abreise nach Spanien übernehme. Die Grundstücksspekulationen, die Caesar mit Crassus unternimmt, sind Teil von Caesars Finanzstrategie. Sie scheitern zwar, weil es nicht zur Lösung der Bodenfrage durch Pompeius kommt; Caesar zieht aber dennoch den einen Vorteil aus der Situation, indem er von Crassus dessen Gewinne aus den Spekulationen erpresst (S. 265).
In der engen Verknüpfung von Finanzen und politischem Kalkül erscheinen die chronischen Schulden Caesars als bewusste Strategie: Spicer erklärt dem Ich-Erzähler die Rolle der Schulden in der Politik damit, dass große Schulden gleichbedeutend seien mit hohem Ansehen; dadurch müssten dem Schuldner „große Geschäfte zugeschoben werden, damit er zurückzahlen kann“ (S. 307, Z. 35-38). Dadurch hingegen, dass man ihm Geld verleihe, gerate man in Abhängigkeit zu ihm. Als Politiker werde man darüber hinaus auch durch Niederlagen bekannt, erklärt Spicer weiter (S.308, Z. 4-14). Für Caesar schließlich sind also die Schulden Mittel zum Zweck, d. h. Instrument des politischen Aufstiegs. Diese Schuldenstrategie erscheint als ein Element von Caesars Opportunismus, der ebenfalls seiner politischen Kalkulation entspringt: Solange ihm der politische Erfolg garantiert bleibt, verhält er sich der politischen Richtung gegenüber gleichgültig. Er ändert seine Haltung stets nach der Seite des (vermeintlichen) Siegers, mal unterstützt er die City, mal Catilina, mal das Volk, letztlich agiert er aber immer zugunsten seiner eigenen Ziele, in denen die Politik als "Objekt" finanzieller Interessen erscheint.
Weiterhin bedeutsam für eine Charakterisierung Caesars erscheint sein Verhältnis zur City und zum Volk. Das Volk gibt sich auf der einen Seite imponiert von Caesars Schulden (S. 173, Z.7), für die er auch hauptsächlich bekannt zu sein scheint („Ein Maultiertreiber: Caesar, das ist doch der mit den Schulden?“, S. 343, Z. 10-11). An anderer Stelle äußern einige Städter wiederum ihren Unmut über Caesar („Ein Blusenschneider: Dieser C. ist schuld, dass die Clubs hin sind. [...] Metzger: Ich war für Catilina, ich sage es offen. Den Caesar haben sie gekauft.“, S. 342, Z. 21-35).Die Einstellung des Volkes zu Caesar ist insofern interessant, da sie teils als Glorifizierung, teils als Verunglimpfung Caesars in gewissem Kontrast zu Rarus' Caesarbild steht; somit bildet sie eine nicht unwichtige weitere Ebene der Caesardarstellung im Roman. Durch Unmut und Wankelmut bleibt das Volk demnach ein unförmiger Mob, der sich leicht durch geschickte Demagogie verführen lässt. Caesar selbst bemüht sich schließlich besonders vor den Konsulatswahlen um die Gunst des Volkes, macht Zugeständnisse (S. 293, Z. 3-9) und veranstaltet Spiele, ohne allerdings wirkliches Interesse für die Nöte des Volkes zu hegen (vgl. oben). Ähnlich ambivalent gibt sich Caesars Verhältnis zur City: Caesar blieb zunächst lediglich ein "Handlanger" der City (S. 177-178), später hingegen löst er sich aus seinen Bindungen und macht auch die City in Teilen zu einem Machtinstrument. Es erweist sich für den Leser im fortschreitenden Romanverlauf kaum noch als differenzierbar, wer wen instrumentalisiert und wer wessen „Spielball“ bleibt. Erst bei der allgemeinen Aufklärung der Geschehnisse durch Rarus am Ende des zweiten Buches verdeutlicht sich die Überlegenheit Caesars (S. 284-287).
Immer dann, wenn Caesar sich in eine Lage gebracht sieht, die es nötig macht, sich eine Weile aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, begibt er sich auf eine ausgiebigere Reise: Nach seinem Scheitern als Anwalt in seinen jüngeren Jahren begibt er sich bekanntlich nach Rhodos [5]; als Caesar wegen der Umtriebe Catilinas und seiner Beteiligungen daran in politische und auch finanzielle Bedrängnis gerät, zieht er sich in seine Statthalterschaft nach Spanien zurück (S. 310-313). So hängen auch diese „Fluchten“ Caesars unmittelbar mit seinen politischen und finanziellen Planungen und Berechnungen zusammen.
Das Fazit, welches Rarus zwischenzeitlich über Caesars politische Fähigkeiten zieht (S. 286, Z. 35 – S. 287, Z. 4), ist nach Ansicht Spicers zu pessimistisch (S. 307, Z. 25-28). Darüber hinaus offenbart es auch durch Rarus' fehlendes Verständnis für Caesars Handlungen die Vielschichtigkeit der Caesarfigur, deren eigentliche Zielsetzungen erst nach und nach deutlich werden. Hans Dahlke ordnet Caesar in einer Reihe mit den „Brecht-Gestalten“ Mackie Messer und Arturo Ui ein und belegt den thematischen Zusammenhang des Caesarromans mit der Dreigroschenoper [6]. Die Darstellung der Caesarfigur beschreibe, so Dahlke, bei Brecht ein „beispielhaftes Gangstertum“ [7]. Diese These Dahlkes bekräftigt sich nicht nur allgemein durch die Charakterisierung Caesars als nach seinen finanziellen Interessen kalkulierenden Politiker; auch Äußerungen einzelner Personen im Roman weisen auf die „verbrecherischen“ Hintergründe seiner Aktivitäten hin. So erklärt ein Senator im Gespräch mit Rarus, Caesar sei „ein Catilina, der es mit der Legalität versucht“ (S. 342, Z. 4-5). Aus der Darstellung Caesars als „Verbrecherfigur“, die mit dem Anspruch der Entschleierung der Caesarlegende verknüpft ist, ergibt sich notwendig die Vielschichtigkeit der Caesarfigur: Letztere nämlich bedingt wiederum die Gerissenheit Caesars; diese resultiert daraus, dass Rarus nicht immer die Vorhaben des Politikers durchschaut und auch dem Leser erst spät die ganze Raffinesse der mit Demagogie und finanziellem Kalkül verbundenen politischen Agitation Caesars offenbar wird.
City und Senat
Der Machtkampf zwischen City und Senat, der vornehmlich in ökonomischen Interessenskonflikten begründet liegt, bildet eine zentrale Thematik des brechtschen Caesarromans. Die sogenannte „City“ setzt sich aus den reichen Bankiers und Kaufleuten Roms zusammen und wird als "demokratisch" charakterisiert [8]. Die „City“ repräsentiert eine Rolle innerhalb des Romans, die die Unfähigkeit der reichen Handwerksschicht, selber gegen die Bedrohung der Republik einzuschreiten, verdeutlicht: Hier wechseln sich Unentschiedenheit mit Profitgier und Feigheit ab. Die City ist sich zwar eher der Gefahr durch Catilina bewusst als beispielsweise das römische Volk, erweist sich aber in den entscheidenden Situationen als handlungsunfähig. Die fehlende Führung innerhalb der City lässt sie letztlich in ihrer inneren Zersplitterung den Machtkampf mit dem Senat verlieren (soweit es aus dem von Brecht ausgeführten Teil des Romans entnehmbar ist).
Der ökonomische und auch politische Konkurrent der City personifiziert sich in den Großgrundbesitzern, die auf dreihundert patrizische Familien verbreitet seit den Anfängen der Republik die politische Macht unter sich aufteilen, vornehmlich in Form von Magistraturen und Sitzen im Senat. Obwohl der Senat Teil einer (scheinbar) demokratischen Republik ist, interessiert er sich nur für die Erhaltung seiner eigenen Macht, die mit dem Erhalt der Republik einhergeht. So ist auch die Niederschlagung und Vernichtung Catilinas durch den Senat Produkt dieser übergeordneten wirtschafts- und machtpolitischen Interessen. Dem Senat ist aber offenbar genausowenig wie der Bevölkerung die Gefährdung der Republik und seiner eigenen Machtposition bewusst. Für Brecht bietet sich also schließlich über die Charakterisierung des Senats die Möglichkeit, die tatsächliche brüchige Struktur einer Republik darzustellen, die nur mehr oder minder von einem Tag zum nächsten am Leben erhalten wird, ohne dass dem Gros der Bevölkerung und auch den Machthabern bewusst zu sein scheint, wie nahe der "Untergang" des republikanischen System bevorsteht.
Übrige Personen
In der Haupthandlung des Romans werden noch einige weitere historische Personen beschrieben, so etwa Pompeius, Crassus, Cicero und Catilina. Allen diesen Figuren ist gemein, dass sie auf ihre Weise im politischen Prozess scheitern und Objekte des Machtkampfes innerhalb der Republik werden. Dabei stilisiert Brecht sie teilweise auch zu bloßen Machtinstrumenten Caesars, des Senats oder der City herab. Pompeius erscheint von vornherein als unpopulär und vor allem unentschieden, weil Brecht ihn niemals persönlich auftreten lässt und ihm keine Möglichkeit der Verteidigung seiner Handlungen gegeben wird. Wie bei Caesar sind auch bei Pompeius die Beweggründe seiner politischen Handlungen immer wieder finanzieller Natur. Allerdings gibt sich Pompeius nicht so geschickt wie Caesar, weshalb er schließlich politisch scheitern muss. Pompeius ist nach dem Konzept Brechts letztlich nur ein Wegbereiter für Caesar; er beginnt schließlich den Ruin Roms und Italiens mit dem Krieg in Kleinasien, Caesar vollendet ihn mit dem Gallischen Krieg (S. 352, Z. 6- 10). Der in Rarus' Aufzeichnungen erwähnte Crassus repräsentiert vermutlich den historischen [[Marcus Licinius Crassus Dives]], der unter seinen Zeitgenossen für großen Reichtum bekannt war und sich am ersten Triumvirat beteiligte. Bei Rarus wird Crassus vornehmlich als Partner und Geldgeber Caesars beschrieben. Über die Figur des Crassus bietet sich Brecht die Möglichkeit, beinahe stereotyp den Charakter des reichen Immobilienbesitzers und Geschäftsmannes darzustellen, der schwitzend vor Hitze und barocker Leibesfülle frei von Menschlichkeit und Verständnis den Kopf schüttelt über die Klagen der Armen und der den eigenen Intellekt an seine Grenzen führt bei dem Versuch, neue und schnelle Methoden der Geldanhäufung zu erdenken. Ähnlich wie Rarus stellt auch Crassus demnach einen Vertreter jener Gesellschaftsgruppe dar, der das Einfühlungsvermögen für die Nöte unterer sozialer Schichten fern liegt.
Während Cicero als Verkörperung der Republik und ihrer Ideale charakterisiert wird, personifiziert Catilina die Diktatur und den Umsturz der republikanischen Ordnung. Catilina gibt sich gleich zu Beginn in Rarus' Aufzeichnungen als Mann des Volkes. Allerdings durchschauen weder die unteren noch die wohlhabenderen Bevölkerungsschichten die wahren Beweggründe hinter Catilinas Handlungen; schließlich wissen sie auch nichts von den geheimen Verhandlungen zwischen Catilina und der City bzw. zwischen City und Senat gegen Catilina. Catilina ist weder der Mann des Volkes, der er zu sein vorgibt, noch versteht er es wie Caesar mit geschickten Kalkulationen nicht nur die Volksunruhen, sondern auch und vor allem die Differenzen zwischen City und Senat auszunutzen. Catilina plant im Gegensatz zu Caesar sein Vorhaben weniger pragmatisch und zukunftsbezogen, weshalb seine Umsturzbestrebungen abschließend scheitern. Seine Funktion innerhalb des brechtschen Romans lässt sich in etwa folgendermaßen zusammenfassen: Dass Catilina zwar scheitert, die von ihm ausgegangene Gefahr jedoch nach seinem Tod von vielen Seiten falsch eingeschätzt wird, verdeutlicht die unsichere Position der Republik. Das Bewusstsein für diese Unsicherheit ist offenbar nur bei Cicero vorhanden, der ständig und teils hysterisch vor Catilina warnt. Man verlässt sich größtenteils auf den Konsul, das Volk wählt demokratisch und nach dem Sturz Catilinas wähnt man die Republik in Sicherheit. Von einer Diktatur Caesars wird zu diesem Zeitpunkt noch längst nicht gesprochen.
In Rarus' Aufzeichnungen erscheint der Konsul Cicero für das römische Volk als die Inkarnation der Republik und der Demokratie: Man versteht ihn als Gegenpol zu Catilina, in der Überzeugung, dass es keine Diktatur geben könne, „weder von rechts noch von links“, solange Ciceros Macht in Rom ungeschmälert bleibe (S. 213, Z. 25-29). Ciceros Vorgehen gegen Catilina bestärkt seine Charakterisierung als eines Politikers, der über alles bestrebt ist, einen möglichen Untergang der Republik durch die Umtriebe Catilinas zu verhindern. Dem Leser offenbaren sich nun zwei unterschiedliche Seiten Ciceros: Zum einen ist er der "Schutzherr" der republikanisch-demokratischen Ordnung Roms als den ihn die breite Bevölkerung zu sehen scheint; unantastbar und zielstrebig sorgt er für das Wohl der Republik. Zum anderen aber zeigt sich in Rarus' Aufzeichnungen der „wahre“ Charakter Ciceros. Er mag zwar die Republik verteidigen, aber es ist die „seine“ und nicht die des Senats oder der City, die sich solange desinteressiert geben, bis sie ihre geschäftlichen Interessen bedroht sehen (S. 241, Z. 3-15). Dass sein nervöser "Aktionismus" gegen Catilina in Brechts Darstellung lediglich Auswuchs seiner Feigheit und damit vermutlich politischer Versagensängste zu sein scheint, gibt Ciceros Figur letztlich der Lächerlichkeit preis. Hieraus ergibt sich auch die Bedeutung Ciceros innerhalb des Romans: Cicero gelingt es zwar, mit hohem Kraftaufwand seinerseits den Umsturz Catilinas zu verhindern; Caesar aber, den Brecht seinen Aufzeichnungen zufolge als den eigentlichen Ruin der Republik Roms konzipiert hatte, entwindet sich geschickt einer möglichen Strafverfolgung. Hierdurch relativiert sich einerseits der „Erfolg“ Ciceros im Kampf um die Republik, andererseits zeigt sich die Unfähigkeit eines ohnehin erschütterten Staatswesens, die eigentliche und mit (scheinbar) legalen Mitteln geführte Bewegung hin zur Diktatur abzuwehren. Letztere erscheint schließlich schon deshalb unvermeidbar, weil sich die republikanischen Elemente des Staatsapparats offensichtlich weniger für Erhaltung der Republik als vielmehr für ihre Privatgeschäfte interessieren.
Die Sprache des Romans
Durch den fragmentarischen Charakter des brechtschen Romans wird eine eindeutige Sprachanalyse insofern erschwert, da nicht eindeutig festzustellen ist, ob eventuelle Stilbrüche oder sprachliche Ungenauigkeiten gewollt sind oder nicht. Beispielsweise berichtet der Erzähler, dass ihn „am nächsten Morgen“ das Geld für Spicer erreicht und er sich dann „zur gleichen Zeit wie gestern“ zu ihm begeben habe (S. 172, Z.25). An dieser Stelle kann nicht eindeutig festgestellt werden, ob es sich bei diesem Stilbruch um ein Versehen Brechts handelt oder um ein bewusst eingesetztes Stilmittel. Letzteres erwiese sich als möglich, wenn zu zeigen wäre, dass der Erzähler seinen Bericht zwar nach allen Geschehnissen der Rahmenhandlung niederschreibt, er hier aber in gewisser erzählerischer Dynamik den Leser auf den nächsten Morgen fixiert. Dort also befände sich der Leser zeitlich, wobei dann auch für den Leser der vorige Tag „gestern“ wäre. Dem Leser selbst würde damit eine Identifikation mit dem Erzähler ermöglicht, die prinzipiell nur im Interesse Brechts in Hinblick auf den Geltungsanspruch des Romans liegen kann. In Bezug auf die sprachliche Gestaltung des übrigen Romans erscheint eine bewusste Komposition dieser Szene wahrscheinlicher als ein unbewusster Stilbruch; letzterer lässt sich nämlich kaum mehr im weiteren Textverlauf nachweisen. Weitaus eindeutigere, allgemeine Aussagen lassen sich hingegen zum Sprachduktus des Romans treffen: Zunächst einmal unterscheidet sich vor allem die Wortwahl je nach Situation und Romanfigur. Die Sprache des Erzählers gestaltet sich sehr wortreich und präzise formuliert. Seine Berichte enthalten häufig Landschaftsbeschreibungen, insbesondere der Güter Spicers. Dabei beobachtet er sehr genau und zieht Rückschlüsse auf Spicers Charakter aus dessen Verhalten und dem Zustand seiner Besitztümer (S. 167, Z. 25-36). Besonders das Verhalten Spicers während seiner Gespräche mit dem Ich-Erzähler interpretiert letzterer nach eigenem Ermessen („ ,Und wenn doch?', fragte er, und, obgleich sein Gesicht so unbewegt blieb wie immer, vermeinte ich, eine leichte Amüsiertheit herauszulesen.“, S. 169, Z. 30-32). Das von Seiten des Erzählers benutzte Vokabular ist weitgehend frei von umgangssprachlichen Ausdrücken und darüber hinaus geprägt von zahlreichen termini technici, die den jungen Anwalt gebildet erscheinen lassen (S. 191, Z. 35-40). Hierdurch wird dem vermutlich ebenfalls eher intellektuellen Adressaten des Romans eine weitere Identifikationsmöglichkeit mit dem Ich-Erzähler geboten.
Rarus' Sprache hingegen ist geprägt von einigen umgangssprachlichen Ausdrücken und unterscheidet sich auch ansonsten bedingt vom Niveau des Ich-Erzählers: Parataxe wechselt sich mit hypotaktischen Satzkonstruktionen (häufig Aneinanderreihungen) ab, die von Fachtermini geprägt sind, sich aber auf den ökonomischen Bereich beschränken. Allerdings ist die Satzstruktur in den Tagebuchaufzeichnungen bei hypotaktischen Sätzen insofern verhältnismäßig einfach gehalten, da Rarus auch diese Sätze stets direkt und häufig ohne Konjunktionen mit dem Subjekt des Hauptsatzes einleitet. („Matius kämpft wie ein Verzweifelter um den Dispens. Er ist von Ciceros Landgut zurück. Cicero war von Oppius schon bearbeitet worden, er war ganz zugänglich, erklärte sich bereit, für den Dispens zu stimmen, bezweifelte aber die Wirkung seiner Stellungnahme.“, S. 339, Z. 12-16). Dass die von Rarus benutzten Fremdwörter sich vornehmlich auf den ökonomischen Bereich beschränken, unterstreicht seine Charakterisierung als Caesars Sekretär, der zwar mit den finanziellen Unternehmungen des späteren Diktators vertraut ist, darüber hinaus aber kein Verständnis für die Hintergründe jener Geschäfte zeigt. In gewissem Widerspruch dazu steht aber die bereits von Hans Dahlke angemerkte Präzision in Rarus' Notizen: Durch diesen „Telegrammstil“ (z. B. „Wundervolle Herbstage. Suche abends melancholisch alle Stellen auf, wo ich voriges Jahr, als das Laub fiel, mit meinem Caebio saß.“, S. 243, Z. 17-19), der durch stichwortartige Sätze und den Verzicht auf das Personalpronomen der ersten Person zustande komme, werde den Aufzeichnungen eine „erstaunliche Schlüssigkeit“ und eine „bemerkenswerte künstlerische Spannung“ verliehen [9]. Aufschluss über deren Funktion innerhalb des Romans gibt Dahlke nicht; es bleibt aber zu vermuten, dass durch den im Vergleich zu den eher nüchternen Ausführungen Spicers lebhaften Stil dem Leser eine weitere Identifikationsmöglichkeit mit dem Geschehen gegeben werden soll.
Typisch für Rarus' Artikulation sind auch die Bezeichnungen führender Politiker und Geschäftsleute nach deren Charakter: Von Crassus wird beispielsweise des Öfteren als dem „Schwamm“ gesprochen (S. 209, Z. 11), der ehemalige Konsul Lentulus wird als die „Wade“ bezeichnet (S. 239, Z. 25-33). Daneben legt Rarus in seiner Darstellung auch besonderen Wert auf die Beschreibung sowohl der äußeren Erscheinung einzelner Personen als auch deren Gewohnheiten und privater Beziehungen. Wie entscheidend die hierdurch erzeugte Subjektivität der Darstellung des Rarus für die Entschleierung der Caesarlegende ist, äußert Dahlke: Er erklärt, dass einerseits eine besondere Anteilnahme des Lesers am Geschehen durch die lebendige Erzählweise ermöglicht und somit auch die Glaubhaftigkeit der Tagebuchaufzeichnungen gesteigert werde [10]. Daneben ermögliche der Tagebuchcharakter bei Rarus eine besondere Schamlosigkeit der Darstellung, die wiederum ihrerseits letztlich Rarus' Glaubwürdigkeit zuträglich sei [11].
Insgesamt ist der Roman schließlich geprägt von allgemeinen Begrifflichkeiten aus der modernen Sprache wie „Trust“, „City“, „demokratisch“, „Sturmrotten“ usf. Die Funktion dieser Anachronismen erweist sich als nicht ganz eindeutig. Zwar hat Jeske darauf hingewiesen, dass Brecht keine Analogie zu den Entwicklungen der Weimarer Republik habe schreiben wollen, der Roman aber bewusste oder unbewusste zeitgeschichtliche Anspielungen beinhalte (S. 515). Allerdings gibt Jeske keine Erklärung über die Bedeutung der angeführten Ausdrücke für den Roman. Da die Entlarvung der Caesarlegende und damit des Diktatorenbildes allgemein („Es war schon klar, dass er [Caesar] das unerreichbare Vorbild aller Diktatoren werden würde.“, S. 171, Z. 26-28) mit dem Anspruch verknüpft ist, die zeitgeschichtlichen Geschehnisse zu erklären, ist man trotz der Einschränkung von Brechts Seite gezwungen, ihm eine gewisse Analogiebildung zu unterstellen; ein anderer Erklärungsansatz für die sprachlichen Anachronismen lässt sich in der Sekundärliteratur nicht finden.
Interpretation
Leitmotive
Der gesamte Roman Brechts beinhaltet mehrere spezifische Leitmotive, die in ihrer Gesamtheit von zentraler Bedeutung für den Geltungsanspruch des Werkes sind. Diese Leitmotive besitzen ihre Basis einerseits in der sozialistischen Haltung Brechts, andererseits in den in seinen Schriften allgemein vorhandenen literarischen Grundkonzeptionen; erstere ist vornehmlich auf der inhaltlichen Ebene ausgeprägt, letztere auf der strukturell-kompositorischen.
Die „Herrschaft des Monopolkapitals"
In seinen Ausführungen zu den Grundgedanken des brechtschen Romans führt Hans Dahlke direkt zu Beginn die sogenannte „Herrschaft des Monopolkapitals“ an: Diese Herrschaft stellt den zentralen Zankapfel in der Auseinandersetzung zwischen City und Senat dar. Dahlke erklärt, der Inhalt dieser Auseinandersetzung sei der Kampf „zweier Fraktionen der herrschenden Klasse über die beste Methode der Ausbeutung“ des Ostens, d.h. der dortigen neuen römischen Provinzen; die Motive des Senats und der City unterscheiden sich dabei nach ihren jeweiligen ökonomischen Interessen. Der Senat besitzt seit der Vertreibung des letzten römischen Königs eine beinahe unangefochtene Macht in Rom, befindet sich also im Kampf mit der City in einer verteidigenden Position, während die City den Angreifer jener Macht darstellt. Das einfache Volk bleibt von den Auseinandersetzungen ausgeschlossen: Obwohl die City, so Dahlke, sich gebe, als unterstütze sie das Volk und wolle ihm zu seinem Recht verhelfen, handele sie dennoch nur im eigenen (hauptsächlich finanziellen) Interesse und sei bereit, dafür das Volk zu verraten [12]. Die „herrschenden Klassen“ sind also in der Romankonzeption Brechts die City und der Senat, die beide als rivalisierende Gruppen der Bourgeoisie zu bezeichnen sind. Da sowohl die Kaufleute der City als auch die Großgrundbesitzer des Senats aus ökonomischen Beweggründen heraus handeln, ist die „Herrschaft des Monopolkapitals“ ein zentrales Thema innerhalb von Brechts Roman.
Verbrechen und Macht
An der Figur Caesars, die nach Dahlke für Brecht neben Mackie Messer und Arturo Ui den Inbegriff des „Gangstertums“ darstellt, verdeutlicht sich die scheinbar unmittelbare Verbindung von Verbrechen und Macht. Die Ambivalenz Caesars und sein Opportunismus bedeuten die zentralen Elemente des „Gangstertums“ in Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar. Unter Ausnutzung der wirtschaftlichen Lage unterstützt Caesar insgeheim Catilina, um den Erfolg seiner Grundstücksspekulationen zu garantieren; dabei täuscht er aber wiederum vor, dass er auf der Seite des Volkes stehe. Als Praetor wiederum wendet er dann durch politische Intrigen den Verdacht von sich ab, er habe sich an der Catilinarischen Verschwörung beteiligt; schließlich führt er selbst die Anklagen und stellt sich dabei wiederum auf die Seite des Volkes. Insgeheim sieht er das Volk allerdings mehr als Mittel zur Vollführung seiner politischen Ziele; sein Sinneswandel bzgl. des Triumphzuges vor den Konsulatswahlen bildet ein Beispiel dafür. Die Gerissenheit, die Caesar hierbei an den Tag legt, stellt dabei die Basis seines Verbrechertums dar, das in der systematischen Instrumentalisierung des römischen Volkes besteht: Hans Dahlke erklärt, dass Brecht zeige, wie „die herrschende Klasse sich bei ihrem Bestreben, die Macht auszuüben, der vielfältigsten kriminellen Delikte schuldig“ mache [13]; diese Verbrechen bestehen neben Verrat am Volk und Krieg gegen andere Völker auch in Erpressung, Mord und Hochverrat [14]. Die „Enthüllung des Verbrechens“ als zentrales Motiv in Brechts Roman sei ein wesentliches Element der satirischen Wirkung des Werkes. Das Verbrechen besteht nach Dahlke letztlich in „von der Hochfinanz angestiftete und bezahlte politische Unternehmung“ [15].
Verbrechen und Macht bedingen sich so letztlich gegenseitig: Das Verbrechen wird ausgeübt von Inhabern der Macht, die Macht aber erhält und vermehrt sich durch Verbrechen; das Verbrechen wird dabei von der herrschenden Klasse auf dem Rücken der beherrschten Klasse ausgetragen.
Geld und Ökonomie
Der ökonomische Aspekt spielt eine zentrale Rolle im brechtschen Roman; die Charakterisierung Caesars und die Entlarvung seiner Gestalt erfolgt hauptsächlich über Caesars „Geschäfte“. Gleichzeitig bildet der stetig fortschreitende wirtschaftliche Ruin Roms die Basis für Caesars politischen Aufstieg; Geld und wirtschaftliche Kalkulation bleiben dabei vorausgesetzt. Die Wirtschaft der Republik erscheint aus mehreren Gründen desolat: Zunächst basiert der ökonomische Erfolg in der Landwirtschaft auf einer breit ausgebauten Sklavenwirtschaft; wer sich keine Sklaven leisten kann, bleibt in der Landwirtschaft auf Kleinanbau beschränkt. Die Sklavenwirtschaft steht aber gleichzeitig in Konkurrenz zu der ärmeren Handwerksschicht in der Stadt, die ihre Existenz durch die Sklaven als billigen Arbeitskräften gefährdet sieht. So bedeutet gerade der Krieg in Kleinasien eine Belastung, da der Markt durch die Eroberungsstrategie des Senats mit neuen Sklaven überschwemmt wird (S. 185-186).
Durch den Bevölkerungsanstieg und die hohe Arbeitslosigkeit herrscht ein großer Mangel an Getreide, was zu einer Steigerung der Kornpreise und der Armut im Volk führt. Ein weiteres Problem liegt dabei in der Lösung der Bodenfrage, die eine Neuverteilung von Land als Ackerboden an die ärmeren, vom Krieg geschädigten Bauern und auch Veteranen garantieren soll; der Senat (als Repräsentant der Großgrundbesitzer) widersetzt sich hier den Forderungen des Volkes. Die zunehmende Verelendung und der ökonomische Ruin setzen sich fort in einer sich stetig steigernden Inflation, deren Auswirkungen sich in dem Sturm auf die Wechselstuben widerspiegeln (S. 242, Z. 33). Schließlich kommt es zu Aktienstürzen und zum Börsenkrach, der Ruin der römischen Wirtschaft befindet sich auf einem ersten Höhepunkt (S. 283, S. 286). Caesars politischer Aufstieg beruht schließlich auf der direkten Verbindung von Geld und Ökonomie: Caesar selbst nämlich bleibt stets Teil der „verbrecherischen herrschenden Klasse“ (s. u.), auch wenn seinen Geschäften nicht immer Erfolg beschieden scheint und sich seine Schulden vermehren. Die stete Ignoranz des Senats und der City in Bezug auf das zunehmende Elend der römischen Unterschicht sowie die Profitgier der herrschenden Klassen erhebt sich so zu einem zentralen Motiv in Brechts Roman. Auch wenn Brecht sich bekanntermaßen von einer Analogie zur [[Weimarer Republik]] distanziert, kann man dennoch einige Parallelen zur Zeitgeschichte oder zumindest zur kommunistischen Weltanschauung ziehen: Die „Herrschaft des Monopolkapitals“ (d.h. der Großgrundbesitzer im Senat sowie der City, s.o.) in Verbindung mit der „Ausbeutung“ der armen Bevölkerungsgruppen lässt sich als Analogiebildung zur Unterdrückung der Arbeiterklasse im Kapitalismus betrachten; die Sklaverei ist dabei für die Großgrundbesitzer Mittel zum Zweck, d.h. neben einer rücksichtslosen Eroberungsstrategie im Krieg Garantie für größtmöglichen Profit. Caesar letztlich stellt sich so in den Dienst der ökonomischen Profitgier von City und Senat, die ihn mit ihrem „ergaunerten“ Geld dafür bezahlen [16].
„Demokratie“ - Herrschaft des Volkes?
Inwiefern die Demokratie der römischen Republik so, wie sie innerhalb des Romans dargestellt wird, wirklich eine Herrschaft des Volkes ist, scheint fragwürdig. Diese Fragwürdigkeit wird an mehreren Stellen des Werkes thematisiert: Durch die Intrigen und die verbrecherische Ausbeutung des Volkes durch Senat und City wird die reale Machtposition der Plebs allgemein infrage gestellt. Darüber hinaus ist die Machtverteilung im Senat durch die "Vetternwirtschaft" der Adelsfamilien ebenfalls ein Zeichen für die Relativität der Demokratie. Letztere verstärkt sich zusätzlich, wenn man bedenkt, dass der Senat in der politischen Praxis des antiken Roms die größte Macht besaß [17]. Demgegenüber herrscht im Volk offensichtlich keine besondere Hochschätzung der Demokratie: Die Interessen des Volkes beständen in Arbeit, Lebensunterhalt, Wohnung und Familie, so Herbert Claas [18]. Rarus berichtet, wie die Gegenpartei zu Catilina „einen kleinen Teil der demokratischen Stimmenbestände“ aufgekauft habe, „mit einem Teller Bohnensuppe“ (S.232, Z. 25-27). Das Elend des Volkes erscheint als so groß, dass es sich die (wenn auch geringe) Macht abkaufen lässt. Die Demokratie Roms erscheint bei Brecht folglich als ausgehöhlte Scheindemokratie, die sich wie ein (käufliches) Mittel zum Zweck darbietet.
In Zusammenhang mit der Gattung des historischen Romans der 1930er Jahre spricht Hans Dahlke vom Zweck der Bloßlegung der „vermeintlichen Antriebe der Hitler und ihrer Gefolgsleute und ebenfalls“ der „Reaktionen der von ihnen irregeleiteten Volksschichten“ [19]. Nimmt man also die Irreführung des Volkes als ein Motiv des brechtschen Romans an, lässt sich dazu eine direkte Verbindung dieser Irreführung mit dem offensichtlichen Desinteresse des Volkes am politischen Prozess feststellen. So wird die „Demokratie“ letztlich ebenfalls Instrument der ökonomischen Interessen der herrschenden Klasse; die Demokratie habe in den Kämpfen zwischen City und Senat „die Funktion, den kleinen Mann für die Geschäfte einer Fraktion einzuspannen“ [20]. Brecht übt hiermit eine indirekte Kritik an der (seiner Meinung nach) kapitalistischen („Schein-“) Demokratie der [[Weimarer Republik]], die für ihn, so Dahlke, neben der Machtausübung im Faschismus eine Form der „Diktatur der Bourgeoisie“ darstellten [21].
Die „Perspektive der anderen Seite“
Brechts „Perspektive der anderen Seite“, die eine zentrale Rolle in Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar spielt, äußert sich in seinem Gedicht "Fragen eines lesenden Arbeiters" in komprimierter Form : „Wer baute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von Königen. Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt? Alexander eroberte Indien. Er allein? Caesar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?“
Die bereits von Karl Marx entwickelte und von Brecht aufgegriffenene „Perspektive der anderen Seite“ beschreibt ein Prinzip der historischen Betrachtung, nach dem die Geschichte nicht als Geschichte der „Großen“, d.h. der „Herrschenden“, sondern als Geschichte der „Beherrschten“ verstanden wird. Inwiefern dies für Brechts Roman ein weiteres zentrales Darstellungsmotiv bildet, zeigt sich zum einen in der Konzentration auf die Beschreibung der "Unterdrückung der Beherrschten" (sowohl Volk als auch Sklaven, Spicers Landgut u. ä.). Andererseits verdeutlicht es sich aber auch in der Wahl des Rarus als Erzähler der Rahmenhandlung: Rarus besitzt zwar als Caesars Sekretär eine herausgehobene Stellung, steht aber dennoch in stetem Kontakt zu den niederen Bevölkerungsschichten (über seine Liebschaft mit Caebio, über das Klientelwesen Caesars sowie über seine Meinungsumfragen vor den Konsulatswahlen 694). Die „Perspektive der anderen Seite“ und die damit verbundene historische Sichtweise erweisen sich damit letztlich insofern als wesentlich für Brechts Geltungsanspruch, da sie eine Entschleierung der Caesarlegende aus Sicht des einfachen Volkes ermöglichen. Letztere sieht ihre Notwendigkeit in der Ablösung von dem falschen, konstruierten Geschichtsbild der Bourgeousie.
Der „V-Effekt“
Ein weiteres Mittel der Entschleierung der Caesarlegende ist der vor allem aus Brechts epischem Theater bekannte „Verfremdungseffekt“, durch den laut Hans Dahlke die Figur Caesars "der Lächerlichkeit preisgegeben und die Caesar-Legende entlarvt wird". Dieser Entlarvung entspricht auch die merkliche Entwicklung des Ich-Erzählers der Rahmenhandlung. Zunächst ärgert sich der junge Anwalt über die schamlose Behandlung Caesars durch Spicer. Nach der Lektüre der ersten Schriftrolle des Rarus beginnt er allerdings, skeptisch zu werden gegenüber dem Heroentum der Caesargestalt. Die Entwicklung des Erzählers kann mit der Entwicklung des Lesers gleichgesetzt werden [22].
Die Rolle der antiken Geschichtsschreibung
Aus dem Zusammenwirken von „V-Effekt“ und der „Perspektive der anderen Seite“ lässt sich die Rolle der antiken Geschichtsschreibung innerhalb des Romans erschließen. An mehreren Stellen des Romans ist von den römischen Historikern die Rede: Spicer erklärt gleich zu Beginn seiner ersten Begegnung mit dem Ich-Erzähler, „unsere Historiker“ interessiere die geschäftliche Seite der Unternehmungen Caesars nicht (S. 169, Z.25-26); einige Zeit später bemerkt der junge Anwalt, Spicer habe „Bemerkungen sehr abschätziger Art“ über die Geschichtsschreibung gemacht (S. 172, Z. 15- 17). Hans Dahlke bezeichnet dieses Motiv bei Brecht als „Enthüllung und Verschleierung“. So ließe sich „als eines der vielen Merkmale der faschistischen Diktatur auch eine Überlagerung des Verbrechens durch erborgte geschichtliche Größe beobachten“. Demnach beriefen sich die Diktatoren der Weltgeschichte (Bonaparte, Mussolini und Hitler) jeweils auf historische Vorbilder, u. a. eben auch auf Caesar. Die Entlarvung einer gegenwärtigen Diktatur, die sich auf vergangene (vermeintliche) Glorie beruft, kann demnach am besten durch eine Entlarvung eben dieses einstmaligen Ruhmes als "fadenscheinigem Betrug" geschehen. Dazu schreibt Dahlke, das Erkennen „großer Namen als Namen großer Verbrecher“ tauge eigentlich nur dazu, den sich mit diesen Namen schmückenden ebenfalls als Verbrecher hinzustellen [23]. Die antiken Geschichtsschreiber [24] hatten wesentlich zur Glorifizierung Caesars beigetragen; ihre Widerlegung musste also für Brecht ein zentrales Interesse darstellen, um die Entlarvung der Caesarlegende zu gewährleisten und sämtliche zeitgeschichtliche Berufungen auf die „ruhmreiche“ Diktatur Caesars zunichte zu machen. Im Sinne des brechtschen Geltungsanspruchs kann man darüber hinaus vermuten, dass Brecht letztlich eine „Richtigstellung“ der (in seinem Sinne zu positiven „bürgerlichen“) antiken Geschichtsschreibung beabsichtigte; dieser Korrektur hat er mit gewissen Modifikationen und Ergänzungen Ausdruck verliehen.
Brechts Geltungsanspruch: Der Caesar-Roman als Analogie zur Zeitgeschichte?
Ein typisches Merkmal der historischen Romane der Zwischenkriegszeit liegt in dem Versuch, gegenwärtige politische Ereignisse wie den Aufstieg des Nationalsozialismus und das Scheitern der Weimarer Demokratie zu erklären. Die "Korrektur" des Caesarbildes hin zum Negativen verbindet sich mit der Entschleierung der verklärten Sicht auf die sich stetig etablierende Diktatur in Deutschland (und auch Italien); schließlich erklärt der Ich-Erzähler Caesar bereits zu Beginn des Romans zum Urbild des Diktators. Die Not des Volkes und der wirtschaftliche "Ruin" der Republik gehen schließlich einher mit dem Aufstieg der Diktatur. Von dem Versuch der Erklärung zeitgeschichtlicher Geschehnisse ausgehend scheint dem Caesar- Roman ein Darstellungsmuster zugrunde zu liegen, das allgemein die Entstehung einer Diktatur aus dem wirtschaftlichen Zusammenbruch eines Staates beschreibt. Letzterer wird dabei nach der Theorie des Klassenkampfes verursacht durch die „Herrschaft des Monopolkapitals“ (s.o.) und die Unterdrückung der Arbeiterklasse. Caesar selbst bildet mit seinem „Gangstertum“ ein Element jenes Prozesses. Hieraus lässt sich überleiten zu Hans Dahlkes Feststellung, das Thema des Romans sei nicht im Eigentlichen nur die Person Caesars, sondern vielmehr die Klassensituation und der ökonomische Zusammenhang [25].
Entstehungsgeschichte
Vorgeschichte des Romans
Bereits einige Zeit vor dem Beginn der eigentlichen Arbeit am Caesar-Roman 1938 beschäftigt sich Brecht mit der Caesarfigur: Hans Dahlke führt einen Brief Brechts an Karl Korsch (1937/38) aus, in dem von Brechts Plänen zu einem Caesar-Theaterstück in Paris die Rede sei. Die Beschäftigung mit Shakespeares „Julius Caesar“ bildet dabei die Grundlage für dieses Vorhaben, das Brecht wahrscheinlich bereits vor 1929 in den Sinn kam [26]. Brecht sei, so Dahlke, an einer „soziologischen“ Modifikation der Tragödie gelegen gewesen, die sich allerdings als schwierig erwiesen habe. Es mochte nur schwerlich möglich gewesen sein, aus dem dramatischen Stoff Shakespeares eine gesellschaftliche Begründung für Aufstieg und Fall des Dikators herauszuarbeiten [27]. Um die eigentliche Ausgestaltung des Stücks zu erleichtern, entschließt sich Brecht zu gewissen Vorarbeiten: Neben dem unvollendeten Roman Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar verfasst er darüber hinaus die kurze Erzählung Caesar und sein Legionär. Betrachtet man vor allem den epischen Roman und die dazugehörigen Pläne zu seiner weiteren Ausgestaltung, verdeutlicht sich der Stellenwert der Caesar-Thematik in Brechts Gesamtwerk: Da der Roman in kompletter Form vermutlich nahe achthundert Seiten umfasst hätte, wäre vermutlich auch ein Theaterstück entsprechend umfangreich ausgefallen. Letztlich liegen die Anfänge von Brechts Auseinandersetzung mit dem Caesarstoff im eigentlichen Sinn bereits in seiner Schulzeit, als er im Lateinunterricht erste Erfahrungen mit Caesar und Sallust sammelte (S. 509-510). Diese können als die Basis seiner intensiven Beschäftigung mit dem Diktator betrachtet werden, während die schriftstellerischen Anfänge des Romans in seiner Idee zur Neubearbeitung Shakespeares liegen.
Die Quellen und Vorlagen Brechts
N.B. Eine ausführliche Auflistung sämtlicher von Brecht verwendeten antiken und geschichtswissenschaftlichen Quellen findet sich im Kommentar der verwendeten Textausgabe (s.o.), S. 518-522; nachfolgend sind nur die wichtigsten kurz erläutert.
Antike Autoren

Neben Caesar selbst, dessen Schriften er gleich zu Beginn der Rahmenhandlung schmäht („Er hatte sogar Bücher geschrieben, um uns zu täuschen“, S. 167), lassen sich aus den antiken Geschichtsschreibern vor allem Sueton, Plutarch und Sallust als Quellen Brechts anführen. Brecht übernimmt Passagen teilweise wörtlich von Sallust: Das erste Beispiel bildet Rarus‘ Beschreibung seiner Reise auf das Schlachtfeld von Pistoria, dem Ort, an dem Catilina mit seinem Heer besiegt wurde. Hier hat Brecht alle sachlichen Einzelheiten -wie beispielsweise die Leiche Catilinas unter einem Berg anderer Leichen oder die Deserteure aus dem Heer Catilinas- den letzten Kapiteln der Abhandlung Sallusts entnommen. Allerdings fehlten bei Sallust für Brechts Empfinden einige wesentliche Dinge in seiner Beschreibung, nämlich die menschlichen Umstände, d.h. das Elend des Schlachtgeschehens ob der kalten Jahreszeit und ähnliches. Darüber hinaus weist Dahlke unter einigen Textbelegen darauf hin, dass Brecht wegen gewisser Fragwürdigkeiten bzgl. des Wahrheitsgehalts bei Sallust vermutlich zunächst einen expliziten Bezug auf Sallust vermied und dann später nachträgliche Ergänzungen vorgenommen hat [28].
Bei Plutarch und Sueton hat sich Brecht offenbar größere und genauere Anleihen gestattet: Zwar war auch gerade Plutarch nur in Maßen verwendungsfähig; sein hoher künstlerischer Anspruch ging des Öfteren zu Lasten des Realitätsgehaltes. Dennoch diente Plutarch gerade ob seiner umfangreichen Darstellungen solcher (Neben-) Figuren wie Cicero, Catilina u. ä. neben Sueton als zentrale Quelle Brechts. Bei Sueton erweist sich wiederum dessen stoffliche Konzeption als interessant für Brecht: Es sind, so Dahlke, gerade die zahlreichen (teils auch pikanten) Einzelheiten, die Suetons Darstellung im Sinne von Brechts Geltungsanspruch wertvoll machen; schließlich tragen gerade sie zu einer verstärkten „Perspektive von unten“ bei [29]. Letztlich allerdings macht die Seeräuberanekdote deutlich, wie Brecht einerseits die antiken Autoren zwar verwendet, andererseits aber im Sinne der Zielsetzung seines Romans eigene Modifikationen und Ergänzungen vornimmt. Diese Änderungen des historischen Stoffes begründen sich wiederum in dem allgemeinen literarisch-schöpferischen Anspruch Brechts.
Monographien bürgerlicher Geschichtswissenschaftler
Neben den historischen Quellen nutzte Brecht auch die Monographien in seinem Sinne „bürgerlicher“ Historiker wie Mommsen und Ferrero zur Ausgestaltung der historischen Basis des Romans: Dahlke weist mit Bezug auf Witzmann darauf hin, dass Brecht wohl die Anmerkung Mommsens, die Umstände der Catilinaverschwörung lägen im Dunkeln, als Herausforderung verstanden haben müsse [30]. Es stellt sich also für Brecht besonders reizvoll dar, diese These Mommsens zu widerlegen, indem er ökonomische Interessen als zentrale Hintergründe der Verschwörung hinstellt. Bemerkenswerterweise dient Mommsen Brecht aber gerade auch bei den Einzelheiten der Catilinarischen Verschwörung neben den antiken Autoren als Quelle seiner Beschreibungen, zum einen, da Mommsen einen umfassenden Epochenüberblick liefert und zum anderen, weil er ausführlich die Ereignisse der Verschwörung beschreibt [31].
Wesentliche Details in Hinblick auf die Sklavenwirtschaft sowie einige Einzelheiten habe Brecht von Guglielmo Ferrero übernommen, heißt es bei Dahlke weiter. Die Charakterisierungen der Frauen Caesars finden ihre Basis offenbar bei Georg Brandes [32]. Herbert Claas führt darüber hinaus Max Webers Römische Agrargeschichte als Quelle Brechts an; der soziologische Ansatz Webers zieht offenbar Brechts Interesse auf sich [33]. Claas kommt zu dem Schluss, dass Brecht die bürgerliche Geschichtswissenschaft vornehmlich verwende, um sich notwendige historische Kenntnisse anzueignen, und nicht, um sie positiv oder negativ zu bewerten [34]. Aus Dahlkes und Claas' Ausführungen ergibt sich, dass Brecht in der bürgerlichen Geschichtsschreibung (ebenso wie in den antiken Schriftstellern, s.o.) einerseits eine wesentliche Materialbasis und Inspirationsquelle findet, andererseits aber prägende eigene Elemente hinzufügt und damit letztlich auch in diesem Punkt Historie als Mittel zum Zweck benutzt.
Literarische Einflüsse – Der historische Roman in der Exilliteratur
Bei der Konzipierung seines Werkes Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar als historischem Roman nahm Brecht gewisse Anleihen, aber auch bewusste Abgrenzungen zu anderen historischen Romanen der Exilliteratur vor. Als maßgebliche Beispiele für letztere führt Dahlke unter anderem Feuchtwangers Josephus-Trilogie, Alfred Döblins "Das Land ohne Tod" sowie Heinrich Manns [[Henri- Quartre-Romane]] an. Diesen sei das Ziel gemein, vergleichbare historische Begebenheiten und Personen oder Gegenbeispiele zur Hitlerdiktatur historisch zu verarbeiten; dabei liege ihnen eine personalistische Geschichtsauffassung sowie eine moralisch-psychologische Sichtweise zugrunde [35]. Brecht übernimmt die moralische Kritik, die sich auf die Hintergründe der Hitlerdiktatur übertragen ließ, kehrt sich aber gleichsam vom personalistischen Geschichtsbild der übrigen Exilliteratur ab: Sein Schwerpunkt liegt letztlich auf der Klassensituation und nicht auf Caesar als Einzelfigur [36].
Philosophische und literaturtheoretische Einflüsse: Hegel und Feuchtwanger

porträtiert von Jakob Schlesinger, 1831
Der Lektüre von Hegels "Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte" und die Auseinandersetzung und schließliche Abwendung von Feuchtwanger kommt in Brechts Roman eine zentrale Bedeutung zu; aus Hegels Abhandlung ergaben sich für Brecht „die Entwicklungslinien der römischen Geschichte im Übergang zum Kaisertum“ [37]. Hegel, dessen Werk Brecht selbst als „unheimlich“ bezeichnet (S. 515), erregt Brechts Interesse offenbar durch sein Verständnis der großen Personen der Weltgeschichte, deren subjektiver Wille zum Objekt eines „Weltgesetzes“ gemacht würde [38]. Brecht übernimmt von Hegel daher die These, dass sich die Geschichte als „Interpretation ihrer [einzelner Individuen] zufälligen Interessen im Bezugsrahmen objektiv-gesellschaftlicher Systemzwänge“ vollziehe [39]. Die Widersprüchlichkeit des objektiven Geschichtsprozesses, die sich in der hegelschen Dialektik offenbart, dient Brecht daher als indirekte konzeptionelle Inspiration für seinen Roman [40]. Weiterhin gelegen kommt Brecht Hegels Darstellung Roms als „Räuberstaat“, die ihm die Analogie zur „legalen“ Machtergreifung der Nationalsozialisten ermöglicht. Auch die Reflexionen Hegels über die Ästhetik scheinen Brecht zu beeinflussen; seine Randbemerkungen an seinen Hegel-Ausgaben bestätigen eine umfassende Beschäftigung auch mit Hegels kunsttheoretischen Ausführungen. Claas kommt letztlich zu dem Schluss, dass Brecht eher Modifikationen Hegels als Gegenpartei und eher „Konkretion als Mißachtung“ ergriffen habe. Anders verhält es sich in Bezug auf Feuchtwanger: Jeske weist auf einen Streit Brechts mit Feuchtwangers über die „Omnipotenz der Geschichtsschreiber“ im Oktober 1941 hin (S. 516). Diese Auseinandersetzung bildet einen Punkt in einer langen Kontroverse zwischen Brecht und Feuchtwanger über den Charakter von Geschichtsdichtung, die Dahlke ausführlich erläutert. Zwar blieb Brecht und Feuchtwanger offenbar das Interesse an der römischen Geschichte gemein. Feuchtwanger beschäftigte jedoch eher das Schicksal der Juden und die Gegnerschaft zum deutschen Faschismus, während Brecht seinen Schwerpunkt auf die ökonomischen Verhältnisse legt: So kritisiert Brecht am Josephus-Roman Feuchtwangers, dass die wirtschaftliche Seite und die Geschäfte der herrschenden Klasse außer acht gelassen worden seien, die ja die zentrale Ursache für die Zerstörung Jerusalems gebildet hätten [41]. Feuchtwanger spezialisiert sich, so Dahlke, auf die „individualpsychologische Durchleuchtung“ [42]; Brecht hingegen haßte Feuchtwangers eigenen Äußerungen zufolge „alles Psychologisieren“, es sei ihm auf eine „gleichnishafte Situation“ und auf die „Echtheit des Wortes“ angekommen [43]. Die gegensätzlichen Auffassungen Brechts und Feuchtwangers werden dann abschließend noch einmal in ihrem jeweiligen Verständnis von der Funktion des Schrifstellers deutlich: Der Schrifsteller hebe, so Dahlke, bei Feuchtwanger „nicht nur die Flüchtigkeit der Geschehnisse auf, sondern auch ihre Vieldeutigkeit“, indem er „den Ereignissen Wirklichkeitscharakter“ verleihe. Dem Schriftsteller kommt also bei Feuchtwanger ein absoluter Wahrheitsanspruch zu. Brecht hingegen habe sich eine Darstellungsweise geschaffen, die zur Entlarvung der Caesarfigur möglichst viele unterschiedliche unkommentierte Individualurteile zu Wort kommen lasse. Damit gewährleistet Brecht eine Mischung aus subjektiven, falschen Aussagen zu Caesar und objektiven, wahren. Mit dieser Methode, so schließt Dahlke letztlich, sei Brecht der historischen Wirklichkeit näher gekommen als Feuchtwanger [44].
Rezeptionsgeschichte
Die Rezeptionsgeschichte des Caesar-Romans beschränkt sich auf einige vereinzelte Aufsätze zum Vorabdruck von Buch 2 „Unser Herr C.“ in Sinn und Form. Jeske zählt die wesentlichen drei Besprechungen des Werkes auf. Zunächst nennt er Ernst Niekischs Schrift "Heldendämmerung. Bemerkungen zu Brechts Roman „Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar“", der zusammen mit dem zweiten Buch in Sinn und Form (s.o.) erschien. Niekisch versuche eine allgemeine Definition des Begriffs „Heldentum“ und bezeichne den Roman als „Entlarvungsliteratur“, ähnlich wie Sartres "[[Die Fliegen]]". Als zweites führt Jeske Max von Brücks Aufsatz "Zweimal Caesar" an. Dieser ziehe einen Vergleich mit Thornton Wilders "The Ides of March" und stelle den Versuch Brechts zur Entlarvung der Caesarfigur als gescheitert dar. Den letzten von Jeske angesprochenen Essay bildet Wolfgang Grözingers Besprechung "Bert Brecht zwischen Ost und West", die sich auf das gesamte Sonderheft von "Sinn und Form" beziehe und den Roman als "Fleißaufgabe" bezeichne. Einen wesentlichen Teil des Aufsatzes mache letzthin auch nicht mehr eine eigentliche Betrachtung des Caesar-Romans, sondern vielmehr von Niekischs Anmerkungen aus.
Jeske weist indirekt auf die Problematik hin, dass allen genannten Autoren nur die Kenntnis des zweiten Buches und weder der übrigen Buchteile noch Brechts Aufzeichnungen dazu vergönnt gewesen seien (S. 528). Eine nennenswerte Wirkung der Veröffentlichung des zweiten Romanbuches habe es insgesamt nicht gegeben, so Jeske (S.528). Eine Erklärung für die geringen Reaktionen auf den Roman gibt Jeske nur bedingt: Der „hauptsächlich als Autor der Dreigroschenoper bekannte“ Brecht sei in Sinn und Form gleichermaßen als Dramatiker, Lyriker und Romancier vorgestellt worden (S. 528). Gerade wegen Brechts großen Bekanntheitsgrads lässt sich weitgehend ausschließen, dass die geringe Rezeption in einem ebenfalls geringen Bekanntheitsgrad des Romanfragments begründet gewesen sei. Unter Umständen bleiben zwei Aspekte für die geringe Wirkung des Romans zu nennen, nämlich zum einen, dass Brecht gerade als Dramatiker Bedeutung erlangt hatte und man deshalb seinen Roman mehr als einen Versuch abtat. Zum anderen lässt sich in Verbindung damit der fragmentarische Charakter des Romans anführen, der den Versuchscharakter des Werkes zu betonen scheint, aber auch eine vollständige Kenntnis der Gesamtschrift verwehrt: Schließlich erlaubt eine unvollständige Lektüre kein umfassendes Urteil über den Roman.
Kritik
Inhaltliche Ungenauigkeiten
Bei genauerer Lektüre insbesondere der Rahmenhandlung von "Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar" offenbaren sich gewisse größere und kleinere inhaltliche und historische Ungenauigkeiten. Hans Dahlke hat in seiner Monographie "Caesar bei Brecht. Eine vergleichende Betrachtung" (berechtigterweise) die Frage gestellt, warum der Ich-Erzähler offensichtlich keine eigenen Erfahrungen bzgl. Caesars politischer Agitation vorweisen kann [45]. Weiterhin weist Dahlke auf offensichtliche Widersprüche in der Festlegung des Zeitpunktes der Rahmenerzählung hin: Die Bemerkung des Erzählers, dass Caesar gerade zwanzig Jahre tot sei (S. 171, Z. 15), veranlasst ihn zunächst, die Rahmenhandlung im Jahr 24 v. Chr. anzusetzen [46]. Allerdings deutet der Erzähler an anderer Stelle an, dass dreißig Jahre seit dem Aufstandsversuch Catilinas vergangen seien, woraus sich nach Dahlke das Jahr 33 v. Chr. als Zeitpunkt des Berichtes festlegen ließe. Aus dieser Folgerung Dahlkes ergibt sich wiederum ein weiteres Logikproblem des Textes: In den anfänglichen, allgemeinen Bemerkungen des jungen Anwalts zu Caesars Persons erklärt er, die Monarchen hätten seinen (also Caesars) „erlauchten Namen“ den ihrigen hinzugefügt (S. 171, Z. 24 – 25). Im Jahr [[33 v. Chr.]] allerdings liegt das Ergebnis des Bürgerkrieges nach Caesars Tod noch offen, wie Dahlke anmerkt [47]. Folglich gibt es also noch gar keine Monarchie und vor allem auch nicht mehrere Monarchen, die sich den Namen Caesars aneignen könnten. Der Erzähler greift also an dieser Stelle in eine Zukunft voraus, die er unter Umständen gar nicht kennt. Selbst wenn man annimmt, dass er die Niederschrift seiner Erlebnisse unternommen hat, als Augustus bereits als Monarch an der Macht war, kann er nicht so alt geworden sein, um die allgemeine Etablierung von Caesars Namen als Fürstentitel zu erleben.
Für diese inhaltlichen und logischen Ungereimtheiten lassen sich auf den ersten Blick zwei Begründungen finden: Zum einen wäre es möglich, dass Brecht den Roman noch einmal überarbeiten wollte und dann eventuell auch diese zeitlichen und historischen Fehler korrigiert hätte; demnach könnte man letztere dem fragmentarischen Charakter des Romans zuweisen. Zwar ließ Brecht lediglich das zweite Buch seines Romans (losgelöst von der Rahmenhandlung) zu seinen Lebzeiten veröffentlichen; indem er also seinen Lesern die übrigen Bücher zunächst vorenthielt, verbarg er auch (bewusst oder unbewusst) mögliche Fehler. Dennoch gibt es keine Hinweise darauf, dass Brecht eine Überarbeitung des ersten und dritten Buches geplant hatte. Demnach kann der fragmentarische Charakter des Romans nur zum Teil als Erklärung für die logischen Probleme der Rahmenhandlung gelten.
Eine weitaus schlüssigere Erklärung geben einige Texte aus Brechts Nachlass, die seine Arbeit am Roman reflektieren. Hier zeigt sich deutlich, wie genau und sorgfältig Brecht historische Fakten verwendet, sie gleichfalls aber auch modifiziert. So schreibt er an einer Stelle, die Bodenspekulationen seien bei Caesar „nirgends bezeugt“, Ferrero jedoch weise „auf die aktien der asiatischen steuergesellschaften hin, die caesar (nach cicero) für die herabsetzung der pachtbeträge erhalten“ habe [48]. Claas erklärt an mehreren Punkten seiner Ausführungen zum Caesar-Roman, dass Brecht weniger an historisch korrekter Darstellung der Ereignisse gelegen sei, sondern der Anspruch nach Entlarvung der Caesarlegende den Anspruch nach geschichtlicher Neutralität übersteige. Die Rahmenhandlung selbst bleibt mehr Mittel zum Zweck. Vielleicht stellt dies auch den Grund dar, weshalb Brecht gerade das zweite Buch des Romans, das nur Rarus' Tagebuchaufzeichnungen enthält, als einzelnes veröffentlichen ließ.
Die Seeräuberanekdote als Modifikation historischer Ereignisse
Die sogenannte "Seeräuberanekdote" stellt sich als besonders beispielhaft für Brechts Modifikation geschichtlicher Ereignisse dar. In der historischen Realität der "Seeräuberanekdote" begibt sich Caesar nach seinem Scheitern als Anwalt in einem Prozess auf eine Reise von Rom nach Rhodos. Auf dieser Reise wird Caesars Schiff von Piraten gekapert und er selbst als Geisel genommen. Caesar schickt einige seiner Männer aus, die das Lösegeld zusammentragen sollten. Bis das Lösegeld eintrifft, bringt Caesar seine Zeit mit den Piraten zu und verfasst Gedichte und Reden, die er seinen Entführern vorliest. Als sie ihm keine Bewunderung entgegenbringen, schimpft er sie als Barbaren und droht ihnen lachend, er werde sie aufknüpfen lassen. Nach Auszahlung des Lösegeldes wird Caesar an Land gebracht. In Freiheit rüstet Caesar sofort nach eigenem Ermessen Schiffe und setzt den Piraten nach. In einer Seeschlacht versenkt oder kapert er ihre Schiffe und nimmt die Überlebenden als Gefangene. Letztere bringt er zum Propraetor der Provinz Asia, auf dass dieser die Piraten angemessen bestrafe. Der Propraetor sieht davon allerdings ab und will die Piraten lieber als Sklaven verkaufen. Daraufhin ließ Caesar seine Gefangenen eigenmächtig kreuzigen. Diese Passage wird bei Plutarch und Sueton caesarfreundlich beschrieben. Der hieraus folgenden "Glorifizierung" Caesars musste Brecht entsprechend seines Geltungsanspruchs Abhilfe schaffen. Brecht ergänzt also die Anekdote um einige gewichtige Einzelheiten: So lässt er Spicer erklären, dass Caesar an Bord seines Schiffes eine Ladung Sklaven geschmuggelt hätte. Dies verstieß gegen die Verträge der kleinasiatischen Sklavenhändler mit den römischen, griechischen und syrischen Häfen. Deshalb, so Spicer, habe der kleinasiatische Exporttrust Caesars Schiff kapern und die Ladung beschlagnahmen lassen. Das Lösegeld sei demzufolge eine Art Schadensersatzsumme gewesen. Nachdem Caesar wieder auf freiem Fuß gewesen sei, habe er in einem räuberischen Überfall die kleinasiatische Firma angegriffen und die gefangenen Kaufleute mit gefälschten Papieren kreuzigen lassen (S. 182, Z. 30 – S. 184, Z. 27). Bemerkenswert hierbei erscheint, dass es für diese Ausführungen Spicers keine historischen Beweise gibt, sie also Brechts eigene Erfindung sind. Daraus geht hervor, dass Brecht hier schließlich seinem Anspruch nach Entlarvung Caesars als „Verbrecherfigur“ nachhelfen muss, indem er gewisse Modifikationen vornimmt [49].
Die Geschäfte des Herrn Julius Cäsar: Ein Fall von Geschichtsklitterung?
Die inhaltlichen Ungenauigkeiten und die bewussten Änderungen historischer Begebenheiten zugunsten der Entschleierung der Caesar-Legende (Seeräuberanekdote) bedingen die Frage, inwiefern Brechts Roman sich als Geschichtsklitterung bezeichnen ließe. Natürlich handelt es sich bei Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar nicht um eine sachliche Biographie des antiken Politikers; man darf Brecht also gewisse Modifikationen des historischen Stoffes erlauben. Dennoch liegt dem Werk ein geschichtlicher Anspruch zugrunde. Um dieses Ziel zu erreichen und Caesars historischen Ruhm zunichte zu machen, konnte Brecht die Geschichte nicht neu erfinden, sondern musste gewisse reale Tatsachen berücksichtigen und in seine eigene Darstellung der Ereignisse einfließen lassen. Die Schwierigkeit, mit der Brecht sich also bei seinen Arbeiten am Roman konfrontiert sah, lag in dem Spagat zwischen Geltungsanspruch und Glaubwürdigkeit: Der Zweck der Faschismusdeutung und der satirische Charakter des Werkes erschwerten die Bemühungen, sich nicht zu weit von der historischen Realität zu entfernen und den Roman damit der Unglaubwürdigkeit anheim fallen zu lassen. Darüber hinaus ging es Brecht um eine aus der Sicht „von unten“ erfolgende Darstellung der gesellschaftlichen Zusammenhänge. Es kam ihm darauf an, seiner Darstellung einen symbolhaften Charakter zu verleihen und seinen Roman quasi als Parabel auf den Leser wirken zu lassen. Der Roman sei zudem einerseits konzipiert als eine „Gegenrede“ gegen die „Geschichtslügen der Hitlerideologen“, so Dahlke [50]. Zum anderen allerdings richte sich das Werk gegen die „personalistischen Geschichtsauffassungen der historischen Romane des Exils“. Diese konzentrierten sich zumeist auf die Humanisierung bestimmter historischer Personen und beschrieben deren individuelle Existenz. Bei Brecht hingegen wird das Individuelle an Caesar den gesellschaftlichen Aspekten untergeordnet (vgl. oben).
Gleichzeitig besitzt Brechts Roman einen gewissen satirischen Charakter, der mit einer „moralischen Empörung“ verknüpft sei, heißt es bei Dahlke. Letztere wiederum sei das „Ergebnis einer echten Geschichtserkenntnis“. Diese Geschichtserkenntnis beruhe auf einer zentralen Betrachtung der „analogen gesellschaftlichen Verhältnisse, die dem Diktator die Macht zuspielten“ [51]. Offenbar knüpft Brecht ergänzend dazu seinen „Realismus“ (vor allem innerhalb seiner Werke) stets an die Betrachtung der sozialen Umstände und des Klassenkampfes [52]. Mit welchen Problemen Brecht allerdings diesbezüglich bei der Lektüre der antiken Quellen und der geschichtswissenschaftlichen Literatur zu kämpfen hatte, geht aus seinem Nachlass hervor; dort schreibt er, wie spät es ihm erst aufgegangen sei, „was es mit der aktion des pompeius, dieser regulierung der brotversorgung, auf sich gehabt haben musste: er hatte die hungernden niederzuwerfen. und ich las diese bücher nur [!], weil ich die geschäfte der herrschenden klassen zur zeit der ersten grossen diktatur enthüllen wollte, also mit bösen augen! so schwierig ist es, die geschichtsbücher zu entziffern“ [53]. Die Quellen, die Brecht zur Verfügung standen, bedurften also einerseits noch gewisser „Auslegungen“, andererseits erwiesen sie sich wohl auch nicht immer als so ausführlich wie es Brecht lieb gewesen wäre. Demnach sah er sich offenbar gezwungen, eigene Ergänzungen (und damit Modifikationen) zur ökonomischen Geschichte hinzuzufügen, denn wie er Spicer bemerken lässt, „Sie wissen, daß diese Seite unsere Historiker wenig interessiert“ (S. 169, Z. 25-26).
Brecht dürfte sich andererseits der Problematik bewusst gewesen sein, dass sein Geltungsanspruch zwangsweise eine historische Basis erforderte; außerdem hat er bewiesenermaßen große Sorgfalt in Hinblick auf die Quellenarbeit verwandt (s.o.). Daher lässt sich ausschließen, dass Brecht plante, eine bewusste Manipulation der Geschichte in Form von Geschichtsklitterung vorzunehmen; letztere hätte ihn außerdem lediglich auf eine Stufe mit den von ihm kritisierten „Hitlerideologen“ gestellt. Hans Dahlke ergänzt hierzu indirekt, indem er anmerkt, Brecht habe „die Analogie für ein legitimes künstlerisches Mittel“ gehalten, „vorausgesetzt, die historischen Besonderheiten, die geschichtliche Einmaligkeit des behandelten Falls“ seien gewahrt geblieben und er (also Brecht) habe damit Recht gehabt [54]. Es bleibt schließlich streitbar, ob Brecht die Caesarfigur wie auch die historischen Ereignisse zur Unglaubwürdigkeit herabstilisiert hat oder ob ihm die Trias von Entschleierung, Perspektive von unten sowie zeitgeschichtlichem Bezug gelungen sein mag. Hätte Brecht den Roman zur Vollendung gebracht, wäre gewiss ein eindeutigeres Urteil über den Gehalt des Werkes möglich gewesen. Vielleicht bildete aber auch gerade die Schwierigkeit jenes Spagats den Grund dafür, dass Brecht Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar nie zuende schrieb.
Zeittafel der historischen Ereignisse (76 v. Chr. - 44 v. Chr.)
N.B.: Ein ausführliches Schema der Ereignisse von Rahmenerzählung und Haupthandlung findet sich bei Herbert Claas, S. 236. Die nachfolgende Zeittafel bildet eine gekürzte und leicht modifizierte Fassung der Zeittafel im Kommentar der verwendeten Brecht-Gesamtausgabe (S.564-565).
76 v. Chr. Pompeius wird Oberbefehlshaber des Heeres in Spanien.
70 v. Chr. Pompeius und Crassus zu Konsuln gewählt; Volkstribunat wird wiederhergestellt.
68 v. Chr. Caesar wird Quästor.
67 v. Chr. Pompeius erhält Sonderkommando im Krieg gegen die Seeräuber.
65 v. Chr. Caesar wird Ädil und veranstaltet Spiele.
63 v. Chr. Cicero Konsul; Caesar durch Bestechung Pontifex Maximus; Catilinarische Verschwörung.
62 v. Chr. Caesar Prätor; Niederlage der Catilinarier bei Pistoria; Pompeius' Landung in Brundisium (Entlassung seines Heeres).
61 v. Chr. Caesar Statthalter in Spanien.
60 v. Chr. erstes Triumvirat.
59 v. Chr. Caesar Konsul.
58-51 v. Chr. Gallischer Krieg.
56 v. Chr. Triumviratserneuerung.
49 v. Chr. Caesar überquert den Rubikon.
49-46 v. Chr. Bürgerkrieg.
46-44 v. Chr. Diktatur Caesars.
44 v. Chr. Ermordung Caesars.
Literatur
Textausgaben
- Hecht, Werner/Knopf, Jan u.a. (Hrsg.), Bertolt Brecht. Prosa 2. Romanfragmente und Romanentwürfe (= Bertolt Brecht. Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Band 17), Frankfurt am Main 1989.
- Brecht, Bertolt, Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar. Romanfragment, Berlin-Schöneberg 1957.
Sekundärliteratur
Literatur zu Brechts Roman „Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar“
- Brüggemann, Heinz, Literarische Technik und soziale Revolution. Versuche über das Verhältnis von Kunstproduktion, Marxismus und literarischer Tradition in den theoretischen Schriften Bertolt Brechts, Reinbek 1973.
- Claas, Herbert, Die politische Ästhetik Bertolt Brechts vom Baal zum Caesar, Frankfurt am Main, 1977.
- Dahlke, Hans, Cäsar bei Brecht. Eine vergleichende Betrachtung, Berlin/Weimar 1968.
- Müller, Klaus-Detlev, Die Funktion der Geschichte im Werk Bertolt Brechts. Studien zum Verhältnis von Marxismus und Ästhetik, Tübingen 1967.
- Witzmann, Peter, Antike Tradition im Werk Bertolt Brechts, Berlin 1964.
Literatur zur römischen Geschichte und Caesar als historischer Figur
- Bleicken, Jochen: Die Verfassung der Römischen Republik. Grundlagen und Entwicklung, Paderborn 1993 (6. Auflage, unveränderter Nachdruck der 5., verbesserten Auflage).
- Brandes, Georg, Caius Julius Caesar, Berlin 1924.
- Ferrero Guglielmo, Größe und Niedergang Roms, Stuttgart 1908-1910.
- Loewenstein, Karl: The governance of Rome, Den Haag 1973.
- Mommsen, Theodor, Römische Geschichte, Karlsruhe 1832-1841.
- Weber, Max, Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht, Stuttgart 1891.
Weblinks
Siehe auch
- Gaius Julius Caesar
- Bertolt Brecht
- Liste verbotener Autoren während der Zeit des Nationalsozialismus
- Exilliteratur
- Catilinarische Verschwörung
- ↑ Claas, Herbert, Die politische Ästhetik Bertolt Brechts vom Baal zum Caesar, Frankfurt am Main, 1977, S. 117.
- ↑ Claas, S. 117.
- ↑ vgl. hierzu: Dahlke, Hans, Cäsar bei Brecht. Eine vergleichende Betrachtung, Berlin/Weimar 1968, S. 111-113.
- ↑ Dahlke, S. 184.
- ↑ vgl. zur „Seeräuberanekdote“ Punkt 4.3.
- ↑ Dahlke, S. 86-87
- ↑ ebd. S. 86
- ↑ vgl. zur Demokratieproblematik Punkt 4.1.4
- ↑ Dahlke, S. 186.
- ↑ ebd. S. 182-184
- ↑ ebd. S. 184, vgl. Punkt 2.2.2
- ↑ ebd. S. 109.
- ↑ ebd.
- ↑ ebd.
- ↑ Dahlke, S. 111
- ↑ Claas, S. 127
- ↑ vgl. Loewenstein, S. 163
- ↑ Claas, S. 126
- ↑ Dahlke, S. 101
- ↑ Claas, S. 131
- ↑ Dahlke, S. 108
- ↑ Claas, S. 179
- ↑ Dahlke, S. 112-113
- ↑ namentlich Sallust, Sueton und Plutarch; vgl. zu den Einzelheiten Punkt 5.1.2
- ↑ Dahlke, S. 106
- ↑ ebd. S. 26
- ↑ ebd. S. 29
- ↑ ebd. S. 136
- ↑ ebd. S. 138-140
- ↑ ebd. S. 128-129.
- ↑ ebd. S. 131.
- ↑ ebd. S. 132-133.
- ↑ Claas, S. 154-155.
- ↑ ebd., S. 156.
- ↑ Dahlke S. 95- 102.
- ↑ ebd. S. 106.
- ↑ Claas, S. 157.
- ↑ ebd. S. 157-158.
- ↑ ebd. S. 158.
- ↑ ebd. S. 159.
- ↑ Dahlke, S. 66.
- ↑ ebd. S. 67.
- ↑ zitiert nach Dahlke, S. 63.
- ↑ Dahlke, S. 78-79.
- ↑ ebd. S. 148.
- ↑ ebd. S. 148-149.
- ↑ ebd. S. 149.
- ↑ zitiert nach Claas, S. 232.
- ↑ vgl. hierzu Punkt 7.2
- ↑ Dahlke, S. 94-95.
- ↑ ebd. S.103.
- ↑ Claas, S. 147.
- ↑ zitiert nach Claas, S. 228.
- ↑ Dahlke, S. 106.