Liste von Störfällen in europäischen kerntechnischen Anlagen
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Diese Liste behandelt Vorfälle in europäischen Atomanlagen außerhalb Deutschlands. Hier sind auch und vor allem Ereignisse eingeordnet, die anhand der International Nuclear Event Scale > 1 und < 3 fallen, und dabei zu den meldepflichtigen Betriebsstörungen oder Störfällen gehören. Die Einträge sollen vor allem Betriebsstörungen aufzeigen, bei denen eine Gefährdung der Reaktorsicherheit direkt oder indirekt bestand. Einträge wie: Brennelementwechsel, Revision, Arbeitsunfälle etc. sind hier nicht zu finden. Eine andere Seite widmet sich den Störfällen in deutschen Atomanlagen. Störfälle mit schwereren Folgen (INES> 3) bezeichnet die INES als Unfälle; diese sind unter Liste von Unfällen in kerntechnischen Anlagen zu finden.
- Würenlingen/Schweiz Der kleine Forschungsreaktor "Diorit" produzierte ein angeschmolzenes Brennelement, die Reaktorhalle wurde verstrahlt. Später erfolgte davon eine Abwasser-Charge, die dem 40fachen des Normalwertes entsprach (Quelle: ASK, die heutige HSK)
- Beznau/Schweiz Experimente in den USA hatten zum Ergebnis geführt, dass die Notkühl-Pumpleistung bei den Druckwasser-Reaktoren nicht ausreicht, um die Kernkühlung bei grösseren Brüchen im Reaktor-Kühlkreis ausreichend zu gewährleisten. Dies führte dann in Beznau 1 und 2 1977 zur Massnahme der Zuschalt-Möglichkeit einer Gebäudesprüh-Pumpe ins Notkühl-System, zwecks Verstärkung der Pumpleistung. In Doel 1 und 2 (Belgien), den anderen damals in Europa existierenden amerikanischen DWR-Anlagen, wurde unterschiedlich vorgegangen: Man schuf eine Einspeise-Möglichkeit der Notkühlung direkt in den Reaktorbehälter, statt wie üblich indirekt via die Kühlleitungen. Beim einzigen seinerzeit existierenden französischen DWR Chooz A-1 (1991 stillgelegt) wurde aufgrund der US-Erkenntnisse vorübergehend sogar die zulässige Maximal-Leistung von 325 MWe auf 125 MWe reduziert (Quellen: HSK; NEA-OECD)
- Garona/Spanien In den Anfangsjahren seines Betriebes verzeichnete dieser Siedewasser-Reaktor regelmässig bedeutende Ueberschreitungen der - seinerzeit noch weniger restriktiv festgelegten - Abgabe-Grenzwerte (Quelle: IAEO)
- Doel 2/Belgien Der Bruch eines Dampferzeuger-Heizrohrs führte zu einer leichten Abgabe von Radioaktivität in die Umgebung. Die Beherrschung dieses Störfalls erfordert vom Personal die korrekte Handhabung komplizierter Prozeduren. Die vier AKW-Blöcke von Doel liegen bloss 8 km vor Antwerpen (Quelle: NEA-OECD)
- La Hague/Frankreich In der nordfranzösischen Wiederaufarbeitungs-Anlage für Kern-Brennstoff fielen die beiden Transformatoren für die Stromversorgung aus, und damit alle Elektro-Pumpen, welche die Nachzerfalls-Wärme aus den diversen Brennstoff-Lagerbecken abführen. Da weitere Redundanzen fehlten, musste vorübergehend von Hand eine Notversorgung aufgebaut werden. Weil die Nachzerfalls-Wärme des Brennstoffs in diesem Stadium bereits teilweise abgeklungen ist (degressiver Verlauf), bestand dazu einigermaßen genügend Zeit. Das Vorkommnis wurde mit INES 3 (ernster Störfall) eingestuft.
- Mühleberg/Schweiz Im Tschernobyl-Jahr nahm ein unabhängiger Physiklehrer Dosis-Messungen in der Umgebung des AKW Mühleberg vor. Zu seinem Erstaunen waren die Messwerte eines Tages ungewöhnlich hoch. Der Betreiber musste einen Filterschaden einräumen, der zu Freisetzungen bis knapp unterhalb des Grenzwertes führte. Angeblich haben weder Betreiber noch Aufsichtsbehörde HSK diese Freisetzung registriert. Die Werte sind noch heute etwas erhöht.
- Leibstadt/Schweiz Beim Anfahren dieses Reaktors - hart an der deutschen Grenze gelegen - wurde nach 3 Stunden bei einer Leistung von 20 % bemerkt, dass die Schnellabschaltung bei Anforderung nicht funktionieren würde. Der Reaktor wurde mit den Steuerstab-Motoren langsam heruntergefahren. Die Behörde HSK klassierte den Vorfall mit INES 2.
- Dessel/Belgien In der größten europäischen Fabrik zur Herstellung von MOX-Brennelementen (Uran-Plutonium-Mischoxid) ereignete sich ein Unfall: Ein Brennstab brach und MOX-Staub wurde freigesetzt. Dies führte bei mindestens einem Beschäftigten zu Plutonium-Einatmung. Plutonium ist bei Inkorporation hoch giftig (Quelle: Oeko-Institut)
- Loviisa 2/Finnland Im WWER-Reaktorblock russischer Bauart brach eine Speisewasser-Leitung vom Durchmesser 0,5 Meter (Quelle: STUK)
- Bugey/Frankreich Bei mehreren Reaktoren dort wurde an den Deckel-Durchführungen der Steuerstäbe massive Bor-Korrosion entdeckt. Die Aufsichtsbehörde sprach von einem gravierenden Problem. Es wurde später auch in Fessenheim gefunden. Alle betroffenen Reaktorbehälter-Deckel wurden in der Folge ausgewechselt.
- Oskarshamn 1/Schweden Bei dieser Anlage musste der Kernmantel wegen eines Risses in dessen Rundnaht von nahezu Umfanglänge ausgewechselt werden. Der Kernmantel ist Bestandteil der Einbauten des Reaktorbehälters. Sein Bruch könnte die Schnellabschaltung des Reaktors verunmöglichen (Quellen: IAEO, SKI)
- Doel oder Tihange/Belgien Belgien ist eines der wenigen westeuropäischen Länder, das wie die USA seine Störfälle mit Hilfe von sog. Vorläufer-Analysen auf die Risikorelevanz hin untersucht. Dabei verwendet die Aufsichtsbehörde AVN auch die Wahrscheinlichkeits-Rechnung. Gravierendstes Vorkommnis seit 1997 war in einem nicht näher umschriebenen Block der AKW-Standorte Doel oder Tihange ein kompletter kürzerzeitiger Ausfall der Komponenten-Kühlung. Viele der Betriebs- und Sicherheitssysteme sind für ihr Funktionieren auf Kühlung durch andere Systeme (die ausgefallenen) angewiesen, was die Tragweite dieses Störfalls veranschaulicht.
- Dezember Le Blayais/Frankreich Im vier Blöcke umfassenden AKW Blayais unweit von Bordeaux am Atlantik führte der Sturm Lothar zu einer Ueberflutung des Areals und zu einem teilweisen Ausfall der externen Stromversorgung. Zwei Blöcke mussten mit Hilfe der Notstrom-Dieselaggregate heruntergekühlt werden. Zudem wurde ein Teil der Notkühl- und Komponentenkühl-Pumpen überflutet und wäre bei Anforderung nicht einsatzfähig gewesen (Quellen: EDF, ASN)
- Kosloduj 3/Bulgarien Im Volllast-Betrieb entstand plötzlich ein Primärkreis-Leck an einer Schweissnaht. Die Notkühlung trat in Funktion. Die (mittlerweile stillgelegten) Blöcke 1 bis 4 konnten hier - im Gegensatz zu den leistungsstärkeren Blöcken 5 und 6 sowie allen westlichen Druckwasser-Reaktoren - einzelne Segmente des Primär-Kreislaufs mit Ventilen absperren. Das lief denn auch ab, womit der Wasserverlust nach relativ kurzer Zeit beendet war.
- Vandellos 2/Spanien Die Aufsichtsbehörde CSN stellte fest, dass ihr der Betreiber dieses Werks während Jahren eine Leitungskorrosion verschwiegen hatte, welche die Funktionsfähigkeit der Komponenten-Kühlung hätte in Frage stellen können. Hätten die beiden Leitungen ca. gleichzeitig versagt (und nicht nur eine, wie geschehen), wäre der Reaktor kaum noch herunterkühlbar gewesen (INES 2)
- 4. November Balakowo/Russland Im Atomkraftwerk Balakowo kam es zu einem Zwischenfall. Der Reaktor wurde heruntergefahren. Nach Angaben des Betreibers Rosatomenergo trat keine Radioaktivität aus.
- Sämtliche AKW/Frankreich Die Aufsichtsbehörde ASN teilte mit, dass - im Falle eines Lecks im Reaktor-Kreislauf - bei Verstopfung der Leitungs-Saugsiebe der Notkühlung im Containment-Sumpf (mit Abfällen wie Isoliermaterial oder Lappen) "die Kühlbarkeit des Kerns nicht gewährleistet" sei. INES-Einstufung: 2. Es wurden Verbesserungs-Massnahmen angekündigt. Dabei ist die Sauberkeit das kleinere Problem; das genannte Isoliermaterial löst sich erst aufgrund eines entstandenen Lecks ab, durch Druckkräfte des austretenden Wasserstrahls.
- 28. März Leibstadt/Schweiz Im Kernkraftwerk Leibstadt kam es am 28. März 2005 zum Stillstand für fünf Monate. Grund hierfür war ein Schaden am Generator; die Reparaturarbeiten am Generator oblagen nicht der Aufsichtspflicht der der HSK (Nukleare Aufsichtsbehörde), da der nukleare Teil des AKW nicht betroffen war.
- 29. Juni Forsmark/Schweden Aus dem Zwischenlager für schwach und mittelstark strahlenden Abfall im schwedischen AKW Forsmark gelangte im Juni 2005 radioaktives Wasser in die Ostsee. In den Gewässern in der Nähe des Kraftwerks wurde das Zehnfache des Normalwerts radioaktiven Cäsiums gemessen. Dies liegt laut schwedischem Strahlenschutzinstitut SSI jedoch noch innerhalb der zulässigen Grenzen. Schuld an dem Leck waren vermutlich korrodierte Blechbehälter mit radioaktivem Abfall.
- April Kosloduj 5/Bulgarien Ein Abschaltvorgang ohne Transiente (die mildere Form) führte zum Nicht-Einfall von einem Drittel aller Steuerstäbe. Zur Verhinderung von Schlimmerem musste die Notborierung betätigt werden (INES 2)
- 25. Juli Forsmark/Schweden Am 25. Juli 2006 wurde der Reaktor Forsmark-1 nach einem Kurzschluss in der Umspannstation, über die das AKW seinen Strom ans allgemeine Netz abführt, von der Stromversorgung automatisch getrennt. Dies führte zu einem Lastabwurf des Generators und die im Reaktor produzierte Wärme konnte nicht mehr in elektrische Leistung umgesetzt werden. Der Reaktor wurde über eine Schnellabschaltung heruntergefahren. Der Strom für die Steuerung des Kernkraftwerkes und die Speisepumpen, die die Nachzerfallswärme abführen müssen, fiel aus. Er musste ersatzweise durch Diesel-Notstromaggregate bereitgestellt werden. Jedoch konnten zwei der vier Generatoren nicht in das Notstromnetz einspeisen, da sie mit der 500 V Leitung elektrisch verbunden blieben, die jedoch ausgefallen war. Zusätzlich versagte die Stromversorgung für einen Teil der Messgeräte in der Leitwarte. Nach 23 Minuten konnten die beiden anderen Dieselaggregate manuell zugeschaltet werden. Der Wasserstand im Reaktor war bis wenig über die Kern-Oberkante gesunken, bevor er durch die Notkühlung wieder angehoben wurde. [1] Nach Angaben der schwedischen Strahlenschutzbehörde SKI sei eine akute Kernschmelze zu keiner Zeit des Störfalls zu erwarten gewesen, dennoch hätte es sich um einen sehr ernsten Zwischenfall gehandelt.
- Leibstadt/Schweiz Durch irrtümliche Auslösung des automatischen Druckabbau-Systems während eines Tests im Normalbetrieb öffneten einige Ventile der Druckentlastung des Reaktorsystems. Das Wasser musste mit dem Notkühlsystem nachgeführt werden (Quellen: IAEO, HSK)
- Dampierre/Frankreich Ein ähnlicher Störfall wie in Forsmark: Ausfall von externem Netz einschliesslich Reservenetz sowie von einem Notstrom-Dieselaggregat mit 100% Versorgungs-Kapazität. Das Werk liegt ca. 80 km vor Paris. Der Reaktor wurde mit dem einzigen verbliebenen Diesel (100%) runtergekühlt. Dennoch stufte die französische Behörde ASN den Störfall nur mit INES 1 ein. Begründung: Es seien noch die Redundanz-Reserven eigendampf-getriebene Hilfsturbine (sofort einsatzfähig) sowie Gasturbine (deren Synchronisation könne aber Stunden dauern) vorhanden gewesen (Quellen: ASN, IRSN)
- Juni Cattenom/Frankreich Das Werk an der Grenze zum Saarland entliess Zink in einer Konzentration in die Mosel, die über der Abgabe-Limite lag. Die Jahreslimite sei aber nicht überschritten, schreibt EDF; wobei unklar bleibt, ob es sich um Normal-Zink oder um das radioaktive Isotop handelte.