Guanchen
Die Guanchen waren die Ureinwohner der Kanarischen Inseln, einer geographisch zu Afrika, politisch aber zu Spanien gehörenden Inselgruppe. Es gibt die Annahme, dass die Guanchen nur auf Teneriffa gelebt hätten, und jede Insel eigene Namen für ihre Ureinwohner verwendete. Letzteres ist zwar auch richtig, aber dennoch ist sicher, dass die Ureinwohner aller Kanarischen Inseln den gleichen Ursprung hatten, und deshalb auch Guanchen genannt werden. Als Synonym wird auch der Begriff Altkanarier verwendet.
Zeittafel
Jahr | Ereignis |
---|---|
20,6 Mio. Jahren bis heute | Vulkanaktivitäten im Atlantik formen die Kanaren. |
ca. 500 v. Chr. | Besiedlung der Kanaren in mehreren Schüben aus Nordafrika und Europa. |
500 - 200 v. Chr. | Weitere Menschen aus Nordafrika besiedeln die Kanaren. Die Siedler finden bereits existierende Königreiche der Guanchen vor. |
1. Jahrhundert | Aufzeichnungen von Plinius dem Älteren berichten über Expedition des Mauretanien-Königs Juba II. zu den Kanaren.
Begriff „Insula Canaria“ wird für Gran Canaria verwendet. Weitere Quelle für die bewusste Existenz der Kanaren bzw. Guanchen: Ovids „Metamorphosen“ |
2. Jahrhundert | Auf Ptolemäus' Weltkarte führt der Nullmeridian durch El Hierro |
1312 | Die Kanarischen Inseln werden durch Lancelotto Malocello wiederentdeckt |
1402 - 1406 | Jean de Béthencourt erobert für Spanien die Inseln Lanzarote, Fuerteventura und El Hierro. |
1441 | Der spanische Franziskanermönch Didakus, spanisch San Diego de Alcalá, missioniert von Fuerteventura aus die Guanchen und leitet die endgültige Christianisierung der Inseln ein. |
1478 - 1483 | Die Guanchen Gran Canarias werden unterworfen. Am 29. April 1483 geben die letzten Widerstand leistenden Guanchen ihren Kampf gegen die Invasoren auf. |
1492 | Alonso Fernández de Lugo beginnt mit der Eroberung von La Palma. |
1493 | Die Friedensverhandlungen mit den Guanchen auf Teneriffa scheitern. Der erste spanische Feldzug gegen die Ureinwohner auf Teneriffa beginnt. |
1494 - 1496 | Alonso Fernández de Lugo landet auf Teneriffa. Er erleidet am 31. Mai 1494 bei La Matanza eine schwere Niederlage gegen die Guanchen.
Am 25. Dezember 1495 unterliegen die Guanchen bei La Victoria endgültig den Spaniern. Teneriffa ist die letzte Insel, die der spanischen Krone unterworfen wird. Die Kultur der Ureinwohner wird nahezu vernichtet. |
Herkunft







Über die tatsächliche Herkunft der Guanchen ist grundsätzlich wenig bekannt und bewiesen. Wahrscheinlich gab es mindestens drei Besiedlungsschübe auf die Kanarischen Inseln.
Die ersten Menschen wanderten vermutlich ab etwa 3000 v. Chr. von Ost nach West auf die Kanaren ein. Es ist wahrscheinlich, dass sie von einem Wüstenvolk aus der Sahara abstammen, welches mit Binsenbooten von Nordafrika übersetzte. Außerdem weisen archäologische Ausgrabungen auf eine weitere Besiedlung aus Europa hin. Für eine Teilbesiedlung aus Europa spricht die rassische Beschaffenheit der hochgewachsenen und weißen, hellhäutigen Altkanarier. Es gibt auch Funde, die dem Cro-Magnon-Menschen ähnlich sind.
Um 1100 v. Chr. könnten Phönizier auf der Suche nach Handelsmöglichkeiten die Kanarischen Inseln besucht haben. Deshalb könnte man eine gewisse Abstammung von ihnen in Betracht ziehen, denn sie waren große Seefahrer im Atlantik, und könnten auf den Kanaren dabei u.U. eine schon existente Kultur vorgefunden haben.
Im Zeitraum von 500 - 200 v. Chr. kommen weitere Menschen aus Nordafrika auf die Inseln. Höchstwahrscheinlich finden diese Leute aber schon mehrere existierende, kleine Königreiche vor.
Vom 6. Jahrhundert an bis ungefähr ins Jahr 800 haben vermutlich die Berber die Kanaren erreicht. Es war wohl der letzte große Besiedlungsschub. Während dieser Zeit ging möglicherweise das antike Wissen um die Kanaren im mittelalterlichen Europa verloren.
Die Guanchen wohnten bis zur spanischen Eroberung in einer Art steinzeitlicher Kultur auf den Inseln. Über die Größe der Bevölkerung gibt es keine verlässlichen Angaben. Man nimmt die Zahl kurz vor der spanischen Eroberung, zu Anfang des 15. Jahrhunderts, mit etwa 50.000-70.000 Einwohnern an.
Die gewaltsame Eroberung durch die Spanier begann 1402 unter Jean de Béthencourt auf Lanzarote und endete 1495 unter Alonso Fernández de Lugo auf Teneriffa. Hierbei sollten die Guanchen zum Christentum übergehen. Ein Teil der Altkanarier wurde umgebracht, viele wurden versklavt oder verschleppt. Die steinzeitliche Kultur ging nahezu zu Grunde. 1441 war der spanische Franziskanermönch Didakus, San Diego de Alcalá, auf die Kanarischen Inseln gereist, gründete auf Fuerteventura das Kloster Fortaventure und missionierte von dort aus die Guanchen, was ebenfalls neben der physischen auch die kulturelle Vernichtung ihrer Ethnie vorantrieb.
Kultur
Sprache und Schrift
Das Guanche, die Sprache aller Guanchen, war gleichen Ursprungs. Von Insel zu Insel gab es jedoch verschiedene Mundarten, da es untereinander so gut wie keine Verbindungen gab. Chronisten behaupten, es sei eine weiche Aussprache gewesen. Es gibt laut Jose Luis Concepion (siehe Literatur) einige Wörter des Guanche, die sich mit berberischen Wörtern decken: Tigot für Himmel, Tigotan für die Himmel, Ahorem für Gerstenmehl, Ahemon bzw. Amon für Wasser, Cariana bzw. Carian für Korb, um nur einige anzuführen.
Archäologische Funde legen die Existenz einer der libysch-berberischen verwandten Schrift nahe. Auf den meisten Inseln findet man zahlreiche Petroglyphen der Altkanarier.
Es sind nur noch wenige Wörter aus dem Guanche bekannt. So bedeutet Guanche eigentlich Mann/Mensch aus Teneriffa und wurde erst später zu einer Sammelbezeichnung. Die Sprache starb nach der spanische Eroberung aus. Allerdings haben sich bis heute Elemente dieser Sprache im Kanarischen Dialekt gehalten. Viele Ortsbezeichnungen auf den Kanaren sind beispielsweise guanchischen Ursprungs, ebenso sind noch Vornamen verbreitet.
El Silbo (spanisch: 'der Pfiff') bezeichnet die Pfeifsprache der Guanchen. Sie ist heute nur noch auf der Insel La Gomera gebräuchlich. Um dieses kulturelle Erbe zu bewahren wird die Sprache in den Schulen auf La Gomera gelehrt.
Leben
Zwischen den einzelnen Inseln bestanden zu Lebzeiten der Guanchen keine Verbindungen, da sie die Schifffahrt nicht beherrscht haben. Sie sollen friedfertige, aber ihre Heimat verteidigende Menschen gewesen sein. Die beiden Geistlichen, die Jean de Béthencourt auf seinen Eroberungszügen begleiteten, sollen sinngemäß mitgeteilt haben: Nirgends auf der Welt werdet ihr besser gewachsene Menschen antreffen, hättet ihr ihnen Gelegenheit gegeben, etwas zu lernen, hätte man sich sicher besser verstanden.
Guanchen betrieben Viehzucht und Ackerbau. In ihrer bäuerlichen Kultur züchteten sie Ziegen, Schafe und Schweine. Angebaut wurden Gerste, Weizen und Hülsenfrüchte. Da sich für den Ackerbau keine planen Flächen boten, legten sie riesige Terrassentreppen an, die mit Bewässerungsgräben durchzogen waren. Die Guanchen bejagten weiterhin eine große endemische Echsenart, den heute ausgestorbenen Lagarto gigante (Länge ca. 75 cm). Eine kleine Population der Unterart Gallotia simonyi machadori lebt noch unter Naturschutz auf El Hierro.
Metallverarbeitung war ihnen unbekannt. Sie besaßen Steinmesser, die tabonas, welche auch als Waffe genutzt wurden. Eine Waffe auf Teneriffa war der banot, eine Art Wurfspeer aus Holz.
Ihre Kultur kannte die Töpferei, jedoch ohne sich drehende Töpferscheibe. Sie polierten ihre unterschiedlich großen Gefäße mit glatten Steinen, färbten sie mit Ocker und verzierten sie mit kringelförmigen Mustern. Als weitere Gegenstände gebrauchten sie Holzgefäße, Holzkämme, Steinmühlen, Ziegenbälge, Lederbeutel und Binsensäcke.
Kleidung und Schuhe wurden aus gegerbten Tierfellen gefertigt. Schuhe wurden auf Teneriffa xercos, und auf Fuerteventura und Lanzarote maho genannt. Schmuck aus Muscheln, Tonkugeln, Steinen oder Knochen war gebräuchlich.
Bevorzugt nutzten die Ureinwohner der Kanaren kühle Berghöhlen als Wohnstätten und Vorratslager. Es wird aber ebenso von Hütten aus Stein mit Strohdächern berichtet. Sie verwendeten einen langen Stock aus Riesenheideholz, um die extrem zerklüfteten Vulkanlandschaften zu meistern und kleine Schluchten zu überwinden.
Es gab Eheschließungen mit Zustimmung beider Partner. Entgegen anders lautenden Behauptungen heirateten altkanarische Männer nicht mehr als eine Frau.
Tanz und Gesang waren bei den Guanchen sehr beliebt. Der Tanz, der heute canario genannt wird, stammt mit seinen kurzen und zügigen Schritten aus der Zeit der Ureinwohner. Das Hauptfest mit Tanz und Gesang fand im Sommer anlässlich der Ernte statt und hieß beñesmen. Zum Fest gehörte ein Festessen (guatativoa) und Wettkämpfe wie Steinheben, Ringkämpfe (Vorläufer des heutigen Lucha Canaria) oder Stockfechten (Vorläufer des heutigen Juego del Palo).
Experten fanden Schädel mit deutlichen Anzeichen einer Trepanation. Somit mussten die Altkanarier ein gewisses medizinisches Wissen gehabt haben.
Soziale Ordnung
Die Guanchen organisierten sich in Stämmen unter einem König, den man auf Teneriffa mencey und auf Gran Canaria guanarteme nannte. Die Zeremonie der Ernennung zum König fand auf dem tagaror, einem Ratsplatz in Form eines Steinkreises, statt. Häuptlinge und Ratgeber standen den Königen zur Seite. Auf Gran Canaria nannte man einen Häuptling guaire, einen Richter fayacán und einen Priester faycán.
Jeder Mann, der besondere Verdienste nachwies, konnte in den Adelsstand erhoben werden. Konnte der Mann bei einer Zeremonie aber nicht die richtigen Antworten geben, wurde ihm sein Haar abgeschnitten, er erhielt dann den Namen trasquilado, der Geschorene, und konnte niemals mehr in den Adelsstand erhoben werden.
Religion/Glaube
Alle Volksstämme hatten Gebetsorte und Priester. Auf Gran Canaria gab es harimaguadas, so genannte Tempelmädchen, vergleichbar mit Nonnen. Der Tempel hieß almogaren und das Kloster tamogantes. Dem höchsten Wesen gaben die Guanchen zum Beispiel den Namen aborac oder acoran.
Auf Teneriffa befinden sich einige pyramidenähnliche Bauten (Pyramiden von Güímar), bei denen es sich möglicherweise um Kultstätten handelt. Andere Kultstätten, wie die Höhle von Belmaco, gibt es auf La Palma.
Einige Guanchen wurden einbalsamiert oder mumifiziert bestattet. Der Leichnam wurde xaxo genannt. Sie sind heute im Museo Canario in Las Palmas de Gran Canaria und im Museo Arqueológico in Puerto de la Cruz auf Teneriffa zu besichtigen.
Die Guanchen nach der Conquista
Schwierig ist die Anzahl der Ureinwohner vor der spanischen Eroberung einzuschätzen. Lanzarote soll Jean de Béthencourt mit etwa 300 Kriegern gegenübergestanden haben. Man schätzt damit hier die Gesamtzahl der Guanchen auf kaum mehr als 1000. Unzuverlässigen Angaben zufolge sollen es auf Fuerteventura deutlich mehr gewesen sein. El Hierro soll sehr dünn besiedelt gewesen sein. Für Gran Canaria schätzt man die Zahl der Ureinwohner auf 20-30.000, für Teneriffa auf mindestens 30.000, da hier allein Benchomo über 5000 Mann verfügen konnte.
Nur einige große Schlachten dürften eine erhebliche Anzahl an getöteten Guanchen gebracht haben. Sonst sind die meisten Ureinwohner in Gefangenschaft geraten, haben sich ergeben oder flohen ins gebirgige Hinterland. Auf La Palma gab es beispielsweise keine großen Kämpfe, daher sind die Todesopfer hier eher gering.
Ureinwohner, die sich den neuen Friedensverträgen unterwarfen, waren auf Gran Canaria oder La Palma frei. Das Cabildo auf Teneriffa verfügte im Jahre 1500, dass alle Guanchen und ihre Frauen erst frei seien, wenn sie ihrem Herrn sechzehn Jahre lang gedient hätten. Es wurde im Jahre 1504 bekanntgegeben, dass alle Guanchen gegen Lohn arbeiten sollten. Würden sie nicht aus ihren Verstecken kommen, würde man sie in Haft nehmen. Später siedelte man die Guanchen von ihrer Geburtsinsel zu einer anderen Insel um, weil sie dann einfacher zu unterwerfen waren. Einige Guanchen wurden versklavt in den Südosten Spaniens verbannt, doch die Anzahl der Einheimischen auf den Inseln blieb hoch.
Das Wissen stammt überwiegend von den Eroberern, dessen Siedlern und einigen Eingeborenen, die bei der Land- und Wasserverteilung Glück hatten. Kaum etwas ist von der großen Anzahl Sklaven überliefert, die sich auf den ausgedehnten Ländereien der Siedler befanden. So kam es, dass man annahm, dass die Ureinwohner größtenteils verschwunden waren, und die Inseln im Wesentlichen von den neuen Siedlern bevölkert waren. Deren Zahl war jedoch recht gering. Auf Gran Canaria waren es nur 700 Mann; von denen wurden die meisten von Alonso Fernández de Lugo wieder nach Spanien geschickt. Ähnlich verlief es auf Teneriffa, wo nach der Befriedung die meisten in ihre Heimat Kastilien zurückzogen. Denen, die blieben, gab man Bürgerrechte und Land, was die Landvergabe-Akten belegen. Es gab in den Jahren 1497 bis 1517 auf Teneriffa und La Palma zusammen nur 1990 Zuteilungen, von den auch Ureinwohner, die ihren Herren gedient hatten, profitierten.
Man geht davon aus, dass auf Teneriffa und Gran Canaria am Ende jeweils etwa 300 Siedler geblieben sind. Die Mehrzahl dieser heirateten eine Eingeborene, die anderen holten Familienmitglieder vom Festland auf die Inseln. Bedenkt man, dass jeder Siedler viele Sklaven hatte, und es weitere Eingeborene in Friedensbünden gab, und nochmal eine große Zahl, die weiterhin Widerstand in der Kriegspartei leistete, dann war die Anzahl der Guanchen der der neuen Siedler immer noch weit überlegen. Dazu kommt, dass hundert Jahre nach der Eroberung 500 Sklaven auf die Inseln verkauft wurden. Dabei handelte es sich weitestgehend um Nachkommen der nach Sevilla verbannten Sklaven, also Guanchen.
In der heutigen Bevölkerung der Kanarischen Inseln muss es demzufolge weiterhin noch eine große Anzahl von Nachkommen der Guanchen geben. Einige Sitten und Gebräuche sind trotz der massiven und flächendeckenden Unterdrückung bis heute erhalten geblieben.
Literatur
- Ilse Schwidetzky: Die vorspanische Bevölkerung der Kanarischen Inseln. Anthropologische Untersuchungen, (1963) ISBN 37-881601-2-8
- Harald Braem: Tanausú - König der Guanchen. Historischer Roman, Zech 2003, ISBN 84-933108-0-8
- Harald Braem: Die Geheimnisse der Pyramiden. Sachbuch, Heyne 1999, ISBN 34-531477-4-X
- Horst Uden: Der König von Taoro - Historischer Roman der Eroberung Teneriffas. Zech 2003, ISBN 84-933108-4-0
- José Luis Concepción: Die Guanchen - Ihr Überleben und ihre Nachkommen ISBN 84-920527-1-6
- Carlos Calvet: Geschichte und Mythen der Kanaren - Spuren einer längst untergegangenen Kultur, Bohmeier Verlag, Leipzig, 2007, ISBN 978-3-89094-517-0