Österreichische Geodätische Kommission
Die ÖKIE (Österreichische Kommission für die internationale Erdmessung) ist eine Gründung des Jahres 1863 und damit weltweit die erste Fachkommission eines Staates für die Höhere Geodäsie.
Tätigkeitsfeld und Mitgliedschaft
Das Tätigkeitsfeld der Kommission war - den jeweiligs aktuellen Schwerpunkten der Forschung entsprechend - vor allem eine wissenschaftlich fundierte Landesvermessung, die Bestimmung des bestanschließenden Ellipsoids und der theoretischen Erdfigur (siehe auch Geoidbestimmung), die Weiterentwicklung der mathematischen Kartografie und der Ausgleichsrechnung, Fragen der Erdrotation, Polbewegung und der Geodynamik , sowie relevante Querverbindungenm zur Geophysik und Astronomie.
Die Gründung der Kommission fiel in eine Zeit, in der sich die Geodäsie von der bis dahin die "Geo-Metrie" (Erdmessung) dominierenden Astronomie zunehmend "abnabelte" und die rein geometrischen bis intuitiven Methoden der Geowissenschaften um streng physikalische Analysen des Erdschwerefeldes bereicherte.
Dennoch sind unter den Vorsitzenden der ÖKIE einige Astronomen (sowie auch Geophysiker) zu finden. Die Kommission war - zusammen mit deutschen Geodäten der Initiator zur Gründung der "Internationalen Erdmessung", die bereits kurz nach der Publikation des berühmten Bessel-Ellipsoids nach Wegen suchte, um aus den inzwischen alle Kontinente üverdeckenden Vermessungsnetzen nicht nur ein für Eurasien passendes Ellipsoid abzuleiten, sondern auch ein über den ganzen Globus gemitteltes "Erdellipsoid".
Vom Erdellipsoid zum Europanetz (1900 bis 1950)
Aufgrund einer weltweiten Datensammlung, zu der Österreich-Ungarn entscheidend beitrugen gelang dies 1906 erstmals F.R.Helmert (Berlin), doch setzte sich dieses (in seiner Genauigkeit für 50 Jahre unübertroffene) Erdellipsoid gegen das 1908 in den USA bestimmte Hayford-Ellipsoid leider nicht durch (1965 ergab die Satellitengeodäsie, dass es um 220m zu groß sei). Die an Mitteleuropa besser angepaßten Ellipsoiddimensionen wurden hingegen für den damals genauesten Meridianbogen der Welt, die rund 500 km lange Geotraverse "Großenhain-Kremsmünster-Pola" als Bezugssystem verwendet.
Das langfristig wesentlichste Projekt der österreichischen (und deutschen) Erdmessung war hingegen der beginnende Zusammenschluss der Landesvermessungen Mitteleuropas, der angesichts vieler tausend gemeinsam zu berechnender TP-Punkte und zweier Weltkriege allerdings erst 1950 zur ersten Version eines "Europanetzes" führte. Evebfalls eine Weltpremiere war das ganz Österreich überdeckende Geoid von 1951/53, das Josef Litschauer in langjähriger Arbeit (noch ohne Computer!) berechnete. Die dafür und fürs Europanetz grundlegenden Vermessungs- und Schwerefelddaten entstammen großteils dem Zeitraum 1870-1915, als das MGI (Militärgeografisches Institut) des damaligen 50-Millionen-Staates auf viele Spitzenkräfte und ein großes [Budget]] zurückgreifen konnte.
Um die Jahrhundertwende und seit Ende des 2. Weltkriegs (während der deutschen Besetzung 1938-1945 war die ÖKIE aufgelöst) setzte sich die Kommission durchschnittlich aus etwa 20 Mitgliedern zusammen: 7-10 Professoren der geodätrischen Institute, prominente Ziviltechniker, Vertreter der Geophysik, der Astronomie und der Akademie, sowie 2-3 leitende Beamte des Bundesvermessungsdienstes (heute Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen).
Hundertjahrfeier 1963 unter Karl Ledersteger
Präsident war meist ein Geodät, doch einige kamen auch aus den Nachbardisziplinen. Zu ihrer Jahrhundertfeier 1963 erlangte die ÖKIE größte internationale Aufmerksamkeit, als an die 500 Wissenschafter aus aller Welt zu einem 1wöchigen, gemeinsam mit der IAG veranstalteten Symposium in der Wiener Hofburg zusammenkamen. Der damalige Präsident, Prof. Karl Ledersteger von der TH Wien, charakterisierte in seiner Festansprache die (damals noch bescheidene) Rolle der "Geometer" innerhalb der insgesamt 10mal größeren IUGG (Union für Geodäsie und Geophysik) und dem abermals mindestens 20x größeren Kreis der Naturwissenschafter wie folgr:
Gerade weil es sich beim Studium der Erdfigur und der damit zusammenhängenden geophysikalischen Probleme um stille Gelehrten-Arbeit handelt - Anm.Geof: Die Forschung hat sich inzwischen zu 80-90% auf Forschungsgruppen verlagert... ] - die nicht in die Spalten der Tageszeitungen eingeht, scheint es mir wichtig zu betonen, dass die wissenschaftlichen Leistungen der großen Geodäten keineswegs geringerbzu veranschlagen sind als etwa doe von Medizinern, Technikern oder Atomphysikern.
Darüber hinaus darf ich auch auf eine große kulturelle Aufgabe der Höheren Geodäsie hinweisen. Denn das Problem der Erdfigur schreit förmlich nach interbnationaler Zusammenarbeit - und so ist denn auch die ehemalige Internationale Erdmessung oder die heutige Assoziation für Geodäsie [unsere] erste und noch immer größte wissenschafliche Organisation, die in den 100 Jahren ihres Bestehens unendlich viel zur Völkerverständigung beige´tragen hat.
Zu ihrer Jahrhundertfeier publizierte die ÖKIE neben den üblichen Tagungsberichten auch ihr 24.Sonderheft der ÖZV, dessen Hauptinhalt der Standt der wissenschaftlichen Erdmessung aus der Sicht Lederstegers war. Er nannte seinen 95 Seiten langen Beitrag "Die Neubegründung der Theorie der sphäroidischen Gleichgewichtsfiguren und das Normalsphäroid der Erde". Leider war ihm durch seinen frühen Tod nicht vergönnt, die damals zutage tretenden Diskrepanzen zwischen den Methoden der geometrischen und der physikalischen Satellitengeodäsie theoretisch restlos aufzuklären. Dies gelang erst 20-25 Jahre später auf empirischem Wege -- mit der ersten altimetrischen Geoidbestimmung und dem sich abzeichnenden GPS-Satellitensystem.
Satellitennetz und weltbestes Astrogeoid (1965 bis 1985)
Diese raumgestützten Techniken und die zugehörigen Theorien, zu denen der spätere ÖKIE-Präsident Helmut Moritz (TU Graz]] wesentlich beitrug, brachten die gesamte Geodäsie auf die von Ledersteger 1964 vorgezeichnete "internationale Spur". 1973/74 wurde das Weltnetz der Satellitentriangulation fertiggestellt, zu dem das kleine Österreich (0,1% der Weltbevölkerung) etwa 1% der Messungen beisteuerte, unter anderem in der transeuropäischen Geotraverse Tromsö-Hohenpeißenberg-Catania. Um 1980 entwickelten Mitglieder der ÖKIE unter Führung von Hans Sünkel die Methode der geodätischen Kollokation, die weltweit die Geoidbestimmung revolutionierte. 1982/83 war die Kommission unter der Leitung Karl Rinners abermals für eine Weltneuheit gut: erstmals erreichte ein Astrogeoid eine mittlere Genauigkeit von ±5 cm (State of the art war bisher in den westlichen Industriestaaten ±10-15 cm).
Diese präzise Schwerefeldbestimmung beruht auf einem Netz von 700 Lotabweichungen, die auch im Hochgebirge nur 10-15 km auseinander liegen; die Mitarbeiter mehrerer Hochschulinstitute und das BEV führten dafür Messkampagnen mit dem Ni2-Astrolab und anderen Instrumenten durch, die 4-6 Jahre dauerten. Die meisten Messungen stammten von G.Gerstbach, K.Bretterbauer und T.Matausch (TU Wien), von E.Erker (BEV), G.Chesi und H.Lichtenegger (TU Graz) sowie von Mitarbeitern der Universität Innsbruck. Als sich die resultierende Geoidlösung wirklich auf 5-6 cm genau erwies, gab der führende deutsche Geodät Wolfgang Torge (Hannover) die kühne Devise aus, in den nächsten 25 Jahre ein "Zentimeter-Geoid" für Mitteleuropa anzustreben (in den deutschsprachigen Ländern dürfte es im kommenden Dezennium erreicht sein).
Diese international gewürdigten Erfolge brachten dem damaligen ÖKIE-Präsidenten K.Rinner eine selten gewordene Ehre ein: er wurde auf einem IAG-Kongress als vermutlich letzter Universalgelehrter der Geowissenschaften bezeichnet. In Erinnerung daran ließ es Rinner zu, dass die 1983 erschienene Festschrift zu seinem 70.Geburtstag den Titel Geodaesia Universalis erhielt. Sie vereinigte auf 400 Seiten insgesamt 40 wissenschaftliche Beiträge internationaler Kapazitäten.
GPS und Geodätische Kommission (seit 1990)
Diese fach- und länderübergreifenden Entwicklungen wurden ab etwa 1990 durch das Faktum gekrönt, dass die GPS-Technik in kurzer Zeit nicht nur lokal Zentimeter-Genauigkeiten erreichte, sondern auch global in diesen Bereich eindrang. Noch beim Hamburger IAG-Kongress 1983 war heftig diskutiert worden, ob das neue, von H.Moritz propagierte GRS-Weltellipsoid (große Achse a = 6_378_137,0 Meter) um 50 cm zu groß oder zu klein sei. An die so rasche Entwicklung der Satellitengeodäsie glaubte damals fast niemand.
In den 1990er Jahren erhielt die ÖKIE den neuen Namen Österreichische Geodätische Kommission (Abkürzung ÖGK) -- in Anlehnung an die deutsche DGK, mit der seit jeher ein intensiver (auch die korrespondierenden Mitglieder betreffender) Austausch bestand. Gleichzeitig intensivierte die ÖKIE die Fachkontakte zur Geophysik, was eine logische Folge der endgültigen Anerkennung der Plattentektonik und der geophysikalischen Implikationen im Schwerefeld war. Sie schloss sich schließlich mit der Geophysik zum Nationalkomitee für Geodäsie und Geophysik zusammen, um der ebenfalls interdisziplinären Ausrichtung der geowissenschaftlichen Union (IUGG]] Rechnung zu tragen.
Wege zum "Zentimeter-Geoid" und Zukunftsaspekte
Einige Jahre vor dem Millennium seotzte sich die nunmehrige ÖGK ein anspruchsvolles Ziel: die nächste österreichische Geoidbestimmung sollte unter dem Namen Austrian Geoid 2002 den Genauigkeitsbereich von 2 cm erreichen und damit der Torge'schen Vision von 1983 nahekommen. An der TU Graz begann eine Gruppe unter H.Sünkel und N.Kühtreiber an einer Kombinationslösung von Astrogeoid und Gravimetrie zu arbeiten, für die freilich noch mehrere Datenlücken in der Steiermark sowie an einigen Grenzen zum früheren Ostblock und im Westen Österreichs zu schließen waren.
Leider fielen einige der für dieses Projekt vorgeschlagenen Messkampagnen den (damals in ganz Europa "üblichen") budgetären Kürzungen zum Opfer, sodass die Genauigkeit um ein Drittel geringer ausfiel als erhofft. Immerhin gelang aber, die Geoidlösungen von Slowenien und Teilen Ungarns und Kroatiens anzufeldern, sodass nun der zentrale Teil der ehemaligen Monarchie ein 3 cm genaues Geoid besitzt.
Die Schweiz hatte sich inzwischen am Beispiel Österreichs orientiert und ihr Lotabweichungsnetz sogar auf einen 10 km-Raster verdichtet. Das nunmehrige 2cm-Geoid erlaubt die weitgehende Nutzung von GPS auch für eine ökonomische Höhenbestimmung im Gebirge. In Österreich wird stattdessen ein alternativer Weg mittels geologischer Daten überlegt: ist die Gesteinsdichte der Berge genau genug bekannt und in eine Datenbank eingeführt, dann kann man die oft irregulär verlaufende Lotabweichung zwischen den astronomischen Messpunkten um etwa 30-50% genauer integrieren. Wie eine solche geodätisch-geologische Kooperation aussehen könnte, ist aber noch offen.
Als künftige Projekte der "österreichischen Erdmessung" zeichnen sich ab: eine weitere Verdichtung des GPS-Grundnetzes, die o.e. 3D-Datenbank geologischer Dichtewerte (die Slowakei verfolgt ein ähnliches Ziel), und die Nutzung der GIS-Technologie für interdisziplinär-geowissenschaftliche Themen.
Wie der ÖGK-Geschäftsführer Erhard Erker bei einer Tagung 2004) feststellte, sind gute Voraussetzungen gegeben, um die nun 140 Jahre währende Tradition in der Kooperation mit internationalen Gremien erfolgreich weiterzuführen.
Siehe auch
Literatur und Weblinks
- K.Ledersteger: Astronomische und Physikalische Geodäsie (Erdmessung), JEK Band V, Metzler-Verlag, Stuttgart 1968
- ÖKIE: Hundertjahrfeier der Österreichischen Kommission für die Internationale Erdmnessung. Sonderheft 24 der ÖZV, Wien 1963/64
- [http://www.oegk.tugraz.at/Kommission/Geschichte/geschichte.pdf Die historische Entwicklung der Österreichischen Kommission für die Internationale Erdmessung
(Kurt Bretterbauer, Wien 1981)]