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Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation

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Die Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation Limited ist eine Körperschaft, die bis zum 29. August 2006 das Vermögen des 2002 kinderlos verstorbenen Bremer Lehrers Wilhelm Tietjen verwaltete. Tietjen trat 1932 der NSDAP bei. Im 2. Weltkrieg diente er als Offizier bei der Luftwaffe. 1945 wurde er von den Alliierten kurzzeitig inhaftiert, weil er laut Wehrmachtsauskunftsstelle Parteischulungen durchgeführt hatte. Sein Erbe soll zur Fruchtbarkeitsforschung eingesetzt werden, die er als „Fertilisation“ bezeichnete.

Unternehmensgeschichte

Die Gesellschaft wurde am 21. November 2001 als Private Limited Company für den Geschäftsbereich „Advertising“ unter dem Namen „WILHELM TIETJEN STIFTUNG FUER FERTILISATION LIMITED“ mit dem Sitz im Vicarage House S44, 58-60 Kensington Church Street in London unter der Registernummer 04326557 beim für diese Rechtsform zuständigen Handelsregister Companies House angemeldet[1].

Geschäftsführer (director) der britischen Kapitalgesellschaft ist seit dem 21. November 2001 der Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger, bestellte Sekretärin (secretary) war bis zum 25. September 2004 Frau Theda Mathilda Ites, Riegers damalige Lebensgefährtin, mit der er mehrere Kinder hat[2]. Seit dem 25. September 2004 bekleidet der Schwede Ingemar Lext die Funktion des Sekretärs. Am 31. Januar 2005 wurde der Firmensitz umgemeldet und nach 44 Southwark Street, London verlegt. Am 15. April 2005 erfolgte die Ummeldung nach Thrale House, London.

Rieger reichte entgegen den britischen gesetzlichen Bestimmungen keinen Geschäftsbericht für das Jahr 2004 ein. Nach mehreren erfolglosen Aufforderungen löschte das Companies House die Gesellschaft am 29. August 2006 aus dem britischen Handelsregister. Das Firmenguthaben und der Firmenbesitz fallen demnach der britischen Krone zu[3].

Am 25. Oktober 2006 gründete Rieger eine Nachfolgegesellschaft, die „WILHELM TIETJEN STIFTUNG LIMITED“, welche wohl anstelle der britischen Krone das Vermögen der gelöschten Gesellschaft übernehmen soll[3]. Die Gesellschaft hat ihren Firmensitz unter der Briefkastenanschrift 2nd floor, West Thrale House, 44-46 Southwark Street in London. Sie trägt die Registernummer 05977830. Die juristische Lage ist unklar. Aus Kreisen des deutschen Verfassungsschutzes hieß es: „Eine Entscheidung darüber dürfte bis zu 20 Jahre dauern. … So lange sind die Fristen.[4]. Auch die Verfahren innerhalb Deutschlands, mit denen Rieger beispielsweise gegen Verfügungen des Landkreises Verden vorgehen möchte, ruhen derzeit.

Unabhängig vom Schicksal der Gesellschaft nach britischen Recht hatte das Amtsgericht Jena im März 2007 den Pößnecker CDU-Stadtrat und Rechtsanwalt Alf-Heinz Borchardt als Nachtragsliquidator eingesetzt, der ankündigte, die Immobilien der Wilhelm-Tietjen-Stiftung zu veräußern und keine Veranstaltungen mehr in den Immobilien zu dulden.[5] Der Beschluss des Amtsgerichts wurde jedoch durch das Landgericht Gera aufgehoben. Das Thüringer Oberlandesgericht bestätigte "erhebliche Verfahrensfehler" und wies das Amtsgericht an, über die Einsetzung eines Nachtragsliquidators neu zu entscheiden.[6]

Die Immobilien des Unternehmens

Das Schützenhaus in Pößneck

Bereits Mitte Dezember 2003 wurde das "Schützenhaus" im thüringischen Pößneck für 360.000 Euro durch Rieger für die Wilhelm-Tietjen-Stiftung erworben. Zu der Immobilie gehören ein Restaurant, eine Diskothek, ein Biergarten sowie ein Festsaal für 500 Personen.[7] [8] Der Kauf blieb weitgehend unbeachtet, bis am 2. April 2005 hier im Anschluss an einen Landesparteitag der NPD eines der größten Rechtsrock-Konzerte in Thüringen stattfand. Bei dem von Sascha Wagner organisierten Konzert traten mehrere Rechtsrock-Bands vor etwa 1.500 Neonazis auf. Michael Regener, Sänger der Neonazi-Band Landser, gab sein Abschiedskonzert vor dem Verbüßen einer mehrjährigen Haftstrafe. Dass die Polizei nicht in der Lage war, das von der Stadt zuvor verbotene Konzert aufzulösen, sorgte bundesweit für Empörung.[9]

Der Heisenhof in Dörverden

Bekannter wurde die Gesellschaft im Juli 2004, als sie den Heisenhof in Dörverden erwarb und öffentlich bekannt wurde, dass dahinter der Rechtsextremist Jürgen Rieger stand.

Das Hotelgebäude in Delmenhorst

Seit Ende Juli 2006 war die Gesellschaft bestrebt, das frühere „Hotel am Stadtpark“ in Delmenhorst zu erwerben, um dieses als Schulungszentrum und für Parteitage der NPD zu nutzen. Dagegen hat sich Widerstand von Stadtrat und großen Teilen der Bevölkerung formiert. Der Streit um den Ankauf des Hotels beschäftigte neben den deutschen Medien auch die britische Presse.[10]

Die Stadt Delmenhorst verhinderte einen Erwerb des Hotels durch die Wilhelm-Tietjen-Stiftung, indem sie es durch ihre Wohnungsbaugesellschaft, die Gemeinnützige Siedlungsgesellschaft, im Dezember 2006 selbst kaufte. Für das Gebäude, das einem Gutachten zufolge nur 1,3 Millionen Euro wert war[11], zahlte sie drei Millionen Euro. Knapp ein Drittel des Kaufpreises konnten aus privaten Spenden aufgebracht werden.[12] Durch die privaten Spenden und die Beteiligung der Wohnungsbaugesellschaft konnte die Stadt die haushaltsrechtlichen Vorschriften, welche sie zur Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verpflichten, umgehen und somit einen Preis zahlen, der weit über dem geschätzten Wert der Immobilie lag.[13]

Quellen

  1. Registerauszug Wilhelm Tietjen Stiftung
  2. report München Interviews mit Jürgen Rieger und Theda Mathilda (rm)
  3. a b tagesschau.de Bericht der Tagesschau vom 04. Oktober 2006 mit Hinweisen auf die Stiftungslöschung; Rieger macht ohne Befruchtung weiter. redok vom 27. Oktober 2006
  4. Der Traum vom Prinzen. Thüringer Allgemeine von 18. Januar 2007
  5. taz vom 19. März 2007: Neonazis ausgetrickst
  6. Martplatz-Recht vom 26.08.2007; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 22.08.2007
  7. Dubiose Immobilienkäufe: rechtsextreme „Fruchtbarkeitsforschung“? redok vom 12. Juli 2004
  8. Thüringer Allgemeine vom 17.01.2007 über das Schützenhaus in Pößneck
  9. Nazi-Konzert verpennt. taz vom 5. April 2005
  10. BBC.co.uk, Mail&Guardian-online
  11. taz vom 31. August 2006
  12. Radio Bremen am 21. Dezember 2006, Presseerklärung der Stadt Delmenhorst
  13. Der Spiegel vom 6. Oktober 2006
  • radiobremen.de - Mehrere Artikel über die Aktivitäten der Wilhelm-Tietjen-Stiftung in Delmenhorst
  • delmenhorst.de - Netzauftritt der Stadt Delmenhorst mit Stellungnahmen der Stadt und Link zur Bürgerinitiative Für Delmenhorst
  • keine-nazischule-in-delmenhorst.de- Informationsportal einer Bürgerinitiative gegen den Verkauf des Delmenhorster Hotels am Stadtpark an Neonazis