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Al-Ghazālī

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Abu Hamid Muhammad ibn Muhammad al-Ghazali (auch al-Gazzali, lateinisch Algazel, * 1058 in Tūs bei Maschhad, heute Iran; † 1111 ebenda); war ein persischer islamischer Theologe, kritischer Philosoph und sufistischer Mystiker.

Als Theologe erwarb sich Ghazali den Titel eines Hodschatoleslam und gilt er auch heute noch als einer der bedeutendsten religiösen Denker des Islam. Ihm verdankt sich die Einführung der aristotelischen Logik und Syllogistik in die islamische Jurisprudenz und Theologie. In seiner Philosophie vertrat er gleichwohl einen religiös motivierten Skeptizismus, der die Wahrheiten des Glaubens und der Offenbarung mit den Mitteln des philosophischen Zweifels gegen den Wahrheitsanspruch der Philosophie verteidigt. Während er einerseits für den Untergang der Philosophie im islamischen Osten (im Gegensatz zum islamischen Spanien, wo sie aufblühte) verantwortlich gemacht wird, verdankt sich ihm auf der anderen Seite eine Wiederbelebung der Theologie.

Leben

Nach dem Tod seines Lehrers, des Imam al-Haramayn al-Juwayni, ging Ghazali an den Hof von Nizam al-Mulk, Wesir der Seldschukensultane, der ihn 1091 zum Professor an der Nizamiyyah Madrasa in Bagdad ernannte. Er erwarb sich in dieser Stellung als höchstrangiger Lehrer der islamischen Gemeinschaft von Bagdad größtes Ansehen und war auch als politischer Berater gefragt.

Während der durch die Ermordung Nizam al-Mulks ausgelösten Wirren geriet Ghazali nach eigenem Bekunden in eine spirituelle Krise und wandte sich der islamischen Mystik, dem Sufismus, zu. Er gab seine Professur auf, spendete seinen Besitz den Armen und verließ 1095 Bagdad. Als Sufi führte er anschließend in Palästina und Syrien ein Wanderleben, bis er schließlich in seine Heimatstadt Tūs zurückkehrte, wo er abgesehen von einer kürzeren Wiederaufnahme seiner Tätigkeit als Professor in Nischapur (1106), bis zu seinem Tod ein zurückgezogenes Leben als sufischer Lehrer führte.

Lehre

Ghazalis Haltung zur Philosophie ist zwiespältig: Einerseits zeugen seine Werke von einer gründlichen Kenntnis der griechischen und islamischen Philosophie, andererseits lehnte er die Philosophie als eigenen Weg zur Wahrheit ab und warf Vorgängern wie Avicenna und Al-Farabi vor, durch ihre unkritische Adaption der heidnischen aristotelischen und platonischen Philosophie den islamischen Glauben zu verderben. Besonders gegen den Emanationismus, der das notwendige Hervorgehen der Welt aus Gott auf dem Weg über den Intellekt und in Verbindung damit auch die Ewigkeit der Welt lehrte, verteidigte er die durch die Offenbarung verbürgte göttliche Erschaffung und Zeitlichkeit der Welt, indem er den Philosophen das Recht absprach, ihr Prinzip der Kausalität auch auf den jenseitigen Gott anzuwenden.

Durch Abmilderung des radikalen Asketismus der frühen Sufis und die Systematisierung des sufischen Gedankenguts trug Ghazali maßgeblich zur allgemeinen Anerkennung des Sufismus im Islam bei. Er lehnte eine starre Dogmatik ab und lehrte den Weg zu einem Gottesbewußtsein, das aus dem Herzen entspringt. Dieser Sufismus wird auch als „nüchtern“ bezeichnet.

Ghazali versuchte in seinem Weltbild eine Synthese vom göttlichen Determinismus mit dem menschlichen freien Willen:

  • Auf der obersten Stufe befindet sich der stets selbsterhaltende Gott
  • Auf unterster Ebene ist die materielle Welt, die von Gott vorherbestimmt ist
  • Dazwischen liegt die Welt der Menschen, deren Seele und Selbst durch den freien Willen geprägt ist. Gott gibt dem Menschen Ideen und Neigungen, aber die folgenden Taten obliegen einzig dem Menschen.

Ghazali gab dem Begriff Dschihad durch die Neuinterpretation eines Koranverses (4, 95) eine neue, zusätzliche Bedeutung: Nicht nur der Kampf auf dem Schlachtfeld sei Dschihad, sondern auch der Kampf gegen das eigene niedere Ich (an-nafs al-ammara).

Lateinische Tradition

Da Ghazalis Tahafut al falasifa (Inkohärenz der Philosophen) von Averroes in dessen Widerlegung (Tahafut al-tahafut) wörtlich wiedergegeben wurde, wurde sie im Westen unter dem Titel Destructio philosophorum bekannt, als der Tahafut al-tahafut 1328 von dem jüdischen Übersetzer Calonymos ben Calonymus ben Meir aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt wurde. Diese Übersetzung wurde mit einem Kommentar von Agostino Nifo 1497 in Venedig erstmals gedruckt (Nachdrucke in Lyon 1517, 1529, 1542). Ein anderer Übersetzer, Calonymos ben David ben Todros, erstellte zwischen 1318 und 1328 auch eine vollständigere Übertragung des Tahafut al-tahafut aus dem Arabischen ins Hebräische (Happalat ha-Happalah), und diese hebräische Übersetzung wurde später von Calo Caloymos ins Lateinische übersetzt und 1527 in Venedig gedruckt (Nachdrucke 1550, 1560, 1573).

Irrtürmlich zugeschrieben wurde Ghazali bis ins 19. Jahrhundert allerdings auch ein Liber Algazelis de summa theoricae philosophiae, bei dem es sich um eine bereits um die Mitte des 12. Jahrhunderts in Toledo wahrscheinlich von Dominicus Gundisalvi erstellte Übersetzung des Dānishnāma-e Alā'ī von Avicenna handelte. Die falsche Zuschreibung dieser Schrift, auf die sich ein Gutteil der Wertschätzung Ghazalis im lateinischen Mittelalter stützte, hat das Verständnis seines Denkens bis in die Neuzeit nachhaltig erschwert.

Werke

Theologie

  • ca. 1108 - al-Munqi_d min a.d-.dal¯al - dt. Der Erretter aus dem Irrtum, aus dem Arabischen übersetzt, mit einer Einleitung, mit Anmerkungen und Indices hrsg. von Abd-El.samad Abd-El.ham¯id Elschazl¯i, Meiner, Hamburg 1988 (= Philosophische Bibliothek, 389), ISBN 3-7873-0681-1
  • 1095 - al-Iqtisad fi'I-i`tiqad (Die Mittlere Pfad in der Theologie)
  • 1097 - al-Risala al-Qudsiyya (Der Brief aus Jerusalem)
  • Kitab al-arba`in fi usul al-din (Vierzig Kapitel über die Prinzipien der Religion)
  • 1095 - Miz¯an al-amal - dt. Das Kriterium des Handelns, aus dem Arabischen übersetzt, mit einer Einleitung, mit Anmerkungen und Indices hrsg. von Abd-El.samad Abd-El.ham¯id Elschazl¯i, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006, ISBN 978-3-534-19039-3
  • ad- Durra al-f¯a_hira f¯i kasf ul¯um al-¯a_hira - dt. Die kostbare Perle im Wissen des Jenseits, aus dem Arabischen übersetzt von Mohamed Brugsch, Lafaire, Hannover 1924, Nachdruck GMSG, Köln 2002, ISBN 3-937297-06-5; überarbeitete Fassung Spohr Verlag, Kandern 2003, ISBN 3-927606-47-2
  • Ayyuh¯a 'l-walad - dt. O Kind!, arabischer Text mit Übs. von Muhammad Harun Riedinger, Edition Minarett, Braunschweig 2002, ISBN 3-9808396-0-5
  • Fay.sal at-tafriqa bayn al-Isl¯am wa-z-zandaqa - dt. Das Kriterium der Unterscheidung zwischen Islam und Gottlosigkeit, eingeleitet, übersetzt und mit Erläuterungen versehen von Frank Griffel, Spur Verlag, Zürich 1998, ISBN 3-9520127-8-5
  • Kit¯ab al-Musta.zhir¯i f¯i fa.d¯a' i.h al-B¯a.tinijja - dt. Streitschrift gegen die Batinijja-Sekte, kommentiert von Ignaz Goldziher, Nachdruck Brill, Leiden 1956 (= Veröffentlichungen der De Goeje-Stiftung, 3)
  • Zweifelhaft: ar-Radd al-jamil 'ala sarih al-Injil - daraus dt. Wider die Gottheit Jesu, übs. von Franz Elmar Wilms, Brill, Leiden 1966

Sufismus

  • 1096-97 - Ihya ulum al-din - dt. Die Wiederbelebung der religiösen Wissenschaften, daraus Buch 12: Das Buch der Ehe, übersetzt und kommentiert von Hans Bauer, in überarbeiteter Form neu hrsg. von Salim Spohr, Spohr Verlag, Kandern 2005, ISBN 3-927606-48-0; Bücher 31-36: Lehre von den Stufen zur Gottesliebe, eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Richard Gramlich, Steiner, Wiesbaden / Stuttgart 1984 (= Freiburger Islamstudien, 10), ISBN 3-515-03765-9
  • Kimiya`-yi sa`adat - dt. Das Elixier der Glückseligkeit, aus dem Persischen und Arabischen übertragen von Hellmut Ritter, mit einem Vorwort von Annemarie Schimmel, Diederichs, München 1998 (= Diederichs Gelbe Reihe, 23), ISBN 3-424-01456-7; Lizenzausgabe Hugendubel-Verlag, Kreuzlingen/München 2004, ISBN 3-9808396-1-3
  • Misk¯at al-anw¯ar - dt. Die Nische der Lichter, aus dem Arabischen übersetzt, mit einer Einleitung, mit Anmerkungen und Indices hrsg. von Abd-El.samad Abd-El.ham¯id Elschazl¯i, Meiner, Hamburg 1987 (= Philosophische Bibliothek, 390), ISBN 3-7873-0683-8
  • Minh¯ag al¯abid¯in - dt. Der Pfad der Gottesdiener, übersetzt und erläutert von Ernst Bannerth, Verlag O. Müller, Salzburg 1964 (= Wort und Antwort, 33)

Philosophie

  • 1094 - Maqasid al falasifa (Die Absichten der Philosophen), Darstellung der Philosophie von Avicenna
  • 1095 - Tahafut al falasifa (Die Inkohärenz der Philosophen, lat. Destructio philosophorum), bot Averroes den Anlass zu seiner Entgegnung Tahafut al-tahafut (Die Inkohärenz der Inkohärenz, lat. Destructio destructionum)

Recht (Fiqh)

  • 1109 - al-Mustasfa min `ilm al-usul (Die essentiellen Dinge der islamischen Rechtswissenschaft)
  • I.hy¯a' ul¯um ad-d¯in - dt. Islamische Ethik, nach den Originalquellen übersetzt und erläutert von Hans Bauer, Niemeyer, Halle 1916, 2. Nachdr. Olms, Hildesheim 2000, ISBN 3-487-05956-8

Logik

  • 1095 - Miyar al-ilm (The Standard Measure of Knowledge)
  • 1096-96 - al-Qistas al-mustaqim (The Just Balance)
  • 1095 Mihakk al-nazar f'l-mantiq (The Touchstone of Proof in Logic)


Siehe auch: http://www.ghazali.org/site/oeuvre.htm

Literatur

  • Miguel Asín Palacios: La espiritualidad de Algazel y su sentido Cristiano. Estanislao Maestre, Madrid / Granada 1935-1940 (= Publicaciones de las escuelas de estudios árabes de Madrid y Granada, serie A, num. 2), 4 Bde.
  • Osman Bakar: Classification of knowledge in Islam: a study in Islamic philosophies of science. Islamic Texts Society, Cambridge 1998, ISBN 0-946621-71-3
  • Maurice Bouyges: Essai de chronologie des oeuvres de al-Ghazālī (Algazel), édité et mis à jour par Michel Allard. Imprimerie Catholique, Beirut 1959 (= Recherches publiées sous la direction de l'Institut de Lettres Orientales de Beyrouth, 14)
  • Massimo Campanini: Al-Ghazzâlî In: Seyyed H. Nasr, Oliver Leaman: History of Islamic Philosophy, Roudledge, London 1996 (= Routledge History of Philosophies, 1), S. 258-274 (Online-Version)
  • Bernard Carra de Vaux: Gazali. A. H. 450-505/A. D. 1058-1111 -Algazel-. Étude sur la vie et l'oeuvre mystique, philosophique et théologique D'Abou Hamid Mohammed Al-Gazali. Paris 1974, Repr. Philo, Amsterdam 1974, ISBN 90-6022-522-8
  • Henri Laoust: La politique de Gazali. Geuthner, Paris 1970 (= Bibliothèque d'études islamiques, 1)
  • Farid Jabre: Essai sur le lexique du Ghazali - contribution a l'étude de la terminologie de Ghazali dans ses principaux ouvrages à l'exception du Tah¯afut, Publications de L'Universite Libanaise, Beirut 1985
  • Hava Lazarus-Yafeh: Studies in Al-Ghazzali. Magnes Press, Hebrew University, Jerusalem 1975
  • Marie-Louise Siauve: L' amour de Dieu chez Gazali - une philosophie de l'amour à Bagdad au début du XIIe siècle, Vrin, Paris 1986, ISBN 2-7116-0901-4
  • A. M. Sinaceur (Hrsg.): Ghazâlî: la raison et le miracle. Table ronde Unesco, 9-10 décembre 1985. Maisonneuve et Larose, Paris 1987 (= Islam d'hier et d'aujourd'hui, 30), ISBN 2-7068-0951-5
  • Nicolai Sinai: Menschliche oder göttliche Weisheit? - zum Gegensatz von philosophischem und religiösem Lebensideal bei al-Ghazali und Yehuda ha-Levi, Ergon-Verl., Würzburg 2003, ISBN 3-89913-312-9
  • Margaret Smith: Al-Ghazālī the Mystic: a Study of the Life and Personality of Abū Ḥāmid Muḥammad al-Ṭūsī al-Ghazālī, together with an account of his Mystical Teaching and an estimate of his place in the History of Islamic Mysticism. Luzac, London 1944
  • William M. Watt: Muslim Intellectual. A Study of al-Ghazali. Edinburgh University Press, Edinburgh 1963
  • Martin Wittingham: Al-Ghazali and the Qur'an: one book, many meanings. Routledge, London 2007, ISBN 0-415-37543-6 / ISBN 0-203-96465-9
  • Mahmoud Zakzouk: Ghazali und Descartes: Ein philosophischer Vergleich. Traugott Bautz Verlag, Nordhausen 2005 (Interkulturelle Bibliothek, 104), ISBN 3-88309-283-5