Eduard Heimann
Eduard Heimann (* 11. Juli 1889 in Berlin; † 31. Mai 1967 in Hamburg) war ein deutscher Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler.[1]
Familie
Heimann entstammte einer jüdischen Kaufmannsfamilie. Sein Vater Hugo Heimann war ein erfolgreicher Verleger und Politiker der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), der über viele Jahre im Stadtparlament von Berlin, im preußischen Abgeordnetenhaus sowie im Reichstag als Abgeordneter tätig und mit den Parteiführern August Bebel und Paul Singer befreundet war.
Studium
Eduard Heimann bestand 1908 das Abitur und nahm anschließend ein Studium der Wirtschaft- und Sozialwissenschaften in Heidelberg, Wien und Berlin auf. Er studierte bei führenden klassisch bzw. marxistisch orientierten Nationalökonomen seiner Zeit. So hörte er beispielsweise bei Eugen Böhm von Bawerk und Franz Oppenheimer. Zugleich besuchte er Lehrveranstaltungen der so genannten Kathedersozialisten Gustav von Schmoller und Adolf Wagner. 1912 promovierte er bei Adolf Weber in Heidelberg.
Berufliche Tätigkeiten
Heimann arbeitete im Anschluss an seine Promotion mehrere Jahre in der Privatwirtschaft. Während des Ersten Weltkrieges wurde er aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Militär eingezogen. 1919 übernahm er das Amt des Generalsekretärs der ersten Sozialisierungskommission, die sich mehrheitlich für die Vergesellschaftung der Montanindustrie aussprach. Auch in der zweiten Sozialisierungskommission arbeitete er als Sekretär. Seine diesbezüglichen Erfahrungen und Erkenntnisse fasste er in einer Studie zusammen, mit der er sich 1922 in Köln habilitierte. Noch 1922 erfolgte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg seine Umhabilitation. Dort lehrte er anschließend als Privatdozent Finanzwissenschaft und Sozialpolitik. Die Universität Hamburg berief ihn 1925 auf den Lehrstuhl für Theoretische und Praktische Sozialökonomie.
Im Rahmen seiner Tätigkeit beteiligte sich Heimann an verschiedenen zeitgenössischen Debatten in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Bereits zwischen 1923 und 1925 hatte er sich an der Debatte über die kritischen Thesen von Heinrich Herkner zur Sozialpolitik der Nachkriegszeit geäußert, die zahlreiche führende Sozialwissenschaftler führten. Dass Heimann in seinem Fach ein anerkannte Experte war, zeigt die Tatsache, dass er zusammen mit seinem akademischen Lehrer Adolf Weber auf der Tagung des Vereins für Sozialpolitik im Jahr 1930 über die theoretischen Grundlagen der Sozialpolitik referierte.[2]
Die nationalsozialistische Machtergreifung beendete Heimanns Lehrtätigkeit, die Nationalsozialisten betrachteten ihn aufgrund seiner jüdischen Herkunft und seiner SPD-Mitgliedschaft als Gegner. Einige seiner Schriften wurden im Zuge der Bücherverbrennung verdammt. Mit seiner Frau und seinen beiden Zwillingstöchtern emigrierte Heimann 1933 über die Niederlande in die Vereinigten Staaten. Dort lehrte er bis 1958 Wirtschaftwissenschaften an der University in Exile bzw. der Graduate Faculty of Political und Social Science der New School for Social Research in New York City. In den USA studierte er überdies christliche Theologie und lehrte am Union Theological Seminary in the City of New York christliche Soziallehre. Ab 1948 hielt Heimann häufig Gastvorlesungen in Europa, zumeist in Deutschland, aber auch in Frankreich und der Schweiz. 1963 kehrte er mit seiner Familie nach Hamburg zurück, wo er bis zu seinem Tod lebte.
Geistige Einflüsse
Für Heimanns Schriften war eine Reihe von Einflüssen von Bedeutung. Dazu gehörten das Gedankengut des Marxismus und der Sozialdemokratie, die Romantik der deutschen Jugendbewegung, zeitgenössische Wirtschaftstheorien sowie genossenschaftliche Wirtschaftskonzeptionen. Schon früh hatte Heimann Kritik am orthodoxen Marxismus geübt. Bereits 1920 erschien ein Aufsatz, der sich kritisch mit der Mehrwerttheorie von Karl Marx auseinandersetzte. Verbunden war dies mit dem Entwurf einer im Kern planwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung mit eingebauten marktwirtschaftlichen Elementen sowie einem Konzept einer dynamisierten Sozialpolitik und einer allmählichen Sozialisierung der Wirtschaft. Diese Ideen, die sein Werk prägen sollten, blieben allerdings innerhalb der SPD eine Minderheitenmeinung.[3] Die zentrale Prägung erfuhr sein Werk durch Gedanken des führenden religiösen Sozialisten Paul Tillich. Der Kontakt zu Tillich bestand schon während der Weimarer Republik. Im Jahr 1928 waren Heimann und Tillich neben 80 weiteren sozialistisch gesinnten Personen – unter ihnen Martin Buber oder Gustav Radbruch – Teilnehmer einer Tagung in Heppenheim, die das Ziel verfolgte das „lebendige sozialistische Erkennen von den Schlacken erstarrender Tradition zu reinigen und die sozialistische Bewegung in ihrer gegenwärtigen Situation durch junge Antriebe im Willen und im Handeln zu stärken.“ Heimann sprach neben anderen über die Begründung des Sozialismus, während Tillich über Sozialismus und persönliche Lebensgestaltung referierte.[4] Seit 1930 gab Heimann zusammen mit Fritz Klatt und Tillich die Zeitschrift „Neue Blätter für den Sozialismus. Zeitschrift für geistige und politische Gestaltung“ heraus. Die Zeitschrift wurde von den Nationalsozialisten im Juni 1933 verboten.[5] Der Kontakt zu Tillich blieb auch im Exil erhalten, da auch dieser Gelehrte in die USA emigriert war. Wie eng der Kontakt, war zeigt der Umstand, dass Heimann sich von Tillich 1944 taufen ließ. Tillich bezeichnete Heimann im kleinen Kreis zudem als seinen „Petrus“.
Sozialwissenschaftliches Werk
Heimann stellte die Gemeinschaft, die sich ethisch am Christentum orientieren sollte und auf diese Weise die verbreitete Entfremdung überwinde, über den Einzeln. Den Kapitalismus seiner Gegenwart lehnte er ab, ohne die Effizienz seiner Wirtschaftsform zu verwerfen. Er plädierte dafür, diese Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung nach und nach mit sozialistischen Gedanken zu verändern. Entscheidende Bedeutung hatte für Heimann hier eine umfassend angelegte und kontinuierlich ausgebaute Sozialpolitik. In dieser Hinsicht suchte er nach einem „Dritten Weg“ zwischen Sozialismus und Kapitalismus, nach einer sozialistischen Marktwirtschaft. Kommunistische Gesellschafts- und Politikvorstellungen lehnte Heimann dagegen ab. Grundlegende gesellschaftliche Veränderungen seien nicht durch Revolutionen herbeizuführen, sondern auf dem Weg der Erziehung und Willensbildung.
Gegenstände seiner Forschungsarbeiten waren die Funktionsweise und Funktionsfähigkeit von Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen, praktische und theoretische Fragen der Sozialpolitik sowie die Ideengeschichte und die Methodologie, die diese Themenfelder prägten. Die vielfältigen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Probleme der Zwischenkriegszeit betrachtete er vor allem ordnungspolitisch. Heimann war dabei bestrebt, Wissenschaft und Handeln getrennt zu halten und folgte insofern dem Postulat der Werturteilsfreiheit von Max Weber. Allerdings blieb seine religiöse-sozialistische Gesinnung stets in seinen Schriften deutlich.
In seiner Schrift „Soziale Theorie des Kapitalismus“ von 1929 etwa versuchte auf dieser Basis eine allgemeine Sozialpolitik zu formulieren. Darin verzichtete er fast vollständig auf marxistische Lehren und definierte – gestützt auf Tillich – Sozialpolitik als den „institutionellen Niederschlag der sozialen Idee im Kapitalismus.“ Die Sozialpolitik hätte dabei ein konservativ-revolutionäres Doppelgesicht. Sie „verwirklicht Stück um Stück die soziale Idee innerhalb des Kapitalismus und sichert dadurch seinen geordneten Fortgang. (...) Sie erfüllt innerhalb des kapitalistischen Systems eine produktionspolitische Notwendigkeit, die aber in einem Teilabbau des Systems, in einem Einbau fremder Ideen besteht.“ Diese würden sich im Fortgang der Entwicklung zum Sozialismus weiterentwickeln. Voraussetzung sei allerdings, dass die Arbeiter sich „nicht als Bürger legitimeren lassen. (...), dass sie nicht für ein Linsengericht der sozialpolitischen Milderung des Kapitalismus ihr geschichtliches Recht auf Neugestaltung der Welt aus dem Geist der sozialen Freiheit verkaufen.“[6]
Wirkung
Heimanns Vorstellungen von einer angemessenen Wirtschaftsordnung kamen in der Praxis nicht zur Geltung. Die Nationalsozialisten verfolgten zwischen 1933 und 1945 vollkommen andere politische und gesellschaftliche Ziele. In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg als in der Öffentlichkeit über einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus diskutiert wurde, übte Heinemanns Werk einen starken Einfluss aus, wie Ludwig Preller 1949 urteilte.[7] Seine druckreifen Vorlesungen im Hamburg waren überfüllt und faszinierten viele seiner Hörer. Zu ihnen gehörte Helmut Schmidt. Heimann war für den späteren Bundeskanzler ein prägender akademischer Lehrer, mit dem er oft bis weit in die Nacht diskutierte. „Eduard Heimann war für mich der erste große Amerikaner, den ich unmittelbar erlebt habe.“[8]
Im weiteren Verlauf der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Deutschlands entfernte sich die wirtschaftswissenschaftliche und ordnungspolitische Diskussion mehr und mehr von Heimanns theoretischen Konzepten. Seine Arbeiten werden derzeit weder in den USA, noch in Deutschland umfassender rezipiert. Diese Vernachlässigung betrifft alle wichtigen Dimensionen des Werks von Heimann – Religion, Wirtschaft und (sozialdemokratischer) Politik. Heinz Rieter führt dafür 1999 mehrere Gründe an.[9] Zum einen habe das Interesse an gemischten Wirtschaftsformen nach dem Scheitern der realsozialistischen Experimente deutlich nachgelassen. Zum anderen behinderten die oft pathetische Sprache der Texte Heimanns sowie sein Glaube an die Besserungsfähigkeit des Menschen seine Wirkung. Überdies habe sich bei der Betrachtung ökonomischer Probleme heute eine Methodik und Sprache durchgesetzt, die sich deutlich von denen Heimanns unterschiede, der von „deutschen Denkmitteln“ aus der Zeit der ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts geprägt gewesen sei. Einen vierten Grund erblickt Rieter in der geistigen Nähe Heimanns zu Paul Tillich, dessen Gedankenwelt er stets die Treue hielt, während sich andere Mitstreiter aus dem Kreis der religiösen Sozialisten von Tillich emanzipiert hätten.
Ehrungen
Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Hamburg verlieh Heimann im Jahr 1948 die Ehrendoktorwürde. 1951 machte ihn die Freie und Hansestadt Hamburg zum emeritierten Ordinarius. Die Akademie für Gemeinwirtschaft widmete ihm zu seinem 70. Geburtstag eine Festschrift. 1965 verlieh der Deutsche Gewerkschaftsbund seinen Kulturpreis an Heimann.
Weblinks
- Vorlage:PND
- Text über die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Hamburg bis 1969 auf den Seiten mit Passagen über Eduard Heimann
Literatur
- Heinz Rieter: Art. Heimann, Eduard, in: Biographisches Handbuch der deutschsprachigen wirtschaftswissenschaftlichen Emigration nach 1933, hrsg. von Harald Hagemann und Claus-Dieter Krohn, unter Mitarbeit von Hans Ulrich Esslinger, Band 1 Adler – Lehmann, Saur-Verlag, München 1999, S. 242-251, ISBN 3-598-11284-X.
- Art. Heimann, Eduard, in: International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933 – 1945. Vol. II, Part 1: A – K, The Arts, Sciences, and Literature. General Editors: Herbert A. Strauss, Werner Röder, with Hannah Caplan (…), Sauer, München, New York, London, Paris, 1983, S. 447, ISBN 3598100892.
Anmerkungen
- ↑ Der Artikel stützt sich im Wesentlichen auf den in der Literaturliste genannten Beitrag von Heinz Rieter. Wo dies nicht der Fall ist, ist das gesondert gekennzeichnet.
- ↑ Ludwig Preller: Sozialpolitik in der Weimarer Republik. Kronberg, 1978. ISBN 3-7610-7210-4, S. 208 und S. 212 f.
- ↑ Helga Grebing: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Von der Revolution 1848 bis ins 21. Jahrhundert, Berlin 2007. ISBN 978-3-86602-288-1, S. 92.
- ↑ Franz Osterroth, Dieter Schuster: Chronik der deutschen Sozialdemokratie. Bd.2: Vom Beginn der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, Verlag J.H. Dietz Nachf., Hannover, 1963. ISBN 3-8012-1084-7
- ↑ Franz Osterroth, Dieter Schuster: Chronik, Bd.2, S. 213, S. 316.
- ↑ zit. nach Preller, S.218
- ↑ Preller, S.218
- ↑ Siehe Helmut Schmidt: Menschen und Mächte, Siedler, Berlin 1987, ISBN 3-88680-278-7, S. 162 f, Zitat auf S. 163. Zur Bedeutung von Eduard Heimann für Schmidt siehe auch Hartmut Soell: Helmut Schmidt. 1918 – 1969. Vernunft und Leidenschaft, Dt. Verl.-Anst., München 2003, ISBN 3-421-05352-9, S. 172. Hier auch die Kennzeichnung der Vorlesungen Heimanns als „druckreif“.
- ↑ Vgl. dazu Heinz Rieter: Art. Heimann, Eduard, in Biographisches Handbuch der deutschsprachigen wirtschaftswissenschaftlichen Emigration nach 1933, S. 248 f.
Personendaten | |
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NAME | Heimann, Eduard |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler |
GEBURTSDATUM | 11. Juli 1889 |
GEBURTSORT | Berlin |
STERBEDATUM | 31. Mai 1967 |
STERBEORT | Hamburg |