Daktyloskopie
Daktyloskopie (griech. daktylos "Finger" und skopein "betrachten") – auch Fingerabdruckverfahren genannt – ist ein zur Identifizierung von Personen eingeführtes biometrisches Verfahren in der Kriminalistik, das auf der biologischen Unregelmäßigkeit menschlicher Papillarleisten auf Händen, Fingergliedern, Fußunterseiten und Zehenunterseiten beruht. Es gibt am menschlichen Körper noch andere Stellen, an denen Papillarleisten auftreten. Sie spielen allerdings in der kriminalistischen Praxis keine oder nur eine untergeordnete Rolle, beispielsweise Papillarleisten an den Fußsohlen, an den äußeren Schamlippen, an der Penisspitze.
Hintergrund
Die Leisten und Furchen im Fingerabdruck, die sogenannten Papillarleisten, bilden sich im vierten Embryonalmonat und bleiben bis zur Zersetzung des Körpers (nach dem Tod) unverändert. Das Muster ist zum größten Teil genetisch festgelegt, wird aber auch durch Umgebungseinflüsse im Mutterbauch, beispielsweise durch Druck, Ernährung und Temperatur beeinflusst. Letzteres ist nicht eindeutig belegt. Eineiige Zwillinge haben Fingerabdrücke die sich sehr sehr ähnlich sind, aber in kleinen Details »Minutien« unterscheiden. Diese kleinen Unterschiede reichen aus, um einen Menschen eindeutig identifizieren zu können. Im Gegensatz zur allgemeinen Auffassung ist hier die Daktyloskopie der DNA-Analyse überlegen, da es im Bereich der Papillarleistenerkennung, anders als bei dem genetischen Fingerabdruck (DNA), keine falschen Identifizierungen geben kann. Dies gilt insbesondere bei eineiigen Zwillingen: diese haben die identische DNA (sind folglich bei DNA-Analyse nicht von einander zu unterscheiden), weisen aber Unterschiede an den Fingerabdrücken auf.
Beschaffenheit, Anordnung und Orientierung der Papillarleisten machen die Individualität der Fingerabdrücke aus. Dies führt zu einer Identifizierung von Personen. Die Daktyloskopen (speziell ausgebildete Kriminaltechniker der Kriminalpolizeien) sprechen einerseits von großflächigen Mustern wie Bögen, Schleifen und Wirbeln. Schaut man einen Finger genauer an und betrachtet die einzelnen Papillarleisten, sieht man andererseits auch die kleineren Merkmale: Leisten, die plötzlich enden, solche die sich verzweigen oder auch nur einzelne Striche. Diese Merkmale werden »Galton-Punkte« (nach Francis Galton) oder »Minutien« (kleinste Details) genannt. Typische Merkmale in den Papillarleisten sind Ende, Beginn, Gabelung, Augen, Inseln, Punkte, Haken, ausweichende Endstücke und einige mehr.
Verfahren
Da jeder Mensch ein eigenes Hautleistenmuster (Papillarleistenmuster) auf den Fingern besitzt, ist es möglich, dass man so die Zugehörigkeit eines Fingerabdruckes zu einem Individuum bestimmen kann.
Während auf einem vollständigen Fingerabdruck etwa 40 bis 100 Minuzien erkennbar sind, müssen sich Kriminalisten oft mit weniger Vergleichspunkten begnügen, weil solche »latenten« Fingerabdrücke oft nur noch in Bruchstücken vorhanden sind.
Die Formel, mit der ein Fingerabdruck ausgewertet wird, enthält bis zu 1.000 Zeichen und Ziffern. Erfasst werden nur etwa 40 Mustermerkmale, weshalb die Iriserkennung und die Gesichtserkennung heute immer öfter verwendet werden. Verletzungen und Schweiß verändern nicht den Fingerabdruck, bereiten jedoch Probleme bei der Identifizierung. Der Vorteil liegt darin, dass bereits Abdrücke von über drei Millionen Personen in den Computern des Bundeskriminalamtes gespeichert sind (AFIS).
Sicherung

Notwendig für eine Spurenauswertung ist das Sichtbarmachen der Fingerabdrücke, also das Erzeugen eines optischen Kontrastes zur Spurenträgeroberfläche.
Je nach Beschaffenheit der Oberfläche werden dazu physikalische oder chemische Verfahren verwendet. Vor allem bei der Suche außerhalb von Spurensicherungslaboren ist immer noch die Anwendung von Spurensicherungspulvern gebräuchlich, die adhäsiv an den Substanzen der Fingerspur haften. Sie werden jedoch zunehmend durch andere Techniken ersetzt. Ein Beispiel dafür ist den Fingerabdruck mit einer methanolischer Silbernitratlösung zu besprühen und unter UV Licht zu betrachten. Erwähnenswert sind hier auch das Ninhydrin und DFO (1,8 Diaza-9-fluorenon) für Papiere sowie die Cyanacrylatbedampfung oder die Hochvakuum-Metallbedampfung für die sogenannten "nichtsaugenden" Oberflächen. Für wertvolle Gemälde und Bücher werden Bakterien der Art Acinetobacter calciacatieus verwendet. Sie werden zusammen mit einem Nährgel aufgetragen, wachsen auf den Schweißspuren und können nachdem der Fingerabdruck sichtbar geworden ist rückstandsfrei entfernt werden.
Geschichte
Das Fingerabdruckverfahren ist das älteste aller biometrischen Verfahren. Schon im Jahre 1858 kam Sir William James Herschel (1833-1917), britischer Kolonialbeamter und Offizier in Bengalen (Indien), auf die Idee, Personen anhand ihrer Fingerabdrücke zu unterscheiden. Er registrierte damit Zahlungsempfänger um Identitätsschwindel zu verhindern. Er ließ auf diese Weise auch neu eingelieferte Straftäter erkennungsdienstlich erfassen und versuchte außerdem Pensionsbetrug durch Mehrfachauszahlungen in der britischen Kolonialarmee zu unterbinden. Trotz seiner Erfolge in Indien gelang es ihm nicht, dieses System im gesamten britischen Empire durchzusetzen.
Etwa zur gleichen Zeit gelangte, unabhängig von Herschel, ein in Japan lebender Engländer namens Henry Faulds, nach eingehenden Untersuchungen der menschlichen Hautleisten zu den gleichen Erkenntnissen. Er machte 1880 den Vorschlag, die Fingerabdrücke am Tatort zur Überprüfung von Verbrechern zu nutzen und dafür alle zehn Finger zur Aufnahme von Fingerabdrücken zu daktyloskopieren. Seine Bemühungen führten jedoch zu keinem Erfolg.
Als wesentliches Problem wurde gesehen, dass eine durchgängige und einfache Klassifizierung gewonnener Fingerabdrücke noch nicht gelungen war und daher die praktische Verwendung durch Polizeibehörden im Erkennungsdienst skeptisch betrachtet wurde. Ohne Klassifizierungssystem würde das Herausfinden eines bestimmten Fingerabdrucks aus einer Sammlung von Abdruckblättern den Vergleich eines am Tatort gewonnenen Abdrucks mit sämtlichen in einer polizeilichen Sammlung vorhandenen Abdruckblättern erfordern. Demgegenüber bestand zugunsten der Bertillonage vorübergehend noch der Vorteil, dass jene über ein Klassifizierungssystem verfügte, welches das Herausfinden des Datenblattes auch einer umfangreichen Sammlung binnen weniger Minuten ermöglichte.
Dem Engländer Francis Galton (1822-1911) war es vorbehalten, das im wesentlichen heute noch verwendete Klassifizierungssystem der Daktyloskopie zu entwickeln, die der praktischen Verwendung als Identifizierungsmittel bei Polizeibehörden den Weg ebnete.
Ende des 19. Jahrhunderts hatte der britische Forscher Edward Henry zusammen mit zwei indischen Assistenten die Muster klassifiziert und im sogenannten »Henry-System« erfasst. Diese Codierung, sozusagen das Handlinien-Alphabet, ermöglicht den Experten erst einen Vergleich von individuellen Fingerabdrücken.
Heute erstellt das Automatische Fingerabdruck-Identifikations-System AFIS mit Hilfe von Computern eine geometrische und topografische Analyse des Fingerabdrucks, den die Polizei am Tatort aufgenommen hat (latenter Fingerabdruck), und vergleicht das Ergebnis mit den im Archiv gespeicherten Fingerabdrücken.
Nachdem 1892 in La Plata (Argentinien) weltweit erstmals ein Doppelmord mit Hilfe eines Fingerabdrucks aufgeklärt wurde, sorgte der Kriminologe Ivan Vucetic (1858-1925) im Jahr 1896 für die landesweite Einführung der Daktyloskopie und gründete das Büro für Statistik und Erkennungswesen in La Plata. Argentinien war somit das erste Land der Erde, das die Daktyloskopie als Identifizierungssystem einführte.
Die Einführung der Daktyloskopie in Europa war dagegen nicht unumstritten, da ab Mitte der 1880er Jahre die Bertillonage in vielen Ländern Europas eingeführt worden war. Der Erfolg der Daktyloskopie war jedoch nicht mehr aufzuhalten und so wurde das Verfahren in Großbritannien im Jahre 1901 eingeführt. In Frankreich wurde das Verfahren 1914 eingeführt, das bis zu diesem Zeitpunkt an der Bertillonage festgehalten hatte.
Weblinks
- Kleine Historie der Daktyloskopie Information des Bundeskriminalamts
- Francis Galton: Fingerprints, Macmillan, 1892.
- Francis Galton: Decipherment of blurred fingerprints, Macmillan, 1893.
- Francis Galton: Fingerprint Directories, Macmillan, 1895.
- The Science of Fingerprints, FBI, (Federal Bureau of Investigation) aus dem Projekt Gutenberg
- Francis Galton
Literatur
- P. Voss-de Haan: Physik auf der Spur - Kriminaltechnik heute. Wiley-VCH, Berlin 2005, ISBN 3-527-40516-X.
- Udo Amerkamp: Spezielle Spurensicherungsmethoden -Verfahren zur Sichtbarmachung von daktyloskopischen Spuren-, 158 Seiten, Frankfurt am Main, Verlag für Polizeiwissenschaft, 2002, ISBN 3-935979-02-9