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Nathan der Weise

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Nathan der Weise ist ein dramatisches Gedicht in fünf Akten von Gotthold Ephraim Lessing, veröffentlicht 1779, uraufgeführt 1783. Es ist in fünfhebigen jambischen Versen verfasst. Der "Nathan" ist eigentlich der letzte Anti-Goeze, Lessings Auseinandersetzung mit dem Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze. Lessings Beschäftigung mit dem Stoff reicht aber nachweislich bis ca. 1750 zurück.

Kern des Stückes, die Erzählung der "Ringparabel" vor dem Sultan (siehe unten), wird bereits bei Giovanni Boccaccio in dessen Geschichtensammlung "Dekameron" berichtet, reicht aber tatsächlich bis etwa um 1100 zurück, wo sie von spanischen Juden erfunden wurde.

In der Figur Nathans des Weisen setzte Lessing seinem Freund Moses Mendelssohn ein literarisches Denkmal.

Von historischem Interesse für die Entstehung des Stückes ist auch die Auseinandersetzung mit Hermann Samuel Reimarus im Fragmentenstreit.

Nathan der Weise beim RECLAM-Verlag

Inhalt

Die Handlung spielt zur Zeit der Kreuzzüge (Dritter Kreuzzug) in Jerusalem. Als der Jude Nathan von einer Geschäftsreise zurückkommt erfährt er, dass seine Tochter Recha von einem christlichen Tempelherrn aus einem Feuer gerettet wurde. Dieser Tempelherr verdankt sein Leben der Begnadigung durch den muslimischen Herrscher, Sultan Saladin. Dieser hatte ihn begnadigt, weil er seinem (des Sultans) verstorbenen Bruder Assad ähnlich sah. Nathan überredet/überzeugt den Tempelherrn zu einem Besuch, um den Dank seiner Tochter entgegenzunehmen.

Sultan Saladin hat Geldsorgen, deshalb plant er Nathan eine Fangfrage zu stellen und dessen Antwort zu nutzen, um Geld von ihm zu bekommen. Er fragt Nathan nach der "wahren Religion". Dieser antwortet mit der Ringparabel (siehe unten).

Der davon tief beeindruckte Sultan bittet daraufhin, Nathans Freund sein zu dürfen.

Der Tempelherr hat sich unterdessen in Recha verliebt und möchte sie heiraten, obwohl sie die Tochter eines Juden ist. Als er aber herausfindet, dass Recha adoptiert ist und ihre leiblichen Eltern Christen waren, wendet er sich an den Patriarchen von Jerusalem. Dieser versucht daraufhin, Nathan eine Falle zu stellen. Am Ende stellt sich heraus, dass Recha und der Tempelherr Geschwister und die Kinder von Assad sind. Nathan, der kein leiblicher Verwandter ist, wird als Vater im Sinne der Seelenverwandtschaft anerkannt.

Ringparabel

In der Schlüsselszene des Dramas lässt Saladin, der muslimische Eroberer Jerusalems, Nathan zu sich rufen und legt ihm die Frage vor, welche der drei monotheistischen Religionen er denn für die wahre halte. Aus Gründen, die hier im einzelnen außer Betracht bleiben können (die aber viel mit Nathans berechtigter Sorge um sein eigenes Leben und das seiner Tochter zu tun haben dürften), nimmt Nathan davon Abstand, die eigene Religion (das Judentum) für die einzig wahre zu erklären. Statt dessen antwortet er mit einem Gleichnis. In diesem Gleichnis besitzt ein Mann ein wertvolles Familienerbstück: einen Ring, der über die magische Eigenschaft verfügt, seinen Träger „den Menschen angenehm“ zu machen. Dieser Ring wurde über viele Generationen hinweg vom Vater auf den Sohn vererbt, und zwar (falls mehrere Söhne vorhanden waren) stets an jenen, den der Vater am meisten liebte. Nun hat aber der Mann, von dem die Erzählung handelt, drei Söhne, die ihm alle gleichermaßen lieb sind, sodass er nicht weiß, wem von den dreien er den Ring hinterlassen soll. Schließlich behilft er sich, indem er von einem Goldschmied zwei weitere Ringe herstellen lässt, die beide dem ursprünglichen Ring aufs Haar gleichen. Er hinterlässt jedem Sohn einen Ring, wobei er jedem versichert sein Ring sei der echte. Nach dem Tode des Vaters kommt es zum Rechtsstreit. Die drei Söhne ziehen vor den Kadi und verlangen, er solle feststellen, welcher von den drei Ringen der echte sei. Der Richter aber ist außerstande dies zu ermitteln. So erinnert er die drei Männer daran, dass der echte Ring die Eigenschaft habe, den Träger bei allen anderen Menschen beliebt zu machen; wenn aber dieser Effekt bei keinem der drei eingetreten sei, dann könne das wohl nur heißen, dass der echte Ring verlorengegangen sein müsse. Jedenfalls solle ein jeder von ihnen trachten, die Liebe aller seiner Mitmenschen zu verdienen; wenn dies einem von ihnen gelinge, so sei er der Träger des echten Ringes

Wirkung und Diskussion der Ringparabel

Die Ringparabel gilt als ein Schlüsseltext der Aufklärung und als pointierte Formulierung der Toleranzidee. Dem zugrunde liegt die Analogie, dass der Vater für Gott, die drei Söhne für die drei Religionen (Christentum, Islam und Judentum) und der Richter für Nathan selbst stehen. Die Aussage der Parabel wäre demnach, dass Gott die drei Religionen gleichermaßen liebe. Eine andere Interpretation ist, dass Gott die Religion am meisten liebe, die von allen Menschen angenommen und respektiert wird und die alle Menschen eint.

Gleichermaßen lässt sich auch außerhalb der Aufklärung die Bedeutung finden, dass die "Wahrheit", also die wahre Gottesschau (in diesem Fall hinter dem christlichen Charisma- und Liebessymbol versteckt) tatsächlich verloren gegangen ist (so sie denn jemals in expliziter Form vorlag und nicht nur als implizite Offenbarung). Die Religionen als Gruppierungen, welche diesem Ideal zustreben, seien ihm ähnlich nah aber gleichzeitig auch ähnlich fern. Die Tradition, immer dem "liebsten" Sohn die Wahrheit zu vererben lässt sich deuten als Verweis auf das Prophetenwesen, weshalb die Ähnlichkeit der abrahamitischen Religionen untereinander und des gesamten Monotheismus (welcher näher an der Wahrheit liegt als Animismus oder Polytheismus, vermutlich ferner als der Pantheismus) zu Recht postuliert wird. Mit der Parabel jedoch wird auch unterstellt, man müsse das Wirken Gottes an seinen Resultaten in der Welt festmachen können, um ihnen Sein zuzuweisen.

Zur Vorgeschichte der Ringparabel, siehe die Erzählung von Saladins Tisch bei Jans dem Enikel (13. Jahrhundert).

Literatur

  • Hans-Ulrich Lindken: Erläuterungen zu Gotthold Ephraim Lessing, Nathan der Weise. 5. Auflage. Bange 1987. ISBN 3-8044-0225-9
  • Hans Ritscher: Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise. 9. Auflage. Diesterweg 1979. ISBN 3-425-06380-4
  • Timotheus Will: Lessings dramatisches Gedicht Nathan der Weise und die Philosophie der Aufklärungszeit. Schöningh 1999. ISBN 3-506-75069-0

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