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Ernst Lossa

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Ernst Lossa (* 1. November 1929 in Augsburg; † 9. August 1944 in Irsee) wurde in der Zeit des Nationalsozialismus in der Zweiganstalt Irsee der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren im Alter von 14 Jahren mit einer Giftspritze ermordet.

Leben

Kindheit

Lossas Mutter starb 1933, als er vier Jahre alt war. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden sein Vater, zwei Brüder des Vaters und andere Verwandte 1939 von den Nationalsozialisten in das Konzentrationslager Dachau (KZ Dachau) gebracht. Nach der nationalsozialistischen Rassenlehre wurden sie als Zigeuner und Hausierer verfolgt. Lossas Vater starb nach unterschiedlichen Berichten im KZ Mauthausen oder im KZ Flossenbürg.

Die Kinder – Lossa und zwei Schwestern – wurden von den Nazis in einem Kinderheim in Augsburg-Hochzoll untergebracht. Lossa beging dort in der Schule viele Diebstähle.[1]

Jugenderziehungsheim Indersdorf

Im Februar 1940 kam Lossa wegen Unerziehbarkeit in das Jugenderziehungsheim Indersdorf bei Dachau, wo es weiterhin Schwierigkeiten mit ihm gab und ihm unter anderem zahlreiche Diebstähle vorgehalten wurden. Es wurde ein Psychiatrisches Gutachten erstellt, in dem es zusammenfassend hieß, dass es sich bei Lossa „zweifellos um einen an sich gutmütigen, aber völlig willenlosen, haltlosen, fast durchschnittlich begabten, triebhaften Psychopathen“ handele.[2]

Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren

Lossa wurde daraufhin im April 1942 zwangsweise in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren eingewiesen, in der nach dem „offiziellen“ Ende der Euthanasie im Rahmen der sogenannten „wilden Euthanasie“ unter anderem auch gezielte Tötungen von Häftlingen vorgenommen wurden. Diese Euthanasiemorde erfolgten mit überdosierten Medikamenten oder durch Verhungernlassen durch Unterernährung.

  • Siehe auch nachfolgenden Abschnitt 'Hintergrund'.

Lossa wurde am 20. April 1942 aufgenommen; in dem Formular mit seiner „Krankengeschichte“ wurde als Einlieferungsgrund das Psychiatrische Gutachten angegeben. Er verhielt sich weiterhin auffällig und unangepasst; wurde aber nach späteren Aussagen von (ehemaligen) Mitarbeitern der Heil- und Pflegeanstalt auch geschätzt, weil er liebenswürdig und hilfsbereit war. Er versuchte öfters, hungernden Kranken Nahrungsmittel zu geben, die er zuvor gestohlen hatte.

Von den Mitarbeitern wurde später auch ausgesagt, dass Lossa das gesamte System in Kaufbeuren durchschaut hatte und von den gezielten Tötungen in der Anstalt wusste. Sie vermuteten deshalb, dass das den Verwaltungsleiter Josef Frick und wohl auch den Ärztlichen Leiter Valentin Faltlhauser zusätzlich für die Tötung von Lossa motiviert habe.

Er wurde in die Zweiganstalt Irsee verlegt. In den Strafprozessen, die in der Nachkriegszeit stattfanden, wurden unter anderem auch Lossas „Entlassungunterlagen“ vorgelegt. Dort ist Folgendes zu lesen: In der Zeile mit „Entlassen am“ ist der „9.8.44“ eingetragen, der nächste Begriff „nach“ ist durchgestrichen und statt eines neuen Ortes ist dort „Euthanasiert!“ eingetragen worden.[3]

Zweiganstalt Irsee

Wegen vorgeblicher Erkrankung kam Lossa in die Zweiganstalt Irsee, wo er am 9. August 19944 mit einer Giftspritze ermordet wurde. In seinem „Leichenschauschein“ wurde als „Grundleiden“ Asocialer Psychopath eingetragen, unter „Todesursache“ Bronchopneumonie (107) und als „Sterbeort“ Anstalt Irsee.[4] Ausgestellt wurde der Leichenschauschein durch den stellvertretenden ärztlichen Leiter von Kaufbeuren und Oberarzt von Irsee, Dr. Gärtner. Nach Ende des Krieges tötete Gärtner am 1.  Juli 1945 zunächst seine Tochter mit Morphium und dann sich selbst durch Erhängen.[5]

In seiner späteren Zeugenaussage erklärte ein Krankenpfleger, dass er sich geweigert habe, Lossa mit Luminal totzuspritzen. Er habe danach beobachtet, wie die Krankenpflegerin Pauline Kneissler im Beisein von Faltlhauser und Frick eine Spritze verabreichte, wobei Lossa eingeredet wurde, es sei eine Impfung gegen Typhus. [6]

Nachkriegszeit

  • 1945: Die Amerikaner machen Ermittlungen zur Pflegeanstalt Kaufbeuren, und befragten Mitarbeiter gezielt zu Lossa.
  • 1948: In Kempten im Gerichtsprozess gegen den NS-Euthanasie-Arzt Valentin Faltlhauser spielt das Schicksal von Lossa exemplarisch eine große Rolle.
  • 1999: Exemplarische Buchwidmung auf Seite 3: Für Ernst Lossa Ernst Lossa starb am 9.8.1944 14jährig nach 28 Monaten Aufenthalt in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren durch eine todbringende Spritze. Er war mehrmals in die Vorratskammer des Krankenhauses eingebrochen, um an Patienten, die zum Zweck ihrer Vernichtung der Hungerkost ausgesetzt waren, Lebensmittel zu verteilen. Ernst Lossa hatte den Mut zu helfen. [7]
  • 1999: Die Ausstellung IN MEMORIAM wird erstmals in Hamburg gezeigt. [8]
  • 2002: Eine Wohnanlage für Behinderte in Haltern am See nennt sich Ernst-Lossa-Haus. [9]
  • 2004: ORF Science Bericht zu Ernst Lossa: Ein Fall von 200.000 anläßlich der Ausstellung IN MEMORIAM im Museumsquartier in Wien. [10]
  • 2004: KrankenpflegeschülerInnen aus Kaufbeuren stiften ein Ernst-Lossa-Stipendium für drei junge Menschen in Rumänien. [11]
  • 2007: Die Stadt Augsburg benennt im Ortsteil Pfersee eine Straße im Bereich der ehemalige Sheridankaserne auf Ernst-Lossa-Strasse. [12]

Hintergrund

Kaufbeuren

Seit 1939 wurde in einem nordöstlich von Kaufbeuren gelegenen Waldgebiet eine Fabrik der Dynamit AG, vormals Alfred Nobel u. Co, für die Versorgung der deutschen Kriegswirtschaft mit Munition aufgebaut. Dort wurden Zwangsarbeiter aus dem nahegelegenen Konzentrationslager Riederloh in Steinholz bei Mauerstetten, einer Außenstelle des KZ Dachau, eingesetzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand auf den Trümmern des Gebietes der heutige Stadtteil Neugablonz, gegründet von sudetischen Vertriebenen aus Gablonz an der Neiße. Siehe auch weitere Hinweise zur Heil- u. Pflegeanstalt (1939-45) im Hauptartikel: Die Euthanasiemorde im Dritten Reich oder Aktion T4

E-Kost

Schon 1931 wurde zu Kaufbeuren berichtet, dass die Kost noch ausreichend ist, da noch keine Gewichtsabnahme bei Patienten zu registrieren sei, aber es gäbe bittere Klagen über die Kost. 1933 berichtet Faltlhauser, dass bei Sachausgaben die Grenze der Senkungsmöglichkeit erreicht, ja bereits überschritten sei. Die genannte Hungerkost oder Entzugskost (E-Kost) wurde nach einem Beschluss der Bayerischen Direktorenkonferenz vom November 1942 eingeführt, und ist zu Kaufbeuren gut dokumentiert. Entzugs-Kost, bedeutet Kost ohne Fett. [13]

Dass es um gesundheitliche Schädigung und Tötungsabsicht ging, zeigte sich auch daran, dass nach Wochen strengen Hungers ohne Brot, die sogenannten E-Köstler, plötzlich an Sonn- und Feiertagen, oder zu Parteifesten, reichlich Nahrung erhielten, so dass sie Durchfall und andere Krankheitserscheinungen bekamen. [14] Wie auch, dass Verwalter Josef Frick ausgerechnet am Aschermittwoch und Karfreitag E-Köstlern Fleisch verabreichen ließ. [15]

Literatur

  • Michael von Cranach: Die Psychiatrie in der Zeit des Nationalsozialismus. Schwabenakademie, Irsee 1990. (Wissenschaftl. Schrift)
  • Gernot Römer: Für die Vergessenen. KZ-Außenlager in Schwaben - Schwaben in Konzentrationslagern. Taschenbuchausg., Wißner-Verlag, Augsburg 1996, ISBN 3-89639-047-3. (S. 18-32: „Die grauen Busse in Schwaben“)
  • Michael von Cranach, Hans-Ludwig Siemen (Hrsg.): Psychiatrie im Nationalsozialismus. Die Bayerischen Heil- und Pflegeanstalten zwischen 1933 und 1945. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 1999, ISBN 3-486-56371-8. (Aufsatzsammlung; S. 475-486: „Lossa“)
  • Michael von Cranach, L&L, Autoren und Künstler: IN MEMORIAM (Lossa, Ernst). Ausstellung in Gedenken an die Opfer des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms aus Anlass des XI. Weltkongresses für Psychiatrie in Hamburg. 1999. Ausstellungskatalog deutsch english. Bezirkskrankenhaus D-87600 Kaufbeuren.

Einzelnachweise

  1. Michael von Cranach, Hans-Ludwig Siemen (Hrsg.): Psychiatrie im Nationalsozialismus; zu Lossa siehe unter anderem S. 475: Ernst Lossa, Eine Krankengeschichte; S. 477: Foto des Jungen; S. 478: Biographie (s. Literatur)
  2. Michael von Cranach, Hans-Ludwig Siemen (Hrsg.): Psychiatrie im Nationalsozialismus; S. 478: Biographie; S. 479f: Krankengeschichte (s. Literatur)
  3. Michael von Cranach, Hans-Ludwig Siemen (Hrsg.): Psychiatrie im Nationalsozialismus; zu Lossa siehe S. 475: Ernst Lossa, Eine Krankengeschichte; S. 478: Biographie; S. 479f: Krankengeschichte (s. Literatur)
  4. Michael von Cranach, Hans-Ludwig Siemen (Hrsg.): Psychiatrie im Nationalsozialismus; zu Lossa siehe S. 482: Leichenschauschein (siehe Literatur)
  5. Michael von Cranach, Hans-Ludwig Siemen (Hrsg.): Psychiatrie im Nationalsozialismus; zu Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren siehe S. 309 (s. Literatur)
  6. Michael von Cranach, Hans-Ludwig Siemen (Hrsg.): Psychiatrie im Nationalsozialismus; zu Lossa siehe S. 484: Zeugenaussage eines Krankenpflegers (s. Literatur)
  7. Buch Psychiatrie im Nationalsozialismus. Die Bayerischen Heil- und Pflegeanstalten zwischen 1933 und 1945 siehe Literatur
  8. IN MEMORIAM (Lossa, Ernst). Ausstellung in Gedenken an die Opfer des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms. Siehe Literatur
  9. Ernst Lossa Haus Wohnanlage für Behinderte in Haltern
  10. Onlineauftritt SCIENCE.ORF.at IN MEMORIAM: Ernst Lossa: Ein Fall von 200.000
  11. Jahresbericht 2004 des Europabüros beim Bezirk Schwaben Ernst Lossa Stipendien von und für Krankenpflegeschüler, Seite 8
  12. Onlineauftritt Ortsteil Pfersee Entscheidung zur Ernst Lossa Strasse
  13. Michael von Cranach, Hans-Ludwig Siemen (Hrsg.): Psychiatrie im Nationalsozialismus. Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren. Seite 269, Seite 287ff. siehe Literatur.
  14. Michael von Cranach, Hans-Ludwig Siemen (Hrsg.): Psychiatrie im Nationalsozialismus. Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren. Seite 290f Aussagen des Oberpflegers Karl Eisenschmid 1.5.1948 und des Pflegers Max Besold 3.5.1948 im Beschuldigtenverfahren gegen Verwaltungsinspektor Josef Frick, LG Kempten.
  15. Michael von Cranach, Hans-Ludwig Siemen (Hrsg.): Psychiatrie im Nationalsozialismus. Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren. Seite 291 Aussage des Franziskaner Paters Clemens Kesser, 1942-1945 Krankenseelsorger der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren, in der Zeugenvernehmung zu Max Besold.