Venetische Sprache (romanisch)
Venezianisch | ||
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Sprecher | 2,2 bis 5 Millionen | |
Linguistische Klassifikation |
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Sprachcodes | ||
ISO 639-1 |
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ISO 639-2 | (B) – | (T) – |
Venezianisch (ven: vèneto oder Łéngoa vèneta) ist eine romanische Sprache, die von fünf Millionen Sprechern in Venedig und der Region Venetien sowie in Istrien und im Tretin gesprochen wird. Venezianisch gehört zur Gruppe der norditalienischen Dialekte. Da es besonders tiefgreifende Unterschiede zum Standarditalienischen aufweist, wird es zuweilen als eigenständige Sprache bezeichnet.
Die Einwohner Venetiens unterscheiden in der Regel zwischen vèneto (d.h. venezianisch im weiteren Sinne, wörtlich "venetienisch") und venesiàn (d.h. venezianisch genau genommen, wörtlich "venedigisch"). Vèneto nennt man die Sprache, welche in der gesamten Region Venetien gesprochen wird, einschließlich ihrer lokalen Varietäten. Venesiàn ist die Varietät des vèneto , die nur in der Stadt Venedig vorkommt.
Am 28. März 2007 wurde Vèneto mit dem Gesetz über die „tutela e valorizzazione della lingua e cultura veneta“ von der überwiegenden Mehrheit des Regionalrats Venetien als Sprache anerkannt.
Venezianisch darf nicht verwechselt werden mit dem Venetischen, einer ausgestorbenen Sprache, die in der Region Venetien bis zum sechsten Jahrhundert vor Christus gesprochen wurde und als Substratsprache Einfluss hatte auf das in dieser Region gesprochene Latein und damit auch auf den venezianischen Dialekt.
Klassifikation
Venezianisch geht wie alle anderen romanischen Sprachen auf das Lateinische zurück. Mit der Gruppe der norditalienischen Dialekte gehört es zu den westromanischen Sprachen nördlich der Linie La Spezia-Rimini, daher ist die Verwandtschaft des Venezianischen mit Französisch und Spanisch teilweise größer als mit der italienischen Standardsprache (z.B. Pluralbildung mit s statt mit Vokalveränderung). Bisweilen bezeichnen auch die Venezianer selbst ihren Dialekt als "spanischen" Dialekt Italiens, da einige (vor allem phonetische) Merkmale denen des Spanischen ähneln.
Die venezianische Sprache hat gemäß ISO 639-3 den Code „vec“.
Merkmale
Von der italienischen Standardsprache unterscheidet sich das Venezianische lautlich besonders auffällig dadurch, dass "dz" anstelle des ital. "dsch" gesprochen wird, sowie durch das Fehlen der typisch italienischen Konsonantenverdoppelung (z.B. Zanipólo für Giovanni e Paolo).
Wie in vielen Sprachen gibt es im Venezianischen klitische oder unbetonte Pronomina für Dativ und Akkusativ (ghe ło digo =ich sage es ihm, span. "se lo digo", it. "glielo dico"). Daneben gibt es aber auch Subjektklitika für den Nominativ, die obligatorisch sind (z.B. el varda =er betrachtet, er sieht an, it."guarda", span. "mira", fr."il regarde") und interrogative Klitika die wie Endungen verwendet werden (vàrdeło? =sieht ER an? ; vàrdito? / vàrdi(s)tu? =siehst DU an?). Die Subjektsklitika existieren in der italienischen Sprache nicht. Sie werden auch verwendet, wenn das Subjekt im Satz sichtbar ist: Marco el varda ła strada (Mark "er" sieht die Straße an), Ti vientu? (Du kommst-du?) , 'Sa vàrdito ti? (Was betrachtest-du du?) , 'Sa vàrdeło Marco? (Was betrachtet-er Mark?, Was sieht Mark an?).
Im Venezianischen gibt es wie auch im Deutschen das unpersönliches Passiv mit dem Hilfverb xe stà=gh'è stà (wurde / ist...worden). Zum Beispiel:
- xe stà parlà de ti = wörtl. "es wurde über dich gesprochen"
- gh'è stà tełefonà al dotor? = wörtl. "wurde der Arzt angerufen?"
In vielen Wörtern gibt es Vokalveränderungen (Umlaut), vor allem bei Substantiven und Verben, die auf -i enden. Die geschlossenen mittleren Vokale ó/é werden dabei zu den hohen Vokalen u/i:
- córo "ich renne", curi "renn!". Aber: coro "Chor", cori "Chöre" (kein Umlaut, da mit offenem "o")
- canton =cantón "Ecke", cantuni "Ecken"
- tóco "ich berühre", te tuchi "du berührst". Aber: toco "Stück", tochi "Stücke" (mit offenem o)
- véro =viéro "Glas, Fenster", viri "Gläser". Aber: vero "wahrer", veri "wahre" (mit offenem e)
- védo "ich sehe", te vidi "du siehst", vedivi "ihr saht"
Manchmal unterliegt auch der vorletzte Vokal einer Veränderung:
- moménto "Moment, Augenblick", muminti
- dotór "Doktor, Arzt", duturi
In einigen Varianten und in den Städten gibt es die Umlautbildung nicht und es kommt die "italienische" Form zur Anwendung: te védi (it. "vedi"), cori (it. "corri!"), te tóchi (it. "tocchi"), dotóri (it. "dottori").
Geographische Verbreitung
Venezianisch wird gesprochen in den italienischen Provinzen Venezia, Padova, Treviso, Vicenza, Verona, Rovigo, Trieste und in Teilen von Belluno sowie in einigen Gebieten von Slowenien und Kroatien (Istrien und Dalmatien, einst auch in Montenegro). Die venezianische Sprache hatte große Einflüsse auf den heutigen ikavisch-dalmatinischen Dialekt der kroatischen Sprache. Als Auswirkung der starken Auswanderung aus der Region nach Amerika im 19. Jahrhundert wird es ebenso in Nord- und Südamerika gesprochen, etwa in der Stadt Chipilo in Mexiko oder in Brasilien in der Region Rio Grande do Sul.
Sprachgeschichte
Das Venezianische hatte zur Zeit der venezianischen Republik ein großes Prestige. Ein bemerkenswertes Dokument ist der Reisebericht des Marco Polo in der venezianischen Übersetzung (die Originalfassung stammt von Rustichello da Pisa und ist in frankoprovenzalischer Sprache geschrieben). Weitere bekannte Schriftsteller, die in venezianischem Dialekt geschrieben haben, sind Marin Sanudo (1466-1536) und Andrea Calmo (1509-1570). Starken Einfluss nahm das Venezianische auch als Lingua franca auf die Handelssprache im Mittelmeerraum zur frühen Neuzeit. Im Lauf der Sprachgeschichte wurde das Venezianische als Schriftsprache durch das Toskanische verdrängt, das vor allem durch Dante Alighieri, Giovanni Boccaccio und Francesco Petrarca an Prestige gewann. Literarische Bedeutung erlangte das Venezianische erst im 18. Jahrhundert durch die Theaterstücke von Carlo Goldoni als Vorbild der italienischen Commedia dell’arte. Heute wird Venezianisch als diaphasische Varietät vor allem im informellen Kontext verwendet.
Textbeispiel
Aus dem Matthäusevangelium; Übersetzung von Gianjacopo Fontana (1859):
In sto tempo xe venguno Zuane el Batista a predicar in tel deserto de la Giudea, disendo: fè penitenza: perché el xe qua arente el regno dei cieli. Perché questo xe l'omo, che aveva parlà el profeta Isaia, col ga dito: ose de chi ciga in tel deserto: preparè la strada del signor: fè dreti i so trozi. Lu istesso po Zuane aveva indosso un abito de pelo de cameli, e una cintura de pele ligada ai so fianchi: e nol magnava altro che cavalete, e miel selvadego. Alora andava da lu Gerusalemme, e tuta la Giudea, e tuto el paese atorno del Giordano; e i gera batizai da lu in tel Giordano, confessai i so pecai. Ma col ga visto a vegnir a batizarse da lu tanti farisei, e Caducei, el ga dito a lori: razza de vipere, che ve ga insegnà a scampar da la colera futura? Fè donca fruto degno de penitenza.
Literatur
- Gianna Marcato & Flavia Ursini: Dialetti veneti. Grammatica e storia. Padova 1998. ISBN 88-8098-057-2
- Zamboni, Alberto : Italienisch:Areallinguistik IV a) Venezien, in: Lexikon der romanistischen Linguistik (LRL) vol. 4, 1988, 517-538.
- Boerio, Giuseppe, Dizionario del dialetto veneziano, Venezia 1829.
Weblinks
- Venezianisch auf den Seiten des wissenschaftlichen Netzwerks Orbis Latinus (engl.)
- Eintrag zur istrovenezianischen Sprache in der Enzyklopädie des Europäischen Ostens
- Sitoveneto — Auskunft über die Sprache, auf Italienisch, Englisch und "Venezianisch".
- kurze Beschreibung
- Tornén un pas indrìo! — Vèneto geschrieben und gesprochen
- Vèneto Arkìvio
- Grammatik der Venetianischen Sprache und ihrer Varianten
- Raixe Venete
- Ethnologue