Anarchie
Der Begriff Anarchie (griech. ἀναρχία, "Herrschaftslosigkeit"; Kompositum aus α privativum und ἀρχή, "Herrschaft") bezeichnet einen Zustand von Abwesenheit von Herrschaft.
Übersicht
Wenn der Begriff in größeren Zusammenhängen verwendet wird, bezeichnet Anarchie auch eine auf sozialen und philosophischen Ideen basierende Gesellschaftsordnung. Anarchie bedeutet, dass jeder Mensch sich ohne unterdrückende Autorität und in freier Assoziation mit anderen Menschen entfalten kann. Freiwillig angenommene Autoritäten, wie etwa Mentoren, Trainer oder Ratgeber, sind mit der Idee einer herrschaftsfreien Ordnung kompatibel.
Die Anarchie negiert indes jegliche Autorität, sei es mit oder ohne staatliche Gewaltenteilung: Es existieren weder eine Exekutive (ausführende), eine Judikative (richterliche) noch eine Legislative (gesetzgebende) Gewalt, somit also kein Staat. Vielmehr wollen die Anarchisten die Gesellschaft selbst regeln, etwa über Räte, freie Übereinkunft oder rein funktionale Entscheidungen. Eine solche Organisationsstruktur ist per Definition hierarchie- und gewaltfrei und sollte nicht mit einer herkömmlichen Administration verwechselt werden.
Eine anarchische Gesellschaft im Sinne des Anarchismus ist eine Gesellschaft, in der jeder Mensch selbst bzw. in Kooperation mit anderen für die eigenen Lebensumstände Verantwortung übernimmt. Es gibt keinerlei lenkende Zentralgewalt. Sanktionen gehen nicht von einer Führungsschicht aus, sondern sind nur möglich, wenn vorher vereinbarte Regeln verletzt wurden [1], mit den Worten von Pierre Joseph Proudhon: "Anarchie ist Ordnung ohne Herrschaft."
Geschichte
Die Gedankengänge zur Anarchie entstanden bereits im Altertum. Der eigentliche Begriff Anarchie entstand jedoch erst im 19. Jahrhundert als Gegenbewegung bzw. als politisches Gegenkonzept zur Monarchie und zur Demokratie. Als real existierende Beispiele können der Spanische Anarchismus während des Spanischen Bürgerkriegs 1936-1939 und die Freistadt Christiania in Kopenhagen genannt werden. Auch die Machnowschtschina oder Machno-Bewegung, eine anarchistische Bauern- und Partisanenbewegung, die zwischen 1917 und 1922 während des russischen Bürgerkrieges in der Ukraine aktiv war, gilt als anarchistische Organisierung. Sie kontrollierte über einige Jahre hinweg große Teile des Landes, wo sie vom Anarchismus propagierte Gesellschaftsstrukturen verwirklichte. Auch die Regenbogentreffen gelten als praktisch gelebte Anarchie.
Betrachtungsweisen
Es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, was Herrschaft ist. Herrschaft, wie wir sie kennen, ist keine zeitlose Institution. Neben und vor allem vor dem Aufkommen der Herrschaft moderner Staaten gab es Anarchie. Noch bei manchen rezenten "Naturvölkern" (in der Ethnologie stark umstrittener Ausdruck) kann von einer Herrschaft Einzelner keine Rede sein. Die Mbuti etwa lebten ohne Macht von Führern, mithin in einer Anarchie. Mit dem ethnologischen Fachausdruck spricht man hier von einer "akephalen" (d. h. "kopflosen") Gesellschaft. Die Abwesenheit von Gesetzgebern kennzeichnet das Leben der M-buti auch als 'gesetzlos'. Aber ohne Ordnung oder Regeln war ihr Leben deshalb mitnichten.
Neben den nicht initiierten Formen der Anarchie außerhalb der Zeiten und Territorien der Einzelherrschaft gibt es die bewusst gewählten Formen der Anarchie anstelle etablierter Herrschaftsstrukturen. Die verschiedenen anarchistischen Theorien werden unter dem Begriff Anarchismus behandelt.
Bedeutungen
Ursprünglich bedeutete Anarchie in in der griechischen Antike die Abwesenheit des Alleinherrschers, des Archonten, der nach dem Könirgreich eingeführt wurde. Weiter bezeichnet Anarchie eine herrschaftsfreie Gesellschaft im Sinne der Abschaffung von Machtstrukturen wie Regierungen und Gerichte. Manchmal wird darunter auch die Befreiung von wirtschaftlichen Zwängen wie Lohnarbeit, Zinsen und Schuldenverstanden. Anarchie ist auch das gesellschaftsmodell der politischen Philosophie des Anarchismus
Auch als Schimpfwort für politische Gegner wird die von Anarchie abgeleitete Bezeichnung Anarchist verwendet, zuerst in der französischen Revolution. Am 23. Mai 1793 wurde es in einer Wahlrede so verwendet und bald allgemein zur Herabsetzung von "Linken" verwendet. 1797 wurde der Eid "Haß dem Königtum und der Anarchie" eingeführt, den alle Abgeordneten ablegen mussten. [2] Seit dieser Zeit wird der Begriff Anarchist häufig als Diffamierung in der Politik benutzt.
Siehe auch
Literatur
- Achim von Borries/Ingeborg Weber-Brandies (Hg.): "ANARCHISMUS - Theorie, Kritik, Utopie" Verlag Graswurzelrevolution, Nettersheim, 2007. ISBN 3-939045-00-4. (Textsammlung).
- Ralf Burnicki: Anarchie als Direktdemokratie -Hier geht es um den wichtigsten Aspekt des Anarchismus, das Streben nach Direktdemokratie. Verlag: Syndikat A. ISBN 3-00-002097-7
- Diefenbacher, Hans (Hrsg.): Anarchismus. Zur Geschichte und Idee der herrschaftsfreien Gesellschaft, Verlag Primus, Darmstadt:1996. ISBN 3-89678-013-1 (leider wird keine Frau behandelt; weder Goldman, noch Michel, etc.pp.)
- Hans Jürgen Degen/Jochen Knoblauch: "Anarchismus. Eine Einführung". (Aus der www.theorie.org Reihe) Schmetterling Verlag, Stuttgart 2006. ISBN 3-89657-585-6.
- Gruppe Gegenbilder: Autonomie und Kooperation. Verlag: SeitenHieb-Verlag, Reiskirchen. ISBN 978-3-86747-001-8
- Robert Graham (editor): "ANARCHISM. A Docoumentray History of Libertarian Ideas"[1]. Volume 1: From Anarchy to Anarchism (300CE to 1939). Black Rose Books, Montreal/New York/London 2005.520 pages.ISBN 1-55164-250-6.
- John Steward Mill: "Über die Freiheit". Verlag Reclam, Stuttgart 1980. ISBN 3-15-003491-4.
- Thomas Paine: "Common Sense". Verlag Reclam, Ditzingen 1982. ISBN 3-15-007818-0.
- "Was ist eigentlich Anarchie? - Einführung in Theorie und Geschichte des Anarchismus" -. Kramer Verlag, Berlin 2003. ISBN 3-87956-700-X.
- Horst Stowasser: "ANARCHIE! Idee, Geschichte, Perspektiven". 448 Seiten, ca. 100 Fotos. Edition Nautilus, Hamburg 03/2007. ISBN 978-3-89401-537-4.
- Horst Stowasser: "Leben ohne Chef und Staat. Träume und Wirklichkeit der Anarchisten". Karin Kramer Verlag, Berlin 2003. ISBN 3-87956-120-6. (Leicht verständlich, unterhaltsam und reich bebilderte Einführung in die Geschichte und Gegenwart des Anarchismus].
- Horst Stowasser: "Freiheit pur. Die Idee der Anarchie, Geschichte und Zukunft." Eichborn Verlag, Frankfurt (Main) 1995. ISBN 3821804483 "Freiheit pur" als 2007 überarbeitete und erweiterte pdf
- Nicolas Walter: "Betrifft: Anarchismus. Leitfaden in die Herrschaftslosigkeit". (mit Bibliogaphie anarchistischer Literatur) Libertad Verlag, Berlin (jetzt: Potsdam) 1984. ISBN 3-922226-03-5.
- F. Paul Wilson: "Der Staatsfeind". Verlag Bastei-Lübbe, Bergisch-Gladbach 1980. ISBN 3-404-24043-x.
- Müller-Guttenbrunn, Herbert: "Alphabet des anarchistischen Amateurs". HG.: Müller-Kampel, Beatrix. Matthes & Seitz Verlag GmbH, Berlin, 2007, ISBN-13: 978-3-88221-886-2 ; ISBN-10: 3-88221-886-2 .
Film
- "Vivir la Utopia! - Die Utopie leben!" Film von Juan A. Gamero, Spanien 1997.
(Film über den Anarchismus in Spanien, Original Arte-TVE Catalunya 1997, lief auch in deutsch auf Arte).
Weblinks
- Lexikon der Anarchie
- Anarchopedia
- anarchie.de
- Datenbank des deutschsprachigen Anarchismus/DadA
- anarchistische "Bibliothek der Freien" im Haus der Demokratie in Berlin
- Anarchismus.de, Anarchismus.at
- http://againstpolitics.com (engl.)
- ↑ Vgl. Stefan Blankertz in Courts, Judges, And The Law In The Free City. [2]
- ↑ http://dadaweb.de/index.php/Anarchie_-_Zur_Geschichte_eines_Reiz-_und_Schlagwortes