Chemische Evolution
Chemische Evolution oder auch präbiotische Evolution ist die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte derjenigen Moleküle, die in rezenten Lebewesen von Bedeutung sind. Dabei entstanden aus anorganischen Molekülen durch Einwirkung von Energie organische, präbiotische Moleküle.
Einleitung
Die Rekonstruktion dieser Entwicklungsgeschichte ist schwierig, weil Fossilien und der genauen Kenntnisse der geochemischen Verhältnisse der Erde vor ca. 3,8 Milliarden Jahren fehlen.
Deshalb existieren verschiedene spekulative Hypothesen zum Ablauf der chemischen Evolution. Sie werden zum Teil durch Experimente gestützt, die auf Annahmen über die damalige chemische Zusammensetzung der Atmosphäre, Hydrosphäre und Lithosphäre sowie klimatische Bedingungen beruhen.
Bis heute gibt es keine zusammenhängende Theorie, die erklären kann, wie das Leben entstand. Die im Folgenden angeführten Experimente und Vorschläge gelten als Diskussionsbeitrag um zu illustrieren wie Leben mittels solcher Prozesse entstanden sein könnte. Sie sind aber nicht als Beweis zu werten, dass die genannten Hypothesen richtig sind. Man kann nicht erwarten Fossilien zu finden aus der Zeit, zu der die ersten Lebensformen entstanden sein sollen, denn diese hypothetischen ersten Lebens(vor)formen waren Moleküle, die keine geologischen Spuren hinterlassen.
Übersicht
Hypothesen zur chemischen Evolution müssen verschiedene Aspekte erklären:
- Die abiogene Entstehung der Biomoleküle.
- Die Entstehung sich selbst replizierender und variierender chemischer Informations-Systeme.
- Die Entstehung der gegenseitigen Abhängigkeit von Funktion (Enzyme) und Information (RNA, DNA)
- Die Umweltbedingungen der Erde vor 4,5 bis 3,5 Milliarden Jahren.
- Oparin: Koazervate (siehe unten)
- Harold C. Urey und Stanley L. Miller 1953: Entstehung einfacher Biomoleküle in einer simulierten Uratmosphäre (siehe unten)
- Fox: Mikrosphären aus Protenoiden (siehe unten)
- Thomas R. Cech (Universität von Colorado) und Sidney Altman (Yale-Universität New Haven Connecticut) 1981: autokatalytisches RNA-Spleißen [SdW 87.1.] „Ribozyme“ vereinigen Katalyse und Information in einem Molekül. Sie vermögen sich aus einer längeren RNA-Kette selbst herauszuschneiden und die verbleibenden Enden wieder zusammenzufügen.
- Walter Gilbert (Harvard Universität Cambridge) entwickelt 1986 die Idee der RNA-Welt (siehe unten)
- Manfred Eigen (Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie Göttingen): Evolution von RNA-Protein-Ensembles. Hyperzyklus.
- Julius Rebek jr. (MIT Cambridge) stellt ein künstliches Molekül her (Aminoadenosintriazidester), das sich in Chloroformlösung selbst repliziert. Allerdings sind die Kopien identisch mit der Vorlage, so dass eine Evolution für diese Molekül nicht möglich ist.
- John B. Corliss (Goddard-Raumfahrtzentrum der NASA): Hydrothermale Schlote der Meere liefern Energie und Chemikalien, die eine von Meteoriten-Einschlägen weitgehend ungestörte chemische Evolution ermöglichen. Heute noch sind sie Lebensraum für die in vielen Merkmalen sehr urtümlichen Archäbakterien (Archaea).
- Günter Wächtershausen (München): Die ersten sich selbst replizierenden Strukturen mit Stoffwechsel sind auf der Oberfläche von Pyrit entstanden. Das Eisensulfid des Pyrits hat hierzu die notwendige Energie geliefert. Mit den wachsenden und wieder zerfallenden Pyritkristallen konnten diese Systeme wachsen und vermehrt und die verschiedenen Populationen unterschiedlichen Umweltbedingungen (Selektionsbedingungen) ausgesetzt werden.
- A. G. Cairns-Smith (Universität Glasgow) und David C. Mauerzall (Rockefeller-Universität New York) sehen in Tonmineralien ein System, das zunächst selbst einer chemischen Evolution unterworfen ist, wodurch viele verschiedene, sich selbst replizierende Kristalle entstehen. Diese Kristalle ziehen auf Grund ihrer elektrischen Ladung organische Moleküle an und katalysieren die Synthese komplexer Biomoleküle, wobei der Informationsgehalt der Kristallstrukturen zunächst als Matrize dient. Diese organischen Gebilde werden immer komplexer, bis sie sich ohne Hilfe der Tonmineralien vermehren können.
- Mark Dörr et al. (Max-Planck-Institut für Biochemie Jena) zeigen 2003, dass Eisensulfid die Synthese von Ammoniak aus molekularem Stockstoff katalysieren kann.
Noch steht eine einheitliches Modell zur chemischen Evolution aus, möglicherweise weil grundlegende Prinzipien noch nicht entdeckt wurden.
Vorüberlegungen
Biomoleküle
Die präbiotische Entstehung der komplexen organischen Moleküle kann in drei Schritte unterteilt werden:
- Entstehung einfacher organischer Moleküle (Alkohole, Säuren, Heterozyklen wie Purine und Pyrimidine) aus anorganischen Stoffen.
- Entstehung der Grundbausteine (Einfachzucker, Aminosäuren, Pyrrole, Fettsäuren, Nukleotide) komplexer organischer Moleküle aus einfachen organischen Molekülen.
- Entstehung der komplexen organischen Moleküle aus den Grundbausteinen:
Die Elementaranalyse dieser Moleküle führt zu der Frage, welche anorganischen Verbindungen zu ihrer Entstehung notwendig waren.
Zusammensetzung der Biomoleküle: |
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mögliche anorganische Quelle der Elemente: |
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Alle Hypothesen gehen davon aus, dass neben Wasser und Phosphat zunächst nur die reduzierten Formen in ausreichender Menge zur Verfügung standen, da die Uratmosphäre kaum molekularen Sauerstoff enthielt.
Als Energiequelle werden UV-Strahlen, Wärme vulkanischer Prozesse, ionisierende Strahlen radioaktiver Prozesse und elektrische Entladungen angenommen.
Entwicklung der Uratmosphäre
- Nach der Erstarrung der Erdoberfläche vor ca. 4,5 Milliarden Jahren und dem Verlust der leichten Gase Wasserstoff und Helium (1. Atmosphäre) in den Weltraum entsteht durch Vulkanismus die 2. Atmosphäre aus Wasser, Methan, Ammoniak, Schwefelwasserstoff und Wasserstoff H2, der auf Grund der Abkühlung der Erde langsamer in den Weltraum diffundiert.
- Durch Verlust des Wasserstoffs und Reaktionen zwischen den Molekülen entwickelt sich die 3. Atmosphäre, bestehend aus Stickstoff N2, Kohlenstoffmonoxid, Kohlenstoffdioxid und Wasser, die miteinander zu Carbonaten reagieren, die teilweise ausgefällt werden. Vor allem aus Wasser, Methan und Stickstoff können sich unter den Bedingungen der frühen Erde zunächst kleine organische Moleküle (Säuren, Alkohole, Aminosäuren) später auch organische Polymere (Polysaccharide, Fette, Polypeptide) bilden, die in der oxidierenden Atmosphäre nicht stabil gewesen wären.
- Mit Beginn der Photolyse des Wassers durch autotrophe Organismen vor ca. 3,5 Milliarden Jahren beginnt die Anreicherung von Sauerstoff (O2) in der 4. Atmosphäre. Der Gehalt an Sauerstoff beträgt vor 1,4 Milliarden Jahren 0,2 %, vor 0,4 Milliarden Jahren 2 % und heute 20 Volumen-%.
Frühe Stoffwechselvorgänge (gärende und chemolithotrophe Bakterien) erhöhen den Gehalt an Stickstoff (N2) und Methan (CH4).
- vor ca. 3,5 Mrd. Jahren:
Beginn der Photolyse des Wassers Es wird soviel Sauerstoff gebildet, dass zunächst alle der Atmosphäre ausgesetzten Erze oxidiert werden, z.B. FeS wird durch O2 zu Fe2O3 und Fe2(SO4)3.
- vor ca. 2 Mrd. Jahren:
Dieser geochemische Prozess ist abgeschlossen, der überschüssige Sauerstoff wird an die Atmosphäre abgegeben. Der sehr reaktive Sauerstoff oxidiert leicht die empfindlichen organischen Biomoleküle und stellt damit für die frühen Organismen einen selektierenden Umweltfaktor dar. Ein Teil der anaeroben Organismen kann sich in Sauerstoff freie Lebensräume zurückziehen, ein anderer Teil entwickelt Enzyme (zum Beispiel Katalasen), die den Sauerstoff unschädlich machen. Diese Enzyme haben einen gemeinsamen Ursprung mit den Enzymen der Redoxketten der Photolyse des Wassers und der Atmung.
- vor ca. 1,5 Mrd. Jahren:
Es treten die ersten aeroben Organismen auf, die den Sauerstoff nicht nur unschädlich machen, sondern dabei zusätzlich Energie gewinnen (Atmungskette). Damit ergibt sich die Möglichkeit, dass sich zwischen den Sauerstoff erzeugenden Prozessen (Photosynthese) und den Sauerstoff verbrauchenden Prozessen (Atmung) ein Gleichgewicht einstellt. (Siehe auch Kohlenstoffkreislauf)
- vor ca. 750 Mill. Jahren:
Mit Erhöhung des Sauerstoff-Gehaltes in der Atmosphäre kann sich in den äußersten Schichten soviel Ozon (O3) bilden, dass die für Lebewesen schädliche UV-Strahlung soweit abgeschwächt wird. Damit wird die Besiedlung terrestrischer Ökosystem durch Organismen möglich.
Die Rolle des Wassers für die Evolution des Lebens
- Wasser ist in einem Temperatur-Bereich flüssig, in dem organische Moleküle stabil sind.
- Wasser ist als Medium für chemische Reaktionen besonders geeignet, da es eine homogene Durchmischung ermöglicht, eine hohe Wärmekapazität hat und somit überschüssige Reaktionswärme aufnimmt, und Protonen für Katalysen zur Verfügung stellen kann.
- Wasser weist global geringe Schwankungen in Temperatur und osmotischen Werten auf (lokal können große Unterschiede entstehen), was zu einem global ausgeglichenen Klima führt.
- Wasser absorbiert die für Makromoleküle schädliche UV-Strahlung.
Experimente
Das Miller-Experiment
1953 simulierte Stanley Miller zusammen mit Harold Clayton Urey im Labor der University of Chicago eine hypothetische frühe Erdatmosphäre. Das Experiment beschrieb er in seiner Veröffentlichung: Herstellung von Aminosäuren unter möglichen Bedingungen einer einfachen Erde.
Im Miller-Experiment (auch Miller-Urey-Experiment oder Urey-Miller-Experiment genannt) mischt man einfache chemische Substanzen einer hypothetischen frühen Erdatmosphäre – Wasser (H2O), Methan (CH4), Ammoniak (NH3) und Wasserstoff (H2) – und setzt diese Mischung elektrischen Entladungen aus. Dabei entstehen nach einer gewissen Zeit organische Moleküle.
Ergebnisse
Bei einer Ausgangsmenge von 59.000 Mikromol CH4 entstehen:
Produkt | Formel | Ausbeute (Stoffmenge in μmol) |
C-Atome | Stoffmenge der C-Atome in μmol |
---|---|---|---|---|
Ameisensäure | 2330 | 1 | 2330 | |
Glycin* | 630 | 2 | 1260 | |
Glycolsäure | 560 | 2 | 1120 | |
Alanin* | 340 | 3 | 1020 | |
Milchsäure | 310 | 3 | 930 | |
β-Alanin | 150 | 3 | 450 | |
Essigsäure | 150 | 2 | 300 | |
Propionsäure | 130 | 3 | 390 | |
Iminodiessigsäure | 55 | 4 | 220 | |
Sarcosin | 50 | 3 | 150 | |
α-Aminobuttersäure | 50 | 4 | 200 | |
α-Hydroxybuttersäure | 50 | 4 | 200 | |
Bernsteinsäure | 40 | 4 | 160 | |
Harnstoff | 20 | 1 | 20 | |
N-Methylharnstoff | 15 | 2 | 30 | |
3-Azaadipinsäure | 15 | 5 | 75 | |
N-Methylalanin | 10 | 4 | 40 | |
Glutaminsäure* | 6 | 5 | 30 | |
Asparaginsäure* | 4 | 4 | 16 | |
2,2-Dimethyl-1-amino-Ethansäure | 1 | 3 | 3 | |
Summe:
|
4916 | 8944 |
(*Aminosäuren)
Insgesamt werden damit 18 % der Methanmoleküle in Biomoleküle umgewandelt, aus dem Rest entsteht eine teerartige Masse.
Ursprünglich im Jahr 1953 durchgeführt, hat dieses Experiment seitdem in vielen Varianten vergleichbare Ergebnisse ergeben. Es wird als Beweis dafür angesehen, dass die frühe Erdatmosphäre organische Moleküle in nicht zu vernachlässigenden Konzentrationen enthielt. Das Experiment kann aber keine Aussagen darüber machen, wie sich diese Moleküle etwa zu großen Strukturen verbunden hätten.
Literatur:
- Miller, Stanley L.: A production of amino acids under possible primitive earth conditions. Sience 1953, 117, 528-529
Weblinks: http://abenteuer-universum.vol4u.de/miller1.html - Facharbeit: Das Miller-Experiment
Abwandlungen der Versuchsbedingungen
Als Kohlenstoffquelle: Kohlenstoffmonoxid (CO) oder Kohlenstoffdioxid
Als Stickstoffquelle molekularen Stickstoff N2
Als Energiequelle UV-Licht
Jedes Mal entstehen unter anderem auch Aminosäuren
Was das Miller-Experiment allein nicht erklärt
- Die Aminosäuren entstehen als 1:1-Racematgemische, in den Organismen sind aber überwiegend nur die L-Aminosäuren zu finden - Das Problem ist lösbar durch Mineralien als Katalysatoren, die aber von Miller nicht verwendet wurden.
- Neben einigen Aminosäuren entstehen auch Verbindungen, die in heute lebenden Organismen nicht vorkommen. Zum Beispiel die zwei zu Alanin isomeren Aminosäuren b-Alanin und Sarcosin (siehe Tabelle). – In der Evolution der Stoffwechselwege kam es zur Selektion, wodurch alle Varianten bis auf die heute von Organismen verwendeten Amonisäuren eliminiert wurden.
Reaktionswege beim Millerexperiment
Zunächst entstehen aus den Ausgangsstoffen Aldehyde (R-CHO) und Blausäure (Cyanwasserstoff HCN) als erste Zwischenprodukte.
In einer darauf folgenden Mehrstufenreaktion reagieren die Aldehyde mit Ammoniak als Katalysator zu Aminosäuren:
Summengleichung: | R-CHO + HCN + H2O | H2N-CHR-COOH | |
Aldehyd | Aminosäure |
So entsteht aus dem Aldehyd Methanal (H2C=O) die Aminosäure Glycin, aus Ethanal (CH3-CHO) entsteht Alanin.
Summengleichung: | R-CHO + HCN + 2 H2O | HO-CHR-COOH + NH3 | |
Aldehyd | Aminosäure |
So entsteht aus Methanal die Glykolsäure (α-Hydroxy-ethansäure), aus Ethanal die Milchsäure (α-Hydroxy-propansäure) und aus Propanal (CH3-CH2-CHO) die α-Hydroxybuttersäure.
Weitere Reaktionen
Aus den beim Miller-Experiment auftretenden Zwischenprodukten Aldehyde und Cyanwasserstoff lassen sich unter den simulierten Bedingungen der Erde vor 4,5 Milliarden Jahren weitere Biomoleküle herstellen. So gelang Juan Oro 1961 die Synthese von Adenin:
Edukte | Produkte | ||
2 Formaldehyd | HCN | H2O | Serin |
5 Formaldehyd | Ribose | ||
5 HCN | Adenin |
Aus Ribose, Adenin und Triphosphat entsteht das Adenosintriphosphat (ATP), welches in den Organismen als universeller Energieträger und als Baustein (als Monophosphat) der Ribonukleinsäuren (RNA) genutzt wird.
Die Bildung von Makromolekülen
Biomakromoleküle sind Proteine und Nukleinsäuren. Die Verlängerung der Molekülketten (Polymerisation) benötigt Energie und erfolgt unter Wasserabspaltung (Kondensation). Umgekehrt liefert die Spaltung der Makromoleküle (Hydrolyse) Energie. Da eine reversible Reaktion vorliegt, kann sich ein chemisches Gleichgewicht einstellen. In einer wässrigen Lösung mit Überschuss an Wasser liegt das Gleichgewicht auf der Seite der Monomere (Einzelbausteine). Das Gleichgewicht kann durch Abdampfen von Wasser, Zugabe von Salz (entzieht Wasser) oder Ausfällung der Produkte nach rechts verschoben werden.
Als Energiequelle kommt einerseits das ATP in Frage, andererseits kann auch die Spaltung von Polyphosphat die notwendige Energie liefern.
Das Gleichgewicht lässt sich durch Erhöhung der Konzentration der Bausteine und durch Entwässerung der Produkte erzielen. Voraussetzung wäre die Kompartimentierung, das heißt die Abgrenzung von Reaktionsräumen voneinander, die nur noch in begrenztem Stoffaustausch zur Umwelt stehen. Dies wäre in flachen, kleinen Gewässern (Tümpeln) mit hoher Verdunstungsrate oder in Koazervaten (siehe unten) denkbar.
Ein weiterer Lösungsansatz ergibt sich, wenn die Beteiligung von Carbodiimiden (R-N=C=N-R) oder Dicyan (N≡C-C≡N) in wasserfreiem Medium in Betracht gezogen wird. Hier wird die Kondensation der Bausteine mit der Reaktion von Carbodiimid gekoppelt, wobei die notwendige Energie entsteht:
(H-X-OH = Monomeres, zum Beispiel Aminosäure oder Ribose)
(wenn R = H entsteht hier Harnstoff)
Zwar bildet sich Dicyan unter UV-Einwirkung aus Cyanwasserstoff, in austrocknenden Tümpeln würde allerdings auch das leichtflüchtige Molekül verloren gehen.
Wird ein trockenes Gemisch von Aminosäuren einige Stunden auf 130 °C erhitzt, bilden sich proteinähnliche Makromoleküle. Sind Polyphosphate zugegen, genügen 60 °C. Diese Bedingungen können sich ergeben, wenn Wasser mit gelösten Aminosäuren in Kontakt mit heißer, vulkanischer Asche kommt.
Erhitz man ein Nukleotid-Gemisch in Gegenwart von Polyphosphaten auf 55 °C, entstehen zwar Polynukleotide, allerdings findet die Verknüpfung eher über die 5’- und 2’-C-Atome der Ribose statt, da sie leichter erfolgt als die in allen Organismen vorhandene 5’-3’-Verknüpfung. Aus beiden Typen von Polynukleotiden bilden sich Doppelhelices (vergleiche Bau der DNA). Allerdings ist die 5’-3’-Doppelhelix stabiler als die 5’-2’-Helix.
Fehlt am 2’-C-Atom der Ribose die Hydroxyl-Gruppe liegt die Desoxyribose vor. Jetzt können sich nur 5’-3’-Verknüpfungen bilden, wie sie für die DNA typisch sind.
Mitwirkung von Mineralien und Gesteinen
- In winzigen Hohlräumen der Gesteine sind die organischen Moleküle vor UV-Strahlung geschützt.
- Kristalloberflächen können als Matrix für wachsende Makromoleküle dienen. Dabei können die Kristalloberflächen bestimmte Molekülformen bevorzugen. L- und D-Aminosäuren werden auf einem Calcit-Kristall an unterschiedlichen Stellen angelagert.
- Aharon Katchalssky (Weizmann-Institut Israel) konnte in wässriger Lösung mit Hilfe des Tonminerals Montmorillonit Proteine mit einer Kettenlänge von mehr als 50 Aminosäuren in nahezu 100 %iger Ausbeute erzeugen.
- Metallionen können als Katalysatoren oder als Elektronendonatoren fungieren oder in Biomoleküle eingebaut werden.
- Tonmineralien weisen oft eine elektrische Ladung auf und können so entgegengesetzt geladene organische Moleküle anziehen und festhalten.
Bildung präbiotischer Strukturen (Zellvorläufer)
Zellen erhalten ihre Funktion dadurch aufrecht, dass sie verschiedene Reaktionsräume (Kompartimente) bilden, um die Stoffwechselvorgänge voneinander zu trennen und unerwünschte Reaktion auszuschließen. Gleichzeitig können Konzentrationsgradienten aufgebaut werden.
Koazervate
(lateinisch coacervatus = gehäuft) Vor allem Aleksandr Iwanowitsch Oparin (1894-1980) beschäftigte sich mit der Möglichkeit des Stoffwechsels in Koazervaten. Er konnte zeigen, dass prinzipiell durch Selbstorganisation abgegrenzte Räume mit einem einfachen Stoffwechsel entstehen können, vorausgesetzt, dass Katalysatoren mit spezifischen Eigenschaften vorhanden sind. Da die verwendeten Substanzen dem Repertoire der heute lebenden Organismen entstammen, sind Oparins Koazervate nicht als Vorläufer von Zellen zu sehen, sondern als Analogie-Modelle für die Entstehung von Vorläufer-Zellen.
Gibt man zu kolloidalen Lösungen von Biomakromolekülen Salz hinzu, bilden sich kleine Tröpfchen mit einem Durchmesser zwischen 1 und 500 &mikro;m, die die Polymere in hoher Konzentration enthalten.
Oparin untersuchte Gemische aus Eiweißen (Histon und Albumin), Eiweißen und Kohlenhydraten (Histon und Gummi arabaicum) und Eiweißen und Polynukleotiden(Histon oder Clupein und DNA oder RNA)
Enthalten Tröpfchen aus Histon und Gummi arabicum das Enzym Phosphorylase, so können diese Tröpfchen Glucose-1-phosphat aus der Umgebung aufnehmen, zu Stärke umwandeln und speichern. Das freigesetzte Phosphat diffundiert nach außen. Das Tröpfchen wird durch die Zunahme an Stärke größer, bis es in kleiner Tröpfchen zerfällt, die wieder Phosphorylase enthalten können, allerdings weniger als das Ausgangströpfchen. Damit verlangsamt sich auch der Stoffwechsel. Hier wird deutlich, dass zu einem Erhalt der Eigenschaften einer Zelle die Regeneration der Enzymausstattung nach erfolgter Teilung notwendig ist.
Wird auch das Stärke abbauende Enzym Amylase hinzugegeben, ergeben sich Koazervate mit einem zweistufigen Stoffwechsel: Aufnahme von Glucose-1-phosphat → Aufbau von Stärke und Abgabe von Phosphat → Spaltung der Stärke und Abgabe von Maltose
Fox fand, dass sich aus den proteinartigen Produkten, die beim Erwärmen trockener Aminosäuregemische entstehen (siehe oben), auch ohne Enzyme wachsende Koazervate ergeben können: Es bilden sich Tröpfchen aus, die sich von der Umgebung abgrenzen und weiteres proteinartiges Material aus der Umgebung aufnehmen, dadurch anwachsen und sich wieder in kleinere Tröpfchen zerteilen. Des weiteren fand Fox, dass diese Koazervate enzymatische Eigenschaften haben, Glucose abbauen oder sich wie Esterasen oder Peroxidasen verhalten.
Mikrosphären
Im Jahr 1970 konnte Sydney Fox nachweisen, dass sich aus den proteinartigen Produkten, die beim Erwärmen trockener Aminosäuregemische entstehen, auch durch Selbstaggregation wachsende Tröpfchen ergeben können, die sich von der Umgebung durch eine semipermeable Membran abgrenzen und weiteres proteinartiges Material aus der Umgebung aufnehmen. Dadurch wachsen sie weiter und zerteilen sich wieder in kleinere Tröpfchen. Des weiteren fand Fox, dass diese Systeme enzymatische Eigenschaften haben, Glucose abbauen oder sich wie Esterasen oder Peroxidasen verhalten, ohne dass von außen Enzyme hinzugefügt worden wären.
Siehe auch: Proteinoide
Die RNA-Welt
Die RNA-Welt-Hypothese (erstmals 1986 von Walter Gilbert vorgeschlagen) besagt, dass RNA-Moleküle die Vorläufer der Organsimen waren.
Die Hypothese lässt sich aus der Fähigkeit der RNA zur Speicherung, Übertragung, und Vervielfältigung genetischer Informationen sowie aus ihrer Fähigkeit, als Ribozyme Reaktionen zu katalysieren, ableiten. In einer Evolutionsumgebung würden diejenigen RNA-Moleküle gehäuft vorkommen, die sich selbst bevorzugt vermehren.
Ausgangspunkt sind einfache sich selbst replizierende RNA-Moleküle. Einige davon erhalten die Eigenschaft, die Synthese von Proteinen zu katalysieren, die selbst wieder die Synthese der RNA und ihre eigen Synthese katalysieren (Entwicklung der Translation). Einige RNA-Moleküle lagern sich zu dopplesträngigen RNA-Molekülen zusammen, die sich zu DNA-Molekülen und Trägern der Erbinformation weiterentwickeln (Entwicklung der Transkiption).
Als Grundlage dienen bestimmte RNA-Molküle, die von beliebigen RNA-Vorlagen und damit von sich selbst Kopien erzeugen können. Jennifer A. Doudna und Jack W. Szostak benutzten als Vorlage zur Entwicklung dieses RNA-Typs das selbst-spleißende Intron des eukaryontischen Einzellers Tetrahymena thermophila. Damit besteht die Möglichkeit, dass in den Ribosomen die eigentlich katalytischen Moleküle die rRNA sind und somit RNA die Eiweißsynthese katalysiert. Einschränkungen bestehen allerdings darin, dass bei der selbstreplizierenden RNA als Bausteine nicht Mononukleotide sondern Oligonukleotide und Hilfsstoffe benötigt werden.
2001 wurde entdeckt, dass die wichtigen katalytischen Zentren der Ribosomen von RNA (und nicht, wie vorher angenommen, von Proteinen) gestellt werden.
Dies zeigt, dass eine katalytische Funktion der RNA, wie sie in der RNA-Welt-Hypothese vorgeschlagen wurde, heute von Lebewesen genutzt wird.
Da Ribosomen als sehr ursprüngliche Zellbausteine gelten, gilt diese Entdeckung als wichtiger Beitrag zur Untermauerung der RNA-Welt-Hypothese.
Man ist nun sicher, dass RNA-Moleküle – zumindest prinzipiell – in der Lage sind, Aminosäuren zu Proteinen zu verketten.
In diesem Zusammenhang ist auch die PNA (Peptid-Nucleinsäure) von Interesse.
Siehe auch: Hyperzyklus, Manfred Eigen
Ausblick
Die Ansicht vieler Religionen, dass das Leben notwendigerweise einen übernatürlichen Ursprung habe, wird aufgrund der oben angeführten (und einer Reihe weiterer) Konzepte von den meisten Naturwissenschaftlern nicht mehr ernsthaft in Betracht gezogen, obwohl trotz 50 Jahren Experimentierens kein durchbrechender Fortschritt erzielt worden ist.
Meteore
Die Erde ist seit Anbeginn ihrer Existenz dem Bombardement von Meteoren ausgesetzt, von denen etliche auch einfache organische Moleküle beinhalten, unter anderem Aminosäuren. Beachtet man die Homochiralität irdischer Biomoleküle (L-Aminosäuren und D-Zucker), so wird dieser Ursprung noch plausibler, da die Aminosäuren aus dem Weltall ebenfalls überwiegend vom L-Typ sind. (Rubenstein et al. (1983, Nature 306, 118). Diese Verteilung ist allerdings auch durch anorganische Feststoff-Katalysatoren auf der Erde erklärbar.
Einerseits bleibt aber die Frage offen, wie die Aminosäuren im Weltall entstanden sind. Andererseits wird auch nicht erklärt, wie die organischen Makromoleküle entstanden sind.
Siehe dazu auch: Astrobiologie, Xenobiologie, Bonner-Rubenstein-Hypothese
Siehe auch
Portal Biologie, Paläontologie
Weblinks
- http://www.chiralitaet.de/mh(olb.html Ausserirdischer Ursprung der Homochiralität
- http://www.merian.fr.bw.schule.de/Beck/skripten/13/bs13-50.htm Chemische Evolution