Nierenstein

Nierensteine oder Nephrolithen (v. griech. νεφρός „Niere“ und λίθος „Stein“) sind Ablagerungen (Harnsteine) in den Nierengängen oder ableitenden Harnwegen. Letztere werden als Ureter- und Blasensteine bezeichnet. Andere Namen sind Nierenkonkrement oder Calculus renalis. Eine Ansammlung von vielen kleinen Nierensteinen wird auch „Nierengries“ genannt. Der medizinische Fachausdruck für die Nierensteinkrankheit ist Nephrolithiasis.
Häufigkeit
Die Prävalenz von Nierensteinen beträgt in Mittel- und Westeuropa ca. 5 %. Das Verhältnis von betroffenen Männern zu Frauen beträgt dabei 7 zu 5. Am häufigsten tritt die Erkrankung zwischen dem 30. und dem 50. Lebensjahr auf. In den Industriestaaten leben ca. 20 % der Männer und ca. 7 % der Frauen mit einem erhöhten Steinrisiko. Ist bereits ein Nierenstein aufgetreten, so beträgt das Risiko eines Rezidivs ca. 60 %.
Einteilung
Am gebräuchlichsten ist die Einteilung der Nierensteine nach ihrer äußeren Form oder ihrer chemischen Zusammensetzung:
- Klassifikation nach Form:
- Ventilsteine
- Hirschgeweihsteine
- Korallensteine
- Ausgusssteine
- Klassifikation nach chemischer Zusammensetzung:
- Calciumoxalatsteine (ca. 65 %)
- Uratsteine (Harnsäuresteine, ca. 15 %)
- Magnesiumammoniumphosphatsteine (Struvitsteine, ca. 11 %) treten vor allem im Zusammenhang mit Infektionen auf und werden daher auch als Infektsteine bezeichnet.
- Calciumphosphatsteine (ca. 9 %)
- Cystinsteine (ca. 1 %)
- Xanthinsteine (ca. 1 %)
- Auch Mischformen sind möglich.
Ursachen
Die Entstehung von Nephrolithen ist komplex und von vielen Faktoren abhängig, die je nach Zusammensetzung des Konkrements variieren und noch nicht in allen Einzelheiten geklärt sind.
Auf molekularer Ebene kommt es zu einer Erhöhung der Konzentration von schwerlöslichen Ionen oder anderen Harnbestandteilen bis zur Überschreitung des sogenannten Löslichkeitsprodukts. Dadurch beginnen diese Substanzen (Salze) auszufallen und Konglomerate zu bilden, die je nach Größe die ableitenden Harnwege nicht mehr passieren können und sich ablagern.
Die Erhöhung dieser Harnbestandteile kann durch eine Vielzahl von Begleitumständen bedingt sein. Neben Exsikkose (Dehydratation) und Flüssigkeitsmangel kommen hier vor allem Erkrankungen in Frage, die eine erhöhte Harnkonzentration von Metaboliten oder Ionen bedingen, unter anderem Hyperparathyreoidismus, Hyperoxalurien, Hyperurikämien (vermehrte Harnsäure, Gicht) oder bestimmte Infektionserkrankungen. Auch eine reichliche Zufuhr von Purin über die Nahrung kann den Harnsäurespiegel erhöhen. Es gibt auch Störungen der Nierenfunktion wie die Tubuläre Azidose, bei denen zuviel Kalziumphosphat ausgeschieden wird.
Anatomische Besonderheiten des Nieren-Harnleitersystems wie Hufeisenniere und ektope Harnleiter, sowie Abstrombehinderungen begünstigen die Steinbildung.
Symptome
Die Einklemmung von Steinen an Engstellen des Harnleiters mit Aufstau des Urins ruft starke, wellenförmige Schmerzen der Flanke hervor (Nierenkolik). In der Regel ist im Urin Blut sichtbar oder laborchemisch nachweisbar. Nach einiger Zeit wird die betroffene Niere geschädigt. Auch Infektionen sind möglich. Kleine Steine (< 4 – 6 mm) können auch ohne besondere Beschwerden abgehen.
Diagnostik
- Körperliche Untersuchung
- Untersuchung des Urins (z. B. auf Spuren von Blut = Hämaturie)
- Ultraschall, wobei kleinere Steine dabei leicht übersehen werden können
- Röntgen-Kontrastdarstellung der Niere und ableitenden Harnwege (sog. i. v.-Pyelogramm) (nicht geeignet zur Darstellung von Urat- und Xanthinsteinen, sowie den seltenen Indinavir-Steinen)
- CT - zeigt auch die sogenannten nicht schattengebenden Konkremente, die in konventionellen Röntgenaufnahmen nicht zu sehen sind
- MRT
- Retrograde Kontrastmitteldarstellung der Harnwege
- Endoskopische Verfahren
Am häufigsten werden die Ultraschalluntersuchung, die Urinuntersuchung und das i. v.-Pyelogramm durchgeführt.
Therapie
Kleine Nierensteine (unter 6 mm) haben eine gute Chance, von selbst die Passage über den Harnleiter zur Harnblase zu schaffen. Reine Urat- und Cystinsteine können oft mittels alkalisierender Medikamente aufgelöst werden (Urolitholyse). Eine weitere Methode stellt die Schlingenextraktion dar, bei der ein Katheter mit einer Schlinge (Zeißsche Schlinge) über die Harnröhre in den Harnleiter eingeführt wird. Meist verfängt sich der Stein in der Schlinge und durch ein Gewicht wird versucht, ihn schneller aus den Harnwegen zu entfernen.
Perkutane Nephrolitholapaxie (PNL)
Diese Methode kommt vor allem bei größeren Steinen, die ausgeprägte Harnstauungen verursachen, zum Einsatz. Dabei wird durch einen kleinen Hautschnitt ein Endoskop eingeführt, über das anschließend der Stein mit Stoßwellen zertrümmert wird.
Ureterorenoskopische Steinentfernung

Eine solche operative Methode wird bei Harnleitersteinen angewendet. Ein starres bzw. flexibles, dünnes Rohr wird mit einem optischen Instrument (ähnlich wie bei einer Blasenspiegelung) über die Harnröhre in die Blase und weiter in den Harnleiter eingeführt.
Über den Arbeitskanal des optischen Instruments lassen sich unterschiedliche Geräte zur Zertrümmerung und Entfernung der Harnleitersteine einführen. Dies können Ultraschall-, Laser-, spezielle Sonden oder Zangen sein.
Schlingenextraktion
Wegen der hohen Verletzungsgefahr wird sie heute nur noch in Ausnahmefällen durchgeführt. Über die Harnröhre wird eine Schlinge eingeführt und der Arzt versucht, den Stein herauszuziehen. Die Methode wird nur angewandt, wenn sich der Stein im unteren Drittel des Harnleiters befindet. In den EU-Richtlinien für angewandte Medizintechnik wird sie aufgrund der Verletzungsgefahr des Harnleiters nicht mehr erwähnt.
Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL)
Die Lithotripsie (v. griech. λίθος „Stein“ und τρίβειν „reiben“) oder ESWL ist das Zertrümmern der Harnsteine durch Stoßwellen. Hierbei kann meist auf einen stationären Eingriff verzichtet werden. Bei diesem Verfahren wird versucht, mit Hilfe von gebündelten Schallwellen, die auf die betroffene Stelle gerichtet werden, den Fremdkörper ohne einen percutanen Schnitt soweit zu zerkleinern, dass er entweder natürlich oder operativ entfernt werden kann.


Die Behandlungsmethode wurde 1980 erstmals von Ärzten des Universitätsklinikums Großhadern (München, Deutschland) und Ingenieuren und Technikern der Firma Dornier Systems (Friedrichshafen, Deutschland) erfolgreich durchgeführt. Das verwendete Gerät HM2 („Human Modell 2“) war eine Badewanne, in deren Boden ein Stoßwellengenerator eingelassen war. Der Patient wurde an einer speziellen Liege unter Vollnarkose in die Wanne gebracht. Zur Ortung des Steins dienten zwei Röntgengeräte, deren Zentralstrahlen sich im Fokus des Stosswellengenerators kreuzten und dadurch die präzise dreidimensionale Positionierung des Steins erlaubten. Das Nachfolgemodell der „Dornier-Badewanne“, der Lithotripter HM3, wurde ab 1983 weltweit vertrieben. Bis 1986 exportierte Dornier 122 ESWL-Geräte zu einem Stückpreis von ca. 4 Millionen DM (2,05 Millionen Euro). Einige dieser Geräte sind bis heute in Betrieb. Neuere technische Entwicklungen (etwas ab dem Jahr 2000) führten zur Aufgabe der Badewanne.
Die neueren Geräte ähneln nun einem modernen Röntgengerät mit einer Liege. Der Patient liegt auf einem beweglichen Tisch und wird an den Koppelbalg bzw. dieser an den Patienten herangefahren. Der besteht aus dem Stoßwellengenerator mit einer wassergefüllten Silikonhülle (der sog. "Blase") und wird leicht an den Körper des Patienten gepresst, um einen guten Kontakt zum Körper herzustellen. Dazu wird zusätzlich noch ein wasserhaltiges Gel zwischen die Oberfläche des Koppelbalges und die Haut gebracht, um einen problemlosen Übertritt der Stoßwelle zu gewährleisten. Während der Behandlung erfasst das Gerät automatisch die Lage des Steines und korrigiert die Position des Patienten, falls der Stein sich in der Niere leicht verschiebt. Somit ist sichergestellt, das sich der Stein immer im Stoßwellenzentrum befindet und umgebendes Gewebe geschont wird.
Bei diesem Verfahren benötigt der Patient keine Vollnarkose, i.d.R. wird nur ein Schmerzmittel intravenös verabreicht, der Patient bleibt ansprechbar. Sehr oft kann diese Behandlung auch ambulant durchgeführt werden. Die Belastung für den Patienten ist gering und durch die gezielte Bündelung der Stoßwellen weniger schmerzhaft als bei den Geräten erster Bauart mit Badewanne.
Außerdem hat man bei neueren Geräten die Röntgenkameras durch Ultraschallkameras ersetzt. Etablierte Methoden zur Stoßwellenerzeugung sind elektrohydraulische (Funkenstrecke), elektromagnetische und piezoelektrische Generatoren. Heute werden weltweit mehr als 3.000 Geräte (Lithotripter) eingesetzt, etwa 90 % aller Nierensteine werden in den Industrieländern auf diese Art zertrümmert. 1985 gab es in Westdeutschland rund 16.504 ESWL-Behandlungen.
Laserlithotripsie
Die Zertrümmerung von Harnsteinen ist durch die Entwicklung von flexiblen, dünnen Lichtfasern mit hoher Zerstörungsschwelle möglich geworden. Dabei wird eine optische Quarzfaser endoskopisch unter Sicht bis kurz vor den zu zertrümmernden Stein eingeführt. Wird der durch die Faser transportierte Laserpuls eines blitzlampengepumpten Farbstofflasers nun auf die Oberfläche eines Nierensteins fokussiert, so entsteht durch die schnelle Verdampfung des Oberflächenmaterials eine Stoßwelle in der umgebenden Flüssigkeit, die nach mehreren Schüssen zur Zertrümmerung des Steins führt. Die dafür benötigte Laserleistung und die richtige Wahl der Wellenlänge, bei der die Absorption des Steinmaterials maximal ist, hängen von der chemischen Zusammensetzung des Steins ab, die variieren kann. Deshalb ist dienlich seine Zusammensetzung zu kennen. Diese lässt sich auf spektroskopischem Wege (siehe: Spektroskopie) erreichen, wenn bei kleiner Laserenergie das vom bestrahlten Stein emittierte Fluoreszenzlicht über eine eigene Faser gesammelt und auf einen optischen Vielkanalanalysator dargestellt wird. Ein nachgeschalteter Computer kann dann aus der Spektralverteilung der Fluoreszenz sofort die chemische Zusammensetzung bestimmen. Dies wurde zuerst an Nierensteinen in einem Wasserglas (in vitro) demonstriert und dann an Patient/innen (in vivo) erfolgreich erprobt.
Harnleiterschiene
Bei fast allen diesen Anwendungen wird dabei auch oft ein Katheter (auch Doppel-J-Katheter, Stent oder Harnleiterschiene genannt) zum Erweitern und Offenhalten des Harnleiters für einige Tage oder Wochen im Harnleiter belassen, um den natürlichen Abgang weiterer Steinfragmente zu erleichtern. Der Katheter wird am oberen Ende im Nierenbecken, am unteren Ende in der Harnblase für wenige Zentimeter aufrollt. Der so gebildete doppelte "Ringelschwanz" (pigtail) fixiert den Katheter im Harnleiter. Der Harnleiter wird dadurch ebenfalls geschützt, da die abgehenden Steinfragmente teilweise scharfkantig sind und die Wände des Harnleiters verletzt werden könnten.
Prophylaxe
Hatte ein Patient schon mehr als einen Nierenstein, so wird er mit größerer Wahrscheinlichkeit noch mehr Steine bilden. Um die Bildung neuer Steine zu verhindern, ist es wichtig, die Ursache der Steinbildung zu finden. Dies geschieht durch ärztlich angeordnete Labor-, Blut- und Urinuntersuchungen, auch die medizinische Vorgeschichte, der Beruf und das Essverhalten sind in die Untersuchungen mit einzubeziehen. Der Stein sollte nach seiner Entfernung oder Spontanabgang auf seine Zusammensetzung hin analysiert werden. Um die Ursache der Steinbildung zu finden, wird vom Arzt manchmal eine Untersuchung des über 24 Stunden gesammelten Urins, hinsichtlich Volumen, pH-Wert und dem Gehalt an Kalzium, Natriumsalzen, Harnsäure, Oxalat, Citrat und Creatinin durchgeführt.
Veränderung der Lebensgewohnheiten
Die einfachste und wirkungsvollste Art, das Neubildungsrisiko von Steinen zu vermindern, ist die Verdünnung des Urin durch Erhöhung der täglichen Flüssigkeitsaufnahme (Mineralwasser, Tee, Bier). Es sollten 2,5 l Urin täglich ausgeschieden werden.
Aktuelle Studien zeigen, daß ausreichend Kalzium in der Nahrung (1000 – 1200 mg/Tag) dabei hilft, die Bildung von kalziumhaltigen Steinen zu verhindern. Menschen, die zur Bildung solcher Steine neigen, müssen den Konsum von Milchprodukten und anderer kalziumreicher Lebensmittel nicht einschränken. Kalzium bindet Oxalat auf diese Weise im Darm, durch den es problemlos entsorgt werden kann.
Es wird geraten, Nahrung mit zugesetztem Vitamin D und kalziumbasierte Antazida zu meiden. Personen mit einem sauren Urin sollten Fleisch, Fisch und Geflügel meiden, da diese Nahrung Purin enthält, dessen Abbau zu Harnsäure den Urin-pH zu stark absenkt. Ein erhöhter Harnsäurespiegel kann ein Zeichen erhöhten Steinbildungsrisikos sein, das möglicherweise medikamentös behandelt werden muss.
Personen, die einen Hang zur Bildung von Kalziumoxalatsteinen haben, sollten folgende, oxalatreiche Nahrungsmittel reduzieren:
• Rüben
• Kaffee
• Cola
• Nüsse
• Spinat
• Tee
Um Cystinsteine zu verhindern, muss viel Wasser getrunken werden, welches die Cystinkonzentration im Urin verringert. Dazu müssen täglich mehr als drei Liter Wasser getrunken werden, ein Drittel davon in der Nacht.
Pflanzenheilkunde
Hier sollen Nierensteine mit Hilfe von Tee aus Echtem Labkraut zur Auflösung gebracht werden.
Literatur
- Albrecht Hesse, Dietmar Bach: Harnsteine - Pathobiochemie und klinisch-chemische Diagnostik. aus der Reihe: Klinische Chemie in Einzeldarstellungen. Band 5, Thieme, Stuttgart 1982, ISBN 3-13-488701-0
- Albrecht Hesse, Jörg Joost: Ratgeber für Harnsteinpatienten. Hippokrates, Stuttgart 1985/1992, ISBN 3-89373-181-4
- Albrecht Hesse, Andrea Jahnen, Klaus Klocke: Nachsorge bei Harnstein-Patienten. Ein Leitfaden für die ärztliche Praxis. Urban&Fischer, 2002, ISBN 3-3346-0832-8
- Stefan C. Müller, Rainer Hofmann, Kai-Uwe Köhrmann, Albrecht Hesse: Epidemiologie, instrumentelle Therapie und Metaphylaxe des Harnsteinleidens aus: Deutsches Ärzteblatt 101, Heft 19, S. A1331–1336, 2004
Weblinks
- Webseite Donier mit Fotos neuerer Geräte Geräte zur Zertrümmerung von Nierensteinen
- Leitlinien AK Harnsteine, 2006
- Leitlinie "Urolithiasis" der europäischen urologischen Gesellschaft, 2006 (engl.)
- Aerztekammer-BW.de Harnsteinleiden - Therapie und Metaphylaxe (PDF)