Bergfried


Der Ausdruck Bergfried (auch Berchfrit, fälschlich auch Burgfried) bezeichnet in der deutschsprachigen Burgenliteratur den unbewohnten Hauptturm einer mittelalterlichen Burg, der seit dem 12. Jahrhundert in Mitteleuropa weite Verbreitung fand. Ist der Hauptturm einer Burg dauerhaft bewohnbar (Wohnturm), wird er hingegen als Donjon oder (im englischen Raum) als Keep bezeichnet.




Die Bezeichnung "Bergfried"
Der Begriff kommt als perfrit, berchfrit, berfride [1] und ähnlich in mittelalterlichen Schriftquellen vor, bezeichnet dort aber nicht nur den Burgturm, sondern überwiegend andere Turmarten wie beispielsweise Belagerungstürme, Glockentürme (vgl. Belfried) oder Speicherbauten. Der Hauptturm einer Burg wird meist schlicht als "Turm" oder "großer Turm" bezeichnet. Die durch die Burgenkunde des 19. Jahrhunderts eingeführte Bezeichnung Bergfried (oder Berchfrit) erscheint daher rückblickend als willkürlich, hat sich aber seitdem in der deutschsprachigen Literatur für den unbewohnten Hauptturm eingebürgert.[2]
Entwicklung und Formen
Der Bergfried entsteht als ein neuer Bautyp im Verlauf des 12. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum und findet in der folgenden Zeit weite Verbreitung in Mitteleuropa, wo er zu einem Wahrzeichen der Adelsburg wird. Aus dem 12. und 13. Jahrhundert sind zahlreiche Exemplare in nahezu vollständiger Höhe erhalten. Die Entstehung der Bauform ist jedoch noch nicht völlig geklärt, da Türme aus der Zeit vor dem 12. Jahrhundert nahezu ausschließlich archäologisch ergraben und lediglich die untersten Partien erhalten sind. Der Vorläufer des Bergfrieds ist der wehrhafte Wohnturm, der in seiner repräsentativen Ausprägung auch als Donjon bezeichnet wird. Solche Wohntürme waren vor dem Aufkommen des Bergfrieds auch im deutschsprachigen Raum üblich, ein Vorläufer findet sich beispielsweise im hölzernen Turm der Motte. Donjons verbinden die beiden entgegengesetzten Bereiche des herrschaftlichen, komfortablen Wohnens und des Wehrbaus miteinander. Beim Bautyp des Bergfrieds wurde nun auf die Wohnnutzung zugunsten der Wehrhaftigkeit verzichtet. Gleichzeitig finden neue Typen unbefestigter Wohnbauten Verbreitung, so wurde beispielsweise der Palas in den Burgenbau übernommen. Die Enstehung des Bergfrieds steht also offenbar im Zusammenhang mit der Ausdifferenzierung von Wohn- und Wehrbau innerhalb der Burganlage.[3] In Westeuropa bleibt hingegen auch im weiteren Verlauf des Mittelalters der Donjon mit seiner Verbindung von Wehr- und Wohnfunktionen der vorherrschende Bautyp.
Im Grundriss sind quadratische und runde Bergfriede am häufigsten, daneben sind auch fünfeckige und achteckige Türme oft anzutreffen. Auch für unregelmäßig polygonale Grundrisse gibt es einige Beispiele. Eine seltene Form ist der dreieckige Bergfried der Burg Grenzau bei Höhr-Grenzhausen oder jener der Burg Rauheneck nahe Baden bei Wien. Türme mit dreieckigen und fünfeckigen Grundrissen waren mit einer Ecke der Hauptangriffsseite der Burg zugewandt, durch den schrägen Aufprallwinkel konnten so durch Katapulte verschossene Steingeschosse besser abgewehrt werden. Auch ein über Eck gestellter quadratischer Bergfried konnte diesen Zweck erfüllen. Bergfriede sind durchschnittlich 20-30 Meter hoch, jener der Burg Forchtenstein im Burgenland erreicht sogar 50 Meter.
Als Baumaterial diente meist der anstehende Fels, der in unmittelbarer Nähe des Bauplatzes gebrochen wurde. In steinarmen Gebieten wurden Ziegel- oder Feldsteine verwendet. Das Mauerwerk ist oft sehr sorgfältig ausgeführt, Kanten können durch Buckelquader akzentuiert werden. Der Bergfried konnte verputzt sein oder auch Sichtmauerwerk zeigen. Letzteres war beispielsweise bei den vollständig aus Buckelquadern gemauerten staufischen Bergfrieden der Fall. Der Turmschaft (also der Hauptteil des Turmes zwischen Sockel und dem abschließenden Obergeschoss) verfügte in der Regel über keine oder nur sehr wenige Fenster, oft sind dies nur einige schmale senkrechte Lichtschlitze. Gelegentlich sind schmale Treppenaufgänge ins Mauerwerk eingearbeitet, die einer einzelnen Person den Aufstieg ermöglichen. Ein eingedrungener Angreifer konnte hier seine Waffen nicht effektiv einsetzen und konnte leicht bekämpft werden.
Die teilweise enormen Mauerstärken der Untergeschosse nehmen im Innern des Turms in den Obergeschossen meist deutlich ab. Auf den dadurch entstehenden Mauerabsätzen lagen Holzdecken auf, die der Geschossaufteilung dienten. Das unterste Geschoss sowie das Obergeschoss werden häufig von einem Steingewölbe abgeschlossen. Einige Bergfriede waren eingeschränkt bewohnbar, es finden sich sogar kleine Kaminanlagen in den Obergeschossen. Diese beheizbaren Stuben dienten in der Regel dem Aufenthalt des Türmers.
Den Abschluss bildete entweder eine offene Wehrplatte oder ein Turmhelm, der aus einem hölzernernen Dachstuhl mit Ziegel- oder Schieferdeckung bestand oder auch massiv gemauert sein konnte (Beispiel: Osterburg). Entsprechend der Grundrissformen der Türme waren Zeltdächer und Kegeldächer am häufigsten. Wenn der Bergfried mit einem Dach abschloss, war das unmittelbar darunter liegende oberste Geschoss in der Regel ringsum befenstert, um von dieser erhöhten Position den Ausblick auf das die Burg umgebende Gelände zu ermöglichen. Bei einer offenen Wehrplatte war dieser Rundblick von vornherein gegeben. Gelegenlich haben sich auch die alten Zinnenkränze im Original erhalten, besonders wenn sie durch spätere Überbauungen geschützt werden (Burg Wellheim). Größere Wurfmaschinen oder Katapulte haben sicherlich nur selten auf den Wehrplatten gestanden.
Große Burganlagen (z.B. Burg Münzenberg) und Ganerbenburgen besitzen manchmal mehrere Bergfriede.
Funktion und Zweckbestimmung
Über die Funktionen des Bergfrieds entstand im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts in der Burgenforschung eine Diskussion, die sich am ehesten auf die Kurzformel „Wehrbau oder (eher) Statussymbol“ verknappen lässt. Vielfach wird auch von dem Untergeschoss eines Bergfrieds als „Verlies“ gesprochen. Es ist nicht auszuschließen, dass hier auch einmal ein Gefangener landete, archäologische Befunde hierzu gibt es kaum (in wenigen Fällen existieren Aborte im untersten Geschoss, die diese Nutzung nahelegen, aber dies ist die Ausnahme). Dagegen ist die Nutzung als Vorratslager belegt. So wurden in diesen Räumen zum Beispiel Steinhaufen gefunden, die hier als Wurfgeschosse für eine Belagerung vorgehalten wurden. Als Wehrbau hat er sicherlich eine Rolle gespielt. Sei es als Beobachtungsplattform oder zur Abwehr von Feinden.
Bei den Hangburgen brachte er den Verteidiger auf Augenhöhe mit dem im Hang sitzenden Gegner. Dafür spricht auch die Tatsache, dass Bergfriede im 12. und 13. Jahrhundert dichter an der Angriffsseite oder sogar in die dort befindliche Mauer gebaut wurden. Dass er ein Statussymbol war, zeigen vor allem die teilweise später gebauten „Butterfassaufsätze“, die keinen zusätzlichen Nutzen für die Wehrfunktion, sondern lediglich Höhe brachten. Allerdings stammen solche Aufsätze meist aus dem Spätmittelalter oder der frühen Neuzeit, als sich die politischen und wehrtechnischen Verhältnisse deutlich verändert hatten. Zu dieser Zeit wurden zahlreiche Bergfriede sogar gänzlich abgetragen (Veste Coburg) oder erniedrigt. Burg- und Schlossneubauten verzichteten vollständig auf dieses mittelalterliche "Symbol der Macht".
Der Bergfried als Zufluchtsort
Die neuere Burgenforschung, insbesondere die Gruppe um den bayerischen Mittelalterarchäologen Joachim Zeune, stellt jedoch die Funktion des Bergfriedes als Zufluchtsort im Falle einer Belagerung in Zweifel. Der Rückzug in den Turm sei ein „Tod auf Raten“ gewesen, der allenfalls in Erwartung eines Entsatzheeres sinnvoll gewesen sei. Als Beleg für diese These wird das weitgehende Fehlen entsprechender Befunde und Überlieferungen angeführt. Auch dem Hocheingang wird hier mehr eine symbolisch-psychologische Bedeutung beigemessen.
Kritiker werfen dieser Ansicht, die sich im Zusammenhang mit Zeunes „Machtsymbol-Theorie“ herausbildete, das völlige Außerachtlassen der hochmittelalterlichen Feudalordnung und des Gefolgschaftswesen vor. Viele Burgen waren Lehensburgen, die einem mächtigeren Feudalherren oder einem Hochstift unterstanden. Die damaligen Territorien waren durch ein dichtes Netz solcher kleinerer und mittlerer Wehranlagen gesichert, das noch durch die befestigten Höfe der Untervasallen ergänzt wurde. Im Angriffsfall hätten die Verteidiger sich nach dieser Auffassung durchaus auf den Bestand ihres Lehnsherren und der zugehörigen oder verbündeten Ritterschaft verlassen können. Umgekehrt vertraute der Landesherr selbstverständlich auf die Hilfe seiner Vasallen.
Die Untergeschosse der Bergfriede stecken häufig mehrere Meter im Boden. Eine Unterminierung war deshalb nicht zu befürchten. Auch eine Brandlegung war durch die Steinarchitektur nur schwer möglich, Die wenigen Lichtöffnungen konnten rasch verschlossen werden, so daß auch ein Ausräuchern verhindert werden konnte. Die „konservative“ Historikergruppe sieht den Bergfried deshalb als Mittel der passiven Verteidigung, als Zufluchtsort für einige Tage, bis der Entsatz eintraf. Aus diesem Grund finden sich an diesen Bauwerken nur so wenige Einrichtungen der aktiven Verteidigung. Man wollte offenbar hauptsächlich ein Eindringen des Angreifers verhindern. Die Erstürmung eines solchen Turmes innerhalb weniger Tage ist nahezu unmöglich. Viele Bergfriede entgingen wegen ihrer massiven Bauweise sogar den späteren Abbruchsversuchen der umliegenenden Landbevölkerung, die das sonstige Baumaterial verlassener Burgen gerne abtransportierte und wiederverwertete.
Ein Angriff auf eine solche, in ein funktionierendes Feudalsystem eingebundene Burganlage war also nahezu aussichtslos. Hier war es wesentlich risikoloser, die Höfe und Mühlen des Feindes auszuplündern. Tatsächlich wurde ein großer Teil der mitteleuropäischen Burgen im Mittelalter niemals ernsthaft angegriffen. Folgerichtig kann es deshalb auch nicht viele Nachweise eines Rückzuges in einen Bergfried geben, das Bauwerk hatte seine abschreckende Funktion ja erfüllt.
Eine erfolgversprechende Belagerung war nur sinnvoll, wenn man sich vorher rechtlich absicherte und den Landesherren oder gar den Kaiser um Erlaubnis bat. Dies war nur bei tatsächlichen oder fingierten Rechtsbrüchen möglich, etwa Wegelagerei, Falschmünzerei oder Totschlag. Den Verbündeten des Burgherren waren dann die Hände gebunden, sie konnten dem Angegriffenen ja aus rechtlichen Gründen nicht zu Hilfe kommen. In solchen Fällen war eine letzte Zuflucht im Hauptturm eigentlich sinnlos.
Die Bergfriede der Burgen des 12./13. Jahrhunderts wurden ursprünglich nur von einfachen Ringmauern umgeben. Flankierungstürme und Zwingeranlagen wurden erst in späteren Bauphasen hinzugefügt. Viele Nebengebäude bestanden damals aus Holz oder Fachwerk, der steinerne Wohnbau war meist nicht besonders wehrhaft. Im Hochmittelalter war ein massiver Bergfried im Belagerungsfall zweifellos das sicherste Gebäude, in dem bereits während der Kampfhandlungen die Frauen, Alten und Kinder Zuflucht suchen konnten.
Solch ein Turm war sicherlich auch ein wirksamer Schutz gegen die Überraschungsangriffe kleinerer marodierender Banden und der anhängigen Bevölkerung. Gerade während der Abwesenheit der oft nur wenigen wehrfähigen Männer während der Jagd oder Feldarbeit war eine Burg besonders gefährdet. Auch ohne Vorräte konnten die verbliebenen Burgbewohner bis zur Rückkehr der Männer im Bergfried ausharren und waren vor Mißhandlungen und Vergewaltigungen geschützt. Ein solcher sicherer Rückzugsort war in einer Zeit, in der sich die staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen erst zu konsolidieren begannen, sicherlich hoch willkommen.
Bei späteren Ausbauten wurden die hinzugefügten Wehrtürme oft als Schalentürme ausgeführt. Die Rückseite war also offen, um einem eingedrungenen Gegner keine Deckungsmöglichkeit zu bieten. Solche, halbrunden oder rechteckigen Turmbauten haben sich an zahllosen Burgen und Stadtbefestigungen erhalten. Sie sind ein weiteres Indiz dafür, daß eine Wehranlage auch nach der Erstürmung der Ringmauern noch nicht aufgegeben wurde.
Der größte Hauptturm einer mittelalterlichen europäischen Burg, der gewaltige Donjon der französischen Burg Coucy, wurde gar noch während des Ersten Weltkrieges als Bedrohung angesehen. Die deutsche Heeresleitung ließ den etwa 50 m hohen Turm am 27. März 1917 trotz zahlreicher internationaler Proteste sprengen, um den französischen Truppen keine Rückzugsmöglichkeit offenzuhalten.

Im Spät- und Nachmittelalter entstanden noch einige Burgneubauten, deren Haupttürme zweifellos niemals als Rückzugsorte geplant waren. So ließ Friedrich von Freyberg ab 1418 direkt neben seiner Stammburg Eisenberg im Allgäu einen der letzten großen Burgneubauten des deutschen Mittelalters errichten. Die Burg Hohenfreyberg entstand im Stil einer staufischen Höhenburg, auch ein „Bergfried“ durfte hier nicht fehlen. Die beiden Burgruinen bilden heute eine der bedeutendsten Burgengruppen Zentraleuropas. Der Freyberger wollte wohl am Ende des Mittelalters nochmals ein Symbol ritterlichen Selbstbewußtsein erschaffen.
Im 16. Jahrhundert erwarben die Augsburger Fugger die Marienburg in Niederalfingen im heutigen Ostalbkreis in Baden-Württemberg. In der Zeit der Hochrenaissance entstand hier in der Folge eine „hochmittelalterliche“ Höhenburg aus Buckelquadern mit einem mächtigen Hauptturm. Die aus einfachsten Verhältnissen aufgestiegenen Fugger wollten ihren frisch erworbenen Adelsstand hier offenbar durch einene „antike“ Stammburg legitimieren.
Literatur
- Horst Wolfgang Böhme (Hrsg.): Wörterbuch der Burgen, Schlösser und Festungen, Stuttgart 2004. ISBN 3-15-010547-1
- Thomas Biller/Georg Ulrich Großmann: Burg und Schloss. Der Adelssitz im deutschsprachigen Raum, Regensburg 2002. ISBN 3-7954-1325-7
- Georg Ulrich Großmann: Burgen in Europa, Regensburg 2005. ISBN 3-7954-1686-8
- Burgen in Mitteleuropa. Ein Handbuch. Hrsg. von der Deutschen Burgenvereinigung e. V., Stuttgart 1999. ISBN 3-8062-1355-0
- Joachim Zeune: Burgen - Symbole der Macht. Ein neues Bild der mittelalterlichen Burg, Regensburg 1997. ISBN 3-7917-1501-1
- Hans-Klaus Pehla: Wehrturm und Bergfried im Mittelalter, Diss. Aachen 1974
Quellen
- ↑ Piper, Otto: Burgendkunde. Bauwesen und Geschichte der Burgen. Würzburg 1912, S. 174.
- ↑ Burgen in Mitteleuropa. Hrsg. von der Deutschen Burgenvereinigung e.V. Stuttgart 1999, S. 237.
- ↑ Biller, Thomas: Die Adelsburg in Deutschland. Entstehung, Form und Bedeutung. München 1993, S. 134.