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Verbrennung (Medizin)

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Ein Artikel zur Ersten Hilfe des bei Verbrennung befindet sich unter Verbrennung (Erste Hilfe)


Ein Verbrennungsunfall (Verbrennungstrauma), der ein bestimmtes Maß überschreitet, hat für den betroffenen Organismus nicht nur örtlich begrenzte Konsequenzen. In Abhängigkeit vom Ausmaß der unmittelbaren Schädigung (Trauma) kann es sekundär zum Kreislaufschock und entzündlichen Allgemeinreaktionen des Körpers (SIRS, Sepsis) kommen, die im schlimmsten Fall mit Funktionsverlust anfänglich völlig unbeteiligter Organe (z. B. akutes Nierenversagen) verbunden sind. Aus diesem Grund spricht man von der Verbrennungskrankheit.

Klassifikation

Um zu bestimmen, wieviel Prozent der Körperoberfläche verbrannt ist, bedient man sich der sog. Neunerregel. Als Faustregel gilt, dass die Handfläche des Betroffenen ca. 1% der Körperoberfläche entspricht.

Beim Erwachsenen kann man sich an folgenden Prozentzahlen orientieren:

  • Kopf und Hals 10%
  • Arme je 9%
  • Rumpfvorder- und rückseite je 18%
  • Beine je 18%

Bei Kindern gelten aufgrund der zum Erwachsenen deutlich unterschiedlichen Körperproportionen folgende Werte:

  • Kopf und Hals 16%
  • Arme je 9%
  • Rumpfvorder- und rückseite je 16%
  • Beine je 17 %

Für Erwachsene besteht Lebensgefahr bei einer 2.-3.-gradigen Verbrennung von ca. 20% der Körperoberfläche, für Kinder schon bei einer Schädigung von ca. 10%.

Grundlagen

Häufigkeit und Ursachen

In Deutschland wird jährlich mit 25000 Schwerbrandverletzten gerechnet.

Für die Erkrankung von Erwachsenen sind meistens Flammverbrennungen verantwortlich.

Bei Kindern sind dagegen zu 80% Verbrühungen Ursache der Verbrennungskrankheit, wobei das Herunterreißen von Flüssigkeitsbehältern von Herd und Tisch typische Abläufe sind. Ein Häufigkeitsgipfel ergibt sich durch die lebhafte motorische Entwicklung im Alter von 2 bis 4 Jahren.

Alle anderen Ursachen sind selten, sie haben aber eine hohe Mortalität (Sterblichkeit). So verlaufen Hochspannungsunfälle zu 30% und Blitzschlagunfälle zu 50% tödlich.

lokale Verbrennungszeichen

Primär entscheidend für den Verlauf der Verbrennungkrankheit ist das Ausmaß der Haut- und Gewebeschädigung. Dabei sind

  • der Anteil an der Körperoberfläche (Ausdehnung) und
  • der Schweregrad der lokalen Schädigung

wichtig. Zur Einschätzung siehe Abschnitt Schweregradeinschätzung.

Gemessen an der Ausdehnung werden

  • 15% verbrannte Körperoberfläche bei Erwachsenen und
  • 10% verbrannte Körperoberfläche bei Kindern

als lebenbedrohlich angesehen (schwere Brandverletzung).

Die lokale Schädigung wird in 3 (4) Schweregrade eingeteilt:

Entwicklung von Rötung und Schwellung als hervorstechendes Merkmal.
Zu 1°igen Veränderungen kommen Blasenbildung und Schmerz hinzu, Heilung unter Narbenbildung.
Im Zentrum der Schädigung weißliche Verfärbung der Haut, das veränderte Areal ist schmerzunempfindlich. In den Randgebieten finden sich Veränderungen wie 2°.
Verkohlungen.


Krankheitsentstehung und -verlauf

Ursache der Verbrennungskrankheit ist ein Verbrennungstrauma:

Dauerhafte Temperatureinflüsse von über 40°C können die Kompensationsfähigkeit des Organismus überfordern [1]. Übersteigt die die zugeführte Wärmemenge ein bestimmtes Maß, so kann die Hitze nicht durch die normalen Warmeaustauschvorgänge, wie Abstrahlung oder Abtranspost der Wärme durch das Blut abgeleitet werden. Auf molekularer Ebene kommt es ab 40°C zur Degeneration zellulärer Eiweiße mit temporärem Funktionsverlust. Ab 45°C führt der thermische Streß zur Denaturierung und damit zum endgültigen Struktur- und Funktionsverlust der Bau- und Funktionseiweiße. Die örtlichen Veränderungen werden im klinischen Bild als Koagulationsnekrosen bezeichnet.

Die veränderten molekularen Strukturen wirken toxisch, antigen und immunmodulatorisch [1].

lokale Veränderungen

Die örtlichen Veränderungen in einer Brandwunde werden nach Jackson in drei Zonen aufgeteilt:

Koagulationszone Kern der thermischen Schädigung, Zerstörung der Zellstrukturen aufgrund der Denaturierung von Eiweißen
Stasezone Beeinträchtigung von Zellfunktionen, keine dauerhafte Zerstörung von Zellstrukturen, aber eingeschränkte Durchblutung (Kapillarperfusion) und Tendenz zur dauerhaften Schädigung durch pathologische Immunvorgänge (Mediatorenausschüttung) und Sauerstoffmangel (Ischämie).
Hyperämiezone von der thermischen Schädigung nicht direkt betroffen, Teil des lokalen Kompensationsmechanismus mit verstärkter Durchblutung (Hyperämie) zum Abtransport der Wärme

Da Gewebe der Koagulationszone ist dauerhaft zerstört.

Von größtem therapeutischen Interesse ist die Stasezone. Drei Merkmale sind wesentlich:

  1. Ununterbrochene Wärmezufuhr führt zu Denaturierungen der Eiweiße, also zum sog. Abtiefen der Koagulationszone.
  2. Die pathologischen Immunvorgänge initiieren Immunreaktionen des Gesamtorganismus.
  3. Der Prozess ist umkehrbar, eine Wiedererlangung der normalen lokalen Funktion ist möglich.

Das Ziel der Soforttherapie ist es, die Stasezone zu verkleinern. Dazu wird dem Gewebe durch Kaltwasserbehandlung Wärme entzogen.

Im unbehandelten Krankheitsverlauf werden Schwellung, Blasenbildung und Rötung sichtbar. Grundlegende pathophysiolgischen Mechanismen dafür ist Extravasation (Austreten von Flüssigkeit aus dem Gefäßinneren in das umgebende Gewebe) durch einen Endothelschaden (capillary leak) in der Stasezone und Gefäßweitstellung (Hyperämiezone).

Wirkung auf den Gesamtorganismus

Es kommt aus dem geschädigten Gebiet (Stasezone) zu einer Freisetzung von Mediatorsubstanzen, die eine generalisierte Immunreaktion des Organismus bewirken. Diese Erscheinungen, die schon im frühen Verlauf der Verbrennungskrankheit sichtbar werden, bewirken auch im Gesamtorganismus eine Verschiebung von Volumen (vereinfacht Wasser) in das Gewebe. Da somit das zirkulierende Blutvolumen sinkt, sind diese Vorgänge kreislaufwirksam. Die Flüssigkeitsverschiebungen bewirken derartig hohe Verluste an intravasalem Volumen, dass es unbehandelt zur Hypovolämie kommt. So fällt zum Beispiel das Plasmavolumen bei 40% verbrannter Körperoberfläche auf 25% des Ausgangwertes.

Erschwerend wirkt die Erhöhung des Hämatokritwertes. Dadurch, dass dem intravasalen Blut das Plasma entzogen wird, wird der Anteil der festen Blutbestandteile (Hämatokritwert) erhöht. Das bewirkt nun wiederum eine Erhöhung der Viskosität des Blutes, die die Fließeigenschaften im Kapillargebiet verschlechtert. Volumenmangel und Erhöhung des Hämatokrites sind wichtige Ursachen für Organversagen (hier besonders wichtig: akutes Nierenversagen) und Kreislaufschock.

Somit ist die ausreichende Flüssigkeitszufuhr die wichtigste Therapiemaßnahme in dieser Phase.

Bei der schweren Verbrennungskrankheit hat man schon auf der Grundlage der entzündlichen Reaktion und Freisetzung von Entzündungsmediatoren von einer Entwicklung eines SIRS auszugehen. Die Keimbesiedlung (Infektion) der verbrannten Gebiete und die Penetration der Erreger in den Organismus führt zu einer Sepsis.

Therapie

Die Therapie kann in drei Bereiche eingeteilt werden:

  1. Sofortbehandlung mit Wärmeentzug
  2. Volumenersatz
  3. Therapie von Sepsis und Multiorganversagen
  4. Plastisch-Chirurgische Verfahren in der Rekonvaleszenz


Sofortbehandlung mit Wärmeentzug

Nach dem Unterbrechen der Wärmezufuhr ist die Behandlung mit kaltem Wasser die effizienteste Methode um dem Gewebe überschüssige Wärme zu entziehen. Damit wird das sog Abtiefen oder Nachbrennen, dh. die Ausbreitung der Koagulations- und Stasezone durch die verbliebene Wärmeenergie vermindert.

Die Kaltwasserbehandlung hat außerdem einen sehr guten schmerzlindernden Effekt, bezüglich der 2° verbrannten Areale (siehe Abschnitt "lokale Verbrennungszeichen").

Es gilt die sog. 20-20er-Regel:

15-20° kaltes Wasser über 15-20min

Dabei ist aber eine Unterkühlung des Gesamtorganismus zu vermeiden, da eine Hypothermie die Prognose der Verbrennungskrankheit wesentlich verschlechtert. Die Grenze ist schwer zu bestimmen: einerseits wird empfohlen solange zu kühlen, wie sich die verbrannten Areale als erhitzt anfühlen [1], andereseits ist zu bedenken, dass in der Tiefe des Gewebes noch für einige Zeit Wärme gespeichert ist.


Volumenersatz

Ab einer verbrannten Körperoberfläche von 20% spielen die Verschiebungen des intravasalen Volumens eine entscheidende Rolle für den Verlauf der Verbrennungskrankheit (siehe Abschnitt "Wirkung auf den Gesamorganismus").

Vereinfacht gesagt: Die Menge des Blutes ist zu gering und das verbliebene Blut hat schlechte Eigenschaften - seine Vikosität ist zu hoch. Das einfache Prinzip der Therapie besteht darin, durch Zufuhr von Wasser das Blutvolumen zu erhöhen und die Blutviskosität zu senken.

Da Blut aber ein komplexes Organ ist (Zellen, Eiweiße) und bei Verbrennungen im besonderen Austausch mit den Geweben des Organismus steht (capillary leak), müssen Überlegungen über die Eigenschaften der verwendeten Lösungen angestellt werden.

(geht weiter)

Therapie von Sepsis und Multiorganversagen

Chirurgische Verfahren

Das die Therapie der schweren Verbrennungskrankheit extrem aufwändig und schwierig ist haben sich in Deutschland einige Zentren auf die Behandlung spezialisiert..

Quellen

  1. Ch Ottomann und B. Hartmann: Die Pathophysiologie des Verbrennungstraumas; Intensivmed 2004;41:380-387