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Evolutionäre Erkenntnistheorie

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Unter evolutionärer Erkenntnistheorie versteht man den Versuch, das menschliche Erkennen (einzig) aus den Gesetzmäßigkeiten der Evolutionstheorie herzuleiten. Sie steht in einem Naheverhältnis zur Soziobiologie und zur evolutionären Ethik und erhebt (teilweise) den Anspruch die philosophischen Probleme der Erkenntnistheorie (Epistemeologie) gelöst zu haben.

In diesem Anspruch muss die evolutionäre Erkenntnistheorie zu den biologistischen Versuchen gezählt werden, menschliche Fähigkeiten und daraus abgeleitete philosophische Problemfelder naturalistisch erklären zu wollen und zu können.

Erste Ansätze einer evolutionären Erkenntnistheorie stammten von Herbert Spencer und Georg Simmel, aber eine erste systematische Fassung wurde erst von Konrad Lorenz vorgelegt (Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens, 1973), die im weiteren von Gerhard Vollmer ausgebaut wurde. Ein weitere Vertreter ist der österreichische Meeresbiologe Rupert Riedl. Allen evolutionären Ansätzen ist gemeinsam, dass sie die Strukturen des menschlichen Denkapparates als Produkt der Evolution betrachten, genau wie alle übrigen Organe auch. Die evolutionäre Erkenntnistheorie geht über diese weitgehend akzeptierte Annahme hinaus, und folgert, dass es eine Übereinstimmung subjektiver Erkenntnisstrukturen mit der physischen Wirklichkeit geben muss, insofern sich die Erkenntnisstrukturen als evolutionäre Anpassung an die Umwelt herausgebildet haben. Sie setzt dabei notwendig einen erkenntnistheoretischen Realismus voraus. Vereinfacht kann man sagen, dass z.B. die Abbildung und die Erkennungs- und Verarbeitungsprozesse die beim Sehen und Erkennen eines Astes eines Baumes ablaufen, nur so erfolgen können, dass sie der tatsächlichen Wirklichkeit entsprechen. Ansonsten würde ein Lebewesen, dass diesem Anspruch nicht genügt nicht überleben können (z.B. ein von Ast zu Ast schwingender Affe) und daher nicht zu unseren Vorfahren zählen. Abgesehen davon, dass es unzählige Beispiele aus der Wahrnehmungspsychologie gibt, die zeigen, dass unser Wahrnehmungsapparat eben nicht wirklichkeitsgetreu funktioniert, ist der wesentliche Einwand der philosophischen Epistemeologie der, dass die evolutionäre Erkenntnistheorie höchstens die (weitgehend unumstrittene) Entstehung (Genese) der der Erkenntnis zugrunde liegenden organischen Strukturen erklären könne, aber weder etwas über die Frage, wie wir feststellen können, ob wir einer Erkenntnis trauen könnten, noch etwas über die Bedingungen und Grenzen der Erkenntnis oder deren Ursprünge (den wesentlichen Problemen der Erkenntnistheorie) aussagen kann.

Karl Raimund Popper und Stephen Toulmin haben dieses Konzept auf die Wissenschaftstheorie, im speziellen auf die Wissenschaftsentwicklung übertragen.

Literatur

  • K. Lorenz Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens. (1973) München
  • K. R. Popper Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf. (1973) Hamburg
  • G. Vollmer Evolutionäre Erkenntnistheorie. (1975) Stuttgart
  • R. Riedl Biologie der Erkenntnis. Die Stammesgeschichtlichen Grundlagen der Vernunft. (1980) Berlin/Hamburg