Heimlicher Lehrplan
Der Begriff heimlicher Lehrplan (englisch: hidden curriculum) bezeichnet nicht-ausgesprochene (oder auch unbewußte und ungewollte) Lerneffekte durch Erziehung. Dabei geht es insbesondere um ein solches Lernen, das eine Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse bewirkt.
In der Schule lernen die Schüler auf der einen Seite nach dem offiziellen Lehrplan und auf der anderen Seite nach dem inoffiziellen, heimlichen Lehrplan. Darüber sollte sich jeder Pädagoge bewusst sein. Es geht darum, was der Schüler jenseits der guten Absichten des Lehrers in der Schule lernt. Dieses Lernen wird nicht offen gelegt, sondern "hinterrücks" (durch Inhalte und Struktur der Erziehung sowie das Verhalten von PädagogInnen) vermittelt. Es gilt das Gesetz von Eduard Spranger: "Das Gesetz der ungewollten Nebenwirkungen in der Erziehung".
Schüler lernen neben dem offiziellen Lernplan,
- wie man Erfolg bei Mitschülern oder beim Lehrer hat
- wie man strategisch handelt, um zum Beispiel Unwissen zu verheimlichen
- wie man strategisch handelt, um unangenehme Sachen nicht zu machen
- wie die zur Verfügung stehende Zeit sinnvoll oder effektiv genutzt wird
- durch die Imitation und Identifikation von Vorbildern wie man sein sollte
- usw.
Es geht also kurz gesagt um die (Über-)Lebensfähigkeit, um die Lebenstüchtigkeit der Schüler in einem System Schule. Nach Hilbert Meyer geht es
- "beim heimliche Lehrpaln um die lautlosen Mechanismen der Einübung in die Regeln und Rituale der Institution; es geht darum, sich an Oben und Unten, an Gutsein und Schlechtsein, an Auffälligwerden und Durchwursteln zu gewöhnen. Um es in den gängigen Fremdwörtern zu formulieren: es geht um die Einübung in hierarchisches Denken, in Leistungkonkurrenz und Normkonformität." (Meyer, S. 65)
Ein weiter Vorwurf an das System Schule ist, dass die Schüler in diesem System durch den heimlichen Lehrplan darauf beziehungsweise dadurch abgerichtet (erzogen) werden, dass sie in dem jeweiligen Gesellschaftssystem funktionieren. Die Schule hat, wie viele Institutionen, einen Doppelcharakter. Auf der einen Seite verspricht sie Emanzipation und Aufklärung und auf der anderen Seite verursacht sie genau das Gegenteil: Anpassung an das herrschende System und Stabilisierung des herrschenden Systems.
Der heimliche Lehrplan dient seit der Aufklärung dazu, die gesellschaftlichen Machtverhältnisse im Unterricht zu reproduzieren. Der Begriff wird in der Erziehungswissenschaft seit den 1960er Jahren verwendet, um den Klassencharakter der Schule darzustellen. Spätestens seit den 1970ern dient er auch zur Beschreibung der Mechanismen, die Schülerinnen im Bildungssystem behindern. Mit der interkulturellen Erziehung wurde auch die eurozentristische Unterrichtsweise als ein heimlicher Lehrplan zur Benachteiligung ausländischer SchülerInnen benutzt.
Siehe auch: Bildungsparadox, Chancengleichheit, Deschooling, Herrschaftswissen, Integration
Literatur
Hilbert Meyer: UnterrichtsMethoden, I: Theorieband, Frankfurt 1988, 2. Auflage