Klaviersonate
Eine Klaviersonate ist eine Solosonate für Klavier.
Sie entwickelte sich im Laufe des 17. Jahrhunderts als Werkgattung für ein Tasteninstrument allein.
Der Begriff Klavier
Bis etwa zur Mitte des 18. Jahrhunderts kann Klavier bzw Clavier (Schreibung z.B. bei Carl Philipp Emanuel Bach) prinzipiell jedes Tasteninstrument bezeichnen, also z. B. das Cembalo, das Klavichord und das Hammerklavier, aber auch die Orgel.
Stärker als bei anderen Gattungen ist die musikalische Entwicklung der Klaviersonate von der Entwicklung der Tasteninstrumente abhängig. So lässt das Cembalo keine Anschlags- sondern lediglich eine Registrierungsdynamik (Terrassendynamik) zu; auf dem Klavichord dagegen ist eine stufenlose dynamische Gestaltung möglich. Es lässt zudem mit der Bebung ein Vibrato auf dem einmal angeschlagenen Ton zu, besitzt aber bei begrenztem Tonumfang nur ein sehr kleines Tonvolumen.
Klaviermusik als heute gängiger Begriff ergibt sich erst im Zusammenhang mit den technischen Möglichkeiten und Klangvorstellungen des Hammerklaviers.
Frühzeit
Nimmt man nicht das Klavier (Cembalo), sondern Tasteninstrumente allgemein als Ausgangspunkt, so kann der Beginn der Gattung auf das Jahr 1605 mit Orgelkompositionen des Italieners Adriano Banchieri festgelegt werden, die den Titel Sonate tragen.
Die ersten im engeren Sinn Klaviersonaten genannten und heute erhaltenen Werke stammen von dem italienischen Komponisten Gian Pietro del Buono aus Palermo. Es handelt sich um Bearbeitungen über das Ave Maris Stella aus dem Jahr 1645. Es folgten vereinzelte Werke für Tasteninstrument mit der Bezeichnung Sonate, z. B. von Gregorio Strozzi aus dem Jahr 1687.
Die Gattung wurde mit dem ausgehenden 17. Jahrhundert populär; eine frühe musiktheoretische Erwähnung findet sich im Musiklexikon von Sebastién de Brossard (1703). Dabei war der Begriff Sonate inhaltlich noch weitgehend undefiniert, und wurde häufig austauschbar mit Bezeichnungen wie Toccata, Canzona, Phantasia, und anderen verwandt. [1]
Die erste weithin bekannte Reihe von Klaviersonaten schrieb der Thomaskantor Johann Kuhnau. Es handelt sich um die Musicalischen Vorstellungen einiger biblischer Historien, in 6 Sonaten auff dem Claviere zu spielen, die 1700 in Leipzig erschienen. Die illustrativen Stücke geben verschiedene Geschichten des alten Testaments auf dem Tasteninstrument wieder. Die Bezeichnung Sonate ist hier wahrscheinlich lediglich als Abgrenzung zur Vokalmusik gemeint und weist auf den rein instrumentalen Charakter der Werke hin.
Barock und Vorklassik
Seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts wurden Klaviersonaten zu einer populären Gattung. Zahlreiche Komponisten schrieben Klavier- bzw. Cembalowerke [2], die sie Sonate nannten. Dabei kann es sich um zyklische Formen oder um Einzelsätze handeln. So schrieb Domenico Scarlatti über 500 einsätzige Stücke. Gleiches gilt für andere Komponisten der iberischen Halbinsel, wie z. B. Pater Antonio Soler oder Carlos Seixas.
Sowohl französische als auch italienische Komponisten vermieden die Bezeichnung Sonate weitgehend, wenn es sich um Kompositionen für Klavier alleine handelt; François Couperin verwendete z. B,.den Begriff Ordre für seine Klavierwerke, die in Wirklichkeit Suiten sind und aus mehreren aufeinanderfolgenden Tanzsätzen bestehen. Der Begriff Sonate wurde in diesen Regionen eher für Werke für Melodieinstrumente oder Melodieinstrumente und B.c. verwendet. Typisch dafür ist die Triosonate.
Nördlich der Alpen begann ein regelmäßiges und systematisches Komponieren von Klaviersonaten erst mit der Generation von Johann Sebastian Bachs Söhnen. So schrieb Carl Philipp Emanuel Bach zahlreiche Klaviersonaten; er unterschied auch zwischen dem aufkommenden Hammerklavier und dem Cembalo; Bachs Söhne lebten genau in der Zeit der Ablösung des letzteren durch ersteres.
Die Entwicklung von Klavichord und Hammerklavier ermöglichte einen tiefgreifenden Umbruch in der Komposition; erstmals nutzen die Komponisten in ihren Kompositionen für Klavier alleine die Möglichkeit kleinräumiger dynamischer Differenzierung als stilgebenden Parameter. Hiervon machten beispielsweise die Bach-Söhne, insbesondere Carl Philipp Emanuel und Johann Christian Bach, regen Gebrauch; es kam zur Ausprägung des galanten und empfindsamen Stils in der Klaviermusik.
Die Werke Carl Philipp Emanuel Bachs und des nahezu gleichzeitig lebenden Joseph Haydn erlangten für spätere Komponisten, insbesondere für Mozart und Beethoven, Vorbildcharakter. Zwar waren Satzfolge und Form noch nicht festgeschrieben, die Mehrsätzigkeit wurde jedoch zur Regel. Immer häufiger setzte sich als grundlegende Form die Umklammerung eines langsamen Satzes durch zwei schnelle Sätze durch.
Klassik
Die Klaviersonate leitete sich in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts - und dies bestimmte ihre jeweilige Gestalt - aus zwei Gattungen ab: aus dem klassischen Konzert oder aus der Sonata da camera, die in der Abfolge der Sätze der barocken Suite entsprechen kann. Eine geringere Rolle spielte im Zusammenhang mit der Klaviersonate die Sonata da chiesa als zweite wichtige barocke Form.
Das gesamte Sonaten-Oeuvre für Klavier ist spätestens ab 1770 qualitativ und quantitativ nicht mehr leicht zu überblicken. Von gattungsgeschichtlicher Bedeutung sind in besonderem Maße die Sonaten von Johann Christian Bach, jedoch ebenso Sonaten von Muzio Clementi, Joseph Martin Kraus, Georg Christoph Wagenseil und zahlreichen anderen.
Wiener Klassik
Ihren ersten gattungsgeschichtlichen Höhepunkt erlebte die Klaviersonate ohne Zweifel in der Wiener Klassik. Joseph Haydn (etwa 50 Sonaten), Wolfgang Amadeus Mozart (18 Sonaten) und Ludwig van Beethoven (32 Sonaten) gelten als die wichtigsten Verfasser von Klaviersonaten.
Wie verschieden die Satzfolge sein kann, lässt sich an drei Klaviersonaten W. A. Mozarts deutlich machen:
- Die Sonate Es-Dur KV 282 (1774) beginnt mit einem langsamen Satz, es schließt sich ein Menuett mit Trio (von Mozart als Menuett II bezeichnet) an, die Sonate endet mit einem schnellen Satz. Hier liegt die Verwandtschaft zur "Sonata da Camera" nahe.
- Die Sonate A-Dur KV 331 ("Alla Turca", 1778) beginnt mit einem mäßig schnellen Variationssatz, ähnlich wie später Beethovens Klaviersonate Nr. 12 As-Dur op. 26.
- Dagegen ist die Sonate D-Dur KV 576 (1789) ein sehr brillantes Werk, dessen Satztechnik bis hin zu erkennbaren Tutti-Solo-Wechseln stark vom Konzert beeinflusst ist.
Haydn
Im mehrere Musikepochen umspannenden Werk von Joseph Haydn spielen seine 52 Klaviersonaten unter anderem als innovatives Experimentierfeld später in orchetralen Formen verwirklichter Modelle und Ideen eine bedeutende Rolle. [3] Seine Sonaten werden eher primär durch harmonische Zusammenhänge als durch, wie in der klassischen Sonatendefinion, thematische Beziehungen/Gegensätze zu einer Einheit verbunden. Kleingliedrige Taktgruppen werden meist locker assoziativ verbunden. Die ordnungsschaffende Funktion der Harmonik überwiegt die Themenbildung. [4] Der später geforderte Gegensatz zwischen Haupt- und Nebenthema ist noch nicht immer genau abzugrenzen. Haydn folgt hier, wie in vielem anderen auch, teilweise eher noch der barocken Vorstellung von Heinrich Christoph Koch ("Ein Nebengedanke muß immer so beschffen seyn, daß er uns wieder zur Hauptvorstellung leitet.") [5]
Seine frühern Sonaten, wie zum Beispiel die c-Moll-Sonate Nr. 20, sind spürbar von der formalen Vorarbeit (weniger von der Expressevität) Phillip Emanuel Bachs beeinflusst. Dabei bleibt er teilweise noch dem barocken Divertimento-Stil mit einer einfachen Reihung der Sätze verhaftet. [6] In den vermehrt auf Themenbildung achtendenden, formal ausgewogeneren häufig gespielten Sonaten ab Nummer 27 wird im allgemeinen meist der "klassische Haydn" und ein "Frühmodell der Sonatenform" erblickt. [7] Die Sonaten ab 1780 sind dann zunehmend von einer auf Beethoven verweisenden "Individualisierung des Ausdrucks" und vom eher auf melodische Variation denn auf Form achtenden Einfluss Mozarts beeinflusst. [8]
Obwohl Beethoven später viele Gestaltungsmittel der Haydenschen Sonate übernommen hat, wäre es falsch, sein eher der barocken Idee der monothematischen Affekteneinheit eines Satzes verbundenes musikalisches Denken, als "sonatentypisch" zu konstatieren.
Mozart
Beginn der Formdiskussion im 18. Jahrhundert
Es ist eine weit verbreitete Ansicht, die Klaviersonate folge seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts einem bestimmten Schema in Bezug auf die Abfolge der Sätze bzw. Form der Sätze, die Themenbildung, und anderes. Dies lässt sich anhand der Gestalt der aus dem 18. Jahrhundert vorliegenden Werke nicht belegen. Sonaten können einen bis viele Sätze besitzen (in der Regel nicht mehr als vier), die in vielfältigen Formen und Satztechniken verfasst sein können. Die Anzahl der Themen - Monothematik, Themendualismus, oder mehr als zwei Themen - und die Frage nach deren Verarbeitung versus einfacher Aneinanderreihung ist in der Realität ebenso wenig eindeutig zu beantworten, wie die Realisierung bzw. Existenz der nachträglich formulierten, die Sonate konstituiernden Teile wie Exposition, Durchführung, Reprise, Coda cetera. Die Kombinationsmöglichkeiten sind beinahe unüberschaubar. Es lässt sich eher eine personal- oder allenfalls regionalstilistische formale Verwandtheit zwischen Werken erkennen. Eine darüber hinausgehende Systematik der Gestalt ist auch in Ansätzen kaum zu erkennen.
So sind die auf der iberischen Halbinsel verfassten Werke oft einsätzige, von zeitgenössischen Instrumentaltänzen beeinflusste Stücke (Scarlatti, Seixas, Soler). Dagegen scheint Italien eher die Verwandtschaft zum Konzert als Formvorlage zu bevorzugen. Diese als epochentypisch zu sehende Freiheit spiegelt sich ebenfalls im Sonatenschaffen Mozarts, Haydns und Beethovens wieder.
Die klassisch-romantische Sonate ist ein nachträglich von Theoretikern des 19. und 20. Jahrhunderts vornehmlich an den Sonaten Beethovens definiertes Gebilde, das eine Regelhaftigkeit postuliert, die so nicht existiert hat. Es versucht dabei formale Kriterien und ideeellen Gehalt unterschiedlichster Musikepochen trotzt der fundamental unterschiedlichen dahinter stehenden musikalischen Denkungsweisen zusammenzufassen. [9]
Eingrenzung des Gattungsbegriffs
Es bieten sich statt der Verwendung der historisch fragwürdigen Sonatenform-Definition verschiedene Vorgehensweisen zur Eingrenzung der Gattung an, von denen drei hier genannt werden:
Zum einen ist dies, die Verwendung einzelner Satztypen in der Kompositionsgeschichte nachzuvollziehen. So kam z. B. das Menuett als Schlusssatz bis ca. 1775 bei verschiedenen Komponisten noch gelegentlich vor, nicht nur in der Klaviersonate. Es wurde dann immer ausschließlicher als Binnensatz verwendet, um schließlich gegen Ende des 18. Jahrhunderts fast ganz aus dem Satztableau der Klaviersonate zu verschwinden.
Zum zweiten ist ein Zugang über den musikalischen Gehalt möglich und sinnvoll. Von der ursprünglichen Bedeutung des Kling-Stücks rein instrumentaler Prägung ausgehend, bildete sich nach und nach, mit einem ersten Höhepunkt in den späten Klaviersonaten Mozarts, ein bestimmter Anspruch, sowohl in kompositorischer als auch in ästhetischer Hinsicht, aus. Über ihn lässt sich die Gattung bis weit ins 19. Jahrhundert hinein treffend beschreiben, sieht man von rein didaktischen Werken bzw. Zyklen ab.
Zum dritten sollte methodisch stets ein Abgleich der Form- und Gehaltsaspekte, wie oben beschrieben, mit der Terminologie erfolgen. Die Frage, was in einer bestimmten Epoche als Sonate bezeichnet wird, ist von entscheidender Bedeutung. Hier ist eine isolierte Betrachtung der Klaviersonate nicht zielführend.
Tonumfang
Um 1800 änderte sich die Bauweise der Klaviere. Sie erhielten erstmals Abstützungen im Rahmen zum Ausgleich der Saitenspannung. Dies führte zu einer Vergrößerung des Tonumfangs bis hin zum heute üblichen. Eines der frühesten Werke, das diesen neuen Tonumfang bewusst ausschöpft, ist die sogenannte Waldstein-Sonate Ludwig van Beethovens.
Diese Neuerung brachte eine nachhaltige Erweiterung der musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten mit sich, insbesondere bei der gezielten Verwendung extremer Lagen.
Romantik und 19. Jahrhundert
Vor allem durch die späten Werke Beethovens ist die Sonate spätestens mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts als Gattung von besonderem Anspruch festgelegt, ähnlich wie das Streichquartett. Dies gilt natürlich auch für die Klaviersonate.
Die größere Dimension der Einzelwerke brachte naturgemäß eine quantitative Verringerung der Produktion mit sich. Gleichzeitig allerdings entstanden viele auf den Klavierunterricht ausgerichtete Sonaten und Sonatinen, die weitgehend der in den 1840er Jahren formulierten schematischen Sonatenform entsprachen.
Mit den Klaviersonaten Franz Schuberts (11 vollendete Klaviersonaten, gleichzeitig mit den späteren Sonaten Beethovens entstanden) wird die Weiterentwicklung der Gattung bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts deutlich. Ebenso wie Beethoven mit seinen späten Sonaten in den technischen Anforderungen und der musikalischen Komplexität weit über das Werk seiner Vorgänger hinausgeht, ist bei Schubert, insbesondere in seinen späten Sonaten und der Wanderer-Fantasie, eine besondere Tiefe und Vielfalt des musikalischen Gehalts zu finden. Schubert kam mit der Wanderer-Fantasie Beethovens prozesshaftem Sonatendenken sehr nahe. Die meisten Klaviersonaten Schuberts dagegen wurden eher als weiträumige musikalische „Erzählungen“ von lyrischem Grundcharakter konzipiert, in denen das melodisch geprägte Themenmaterial weniger dramatisch zugespitzt als permanent verwandelt wird.
In Wechselwirkung mit der Symphonie als wichtigster Gattung der Orchestermusik und dem Streichquartett als herausragender Kammermusik-Gattung setzte sich mehrheitlich eine viersätzige Satzfolge durch. Das Menuett als Binnensatz wurde seltener; an seine Stelle trat oft ein Scherzo.
Schubert
Die Grenzen zwischen Sonate und Fantasie sind oft fließend, gerade bei Klavierwerken. Beispiele dafür sind die bereits erwähnte Wanderer-Fantasie Schuberts und die Fantasie op. 17 C-Dur (ursprünglich „Große Sonate“) von Robert Schumann.
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurde die formale Disposition zunehmend freier.
Franz Liszt
Im Werk von Franz Liszt zeigen sich schon wesentliche für die spätere "Auflösung" der Klaviersonate im 20. Jahrhundert relevante Faktoren. Hierbei ist die formsprengende Tendenz zur Programmmusik zu nennen. So nimmt Liszt für sich in Anspruch, "die Formen durch den Inhalt bestimmen zu dürfen", und schreibt:
- "Die Instrumentalmusik wird mit oder ohne Zustimmung derer, die sich in Sachen der Kunst für die höchsten Richter halten, auf dem Weg des des Programms sicherer und siegreicher vorwärts schreiten." [10]
Diese Schwerpunktverschiebung wird am Titel seiner Dante-Sonate deutlich, der er in Anlehnung an Beethovens op. 27 den Zusatz Fantasia quasi Sonata gibt. Ausgehend vom Beethovenschen Prinzip der "kontrastierenden Ableitung" werden monothematische, dem dialektischen Sonatenprinzip widersprechende Kompositionsprinzipien bestimmend. [11] Die Virtuosität wird dabei zu einem Mittel der Variation und formalen Integration experimentellen Materials. [12] Die Progressivität von Liszt als Wegbereiter der Auflösung der harmonischen Tonalität ist ein weiterer, von Skrjabin und anderen fortgesetzter, die Klaviersonate "sprengender" Punkt. In seiner h-Moll-Sonate von 1853 unternahm er den Versuch, den ineinander übergehenden Sätzen die Großform eines Sonatenhauptsatzes mit breit ausgestalteter Coda zu verleihen. Versuche der Wissenschaft ein eindeutiges Formschema in Bezug auf die herkömmliche Sonatenform sind unterschiedlich. Schon der Zeitgenosse Louis Köhler bescheinigte ihr "trotz der Abweichung von der bekannten Sonatenform" einen "derartig geordneten Bau, daß ihr unterster Grundriß in den Hauptlinien doch parallelen mit denen einer Sonate" zeige. [13] Die Verbindung von Ein- und Mehrsätzigkeit wird ebenso wie das Streben nach werkübergreifender zyklischer Einheit hervorgehoben. Häufig wird versucht, das Werk mit dem Begriff "Synthese Sonatensatz und Sonatenzyklus" beschreiben.
Spätestens mit den Sonaten von Skrjabin (entstanden zwischen 1892 und 1913, ab der 6. Sonate weder tonartlich gebunden noch mehrsätzig) wurde die Form immer stärker aufgelöst. Die Klaviersonate kehrte damit eigentlich wieder an ihren Anfang zurück, zum Kling-Stück, das wie einst eine formale Klammer nicht nötig hat, sondern nun der Empfindung und der improvisorisch wirkenden Fantasie des Komponisten breitesten Raum einräumt.
Komponisten von Klaviersonaten im 19. Jahrhundert
- Beethoven, Ludwig van (1770-1827; 32 Sonaten)
- Brahms, Johannes (1833-1897; 3 Sonaten)
- Burgmüller, Norbert (1810-1836; 1 Sonate)
- Chopin, Frédéric (1810-1849; 3 Sonaten)
- Clementi, Muzio (1752-1832; 72 Klaviersonaten)
- Draeseke, Felix (1835-1913; 1 Sonate)
- Liszt, Franz (1811-1886; 1 Sonate)
- Reubke, Julius (1834-1858; 1 Sonate)
- Schubert, Franz (1797-1828; 11 vollendete Sonaten)
- Schumann, Robert (1810-1856; 3 Sonaten, Fantasie C-Dur op. 17 kann auch zu den Sonaten gerechnet werden)
- Tschaikowski, Pjotr Iljitsch (1840-1893; 2 Sonaten)
20. Jahrhundert
Auch im 20. Jahrhundert entwickelte sich die Gattung Klaviersonate sowohl im kompositorischen Repertoire gehalten als auch weiter. Ihre größte Bedeutung erlangte sie sicherlich im Werk sowjetischer bzw. russischer Komponisten, deren prinzipiell tonale und formal traditionalistische Orientierung der Gattung entgegenkam. Dabei waren Satzanzahl und -folge nicht mehr festgelegt: Prokofjew z.B. schrieb, zunächst in der Tradition Skrjabins, sowohl ein- als auch mehrsätzige Klaviersonaten.
Die Mehrsätzigkeit und eine gewisse formale Anlehnung an Werke des 19. Jahrhunderts waren jedoch auch in der Komposition der Moderne weithin üblich, sofern die Bezeichnung Sonate gewählt wurde. Daher finden sich Klaviersonaten vor allem im Oeuvre von Komponisten mit einer - gemessen an der jeweiligen Zeit - eher konservativen Musikästhetik bzw. Tonsprache.
Klaviersonaten im 20. Jahrhundert
- Barber, Samuel (1910-1981; 1 Sonate)
- Bartók, Béla (1881-1945; 1 Sonate)
- Berg, Alban (1885-1935; 1 Sonate)
- Bohnke, Emil (1888-1928; 1 Sonate)
- Boulez, Pierre (*1925; 3 Sonaten)
- Chur, Heinz (*1948; 9 Sonaten)
- Eisler, Hanns (1898-1962; 3 Sonaten)
- Enescu, George (1881-1955; 2 Sonaten)
- Haas, Joseph (1879-1960; 3 Sonaten)
- Hindemith, Paul (1895-1963; 3 Sonaten)
- Ives, Charles (1874-1954; 2 Sonaten)
- Kabalewski, Dmitri (1904-1987; 3 Sonaten)
- Ornstein, Leo (1892-2002; 5 Sonaten)
- Prokofjew, Sergei (1891-1953; 9 Sonaten)
- Schmidt-Kowalski, Thomas (*1949; 7 Sonaten)
- Schostakowitsch, Dmitri (1906-1975; 2 Sonaten)
- Skrjabin, Alexander (1872-1915; 10 Sonaten)
- Strawinski, Igor (1882-1971; 1 Sonate)
Belege
- ↑ Siegfried Mauser: Beethovens Klaviersonaten, 2001, Seite 8
- ↑ Anm.: So werden beispielsweise die Sonaten von Scarlatti, J.S. Bach, und anderen Komponisten der Zeit auch heute noch wahlweise auf Cembalo oder Klavier gespielt.
- ↑ Klaus Wolters: Handbuch der Klavierliteratur zu zwei Händen, 1977, Seite 234: "Er benützte sein Klavierwek sozusagen nur als "Werkstatt modell" zu seinen symphonischen Arbeiten, als Vorstufe dazu, ganz im Gegensatz zu Ph. Em. Bach, der von Anfang an entschieden aufs Klavier hin konzipierte. Wir zitieren hier einen treffenden Satz von Oskar Brie, der 1898 schrieb: "Haydn hat mehr am Klavier gelernt, als er ihm gegeben hat. Er übertrug die zeitgenössischen Klavierformen auf das Orchester und wies diesem damit den Weg der Symphonie."
- ↑ Clemens Kühn: Formenlehre der Musik, 1987, Seite 135 und 136
- ↑ Heinrich Christoph Koch: Versuch einer Anleitung zur Composition, Band II, 1782–1793, Seite 101
- ↑ Dietrich Kämper: Die Klaviersonate nach Beethoven - Von Schubert bis Skrjabin, 1987, Seite 2
- ↑ Uwe Höll: Studien zum Sonatensatz in den Klaviersonaten Joseph Haydns, 1984, Seite 110 ff.
- ↑ Clemens Kühn: Formenlehre der Musik, Seite 138
- ↑ Clemens Kühn: Formenlehre der Musik, dtv, 1987, Seite 124 und 125
- ↑ Franz Liszt: Friedrich Chopin - Gesammelte Schriften, Band I, Seite 8
- ↑ Norbert Nagler: Die verspätete Zukunftsmusik; in: Franz Liszt, Musik-Konzepte, Heft 12, Seite 13
- ↑ Carl Dalhaus: Die Musik des 19. Jahrhunderts, Seite 11 und 112
- ↑ Louis Köhler in: Neue Zeitschift für Musik 41/2, 1854, Seite 72; zitiert nach Dietrich Kämper: Die Klaviersonate nach Beethoven - Von Schubert bis Skrjabin, Seite 143