Chinesischer Flussdelfin
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| Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
| Lipotes vexillifer | ||||||||||||
| Miller, 1918 |
Der Chinesische Flussdelfin (Lipotes vexillifer), auch als Jangtse-Delfin oder Baiji (chinesisch 白鱀, Pinyin báijì) bekannt, war ein ausschließlich im Jangtse beheimateter Flussdelfin. Er galt seit den 1980er-Jahren als eines der seltensten Säugetiere der Welt und ist wahrscheinlich zwischen 2002 und 2006 ausgestorben.
Der Name Lipotes leitet sich von dem griechischen Wort leipos ab, welches mit zurückgeblieben oder übriggeblieben übersetzt werden kann und sich auf das sehr begrenzte Verbreitungsgebiet der Art bezieht. vexillifer leitet sich von den Silben vexillum für Fahne und fer für tragen ab, bedeutet also fahnentragend.
Merkmale
Der Chinesische Flussdelfin wurde bis zu 250 Zentimeter lang und bis zu 160 Kilogramm schwer. Dabei blieben die Männchen wahrscheinlich mit etwa 220 Zentimetern etwas kleiner als die Weibchen. Er war oberseits blassgrau bis -bläulich und unterseits weiß gefärbt. Auch die Fluken und die Flipper trugen oberseits eine graue und unterseits eine weiße Färbung. Auf dem Rücken trug er eine kleine, dreieckige Rückenfinne mit abgestumpfter Spitze.
Seine fast schnabelartige Schnauze war deutlich vom Kopf abgesetzt und zur Spitze leicht aufwärts gebogen. Sie war sehr schmal und trug pro Kieferhälfte zwischen 30 und 35 gleichartig geformte, kegelförmige Zähne. Die Stirn war steil abfallend und die Augen waren verkümmert, aber nicht funktionslos.
Verbreitung
Ursprünglich glaubte man, dass der Chinesische Flussdelfin auf den Dongting-See beschränkt sei, ehe man in den 1970er-Jahren erkannte, dass er auf einer Länge von 1900 Kilometer von der Mündung des Jangtse aufwärts zu finden war sowie im benachbarten ostchinesischen Fluss Qiantang. Etwa alle vier Kilometer konnte ein Flussdelfin gefunden werden. Bei Hochwasser drangen die Tiere auch in Nebenarme des Flusses und Seen vor. Aus dem Dongting-See verschwand der Wal, nachdem sich in dem Gewässer durch die landwirtschaftliche Nutzung sehr große Mengen Sediment angesammelt hatten. Danach wurde er nur noch im breiten, langsam fließenden Mittelteil des Jangtse gesichtet.
Lebensweise
Über die Lebensweise ist wenig bekannt. Wegen der verkümmerten Augen waren Chinesische Flussdelfine auf Echo-Ortung beim Beutefang angewiesen. Ihre Nahrung waren ausschließlich Fische, die sie auf nur zwanzig Sekunden währenden Tauchgängen erbeuteten. Das Spektrum der Beutefische war sehr groß, die Hauptbeute stellten dabei längliche Welse dar, die sie am Gewässerboden jagten.
Der Chinesische Flussdelfin lebte zuletzt vor allem als Einzelgänger. Früher war er eher in Paaren oder Kleingruppen von drei bis sechs Tieren anzutreffen, gelegentlich wurden auch Gruppen bis zu zehn Tieren gesichtet. Die meiste Zeit hielt sich der Flussdelfin knapp unter der Wasseroberfläche auf, dann war seine Rückenflosse sichtbar. Beim Auftauchen kam zuerst der Kopf zum Vorschein, und das Tier tauchte mit einer buckelförmigen Krümmung wieder ab. Die Fluke tauchte dabei nicht auf.
Über das Fortpflanzungverhalten der Chinesischen Flussdelfine ist so gut wie nichts bekannt. Die Jungtiere kamen mit weniger als 95 Zentimeter Körperlänge und 10 Kilogramm Körpergewicht auf die Welt.
In Gefangenschaft wurden nur zwei Tiere gehalten. Dabei handelte es sich um das männliche Tier Qiqi, das von einem Fischer verletzt und danach von 1980 bis 2002 im Wuhan Institute of Hydrobiology gehalten wurde, sowie um ein weiteres Tier, das ein Jahr lang (1996 bis 1997) im Shishou Semi-natural Baiji Dolphin Sanctuary lebte und dann verstarb. 1998 wurde außerdem ein Weibchen nahe Shanghai eingefangen, es verweigerte allerdings die Nahrung und starb einen Monat später.
Systematik
Nach Fossilfunden besiedelte der Flussdelfin den Jangtse vor etwa 20.000 Jahren aus dem Pazifik. Er war der einzige Vertreter der Gattung Lipotes und zugleich der Familie der Lipotidae. Bis vor wenigen Jahren wurde er gemeinsam mit dem Gangesdelfin, dem La-Plata-Delfin und dem Amazonasdelfin in einer Familie Flussdelfine (Platanistidae) eingeordnet. Die Ähnlichkeiten zwischen diesen Arten sind jedoch nicht auf eine Verwandtschaft, sondern auf eine unabhängige, konvergente Anpassung an das Leben im Süßwasser großer Flusssysteme zurückzuführen.
Bestand und Bedrohung
Die erste Beschreibung der Tiere stammt aus der Naturenzyklopädie Erya aus der Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr). Biologen schätzen, dass zu dieser Zeit noch etwa 5.000 Flussdelfine im Jangtse lebten. 1978 wurde zur Erforschung der Tiere das Süßwasserdelfin-Forschungszentrum (淡水海豚研究中心) der chinesischen Akademie der Wissenschaften gegründet.
Im ostchinesischen Fluss Qiantang war der Flussdelfin schon seit den 1950er-Jahren nicht mehr gesehen worden. Um 1980 wurde der Bestand im Jangtse auf rund 400 Tiere geschätzt. Vor allem die chinesische Industrialisierung hatte dem Bestand dieser Tiere sehr zugesetzt. Die Verschmutzung des Jangtse, der übermäßige Schiffsverkehr sowie häufiges Verfangen in Fischernetzen („Beifang“) hatten die Art an den Rand des Aussterbens gebracht. Viele dokumentierte Todesfälle werden der Leinen- und Hakenfischerei auf Störe zugeschrieben, hinzu kamen häufige Kollisionen mit Motorbooten, deren Anzahl sich auf dem Jangtse massiv vermehrte.
Obwohl die Volksrepublik China den Delfin bereits 1979 als gefährdete Art erkannt und 1983 unter strengsten Schutz stellte und ein Jagdverbot erließ, veränderten sich die für das Tier bedrohlichen Umstände nicht. 1986 wurden bei einer Zählung noch 300 Baijis festgestellt, 1990 lag die Population bei etwa 200 Tieren. Bis 1997 verringerte sich diese Zahl auf geschätzt höchstens 50; 23 Tiere wurden tatsächlich gezählt. 1998 waren es schließlich nur noch sieben Tiere. 2001 wurde ein gestrandetes Weibchen gefunden, und 2002 wurde letztmals ein lebendes Tier fotografiert.
Im November 2006 wurde versucht, einige Tiere aufzuspüren, einzufangen und im Shishou-Reservat, einem 20 km langen Yangtse-Arm wieder auszusetzen, um so den Fortbestand der Art zu sichern.[1] Dies scheiterte daran, dass keine überlebenden Tiere gefunden werden konnten. Zur Rettung der Population sind laut der Schutzorganisation Baiji Foundation mindestens 20 bis 25 Tiere nötig. Es wurde jedoch für möglich gehalten, dass einige wenige Exemplare noch in einem östlichen Arm des Jangtse lebten.
Im August 2007 wurde in den Biology Letters der Misserfolg der Suchaktion als Beleg für das Aussterben der Art ausgewiesen.[2] Der zu den Zahnwalen zählende Baiji-Delfin wäre damit die erste zu Menschenzeiten ausgestorbene Walart.
Literatur
- Mark Carwardine: Wale und Delphine. Delius Klasing, 1996, ISBN 3-7688-0949-8 (hochwertiger Führer)
- Mark Carwardine: Delphine: Biologie, Verbreitung, Beobachtung in freier Wldbahn. Naturbuch Verlag, 1996, ISBN 3-89440-226-1 (informativer Bildband)
- Ralf Kiefner: Wale und Delphine weltweit: Pazifischer Ozean, Indischer Ozean, Rotes Meer, Atlantischer Ozean, Karibik, Arktis, Antarktis. Jahr Top Special Verlag, 2002, ISBN 3-86132-620-5 (Führer der Zeitschrift "tauchen", sehr detailliert)
- R. R. Reeves, B. S. Stewart, P. J. Clapham, J. A. Powell: See Mammals of the World: a complete Guide to Whales, Dolphins, Seals, Sea Lions and Sea Cows. A&C Black, 2002, ISBN 0-7136-6334-0 (Führer mit zahlreichen Bildern)
- Gérard Soury: Das große Buch der Delphine. Delius Klasing, 1997, ISBN 3-7688-1063-1 (detailreicher Bildband)
- M. Würtz, N. Repetto: Underwater world: Dolphins and Whales. White Star Guides, 2003, ISBN 88-8095-943-3 (Bestimmungsbuch)
- Douglas Adams, Mark Carwardine: Die Letzten ihrer Art. Heyne, 1992, ISBN 3-453-06115-2
Quellen
- ↑ Nature, Band 440, S. 1096 (27. April 2006)
- ↑ Günther Paul: Keine Nachricht mehr vom Baiji. Offiziell: Der chinesische Flussdelphin gilt nun als ausgestorben. Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 181 vom 7. August 2007, S. 32 und www.faz.net