Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt
Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt war eine Performance-Aktion des Künstlers Josef Beuys am 26. November 1965.
Ablauf
Zu Beginn der Ausstellung in der Galerie Schmela in Düsseldorf versperrte Beuys die Tür der Galerie. Seinen Kopf vollständig mit Blattgold, Goldstaub und Honig bedeckt, vollzog er das Ritual, dem toten Hasen die Bilder zu erklären. Mit dem Hasen auf dem Arm ging durch die Ausstellung, im Zwiegespräch mit dem Hasen, von Objekt zu Objekt. Nur durch Fenster erhielten die Besucher Einblick und konnten sich wundern, diskutieren, interpretieren oder auch weggehen. Erst nach drei Stunden wurde das Publikum in die Ausstellungsräume eingelassen. Beuys saß bei der Öffung der Räume - den Hasen auf dem Arm - mit dem Rücken zum Publikum auf einem Hocker im Eingangsbereich.
Interpretation und Kontext
Die Aktion gilt als Höhepunkt von Beuys Entwicklung des Erweiterten Kunstbegriffs als Konzept, die ihren Ausgang seit bereits in seinen Zeichnungen der 50er Jahre nahm. Distanziert und ironisch zelebrierte er das Ritual des "Kunst-erklärens" durch seine de facto (für das Publikum) schweigende Aktion.
Charakteristisch für Beuys war in dieser Aktion auch die Beziehung zwischen Denken, Sprechen und Gestalten: In seiner letzten Rede Sprechen über Deutschland betonte Beuys 1985, dass er eigentlich ein Mensch des Wortes sei; an anderer Stelle sagt er: "Wenn ich spreche (...), versuche ich die Impulse dieser Kraft einzuführen, die aus einem volleren Sprachbegriff fließen, welcher der geistige Begriff der Entwicklung ist." (zitiert aus dem Buch von Martin Müller, s.u.) Diese Einbeziehung von Sprache und Reden in die bildnerischen Werke kommt in Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt deutlich zum Ausdruck.
Der Hase, ein Tier mit jahrhunderte alter, umfassender Symbolbedeutung in allen Religionen (in der griechischen Mythologie als heiliges Tier der Liebesgöttin Aphrodite zugehörig, bei den Römern und Germanen Symbol der Fruchtbarkeit, christliches Symbol für Auferstehung... ), wird bei Beuys zu einem vielschichtigen und Interpretationsspielraum lassenden Bestandteil der Performance. Indem Beuys mit dem toten Hasen die eigentliche, lebendige Symbolbedeutung konterkariert, kann dieser beispielsweise als Symbol für Wiedergeburt aufgefasst werden. Diese Interpretation wird auch unterstüzt durch die "Maske", die Beuys während seiner Performance trug: Gold als altes Symbol für Reinheit, Weisheit und die Kraft der Sonne, Honig als germanisches oder indisches Mittel Regeneration und Wiederbelebung (sic!).
Ebenso kann die Beziehung Mensch - Hase betrachtet werden: "So vermute ich, dass eher der tote Hase die Bedeutung der Kunst begreift, als der sogenannte gesunde Menschenverstand. Der menschliche Betrachter zeigt sich ohne jedes Verständnis, da er schon immer alles verstanden hat, noch bevor er überhaupt richtig hingeschaut hat, d.h. im Wettlauf mit dem Hasen gefällt er sich in der Rolle des Igels." (Marcel Chromik)
Seit 1962 nahm Beuys an "Dadaistischen Konzerten" der Fluxus-Bewegung teil, die gekennzeichnet waren durch "Internationalismus, Experimentalismus, Ikonoklasmus, Intermedia, die Auflösung der Kunst&Leben-Dichotomie, Wirkungshaftigkeit, Spiel und Witz, Vergänglichkeit, Einzigartigkeit" (Dick Higgins). Mit dem Dadaismus hatten die Aktionen der Fluxusbewegung die Vergänglichkeit und Zufälligkeit gemein, neu war die Einbeziehung von alltäglichen Handlungen, der Person des Künstlers oder des Künstlerkollektivs in das Kunstwerk als solches.
In diesem Zusammenhang kommt der von Beuys geprägte neue Kunstbegriff "Kunst = Leben / Leben = Kunst" in der Hasen-Performance zum Ausdruck, indem er durch die Einbeziehung des Menschen in das Kunstwerk eine Soziale Plastik schuf.
Literatur
- Joseph Beuys, Sprechen über Deutschland, 2002, ISBN 392878014X
- Martin Müller, Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt. Schamanismus und Erkenntnis im Werk von Joseph Beuys. (Dissertation) 1994, ISBN 39803238X
- Kreuzzeichen. Religiöse Grundlagen im Werk von Joseph Beuys, Suermondt-Ludwig Museum Aachen, 1985
- Volker Harlan, Rainer Rappmann, Peter Schata: Soziale Plastik, 1984, ISBN 3881030123
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