Moderne Sage
Großstadtmythen (engl. urban legends, auch im Deutschen gebräuchlich), moderne Mythen oder Wandermärchen sind mehr oder weniger skurrile Anekdoten, die meist mündlich, häufig auch per E-Mail weitergegeben werden und deren Quelle sich nicht mehr zurückverfolgen lässt. In seltenen Fällen werden sie auch als Nachricht in den Medien verbreitet.
Zum Begriff
Der Begriff Urban Legend wurde zum ersten Mal von Jan Harold Brunvand, einem Professor für Englisch, bekannt gemacht. In seinem 1981 erschienenen Buch „The Vanishing Hitchhiker: American urban Legends & Their Meanings“ (Der verschwundene Anhalter: Amerikanische Urban Legends und deren Bedeutung) benutzte er eine Sammlung dieser Geschichten, um zwei Aussagen zu machen:
- Legenden, Mythen und Folklore kommen nicht nur bei so genannten primitiven oder traditionellen Gesellschaften vor und
- man kann viel über urbane und moderne Kultur lernen, durch die Untersuchung solcher Legenden.
Meist wird berichtet, dass die Geschichte einem Freund eines Freundes passiert sei im Stil „Ich kenne jemanden, der kennt jemanden, der das Foto definitiv gesehen hat!“. Ein Phänomen das auf Gälisch, der ursprünglichen irischen Sprache das Dhúirt bean liom gur dhúirt bean leí-Syndrom genannt wird (soviel wie: Eine Frau sagte mir, dass eine Frau ihr sagte, …).
Beispiele und berühmte Urban Legends
- Die Geschichte über eine Frau, die von Spinnen getötet wurde, die in ihrer aufwändigen Frisur nisteten.
- Die Geschichte von dem Mann auf einer Geschäftsreise, der von einer Frau verführt wurde und am nächsten Morgen aufwachte und bemerkte, dass eine seiner Nieren zur Transplantation entfernt wurde.
- Bekannt ist auch die Legende vom Krokodil im Kanal.
- Die Geschichte vom Mann, der in einem Bus der Mutter eines Kindes mit der Bemerkung „Ich bin auch antiautoritär erzogen“ eine kräftige Ohrfeige verpasst, nachdem diese seine Aufforderung, sie möchte doch das Kind bewegen, nicht ständig einer alten Frau ans Schienbein zu treten, mit dem Satz „Mach ich nicht, das Kind wird antiautoritär erzogen.“ abgewiesen hatte.
- Eine klassische Urban Legend besagt, dass die Krone des Papstes, die päpstliche Tiara, die Worte „Vicarius Filii Dei“ (Statthalter des Sohnes Gottes) enthalte. Wenn man daraus die Buchstaben, die zugleich Römische Ziffern sind, aufsummiert, ergibt sich Sechshundertsechsundsechzig, die Zahl des Antichristen, wie sie in der Bibel erwähnt ist. Obwohl diese Geschichte einfach falsifizierbar ist (alle Papstkronen seit dem 16. Jhd. können öffentlich besichtigt werden und auf keiner davon sind diese Worte zu finden), wird dieser Mythos insbesondere in radikal-protestantischen Kreisen weiterhin geglaubt, mit immer dem selben Hinweis auf ein Foto eines Papst-Begräbnisses vom Anfang des 20. Jahrhunderts (wahrscheinlich von Papst Leo XIII. 1903), das die Existenz einer päpstlichen Tiara mit diesen Worten beweise. Das Foto ist allerdings bis heute nicht aufzufinden.
- Die Geschichte vom Dönerladen in der Nachbarstadt, in dessen Joghurtsoße die Spermien von 9 verschiedenen Männern gefunden worden seien.
- Die Geschichte von den beiden Jugendlichen, die rückwärts in einen Kreisverkehr fuhren. Als sie mit dem Heck gegen ein Fahrzeug knallten und die Polizei verständigt wurde, ging der Polizist zuerst zum anderen Auto und meinte anschließend zu den Jugendlichen: „Sie haben nichts zu befürchten, der da hinten ist so besoffen, der sagt, Sie wären rückwärts gefahren.“
- Die Legende des Bermudadreiecks, in dessen Bereich vornehmlich im 20. Jahrhundert Schiffe und Flugzeuge verschwunden sind bzw. sein sollen. Die verschiedenen Erklärungsversuche basieren sowohl auf paranormalen Geschehnissen hervorgerufen durch Außerirdische, Parallelwelten, Zeitverzerrungen bis hin zu Atlantis, als auch auf wissenschaftlichen Ansätzen, die von Methangasvorkommen, Stürmen oder Auswirkungen der Plattentektonik ausgehen. Ein anderer Ansatz geht davon aus, dass es gar keine unverhältnismäßig hohe Zahl verschollener See- und Luftfahrzeuge im Bereich des Bermudadreiecks gibt und es somit keiner weiteren Erklärung bedarf.
- Cow Tipping, (englisch für Kuhschubsen) eine angeblich beliebte Beschäftigung amerikanischer Jugendlicher nach Partys und Kneipentouren bei der schlafende Kühe umgestoßen werden sollen. Dies sei aufgrund ihres tiefen Schlafes und hohen Schwerpunktes besonders einfach. Diese Urban Legend, hat ihren Ursprung wahrscheinlich darin, unbedarfte Jugendliche städtischer Herkunft bei Besuchen auf dem Land bloßzustellen, indem man sie des Nachts auf Kuhweiden herumlaufen lässt.
Berühmte falsche wissenschaftliche Aussagen
- Die Chinesische Mauer soll man vom Mond aus mit bloßem Auge sehen können. (vgl. niederländische Wikipedia)
Wahre Urban Legends? (mit Quellen)
Einige Urban Legends beruhen tatsächlich auf echten Ereignissen:
- Der Fall eines jungen Mannes, der Schießübungen auf einen Kaktus machte. Er wurde getötet, als er den Stamm durchtrennte und die herabfallende Pflanze ihn begrub. Auch wenn solche Geschichten im Kern wahr sind, werden sie meist verfremdet durch das vielfache Weitererzählen des ursprünglichen Ereignisses.
- Es wurde auch häufig berichtet, dass sich im menschlichen Ohr Insekten aufhalten können (Namensherkunft des Ohrenkneifers). Bis vor kurzem wurde das als Fantasie abgetan, da der menschliche Ohrenschmalz für Insekten viel zu bitter ist. Bis vor einem Jahr Filmaufnahmen in Australien gemacht wurden, die zeigten, dass sich eine Spinne (samt Netz!) im Ohr einer Frau eingenistet hatte.
- Der Fall einer jungen Frau, der ihre Brieftasche im Bahnhof aus dem kleinen Lederrucksack auf ihrem Rücken gestohlen wurde. Geld war nicht viel drin, aber viele wichtige Ausweispapiere und andere wichtige Erinnerungen und Fotos. Dem Geld trauerte sie nicht nach, aber der Verlust der persönlichen Habe schmerzte sie sehr. Fünf Tage nach dem Verlust bekam sie von der Post ein Päckchen zugesandt. Es enthielt ihre Brieftasche, das Geld war weg, sonst war alles vorhanden, außer dem Porträtfoto ihres zweifellos nicht unattraktiven Lebensgefährten.
(An alle BesitzerInnen von Brieftaschen: hinterlegen Sie für die Post in ihrer Geldbörse/Brieftasche ihre Anschrift und Telefonnummer, damit sie problemlos zurückgeschickt werden kann. An alle Lehrer aller Gaunerschulen. Lehrt eure SchülerInnen: Nehmt das Geld, nehmt die Kreditkarten, aber bitte werft den Rest im Interesse der Bestohlenen in irgendeinen Briefkasten, damit die für die Diebe wertlose persönliche Habe wieder dahin zurückgelangt, wo sie hingehört. Alle Beklauten werden Ihnen ihr Leben lang dankbar sein!)
Geschichte

Einige frühe Historiker wie z. B. Tacitus, Geoffrey von Monmouth und Herodot waren die Stammväter der urbanen Mythen. Sie überlieferten Gerüchte und anekdotische Berichte als historische Fakten. Diese Aufzeichnungen waren dann wiederum die Grundlage für andere Berichte, und so wurden vielfach wiederholte nicht exakte Überlieferungen zu einem selbstlaufenden Teufelskreis. Heutzutage behandeln Historiker historische Belege von Geschichtsschreibern wie den erwähnten mit äußerster Vorsicht. (Eine Liste von diesen und anderen Werken, die als verdächtig angesehen werden, kann man im englischsprachigen Wikipedia unter en:Dubious historical resources finden.)
Quellen
Es gibt eine vielbesuchte, englischsprachige Usenet-Newsgroup namens news://alt.folklore.urban (deutscher Ableger: news://de.alt.folklore.urban-legends ), in der über diese Geschichten diskutiert wird. Die FAQ dieser Newsgroup fasst zusammen, welche der Geschichten wahr sind und welche nicht, sofern das feststellbar ist. Eine ähnliche Liste kann man auf der "Urban Legends Reference Page"-Website unter [snopes.com] finden. Eine andere gute Quelle ist Virus Myths, eine weitere die Darwin-Awards, die jedes Jahr einige Geschichten als besonders fragwürdig herausstellen (früher hat diese Seite ihre Urban Legends als Fakten präsentiert).
Schießlich gibt es Hoaxbusters, ein vom amerikanischen Energieministerium angebotener Dienst, der sich um alle Arten von Hoaxes kümmert, die über Computer verteilt werden.
Es gibt eine Reihe bekannter Aufdecker urbaner Legenden, die sich durch die Aufklärung verschiedener Legenden einen Namen gemacht haben:
- Christof Drösser betreut die Kolumne Stimmt's der Zeit.
- Cecil Adams betreut Straight Dope im Chicago Reader.
- Rolf Wilhelm Brednich Autor von Die Spinne in der Yucca-Palme
- James Randi befasst sich mit übersinnlichen Phänomenen.
Siehe auch: Mündlichkeit, Tradition, Verschwörungstheorien, Stammtischwissen, Binsenweisheit
Literatur
- Bengt af Klintberg
- Die Ratte in der Pizza. Und andere moderne Sagen und Großstadtmythen, ISBN 3926099119
- Der Elefant auf dem VW und andere moderne Sagen und Großstadtmythen, ISBN 3492116531
- Rolf Wilhelm Brednich,
- Die Spinne in der Yucca-Palme, ISBN 3406459951
- Die Maus im Jumbo-Jet, ISBN 340634027X
- Die Ratte am Strohhalm, ISBN 3406392563
- Sagenhafte Geschichten von heute, ISBN 3406381707
- Das Huhn mit dem Gipsbein, ISBN 3406459870
- Pinguine in Rückenlage, ISBN 3406510698