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Antibiotikum

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"Antibiotikum" (Mehrzahl: Antibiotika) heißt wörtlich übersetzt "gegen das Leben". Antibiotika sind nach der immer noch gültigen alten Definition Stoffwechselprodukte von Mikroorganismen, die Bakterien abtöten (bakterizide Wirkung) oder ihr Wachstum hemmen (bakteriostatische Wirkung). Alle anderen gleichartig wirkenden Substanzen nennt man Chemotherapeutika. Da allerdings heutzutage fast alle Antibiotika synthetisch hergestellt werden, müsste diese Definition dringend angepasst werden. Da vom Namen her auch Gifte Antibiotika wären, verwenden viele Pharmakologen stattdessen den Begriff Antiinfektivum.

Antibiotika werden in der Medizin gegen bakterielle Infektionen oder Infektionen durch Protozoen eingesetzt. Arzneimittel gegen Virusinfektionen heißen dagegen Virostatika, solche gegen Pilzinfektionen heißen Antimykotika und Mittel gegen Wurminfektionen nennt man Antihelminthika. Eine Sonderform sind Antibiotika, die nicht in der Bekämpfung von Infektionen, sondern als Zytostatika in der Krebstherapie eingesetzt werden.

Es werden verschiedene Wirkmechanismen an verschiedenen Wirkorten unterschieden. Angriffspunkt ist dabei immer eine Struktur, die in menschlichen Zellen so nicht vorkommt. So kann die Wirkung z. B. durch eine Hemmung der bakteriellen Zellwandsynthese, der Proteinsynthese am Ribosom, der DNA-Replikation oder der Folsäuresynthese erfolgen. Denn menschliche Zellen haben keine Zellwand (nur eine Zellmembran), sie haben andere Ribosomen und andere Enzyme zur DNA-Replikation. Menschliche Zellen bilden auch keine Folsäure wie Bakterien, sondern nehmen sie fertig mit der Nahrung auf. Nur so ist es möglich, dass Antibiotika für den Menschen vergleichsweise gut verträglich sind.

Das erste medizinisch anwendbare Antibiotikum nach den Sulfonamiden war Penicillin. Die Erfolge des Penicillins führten zur Suche und Entdeckung weiterer Antibiotika: Streptomycin, Chloromytecin, Aureomycin, Terramycin, u. v. a. m.

In der Regel sind Antibiotika gut verträglich und haben eine große therapeutische Breite. Hauptnebenwirkungen sind Allergien, Störungen der Darmflora (Antibiotika-assoziierte Diarrhoe, selten pseudomembranöse Colitis). Die Beeinflussung der Darmflora kann man durch die Einnahme von weißem Yoghurt vermeiden. Selten verursachen Antibiotika organtoxische Wirkungen, z. B. Gentamycin Nieren- und Hörschäden. Es gibt aber auch Antibiotika (Bacitracin, Neomycin), die starke Nebenwirkungen zeigen und deshalb nur örtlich angewendet werden. Man spricht in diesem Falle von Lokalantibiotika.


Resistenz

Heute erkennt man, dass der Einsatz von Antibiotika zu einer Resistenz von Bakterien führt. Deshalb sollen sie nur eingesetzt werden, wenn es unbedingt nötig ist. Wenn man sie einsetzt, dann sollte die Therapie nicht abgebrochen werden, bevor alle Erreger abgetötet sind. Durch wiederholte halbherzige Konfrontation mit Antibiotika gibt man Bakterien Gelegenheit, Resistenzen auszubilden und Resistenzgene sogar untereinander auszutauschen. Diese Gen-Austausche finden insbesondere in Krankenhäusern statt, wo viele unterschiedliche Bakterienstämme in Kontakt miteinander kommen können. Zudem werden in Krankenhäusern Antibiotika besonders stark eingesetzt, was die Bildung von Resistenzen fördert und folglich auch die Verbreitung resistenter Keime. In den USA sind etwa 70% der in Krankenhäusern erworbenen infektiösen Keime resistent gegen mindestens ein Antibiotikum. Es kommt immer wieder vor, dass Patienten von Bakterienstämmen infiziert sind, die gegen mehrere Antibiotika resistent sind (Multiresistenz). Dabei treten besonders bestimmte Bakterien als sog. Problemkeime auf (MRSA, Pseudomonas, E.coli). Schätzungen des Centers for Desease Control and Prevention in Atlanta (Georgia) gehen in den USA von 2 Millionen im Krankenhaus erworbenen Infektionen für das Jahr 2004 aus, etwa 90.000 dieser Patienten werden daran sterben. Für andere Industrienationen ist von einer vergleichbaren Situation auszugehen.

Weil Bakterien Resistenz-Gene untereinander austauschen, werden die in den Krankenhäusern "gehegten" antimikrobiellen Resistenzen, über Patienten, Pflegepersonal und Besucher, in die umliegenden Gemeinden verbreitet.

Eine weitere wichtige Ursache für die immer schnellere Verbreitung von Resistenzen ist die Verwendung von Antibiotika zum prophylaktischen Einsatz und als Wachstumsförderer in der landwirtschaftlichen Tierzucht. Mehrere europäische Länder haben diese Praktik deshalb in der Massentierhaltung zur Nahrungsmittelerzeugung seit Mitte der 90er Jahre untersagt. In Folge konnte die Resistenzrate zwar reduziert werden, dennoch bleibt die Ausbreitung der Resistenzen besorgniserregend (Wegner, H.C. Cur. Opin. Microbiol. 6, 439-445, 2003).

Gegen manche Antibiotika bilden sich schneller Resistenzen als gegen andere. So bilden sich z. B. gegen Makrolide schnell Resistenzen, weil sie nur ein bestimmtes Enzym (die Translokase) hemmen (Einschritt-Resistenzmuster). Ist die Translokase mutiert, wirken sie u. U. nicht mehr. Deshalb gibt es gegen Makrolide bereits zunehmend Resistenzen, obwohl sie erst in den 90er Jahren entwickelt wurden. Dagegen greift Penicillin an sechs verschiedenen sog. Penicillin-binding-Proteins an. Es wird heute noch für viele Indikationen verwendet, obwohl es schon seit Jahrzehnten existiert.

Beunruhigend ist, dass in jüngster Zeit auch Resistenzen gegen Vancomycin auftreten, welches aufgrund seiner Zuverlässigkeit - aber auch der Nebenwirkungen - als letztes Mittel (last resort antibiotica) und ultimative Waffe auch gegen die hartnäckigsten Krankenhaus-Keime galt. 1986 wurde das erste Vancomycin-resistente Darmbakterium entdeckt, 1997 trat dann der erste teilweise resistente Stamm von Staphylococcus aureus auf, welches ernste Wund- und Operationsinfektionen verursacht. In den USA wurde dann erstmals 2002 über den ersten vollständig Vancomycin-resistenten S. aureus-Stamm berichtet. Mittlerweile gibt es S. aureus-Stämme, die gegen nahezu alle Antibiotika resistent sind und deren Ausbreitung als gewiss gilt. Das Auftauchen solcher Bakterienstämmen macht Ärzte und Wissenschaftler pessimistisch, da es sich nun zeigt, daß Krankheitserreger in der Lage sind, Resistenzen gegen praktisch alle Typen von Antibiotika zu entwickeln, und daß sie dies im Laufe der Zeit auch unausweichlich tun werden. Die ultimative Folge: schwer behandelbare Formen längst besiegt geglaubter Krankheiten wie Tuberkulose oder Cholera tauchen an vielen Orten der Welt in zunehmendem Maße wieder auf. Gleichzeitig liefert die Pharmaindustrie nicht genügend neuartige Antibiotika nach, mit denen diese Krankheiten erfolgreich bekämpft werden könnten, da sich damit (noch) zu wenig Profit erzielen läßt: von 506 Medikamenten, die sich 2004 bei den 15 größten Pharmaunternehmen der Welt in späten klinischen Testphasen befanden, handelte es sich nur bei 6 um neue antibakterielle Medikamente - alles Derivate von bekannten Antibiotika. Fachleute warnen davor, daß diese Situation zu einer weltweiten Krise bei der Behandlung von Infektionskrankheiten eskalieren könnte (Nature, Vol 431, S. 892, 2004).

Oft setzt man Kombinationen von Antibiotika ein, um die Entwicklung von Resistenzen unwahrscheinlicher zu machen und die Wirkung zu verstärken. Dabei gilt als Faustregel, dass bakterizide Antibiotika meistens nicht mit nur bakteriostatischen Antibiotika kombiniert werden sollen, weil diese durch langsameres Bakterienwachstum die bakterizide Wirkung schwächen würden. Dagegen ist es geschickt, denselben Stoffwechselweg an unterschiedlichen Stellen zu hemmen. Deshalb kombiniert man Sulfonamide mit anderen Folsäureantagonisten.

Bei der sog. kalkulierten Therapie wählt der Arzt Antibiotika aus, die alle in Frage kommenden Bakterien abdecken. Ist genügend Zeit vorhanden, kann im Labor ein Antibiogramm erstellt werden (gezielte Therapie).

Bei überschießender Wirkung von Antibiotika kann es zur sog. Herxheimer-Reaktion kommen, bei der der Organismus mit Giftstoffen aus abgetöteten Bakterien überschwemmt wird. Solch eine Reaktion ist immer ein Zeichen, dass ein Antibiotikum hervorragend wirkt. Eventuell muss dann aber mit der Dosis tiefer eingestiegen werden.


Antibiotika werden auch als Selektionsmittel in der Molekularbiologie verwendet.

Antibiotika: Systematik nach Wirkprinzip

Literatur

  • Simon, Claus; Stille, Wolfgang:Antibiotika-Therapie in Klinik und Praxis. (SCHATTAUER) ISBN 3-7945-1970-1
  • Nature, Vol 431, S. 892 News Feature: A shot in the arm (21.10.2004)