Jahr der Geisteswissenschaften

Das Jahr der Geisteswissenschaften ist das achte in der Reihe der Wissenschaftsjahre. Die Wissenschaftsjahre werden seit dem Jahr 2000 mit wechselnden Themenschwerpunkten vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Initiative Wissenschaft im Dialog (WiD) ausgerichtet. Den Anfang machte das Jahr der Physik (2000). Darauf folgten das Jahr der Lebenswissenschaften (2001), das Jahr der Geowissenschaften (2002), das Jahr der Chemie (2003), das Jahr der Technik (2004), das Einsteinjahr 2005 und das Informatikjahr (2006). Die Wissenschaftsjahre sollen einen Austausch zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit ermöglichen und das Interesse möglichst vieler Menschen für wissenschaftliche Themen wecken. Im Wissenschaftsjahr 2007, das unter dem Motto „Die Geisteswissenschaften. ABC der Menschheit“ steht, wird die Aufmerksamkeit auf die Vielfalt und die Leistungen der Geisteswissenschaften gelenkt.
Hintergrund
Geisteswissenschaften in Deutschland
Der Wissenschaftsrat zählt auf Basis der Systematik des Statistischen Bundesamtes 17 Studienbereiche und 96 Fächer zu den Geisteswissenschaften. Als Kriterium für die Zuordnung gilt die Auseinandersetzung mit den Bereichen, die den Menschen als geistiges Wesen ausmachen: Sprache und Kommunikation, Philosophie und Religionen, Künste und Kulturen. Zu den Sprachwissenschaften und Kulturwissenschaften zählen die alt- bzw. neusprachlichen Philologien, die sich der Sprache, Literatur und Landeskunde aller europäischen und außereuropäischen Länder und Kulturkreise widmen. Auch Philosophie, Religionswissenschaften, Geschichte, Archäologie und Kommunikationswissenschaften werden den Sprach- und Kulturwissenschaften zugerechnet. Sie gliedern sich in weitere Spezialdisziplinen. Neben den häufig vertretenen Fächern wie Germanistik, Anglistik und Romanistik gehören hierzu auch Gebiete wie Sinologie, Japanologie oder Afrikanistik. Weiterer Bestandteil des geisteswissenschaftlichen Fächerkanons sind die Kunstwissenschaft, Theaterwissenschaft, Filmwissenschaft und die Musikwissenschaften, ebenso die Studiengänge Bildende Kunst und Design, Jazzmusik und Kirchenmusik sowie Regie und Schauspiel.
Studierendenzahlen
2005 nahmen 82.000 Personen ein Studium der Geisteswissenschaften auf. Das sind 23 Prozent aller 356.000 Studienanfänger. Die Zahl der Erstsemester in den Geisteswissenschaften ist seit 1995 um 25 Prozent gestiegen. Von den fast zwei Millionen Studierenden war im Jahr 2005 jeder Vierte (501.201) in einem geisteswissenschaftlichen Studiengang eingeschrieben. 2005 waren 54.000 Absolventen, das heißt 22 Prozent der 252.000 deutschen Hochschulabsolventen Geisteswissenschaftler. Das Bild der Geisteswissenschaften in der Öffentlichkeit wird von wenigen, großen Fächern bestimmt. Die höchsten Studierendenzahlen verzeichnen die Germanistik (93.000 Studierende), die Anglistik (49.000) und die Geschichtswissenschaft (39.000). Sehr kleine Studentenzahlen weisen dagegen zum Beispiel die außereuropäischen Sprachen, die Altphilologien, die Slawistik, die Theologie und die Religionswissenschaften auf. Geisteswissenschaftliche Fächer werden vorwiegend von Frauen studiert. Mehr als zwei Drittel der Studierenden der Geisteswissenschaften sind weiblich, 72 Prozent der Absolventen sind Frauen (2005). Jedoch ist nur jede vierte Professorenstelle mit einer Frau besetzt.
Fördermaßnahmen
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat im Wissenschaftsjahr 2007 mit der Förderinitiative „Freiraum für die Geisteswissenschaften" konkrete Maßnahmen zur Stärkung der Geisteswissenschaften eingeleitet. Dazu gehört die Einrichtung von Internationalen Kollegs für die geisteswissenschaftliche Forschung, die als Knotenpunkte europäischer und internationaler Netzwerke fungieren sollen. Gleichzeitig wurden erstmals Geisteswissenschaftler ausdrücklich zur Mitwirkung im 7. Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union aufgefordert. Mit Hilfe von Beratungsangeboten und mehrmonatigen Aufbauphasen begleitet das BMBF deutsche Geisteswissenschaftler durch die europäische Forschungslandschaft, wobei insbesondere Nachwuchswissenschaftler ermutigt werden sollen, grenzüberschreitende Forschergruppen aufzubauen. Ein weiterer Schwerpunkt der Förderinitiative ist die Kooperation zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, die in Forschungsverbünden zusammenarbeiten werden. Bis zum Jahr 2009 werden rund 64 Millionen Euro für die Geisteswissenschaften zur Verfügung gestellt.
Das Oberthema „Sprache“
Sprache in all ihren Ausprägungen hat als Gegenstand und Medium große Bedeutung für das gesamte Spektrum geisteswissenschaftlicher Forschung und ist deshalb das Oberthema im Jahr der Geisteswissenschaften 2007. Zum Beispiel werden in der Linguistik die universellen Merkmale und Funktionsmechanismen der Sprache analysiert. Phonetik und Phonologie beschäftigen sich als Teilbereiche der Linguistik mit der Dokumentation und Erklärung unterschiedlicher Laute. Dabei geraten nicht nur die aktuell gesprochenen Sprachen in den Blick, sondern auch deren Wandel über die Zeiten. Die Geschichtswissenschaft gewinnt über den Sprachwandel Indizien für die Veränderung von Gesellschafts- und Machtstrukturen, schriftliche Überlieferungen und Inschriften spielen somit eine wichtige Rolle in der historischen Forschung. Hinzu kommt, dass sich anhand der Veränderungen in Sprachgebrauch, Grammatik und Aussprache die Entwicklung verschiedener Sprachfamilien über Jahrtausende hinweg verfolgen lässt. In der Literaturwissenschaft stehen dagegen die ästhetischen und semantischen Aspekte im Mittelpunkt.
Sprache erschöpft sich nicht in Rede und Schrift, sondern findet sich auch in Mimik und Gestik, Musik und Tanz. Somit ist sie nicht nur Gegenstand der Sprachwissenschaft oder Literaturwissenschaft, sondern auch der Theaterwissenschaft, Musikwissenschaft und Kunstwissenschaft. Das Oberthema „Sprache“ schlägt sich im Motto „Die Geisteswissenschaften. ABC der Menschheit“ nieder und fungiert als motivische Klammer des Wissenschaftsjahres 2007, durch die alle Veranstaltungen und Partner miteinander in Verbindung stehen. Das Motiv taucht in unterschiedlichen Veranstaltungen auf, z.B. im Wettbewerb „Das schönste ABC der Welt“ oder im zentralen Ausstellungsbeitrag der Staatlichen Museen zu Berlin „Das ABC der Bilder“.
ABC-Installationen

Das Motto des Wissenschaftsjahres „Die Geisteswissenschaften. ABC der Menschheit“ wird durch Buchstabeninstallationen an prominenten öffentlichen Gebäuden in Berlin sichtbar gemacht. Die bis zu 26 Meter hohen Installationen bestehen aus weißen Folienstücken und werden von Fassadenkletterern so an der dreidimensionalen Gebäudefassade angebracht, dass sie von genau einem Punkt aus als einheitlicher Buchstabe erscheinen. Verlässt man diesen Standpunkt, zerfällt der Buchstabe wieder in eine Ansammlung von weißen Flächen.
Die aus vielen Einzelteilen bestehenden Buchstaben fungieren auf mehrfache Weise als Analogie und Sinnbild für die Geisteswissenschaften. Zum einen spiegeln sie den multiplen Charakter der geisteswissenschaftlichen Fakultät wieder, in der mehr als 90 Fächer mit je unterschiedlichen Forschungsgegenständen bzw. Perspektiven auf die Wirklichkeit verbunden sind. Zum anderen verweisen sie allgemein auf die Syntheseleistungen der geisteswissenschaftlichen Reflexion, in der Teilaussagen und -erkenntnisse zu einem Ganzen zusammengesetzt werden. Ihre Verteilung im öffentlichen Raum bringt zum Ausdruck, wie die Bedeutung der Geisteswissenschaften in unterschiedliche Bereiche der Gesellschaft hineinragt.
Veranstaltungen


Die Veranstaltungen im Wissenschaftsjahr 2007 werden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und von mehr als 300 Partnern aus Wissenschaft und Kultur (Schulen, Universitäten, Stiftungen, Forschungseinrichtungen, Unternehmen, Theater, Museen und Medien) durchgeführt. Die Auftaktveranstaltung im Berliner Martin-Gropius-Bau (25. Januar 2007) wurde von der Bundesministerin Dr. Annette Schavan eröffnet. Festredner war der Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Professor Wolf Lepenies.
Vom 23. bis zum 25. April fand eine interdisziplinäre Tagung unter dem Titel "UnternehmerGeist - Geisteswissenschaften und Wirtschaft" an der TU Braunschweig statt, bei der die Frage nach den Geisteswissenschaften als Wirtschaftsfaktor im Mittelpunkt stand. Am 8. Mai 2007 eröffnete die Bundesforschungsministerin im Maxim-Gorki-Theater die Diskussionsveranstaltung „Geisteswissenschaft trifft Feuilleton“, auf der führende Wissenschaftler mit Leitern der großen deutschen Feuilletonredaktionen über die Bedeutung des Feuilletons sowie über das Verhältnis von Geisteswissenschaften und Öffentlichkeit diskutierten.
Eingeleitet durch die „Lange Nacht der Wissenschaften“ im Ruhrgebiet fand vom 9. bis 15. Juni der „Wissenschaftssommer“ in Essen statt, den rund 35.000 Menschen besuchten, um sich an 40 „Wissens-Stationen“ über die einzelnen Geisteswissenschaften zu informieren. Das Ausstellungsschiff MS Wissenschaft steuert entlang deutscher Flüsse über 30 Städte an und begleitet das Jahr der Geisteswissenschaften mit einer Ausstellung zu Sprache und Kommunikation. Der Rap-Poet Bas Böttcher trat eine Lesereise quer durch Deutschland an und besuchte als Botschafter des Jahres 16 Schulen. Alle Veranstaltungen aus dem gesamten Bundesgebiet können auf der offiziellen Website www.abc-der-menschheit.de eingesehen werden.
Botschafter
Prominente Persönlichkeiten treten als Unterstützer für das Jahr der Geisteswissenschaften auf, darunter der Rap-Poet Bas Böttcher, der Verleger Manuel Herder, die Unternehmerin Dr. Nicola Leibinger-Kammüller, die Schauspielerin Franka Potente, der Schriftsteller Dr. Rüdiger Safranski, die Schauspielerin Nadja Uhl und die Choreographin Sasha Waltz.
Wettbewerbe
Im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2007 finden mehrere bundesweite Wettbewerbe statt. Beim Hochschulwettbewerb „Geist begeistert“ wurden 15 Projektideen – von der Präsentation einer Kulturregion als MP3-Feature im ICE („Zugbildung“) bis hin zu „Museumskoffern“ für Weimarer Museen – ausgezeichnet und erhielten je 15.000 Euro für die Umsetzung. Angesichts der großen Zahl herausragender Bewerbungen beschloss die Jury gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, 24 weitere Hochschulprojekte und deren Umsetzung mit einem Betrag von bis zu 7.500 Euro zu unterstützen.
70 Sieger im Schulwettbewerb „Was sprichst du?" wurden mit je 2.000 Euro belohnt. Schülerinnen und Schüler aus Wulfen haben sich vorgenommen, die rätselhafte Tonscheibe aus dem Palast von Phaistos auf Kreta zu entschlüsseln, Kinder in Riegelsberg versuchen sich per Videoinstallation am Turmbau zu Babel und in Stuttgart werden die Grenzen der SMS-Sprache ausgelotet. Die Wettbewerbe „Das schönste ABC der Welt“ und „Der schönste erste Satz“ sowie ein Expertisen-Wettbewerb zum Thema GeisteswissenschaftlerInnen in Beruf und Arbeitsmarkt laufen noch. Beim Wettbewerb „Geist (d)er Stunde“, zu dem die Begabtenförderungswerke ihre Stipendiatinnen und Stipendiaten einladen, sind die Teilnehmer zur Zeitdiagnose aufgefordert. „Ich bin im Bilde“ ist ein Wettbewerb für studentische Filmemacherinnen und Filmemacher, bei dem zur Visualisierung geisteswissenschaftlicher Themen aufgerufen wird. Der U20-Poetry-Slam-Wettbewerb ist ein mehrstufiger Gedicht- und Performance-Wettbewerb für Jugendliche, bei dessen Finale am 6. Oktober in Berlin der deutsche Meister ermittelt wird.
Weblinks
- Offizielle Website: http://www.abc-der-menschheit.de
- Rede der Bundesministerin Dr. Anette Schavan anlässlich der Auftaktveranstaltung am 25. Januar 2007 im Berliner Martin-Gropius-Bau.
- Halbjahresbilanz im Deutschlandradio.
- „Geisteswissenschaften to go? Wie populär dürfen geisteswissenschaftliche Themen sein?" Audiobeiträge des DeutschlandRadio Kultur und Live-Übertragung der Diskussionsveranstaltung „Geisteswissenschaft trifft Feuilleton“ am 8.05.2007 im Berliner Maxim-Gorki-Theater (MP3-Format).
- Bekanntmachung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Förderinitiative „Freiraum für die Geisteswissenschaften“