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Heinrich Vogeler

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Heinrich Vogeler, Foto von 1898

Johann Heinrich Vogeler (* 12. Dezember 1872 in Bremen; † 14. Juni 1942 im Kolchos Budjonny bei Kornejewka, Karaganda, Kasachstan) war ein deutscher Maler, Grafiker, Architekt, Designer, Pädagoge, Schriftsteller und Sozialist. Als vielfach begabter Künstler ist er jedoch besonders durch seine Werke aus der Jugendstil-Zeit bekannt geworden. Vogeler befand sich sein Leben lang auf der Suche nach dem irdischen Paradies, in dem alle Menschen in Harmonie zusammenleben. Trotz bitterer Erfahrungen hielt er an seiner Illusion fest, sein Lebensweg endete tragisch.

Leben

Jugend und Werdegang, das Frühwerk bis zum Ersten Weltkrieg

Vogeler wuchs als zweites von sieben Kindern des Eisenwarengroßhändlers Carl Eduard Vogeler und seiner Frau Marie Louise, geb. Förster, in gutbürgerlichen Verhältnissen in Bremen auf. Das erste und das dritte Kind starben früh, so dass Heinrich als Ältester das väterliche Geschäft übernehmen sollte. Die ungeliebte Schule schloss er mit der mittleren Reife ab und sollte mit der Lehre in einem Bremer Handelshaus beginnen. Vogeler konnte jedoch seinen Vater überzeugen, ihm ein Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf zu gestatten, das seinen künstlerischen Neigungen entsprach. Während des Studiums wurde er Mitglied der studentischen Malerverbindung Tartarus und wurde dort „Mining“ genannt, nach einer Romanfigur von Fritz Reuter. Dieser Spitzname sollte ihn ein Leben lang begleiten. Im Herbst 1894 starb Vogelers Vater, der elterliche Betrieb wurde verkauft, und sein Erbteil gestattete es Heinrich Vogeler vorerst, ein sorgenfreies Künstlerleben zu führen. Nach dem Studium (1890 – 1894/95), unterbrochen durch Reisen nach Holland, Brügge, Genua, Rapallo und Paris, schloss er sich 1894 den Malern Fritz Mackensen, Hans am Ende, und Otto Modersohn, die bereits seit 1889 in Worpswede lebten, Fritz Overbeck und Carl Vinnen in der Künstlerkolonie Worpswede an. Hans am Ende führte ihn in die Technik des Radierens ein. Eine gemeinsame Ausstellung im Glaspalast München im Jahr 1895 brachte viele Auszeichnungen und machte die Malergruppe aus Worpswede im ganzen Land bekannt.

Vogelers frühe Malerei nahm eine Sonderstellung ein, sie ist präraffaelitisch und steht in der Tradition der englischen Malergruppe um Dante Gabriel Rossetti und Edward Burne-Jones, die entgegen der akademischen Lehrmeinung ihre Inspiration in der italienischen Malerei des 15. Jahrhunderts suchte und später die Entwicklung des Jugendstils mit ihren biblischen, mythologischen oder märchenhaften Themen beeinflusste. Er selbst war mit seiner Malerei nicht zufrieden, spürte er doch den qualitativen Unterschied zu seinen Vorbildern aus der Renaissancezeit.

Illustration zu Gerhart Hauptmann, Der arme Heinrich (S. Fischer Verlag, 1902).

Er widmete sich auch grafischen Arbeiten, die seinen Ruf als Jugendstilkünstler begündeten. Seine romantischen Radierungen zwischen 1895 und 1899, wie zum Beispiel Storch überm Weiher aus dem Jahr 1899, stießen auf große Zustimmung, auch im Ausland. Druckgrafik, „sociale Malerei“, wie Vogeler sie nannte, wurde aufgrund ihrer weiten Verbreitung beim Bildungsbürgertum sehr beliebt. Sehr erfolgreich war Vogeler auch mit seinen zeichnerischen Werken; so schuf er unter anderem Titelblätter und Buchillustrationen für die literarische Zeitschrift Die Insel – ab 1901 der Insel Verlag. Zu den Veröffentlichungen des neuen Verlags gehörten im Jahr 1899 sein illustrierter Gedichtband Dir und die Mappe mit Radierungen An den Frühling sowie auch die Illustrationen zu Oscar Wildes Märchen. Die Nähe zur englischen Zeichen- und Buchkunst Aubrey Beardsleys und zur Arts and Crafts-Bewegung ist offensichtlich.

Auch sein Haus, das er Barkenhoff (nds. für „Birkenhof“) nannte, ursprünglich eine Bauernkate, gestaltete er ab 1895 nach Prinzipien des Jugendstils und verwandelte es in ein Künstlerdomizil mit selbst entworfenen Möbeln, Geschirr und Tapeten. Den Garten schmückte er mit symmetrisch angelegten Blumenbeeten und Hecken und pflanzte ein Birkenwäldchen, das dem Haus seinen Namen gab. Das Anwesen als Gesamtkunstwerk von Architektur, Kunst, Inneneinrichtung und Garten sollte mit Vogelers Leben verbunden werden. In seiner Kleidung passte er sich dieser Traumwelt an und trug Stehkragen, Zylinder und Schoßrock wie in der Zeit des Biedermeier. Der Barkenhoff wurde ein wichtiger Treffpunkt der Künstlerkolonie. Zu der „Barkenhoff-Familie“ gehörten der Dichter Rainer Maria Rilke, dessen Frau, die Bildhauerin Clara Rilke-Westhoff, Otto Modersohn, Paula Modersohn-Becker, Paulas Schwester Milly, seine Ehefrau Martha Vogeler, geb. Schröder, sein Bruder Franz mit Frau Philine. Die drei Paare Rilke, Modersohn und Vogeler heirateten im Jahr 1901. Rilkes Hausspruch „Licht sei sein Los/ ist der Herr nur das Herz und die Hand/ des Bau's mit den Linden im Land/ wird auch sein Haus/ schattig und groß“ schmückte das Portal des Barkenhoff. Zu den Besuchern des Hauses gehörten beispielsweise Richard Dehmel, Gerhart Hauptmann, Carl Hauptmann, Thomas Mann, der Insel-Verlagsgründer Rudolf Alexander Schröder und Max Reinhardt. Sonntags las und rezitierte man, tanzte, sang und gestaltete das Leben als Kunstwerk. Doch die gemeinsamen Feste täuschten darüber hinweg, dass die Gemeinsamkeiten weniger wurden und Kritik an der Kunst der anderen aufkam. Seit 1902 stellten die Künstler nicht mehr als Gruppe aus, die gerade geschlossenen Ehen wiesen die ersten Risse auf. Das neue Jahrhundert forderte neue Denkansätze.

Paula Modersohn-Becker: Bildnis Martha Vogeler, 1906

Im Jahr 1905 wurde sein bekanntes großformatiges Gemälde Das Konzert (auch genannt Der Sommerabend) fertig gestellt, das ein Konzert auf der Terrasse des Barkenhoffs zeigt und als zentrale Person seine Frau Martha darstellt. Bis auf Rilke sind fast alle Personen der „Barkenhoff-Familie“ dort versammelt.

In den Jahren 1904 bis 1905 bekam er vom Bremer Senat nach der Empfehlung des Kunsthallenleiters Gustav Pauli den Auftrag zur Ausgestaltung der Güldenkammer im Bremer Rathaus. Das kleine bereits 1595 in die Obere Halle eingebaute Zimmer gestaltete er vollständig im Jugendstil, von den Türgriffen, über das Kamingitter und die Leuchter bis hin zur vergoldeten Ledertapete. Diese Arbeit machte ihn auch im kunstgewerblichen Bereich bekannt. Vogeler entwarf auch Bestecke, Gläser und Möbel, die im „Kunst und Gewerbehaus Worpswede“, begründet von seinem jüngeren Bruder Franz, vertrieben wurden und die ihm mehr Erfolg brachten als seine Malerei.

Wegen eines Augenleidens unternahm Vogeler 1906 zur Erholung eine Seereise nach Ceylon; die britische Kolonialherrschaft dort schockierte ihn. Während einer Reise nach Lodz im Jahr 1907 lernte er das soziale Engagement einer Fabrikantenfrau kennen, die sich für Arbeiterfamilien einsetzte. Diese Erlebnisse und besonders auch die Lektüre der Werke des russischen Schriftstellers Maxim Gorki weckten Vogelers Bereitschaft, sich für die Belange der Arbeiterklasse einzusetzen.

Der Barkenhoff, in dem das Heinrich-Vogeler-Museum nach Sanierung und Restaurierung des Gebäudes am 12. Dezember 2004 eröffnet wurde.
Der Bahnhof von Worpswede, 1910 eingeweiht und bis 1978 als Bahnhof genutzt, wurde umgebaut und ist heute ein Restaurant.

1907 vergrößerte er den Barkenhoff und entwarf den Bahnhof von Worpswede. Im gleichen Jahr war Vogeler Mitbegründer des Deutschen Werkbundes. Ein Jahr später gründete er mit seinem Bruder Franz die Worpsweder Werkstätten in Tarmstedt, ein Tischlerbetrieb zur Herstellung von preiswerten Serienmöbeln, die auch für weniger Begüterte erschwinglich sein sollten. Als Stadtplaner setzte er sich für bezahlbaren Wohnungsbau ein. So reiste er 1909 mit einer Studiengruppe der „Deutschen Gartenstadt-Gesellschaft“ nach England und besichtigte eine vorbildliche Arbeitersiedung in Liverpool, „Port Sunlight“, lernte dort aber in Glasgow auch Elendsviertel kennen. Die Realisierung des Entwurfs eines Arbeiterdorfes für die Mitarbeiter einer Möbelfabrik scheiterte jedoch aus finanziellen Gründen. Er fand keine Geldgeber, und man gab ihm den Rat, doch lieber wieder schöne Bilder zu malen.

1910 erhielt er auf der Brüsseler Weltausstellung Auszeichnungen für seine innenarchitektonischen Arbeiten, jedoch fand seine Jugendstilgrafik keine Anhänger mehr. Seine Ehe geriet in eine Krise, da seine Frau seine politischen Ansichten nicht teilen konnte. 1912 entwarf er für seinen Freund Emil Löhnberg das Haus im Stryck in Willingen, Sauerland, das er mit natürlichem Baumaterial ausstattete und in dem er sich oft als Gast aufhalten sollte. Im Herbst verließ er den Barkenhoff und richtete sich in Berlin ein kleines Atelier ein, in dem er Exlibris und Werbegrafiken, zum Beispiel für die Firma Bahlsen, entwarf.

Erster Weltkrieg, Soziale Utopien

Vogeler meldete sich im Ersten Weltkrieg 1914 zunächst freiwillig an die Front und wurde als Nachrichtenoffizier in den Karpaten eingesetzt, wo er im Auftrag des Generalstabs Zeichnungen vom Kriegsgebiet anfertigte. Durch die Erfahrungen, die er dort machte, wurde er 1917 zum radikalen Pazifisten und änderte auch seinen ornamentalen Stil drastisch. So entwickelte er einen expressionistischen Malstil, der sich beispielsweise in den Ölbildern Die Kranke und Das Leiden im Krieg zeigt.

Datei:Karl Liebknacht 1918 Berlin in Tiergarten.jpg
Karl Liebknecht proklamierte auf einer Kundgebung im Berliner Tiergarten 1918 die sozialistische Republik.

Im Barkenhoff trafen sich in den letzten Kriegsmonaten politisch interessierte Kriegsgefangene, die bei Großbauern Zwangsarbeit leisten mussten, deutsche Revolutionäre und Linksintellektuelle. Sie diskutierten die gesellschaftlichen Veränderungen in Russland und die Möglichkeiten eines Umsturzes in Deutschland. Vogeler vertrat einen auf urchristlichen Werten beruhenden Sozialismus und idealisierte nach Pierre Joseph Proudhon sich selbst verwaltende Gemeinden, deren Mitglieder besitzlos und friedlich miteinander leben. Im Januar 1918 schrieb er seinen Friedensappell an den deutschen Kaiser: Das Märchen vom lieben Gott. Er wurde daher während eines Fronturlaubes wegen defätistischer Umtriebe für 63 Tage in einer Irrenanstalt in Bremen inhaftiert und kehrte im April auf den Barkenhoff zurück. Während der Novemberrevolution 1918/1919 engagierte er sich als Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrates in Osterholz. Am 4. Februar 1919 wurde auch in Bremen die Räterepublik zerschlagen. Der Traum von einer neuen Gesellschaft forderte 75 Todesopfer, die Repräsentanten der Räte wurden verfolgt, und auch Vogeler musste fliehen. In Willingen wurde er verhaftet, konnte aber im März nach Worpswede zurückkehren. Im Mai wurde er erneut verhaftet, da der Barkenhoff als linksextremes Zentrum galt, von dem eine Gefahr für die neue Ordnung ausgehen könnte. Nach seiner Freilassung wehrte sich Vogeler in den „Bremer Nachrichten“ vom 3. Juni 1919 gegen die Hetze und vermutete − allerdings ohne Namensnennung − eine Bespitzelung durch seinen früheren Künstlerfreund Fritz Mackensen, der Mitglied im paramilitärisch aufgestellten Bund Stahlhelm geworden war.

Kommune und Arbeitsschule Barkenhoff, KPD-Mitglied

Zusammen mit Marie Griesbach, der „Roten Marie“, die er auch porträtierte, und anderen Freunden gründete Heinrich Vogeler die Arbeitsgemeinschaft und Kommune Barkenhoff, um zu beweisen, dass eine neue Gesellschaft möglich ist. Kurz nach deren Gründung schloss er sich zum ersten Mal der KPD an, die er allerdings schon Anfang 1920 verließ; er trat der KAPD bei und arbeitete an der Aktion von Franz Pfemfert mit. Auch rief er den Bund für proletarische Kultur mit ins Leben; in dieser Zeit arbeitete er u. a. mit Franz Jung, Erwin Piscator, Arthur Holitscher und anderen sich im Umfeld linkskommunistischer und syndikalistischer Gruppen bewegender Literaten und Künstler eng zusammen.

Haus im Schluh, 2007

1920 zog Martha Vogeler mit den drei Töchtern Marieluise (gen. Mieke, später zweite Ehefrau des Schriftstellers Gustav Regler), Bettina und Martha und ihrem Freund Ludwig Bäumer in das Haus im Schluh, eine alte Moorkate, die sie mit Vogelers Unterstützung wieder aufbauen ließ. Er überließ ihr viele Möbel aus dem Barkenhoff und trat alle Rechte an seinen Vorkriegswerken an sie ab. Der „Märchenhof“ war Vergangenheit geworden. Die Barkenhoff-Gemeinschaft wurde seine neue Familie. Für die Kinder auf dem Hof, die antiautoritär aufwachsen sollten, entwickelte er pädagogische Erziehungspläne und entwarf die „Arbeitsschule“, die im Gegensatz zur bürgerlichen Schule „den organisch wachsenden und befreienden Schöpferprozeß im Kinde zum Leben fördert, um den jungen Menschen zu einer vollen individuellen Gestaltungskraft in der Arbeit zum Wohle seiner Mitmenschen zu bringen.“ (Vogeler, Die Arbeitsschule. In: Freiheit. Organ der Berliner USPD. Jg.4, Nr. 561, 1.12.1921)

Erste Reise in die Sowjetunion, Komplexbilder

Zwischen 1920 und 1926 malte er die Diele des Barkenhoff mit Wandbildern aus, thematisch der Arbeiterbewegung verbunden, zeitweise gemeinsam mit seiner Tochter Mieke. 1923 trat er seine erste Reise in die Sowjetunion an, zusammen mit Sonja Marchlewska, der Tochter des polnischen Kommunisten Julian Marchlewski (Freund und Mitarbeiter Rosa Luxemburgs, Vertrauter Lenins, Begründer der Internationalen Roten Hilfe), die er bereits 1918 in Worpswede kennengelernt hatte.

Moskau um 1920

Er blieb bis zum September 1924 als gering bezahlter Universitätsangestellter in Moskau und entwickelte dort seinen neuen Stil der Komplexbilder, dessen erste Ausführung bereits 1918 in der Radierung Die sieben Schalen des Zorns zu sehen ist. Der kristallartige Aufbau dieser Bilder weist oft ein bildübergreifendes Symbol wie Hammer und Sichel oder einen Stern auf wie beispielsweise 1923 das Ölbild Die Rote Metropole. Mit dieser Technik schuf er auch das Gemälde Die Geburt des neuen Menschen, zu dem ihn die Geburt des Sohnes Jan am 9. Oktober 1923 in Moskau anregte.

Im Herbst 1924 verließ er Moskau wieder in Richtung Berlin, nachdem er ein Angebot des Bremer Kaffeehändlers und Kunstmäzens Ludwig Roselius ausgeschlagen hatte, ihm in Bremen ein Atelier einzurichten.

Kinderheim Barkenhoff, Fontana Martina

Diego Rivera porträtiert von Amedeo Modigliani (1914)

Die Arbeitsschule geriet in eine finanzielle Krise, da ihr öffentliche Mittel verwehrt wurde. Ab 1923 wurde der Barkenhoff auf Vorschlag von Julian Marchlewski als Kinderheim der neu gegründeteten Roten Hilfe Deutschlands − Vogeler war Gründungsmitglied und im Zentralvorstand tätig – genutzt und erhielt finanzielle Unterstützung. Es wurde 1932 geschlossen. Vogeler trat 1924 der KPD wieder bei, aus der er 1929 wegen „Rechtsabweichung“ – er hatte sich mit aus der Partei ausgeschlossenen Freunden wie Eduard Fuchs und Jakob Schloer solidarisiert – ausgeschlossen wurde.

Von Ende Juni bis September 1925 reiste er im Auftrag der Roten Hilfe erneut in die Sowjetunion, nach Karelien, um dort den Aufbau propagandistisch zu dokumentieren. Eine weitere Reise nach Moskau folgte im November, um den Kongress der Roten Hilfe vorzubereiten.

Nachdem sich Martha Vogeler von ihm getrennt hatte, heiratete er nach der Scheidung 1926 seine Lebensgefährtin Sonja Marchlewska. Gegen eine Kampagne, seine Wandbilder im Barkenhoff zu entfernen und das Kinderheim zu schließen, konnte er sich durchsetzen, und der erfolglose „Bildersturm“ machte seine Wandbilder international bekannt. So besuchte der mexikanische Maler Diego Rivera, später Ehemann von Frida Kahlo, bekannt durch seine „Murales“, Wandbilder mit sozialpolitischen Themen, im Herbst 1927 den Barkenhoff. Protestschreiben gegen die Zerstörung kamen unter anderem auch von Lion Feuchtwanger, Hermann Hesse, Käthe Kollwitz, Thomas Mann, Max Pechstein und Kurt Tucholsky. 1938 fielen die Fresken jedoch einem Umbau zum Opfer.

Ab Oktober 1927 bis 1929, dem Jahr der Weltwirtschaftskrise, arbeitete Heinrich Vogeler im Berliner Architektenbüro „Die Kugel“, wo er Reklameplakate, zum Beispiel für „Kaiser's Kaffee“, gestaltete, um den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen. Seine Bilder mit politischer Thematik wie zum Beispiel das Komplexbild Hamburger Werftarbeiter aus dem Jahr 1928 fanden keinen Anklang beim kaufkräftigen Großbürgertum. Mit Sohn Jan besuchte er das Tessiner Bergdorf Fontana Martina, in dem sein Freund, der kommunistische Schweizer Buchdrucker Fritz Jordi, eine Siedlung nach dem Vorbild des Barkenhoff plante. Zwischen Oktober 1931 und November 1932 erschien die gemeinsam mit Jordi veröffentlichte Halbmonatszeitschrift Fontana Martina in Ronco bei Ascona.

Emigration in die Sowjetunion, Deportation und Tod

Vogeler letzte Reise in die Sowjetunion im Jahr 1931 war endgültig; er nahm dort den Auftrag an, in einem Komitee für die Standardisierung des Bauwesens mizuarbeiten. 1932 war er Leiter der Propagandaabteilung in Taschkent, die sich um Ertragssteigerung durch Saatgutstimulierung kümmern sollte. Auf seinen Reisen durch Usbekistan entstanden viele Skizzen über die Landbevölkerung. Seine Reiseerfahrungen verarbeitete er auch in dem Komplexbild Baumwolle.

Durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde ihm 1933 der Rückweg nach Deutschland abgeschnitten. Viele verfolgte Intellektuelle und Künstler emigierten nach Moskau, unter ihnen Erwin Piscator, Wilhelm Pieck und Clara Zetkin. Vogeler zeichnete sie einfühlend auf dem Totenbett. 1934 entstand sein Komplexbild Das Dritte Reich, in dem er Hitler brüllend und mit Hakenkreuzen anstelle der Augen darstellte. Im Jahr 1935 war er künstlerischer Leiter einer Austellung der „Internationalen Roten Hilfe“ (MOPR), in der er auch mit Bildern gegen das Dritte Reich vertreten war: unter anderem Bücherverbrennung in Berlin, Folterkammer der SA und Konzentrationslager.

Die stalinistische Ära forderte auch unter Vogelers Nachbarn ihre Opfer, die von der Staatspolizei abgeholt wurden und verschwanden. Er selbst, als Schwiegersohn des Revolutionärs Marchlewski, war nicht von Verfolgung betroffen. So nahm er eine parteitreue Haltung ein, hütete sich aber vor Denunziantentum. Seine Hoffnung, in der Sowjetunion die von ihm ersehnte bessere Welt zu finden, war jedoch getrübt. Da er dem Vorwurf, seine Kunst sei noch zu bürgerlich, entgehen wollte, gab er den von ihm entwickelten Komplexbildstil ab 1934 auf und passte sich der vom Staat vorgegebenen Ausdrucksform des Sozialistischen Realismus an. Einige in dieser Zeit entstandene Komplexbilder zerstörte er oder arbeitete sie in realistische Bilder um.

Ende der dreißiger Jahre erhielt er eine neue kreative Aufgabe; er entwarf für das Deutsche Kollektivistentheater, eine Puppenbühne in Odessa, Köpfe und Bekleidung für die Handpuppen, an deren phantasievoller Ausführung er begeistert arbeitete. Ein Auftrag für Bühnenbilder des Puppentheaters schloss sich an.

Im März 1941 erfolgte die Scheidung der Ehe mit Sonja. Vogeler intensivierte noch seine antifaschistische Arbeit, indem er Flugblätter und Rundfunkansprachen gegen Nazi-Deutschland verfasste. Am 26. Mai eröffnete Wilhelm Pieck in Moskau eine Ausstellung seiner regimetreuen Werke ab 1936. Es war das Jahr seines 50. Arbeitsjubiläums, aber Vogelers Wunsch nach der Ausstellung auch seiner frühen Werke wurde ihm nicht erfüllt.

Als im gleichen Jahr die deutsche Wehrmacht in die Sowjetunion einmarschierte, wurde er im September von Moskau nach Kasachstan evakuiert, wo er auf einer Baustelle an einem Staudamm arbeiten musste, bis ihn seine Kräfte verließen. Seine Rente erreichte ihn nicht mehr, und er musste bei anderen Evakuierten um Essen bitten. Sein Freund, der Schriftsteller Erich Weinert, den Vogeler mehrmals porträtiert hatte, überwies Geld für den Unterhalt, das Vogeler jedoch nie erhalten hatte. Am 14. Juni 1942 starb er im Krankenhaus des Kolchos „Budjonny“, vermutlich aufgrund eines Blasenleidens und körperlicher Schwäche.

Erich Weinert veröffentlichte Heinrich Vogelers Autobiografie, die dieser in Moskau begonnen und in Kasachstan fortgesetzt hatte, zehn Jahre nach dessen Tod – im Jahr 1952 gab er Vogelers Erinnerungen heraus.

Zitat

  • Gustav Regler: „Vogeler war der große naive Tolstoianer unter den kalten Bürokraten; er verließ aus Schuldgefühl seine Klasse; es wäre ihm nie eingefallen, sich der neuen Klasse gegenüber kritisch zu verhalten; er glaubte, kein Recht zur Kritik mehr zu haben; er brach keinen Eid, wenn er ihn einmal geleistet hatte; er gehorchte bis zur Sinnlosigkeit.“ (aus Das Ohr des Malchus).

Werke (Auswahl)

  • Die Schlangenbraut. Radierung, 1894
  • Verkündigung Mariä. Radierung, 1895
  • Wintermärchen. Ölbild 1897
  • Die 7 Schwäne. Radierung und Aquatinta, 1898
  • Heimkehr. Ölbild, 1898
  • Abschied. Ölbild, 1898
  • Storch überm Weiher. Radierung, 1899
  • An den Frühling. Mappe mit Radierungen. Leipzig 1899
  • Das Konzert (Der Sommerabend). Ölbild 1905
  • Die Mütter im Krieg. Ölbild, 1918
  • Die Rote Marie, Ölbild, 1919
  • Sonja Marchlewska, Ölbild, 1920
  • Die Geburt des Neuen Menschen. Ölbild 1923
  • Die Rote Metropole. Ölbild 1923
  • Baku. Ölbild, 1927
  • Hamburger Werftarbeiter. Ölbild, 1928
  • Das Dritte Reich. Ölbild, 1934
  • Gebirgslandschaft in Kabardino-Balkarien. Öl auf Holz, 1940

Illustrierte Bücher (Auswahl)

Schriften Heinrich Vogelers (Auswahl)

  • Dir. Gedichte. Leipzig 1899; neu aufgelegt bei Insel, Frankfurt 1987, ISBN 978-345-819072-1
  • Aus dem Osten. 60 Kriegs-Zeichnungen aus den Kriegsgebieten Karpathen, Galizien-Polen, Rußland. Berlin 1917
  • Über den Expressionismus der Liebe. Der Weg zum Frieden. Bremen. 1918
  • Das Neue Leben. Ein kommunistisches Manifest. Hannover 1919
  • Das Wesen des Kommunismus. Der Weltfriede. Bremen, Worpswede 1919
  • Siedlungswesen und Arbeitsschule. Hannover 1919
  • Reise durch Rußland. Die Geburt des Neuen Menschen. Dresden 1925
  • Erinnerungen. Hrsg. von Erich Weinert. Rütten & Loening, Berlin 1952
  • Das Neue Leben. Ausgewählte Schriften zur proletarischen Revolution und Kunst. Hrsg. von Dieter Pforte. Darmstadt 1973
  • Fontana Martina. Vollständiger Faksimile-Druck der 1931/1932 von Fritz Jordi und Heinrich Vogeler herausgegebenen Halbmonatszeischrift. Hrsg. von Dieter Pforte, Gießen 1981
  • Reisebilder aus der Sowjetunion. Hrsg. von Peter Elze, Lilienthal 1988
  • Werden. Erinnerungen mit Lebenszeugnissen aus den Jahren 1923 – 1942. Hrsg. von Joachim Priewe und Paul-Gerhard Wenzlaff, Fischerhude 1989

Sekundärliteratur

  • Karl-Robert Schütze: Heinrich Vogeler, Worpswede : Leben und architektonisches Werk. 1. Aufl., Frölich & Kaufmann, Berlin 1980. (zugl. Dissertation; TU Berlin)
  • Hans-Herman Rief: Heinrich Vogeler. Das graphische Werk. Neuausg., Worpsweder Verlag, Worpswede 1983, ISBN 3-922-51634-3.
  • Bernd Stenzig: Heinrich Vogeler. Eine Bibliographie der Schriften. Worpsweder Verlag, Lilienthal 1994, Schriftenreihe der Barkenhoff-Stiftung Nr. 28, ISBN 3-892-99177-4.
  • Siegfried Bresler: Heinrich Vogeler. Rowohlt, Reinbek 1996. ISBN 3-499-50540-1
  • Herbert Eichhorn / Rena Noltenius: Heinrich Vogeler. Von Worpswede nach Moskau. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen 12. Juli bis 21. September 1997. Kultur- und Sportamt der Stadt, Bietigheim-Bissingen 1997, ISBN 3-927-87728-X.
  • Peter Elze: Heinrich Vogeler. Buchgrafik. Das Werkverzeichis 1895–1935. Worpsweder Verlag, Lilienthal 1997, ISBN 3-922-51674-2.
  • Theo Neteler: Der Buchkünstler Heinrich Vogeler : mit einer Bibliographie. Antinous-Ed. Matthias Loidl, Ascona und Unterreit 1998, ISBN 3-930-55200-0.
  • Rena Noltenius: Heinrich Vogeler : 1872–1942; die Gemälde – ein Werkkatalog. VDG, Weimar 2000, ISBN 3-897-39020-5. (teilw. zugl. Dissertation; Uni Tübingen)
  • David Erlay: Von Gold zu Rot. Heinrich Vogelers Weg in eine andere Welt, Donat Verlag, Bremen 2004, ISBN 3-934-83674-7
  • Bernd Küster: Heinrich Vogeler im Ersten Weltkrieg (= Kataloge des Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg; Bd. 21), Donat Verlag Bremen 2004, ISBN 3-934-83683-6,

Quellen

  • Heinrich-Vogeler-Ausstellung im Gut Barkenhoff, Künstlersiedlung Worpswede, Bremen; Siegfried Bresler: Heinrich Vogeler, Reinbek 1996

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