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Berliner Dialekt

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Heinrich Zille: Konsum-Genossenschaft, 1924, Text: „Frida - wenn Deine Mutter ooch in’s „Konsum“ koofte wärste schon lange een kräftiges Kind - sag’s ihr!“ sowie eine Widmung.

Als Berlinisch oder Berlinerisch (auch Berlinismus,Verb: berlinern) wird die Sprache des Großraums Berlin-Brandenburg bezeichnet. Dabei handelt es sich sprachwissenschaftlich nicht um einen Dialekt, sondern um einen (sehr selten anzutreffenden) Metrolekt, eine in großstädtischen Zentren aus dem Mischung vieler unterschiedlicher Mundarten entstehende Stadtsprache. Die Entwicklung des Berlinerischen hat auch die Sprache des umliegenden Brandenburgs beeinflußt und das regionale, ursprünglich in Brandenburg gesprochene Niederdeutsch verdrängt. Die stärkste Ausprägung hat diese "neue" Sprache in den städtischen Bereichen Berlins erfahren, daher existieren in Berlin bis heute Wörter, Spitznamen usw., die ihren Weg noch nicht in das Umland gefunden haben. Zur Aussprache und üblichen Schreibweisen siehe Berlinische Grammatik.

Kulturelle Besonderheiten

Der Berliner Dialekt ist daher weniger wegen seiner sprachlichen, sondern wegen seiner kulturellen Besonderheiten bekannt. Berlin ist seit Jahrhunderten eine Zuwandererstadt, die oft in kurzer Zeit stark angewachsen ist. In dem kulturellen und sprachlichen Schmelztiegel entstehen täglich Dutzende oder gar Hunderte von alltäglichen Kleinkonflikten, in denen Erwartungen oft auch enttäuscht werden. Das Berlinische hat mit Hilfe seiner Berlinismen nun die Fähigkeit entwickelt, Situationen derb-humorig zu kommentieren, ohne schwere Schimpfworte einzusetzen oder gar in lautstarke Diskussionen zu verfallen - ein Umstand, der auf neu Zugezogene oft verwirrend wirkt.

Geschichte

Die Stadt Berlin liegt an der Benrather Linie, stand also seit ihrer Gründung 1237 unter den Einflüssen des Niederdeutschen und des Mitteldeutschen. Mit der ab 1300 einsetzenden und sich ab etwa 1500 verstärkenden Zuwanderung, u.a. aus den flämischen Gebieten des Deutschen Reichs, lassen sich zuenhmend Veränderungen des in Berlin gesprochenen Ostniederdeutschen nachweisen bis hin zu seiner weitgehenden Aufgabe als Umgangssprache. So entstand ein eigener Metrolekt des Standardhochdeutschen mit klarer mitteldeutscher Basis, aber starkem niederdeutschen Substrat. Erst in jüngster Zeit griff dieser neue Dialekt auf das Umland über, das bis dahin ostniederdeutsch geblieben war. Das Berlinerische weist in einigen Eigenarten Parallelen zum Kölnischen ("Kölsch")auf, das ebenfalls starke Züge eines Metrolekts trägt und über Jahrhunderte durch Zuwanderung geprägt wurde (z.B. die charakteristische Anlautverweichung, z.B. "jut", "jehen", Auslautverhärtung "wat?").

Bis ins 18. Jahrhundert hinein war die allgemeine Umgangssprache ein mark-brandenburgischer Dialekt, der im späten 18. Jahrhundert durch eine mitteldeutsche Ausgleichsmundart auf obersächsischer Basis verdrängt wurde. Die neu entstandene Ausgleichsmundart, die dem heutigen Berlinischen sehr ähnlich war, übernahm aus den angrenzenden niederdeutsch sprechenden Gebieten einzelne Wörter (ick, det, wat, doof usw.).

Während Berlin seit 1871 einem immer stärkeren Zuzug vor allem aus Sachsen und Schlesien ausgesetzt war, welche die niederdeutschen Sprachelemente zurückdrängten, kam es nach 1945, und nochmals nach 1961 zu großen Abwanderungswellen nach Westdeutschland. Da Berlin in der jetzigen Form erst 1920 entstand, gilt als Kerngebiet des Berlinischen die Fläche der heutigen Bezirke Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg. Dazu kommen die Gebiete von Charlottenburg und Prenzlauer Berg innerhalb der Ringbahn der S-Bahn. Hier befanden sich jene Stadtteile, welche besonders den genannten Einflüssen ausgesetzt waren. Die äußeren Ortsteile waren Jahrhunderte über Teil von Brandenburg, ohne intensiven Kontakt zum Berlinischen.

So nimmt man heute an, dass in Berlin als wichtiger Handels- und Verwaltungsmetropole schon früh ein erhöhter Druck zur Verwendung des Hochdeutschen bestand, der auch auf die Bediensteten, Arbeiter und Mägde übergriff. Durch die immer größer werdende Bedeutung Berlins als preußische Metropole strahlte die Berlinische Stadtmundart auch bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts in das Berliner Umland aus, wobei sie zunächst als Verkehrssprache neben den angestammten Dialekten bestand, diese aber schließlich ganz verdrängte. Dieser Prozess dauert bis heute an und der Druck zum Hochdeutschen hat sich in der jüngeren Vergangenheit durch den wiedererlangten Status Berlins als gesamtdeutsche Hauptstadt wieder erhöht. Auch hat die Zuwandererwelle (Ende 1990er) von Bonner Rheinländern den Berliner Dialekt bisher nicht angenommen, der Dialekt der zugewanderten Schwaben (Mitte 1990er) ist ebenfalls noch häufig zu hören und die zugewanderten Russlanddeutschen (Anfang 1990er) haben einen eigenen Dialekt entwickelt, der erst langsam ins Berlinische übergeht.

Zwischen 1949 und 1989 verließen 1 Million Berliner die Stadt. Gleichzeitig kam es in Ost- wie Westberlin zu bedeutenden Zuzügen aus dem süd-, ost- und westdeutschen Raum (Sachsen, Baden-Württemberg, NRW). Dazu kam die Aufnahme von Einwanderen aus der Türkei, Jugoslawien, Italien und Libanon. Dies führte zu einer starken Verdrängung des Berlinerns aus dem Alltag. Viele Neuberliner nahmen zwar Teile des Dialekts an, die Verwendung des Dialekts wurde - ebenso wie bei Dialekten in anderen Regionen Deutschlands - zunehmend als „unfein“, „proletarisch“ oder „ungebildet“ betrachtet. Dadurch finden sich die Zentren des Dialekts vor allen in den alten innerstädtischen Gebieten und Teilen von Ostberlin, wo relativ wenig Zuwanderer ansässig wurden.

Unverändert wird die Sprache in Berlin von Zuwandererwellen geprägt und bleibt dementsprechend unbeständig. Im Schnitt hat nur ein Viertel der Berliner auch Eltern, die schon in Berlin geboren wurden („waschechte Berliner“) und konnte somit den einheimischen Dialekt bereits als Kind erlernen. Durch die Verbreitung im Funk und Fernsehen wurde der Berliner Dialekt dennoch in Deutschland seit Mitte des 20. Jahrhunderts bekannt. Dabei fand er häufig Gefallen von Nicht-Berlinern, welche bestimmte Grundregeln als Standard verbreiteten. Dadurch wurden allerdings wiederum die historischen Varianten verwischt, so dass heute Berlin-Brandenburgisch in den nördlichen Teilen von Brandenburg und Sachsen-Anhalt ebenso gesprochen wird wie in Berlin, mit diversen Variationen. Die Benrather Linie wirkt dabei immer noch als südliche Grenze.

Gleichzeitig weitet sich, vor allem seit dem Mauerfall der Einfluss des Berlinischen auf das Umland, das bis dahin ostniederdeutsch geblieben war, aus. Die Berlin-Brandenburgischen Dialekte haben sich so klar aus dem ostniederdeutschen Mark-Brandenburgisch entwickelt, werden heute jedoch oft dem ostmitteldeutschen zugeordnet, dem sie durch die Überformung näher stehen. Während der Datenerhebung für den Deutschen Sprachatlas (80er Jahre des 19. Jahrhunderts) wurden in zahlreichen Orten, die heute zum Stadtgebiet Berlins gehören, niederdeutsche Mundarten oder niederdeutsch-berlinische Mischmundarten gesprochen.

Berlin hat Anteil an vielen im gesamten ostmitteldeutschen Sprachraum verbreiteten sprachlichen Eigenheiten. Da vor der Maueröffnung West-Berlin als einziges Gebiet dieses Territoriums für Westdeutsche direkt zugänglich war, halten viele von ihnen diese Eigenheiten - eigentlich zu Unrecht - für „typisch berlinisch“. Als Beispiel kann die oft missverstandene Uhrzeitangabe „dreiviertel Fünf“ für 16:45 bzw. „viertel Fünf“ für 16:15 dienen, die tatsächlich in weiten Teilen Ost- und Süddeutschlands und Österreichs in Gebrauch ist.[1]

Einflüsse

Lange Zeit wurde das Berlinische (oder Berlinerisch, wie der Berliner sagt) als Verballhornung des Hochdeutschen betrachtet, diese Sicht ergab sich gerade auch durch den allgegenwärtigen Sprachwitz der Berliner, der gern mit Verschiebungen aufgeschnappter Begriffe arbeitet. Als Hauptstadt von Brandenburg, Preußen, Deutschland und der DDR war Berlin immer Zentrum von Handel, Verkehr, Emigration und Zuwanderung. Wichtig waren dabei für die Sprache:

  • Flamen (Schlagwort Peuplierung)
  • Franzosen (Hugenotten, Napoleonische Besetzung aber auch der preußische Königshof mit Französisch als Umgangssprache)
  • Juden (Hebräisch durch Flüchtlinge im 16./17. Jahrhundert, Jiddisch im 19./20. Jahrhundert)
  • Slawen (Polabisch; Wendisch; Polnisch/Tschechisch seit dem 15. Jahrhundert; Russisch im 19./20. Jahrhundert)


Viele der typischen Berliner Ausdrücke lassen so auch den Rückschluss auf ihren Ursprung zu. So soll die Redensart Det zieht wie Hechtsuppe auf das jüdische „hech supha (Sturmwind)“ zurückgreifen oder der Ausdruck zum Bleistift sich an das „zum Beispiel“ anlehnen. Mir is janz blümerant soll von französisch „bleu mourant (blassblau; 'sterbend blau')“ stammen.

Als berlinisch wird oft auch der Ausspruch „mach keene Fisematenten“ genannt, das die Berliner aus „visite ma tente“ (frz.: besuch mein Zelt) entwickelt haben sollen. Der Legende nach riefen dies französische Soldaten während der Zeit der französischen Besetzung der Stadt unter Napoléon den jungen Berliner Mädchen hinterher. Bei den Müttern der Mädchen führte das zu der ernsten Ermahnung, keine „Fisematenten“ zu machen. Andere Erklärungen reichen aber auf ältere Ursprünge zurück (siehe auch Fisimatenten).

Die berühmte Berliner Bulette kommt vom frz. boule, dem Fleischbällchen. Der Einfluss der Hugenotten bzw. der französischen Besatzer führte sogar soweit, dass ursprünglich deutschsprachige Begriffe französisiert wurden: Trottoir für den Bürgersteig und Pissoir für das Café Achteck, das öffentliche Klohäuschen.

Berlinisch hat durch den Zuzug vieler Bevölkerungsgruppen eine Reihe von Worten und Redewendungen aufgenommen, die sowohl Dialekten und Umgangssprachen Zugewanderter entstammen als auch sonst nicht im Deutschen Sprachraum geläufig sind. Durch die starke sprachliche Verschleifung ist die Herkunft oft kaum zu erkennen. Eine Reihe von Worten entstammen auch dem Rotwelsch.

Mundart

Durch die allgemein weitgehende Verwendung von Begriffen des Hochdeutschen gab es bis heute keine Notwendigkeit für einen schriftlichen Gebrauch und das Berlinern bleibt eine Mundart, was allerdings wohl auch darauf zurückzuführen sein wird, dass Berlinern vor allem innerhalb der Region selbst stets als Dialekt der einfachen Leute verpönt war, und sich die Bildungsschicht davon distanzierend stets um einwandfreies Hochdeutsch bemühte. Der Wortschatz des Berlinischen ist inzwischen dennoch erfasst und beschrieben im Brandenburg-Berlinischen Wörterbuch.

Bei der schriftlichen Fixierung des Berlinischen herrscht immer wieder Unsicherheit, da jeder Sprecher auch tatsächlich die Lautung verschieden stark einsetzt, und je nach Gelegenheit stärkere hochdeutsche Lautung oder stärker berlinernde Lautung einsetzt. Einen Konsens zur schriftlichen Fixierung gibt es nicht, im Buchdruck kann so jeder Verleger eine eigene Variante wählen. Die überwiegende Zahl der Publikationen mit eingebetteten berlinischen Texten verwendet die hochdeutsche Rechtschreibung, bei der Buchstaben, Buchstabengruppen oder ganze Worte ersetzt werden, wo sie in der Mundart stark von der üblichen Aussprache des Hochdeutschen abweichen. Dies ermöglicht gewöhnlich jedem Deutschsprechenden, nach kurzer Eingewöhnung auf die üblichen Ersetzungen die Berlinischen Texte zu verstehen.

Grammatik

siehe auch den Hauptartikel: Berlinische Grammatik

Die Grammatik und dazugehörende Syntax weichen zum Teil deutlich von der Hochsprache ab, im Brandenburgischen oft stärker als im Berlinischen. Adverben und Adjektive können problemlos wechselweise gebraucht werden, z. B. ne zue Tür (eine geschlossene Tür) oder komm oben (komm herauf). Die Konjunktionen erscheinen in alter Form, also als wie (wie), denn (dann), wenn (wann), wie (als), worum (warum). Der Akkusativ und Dativ werden scheinbar kaum unterschieden (Akkudativ), wenn der Berliner sowohl für „mir“ als auch für „mich“ lediglich den „maulfaulen“ Universalausdruck „ma“ verwendet.

Auch Genitiv-Formen werden besonders im Brandenburgischen durch präpositionale Akkudativ-Formen ersetzt, zum Teil noch mit eingefügtem Pronomen, z. B. dem sein Haus. Die Pluralformen gehen oft auf zusätzlichen -s, Verkleinerungsformen enden auf -ken oder -sken. Darüber hinaus sind dutzende weitere Formen zu bemerken.

Sehr typisch ist die 'Erzählende Vergangenheit im Futur': Wehr ick doch heute morjen uff'm Weech ßum Beckah den Schulze treffen. Wird mir doch diese olle Nappsülze ... (Werde ich ... Wird er mir ...)

Dazu gibt es den Pluralis berolinensis, die Mehrzahlbildung auf -er, wie im Skandinavischen: Klötzer, Stöcker   (Im Hochdeutschen sonst nur: Bilder, Denkmäler, Eier, Güter, Häuser, Länder, Männer, Rösser, Stifter (Kirchengüter), Sträucher, Wörter)

Auch wird offenbar, dass die einfache Regel eiee nicht allgemein zutrifft, sondern ei bleibt bei altem „i“ (wie im niederdeutschen) erhalten. Also keen für kein ist richtig, aber meine, deine, seine, wenn es im niederdeutschen min, din, sin heißt. Ein echter Berliner mit Sprachbewußtsein sagt nicht meene Mutter. Bei anderen Gelegenheiten wird eine niederdeutsche Grundlage gesehen; die oft gerügte mangelnde Unterscheidung von Akkusativ und Dativ (scherzhaft Akkudativ) folgt der Nichtexistenz dieser Fälle im neueren Niederdeutschen, wo es nur einen Objektiv als dritten und letzten Kasus gibt (dort aus dem Skandinavischen eingesickert). Der von Nichtberlinern gern erwähnte Satz "Icke, dette, kieke mal, Oogn, Fleesch und Beene" wird nur von Nichtberlinern als witzig empfunden. Geborene Berliner benutzen ihn nie.

Die lokale Lautung hat ebenfalls viele Besonderheiten. Zugezogene bemerken zuerst den Ersatz von g zu j, und der meisten Doppellaute zu langem Einfachlaut (au zu oo, ei zu ee). Tatsächlich kann man daran Altberliner und Neuberliner unterscheiden - das g wird eigentlich in einen velaren Frikativ-Laut γ verschleift, das insbesonderen nach dunklen Vokalen eher wie hochsprachliches r klingt, jedoch nach den hellen Vokalen und Halbvokalen (i,e,l,r) wird der Laut als stimmhaftes j gesprochen. Durch den γ-Laut lassen sich hochsprachliches Augen und Ohren nur schwer auseinanderhalten: „Augen“ klingen in berlinischer Lautung wie Oogn, das hochsprachliche „Ohren“ klingt wie Oan, wird also weniger kehlig und stärker behaucht gesprochen. Ohne Gewöhnung kann man diesen hörbaren Unterschied nur schwer bemerken (ähnlich wie Menschen des ostasiatischen Sprachraums den Unterschied l/r nur schwer heraushören können).

Als mitteldeutscher Dialekt an der Grenze zum Niederdeutschen hat das Berlinische die Zweite Lautverschiebung in vielen Fällen nicht durchgeführt, sondern behält die niederdeutschen Formen. Beispiele sind die Wörter det (das), dit (dies), wat (was), Appel (Apfel) u.a.

Das Berliner Er/Wir

Das so genannte Berliner Er ist eine auch in Berlin manchmal noch heute anzutreffende Form der Anrede, die früher im deutschsprachigen Raum allgemein als eine mögliche Anredeform gegenüber Untergebenen und rangniederen Personen benutzt wurde (zu finden z.B. bei Devrient “Bring er mir Sect, Schurke!” und E.T.A. Hoffmann). Hierbei wird jemand zwar formal gesiezt — allerdings spricht man in der dritten Person Singular.

So kann es vorkommen, dass man in Berlin gefragt wird: Hat er denn auch einen gültigen Fahrausweis? oder Hat sie denn die 5 € nicht vielleicht klein?

Ebenso häufig ist die Redewendung in der ersten Person Plural geläufig: Na, haben wir uns entschieden was es denn jetzt zum Trinken sein soll? oder Da waren wir wohl ein wenig zu schnell, wa?

Redewendungen

Das Berlinische kennt viele Redewendungen, die teils auch außerhalb Berlins bekannt geworden sind, wie etwa das JWD.

Na man du hast heut aba wieda ’ne Kodderschnauze, ist sowohl negativ wie positiv gemeint. Kodderig steht für „übel“ sein (vom Befinden), und gleichzeitig für „frech, unverschämt“. Ne koddrige Schnauze ist ein „loses Mundwerk“, das zu allem und jedem sein’ Senf beijehm muss (seine [überflüssigen] Kommentare dazugeben muss). Eine Randbemerkung ist so nicht ursächlich beleidigend gemeint, auch wenn sie in anderen Kreisen nur gesagt würde, wenn sie beleidigen soll. Es ist reine Gewöhnungssache, über viele Sätze hinwegzugehen, und wenn man nicht sprachlos bleiben mag, einfach einen Satz zurückzugeben.

Die so entstehenden „Gespräche“ sind auch heute viel in den Berliner Straßen zu hören, wenn auch nicht im Dialekt sondern in hochsprachlicher Lautung. Im Vergleich hört sich das dann aber immer etwas gezwungen an, jemanden anranzen (grob zurechtweisen) klingt im Dialekt immer lockerer und unbekümmerter. Die sprachlichen und kulturellen Besonderheiten gehören so zusammen, und werden auch außerhalb Berlins miteinander in Verbindung gesehen. Wer berlinert, dem traut man auch ein paar lose Sprüche zu. Abschließend sei gesagt: Nich jeschimft ist jenuch jeloobt.

Spitznamen

Viele Berliner Spitznamen sind weit über die Grenzen Berlins bekannt. Der Berliner Volksmund ist berühmt dafür, allgegenwärtig mit diesen Spitznamen durchsetzt zu sein.

Wie bei allen Spitznamen (im 17. Jahrhundert spitz = verletzend) handelt es sich meist um Spottnamen, die einen kurzen Ersatznamen für den realen Namen geben, der sich aus den Charakteristika der Sache oder der Person ergeben. Die Alltagssprache des Berlinischen ist berühmt dafür, vergleichsweise ruppig zu sein, und soll recht frei Spottnamen verwenden. Tatsächlich übertreiben vor allem Touristenführer und Reiseliteratur gerne die tatsächlichen Verhältnisse. Im täglichen Umgang der Menschen werden der Fernsehturm und der Funkturm auch eben so genannt. Die alternativen Namen werden eher ironisch gebraucht oder wenn man Touristen ein wenig verwirren möchte.

Viele spitze Bezeichnungen sind stark zeitbezogen. Da jedoch echte und angebliche Spitznamen vor allem von den Medien zur Herstellung eines Berliner Lokalkolorits verbreitet werden, kann zumindest zeitweise so manche sehr eigenartige Bezeichnung auch ohne weiteren Satzbezug von den Berlinern verstanden werden. Die funktionellen Namen überwiegen jedoch im allgemeinen Sprachgebrauch.

Nur in wenigen Fällen ist der Spitzname gebräuchlicher, etwa bei Bierpinsel und East Side Gallery, (mittlerweile offiziell), Café Achteck und Tränenpalast (historisch), oder die zahlreichen Kurznamen von A wie Alex bis Z wie Zoo.

Sonstige Wörter

Einige Wörter bzw. Aussprachen lassen sich kaum über Ausspracheregeln aus dem Hochdeutschen ableiten.

Zum Vergleich: Einige berlinische Wörter bzw. phonetische Merkmale, die aber auch in anderen Dialekten auftauchen, finden sich auch im Hochdeutschen wieder.

  • wohlmöglichwohłmöglichwomöglich
  • eene meene Muh [ˈeːnə ˈmeːnə ˈmuː]
  • wenn schon, denn schon
  • für ’n App’l und ’n Ei (für sehr wenig Geld)

Zitate

„Jetzt lachen immer alle, und reißen ständig Witze.
Wir sind nur noch am Baden gehen – wejen die Hitze.“
Die Ärzte: „Hurra“ (Album „Planet Punk“, 1995)
Ick sitze da un' esse Klops,
Und uff eenma' klopp's.
Ick kieke hoch und wund're mia:
Uff eenma jehtse uff, die Tüa.
Ick stehe uff und denk: nanu?
Jetz isse uff, erst waase zu?
Ick jehe raus un' kieke:
Un' wea steht draußen? Icke.
„Berliner Klopsgeschichte“
Abraham zu Bebraham: „Kann ich mal dein Zebra ha'm?“
Kalauer
Mariechen zu Mariechen: „Lass mich ma' riechen.“
Da ließ Mariechen Mariechen ma' riechen.
Kalauer
Singt Eener Uffn Hof
Ick hab ma so mit dir jeschunden,
Ick hab ma so mit dir jeplacht.
Ick ha in sießen Liebesstunden
zu dir »Mein Pummelchen« jesacht.
Du wahst in meines Lehms Auf un Ab
die Rasenbank am Elternjrab.
Mein Auhre sah den Hümmel offen,
ick nahm dir sachte uffn Schoß.
An nächsten Tach wahst du besoffen:
un jingst mit fremde Kerle los.
Un bist retuhr jekomm, bleich un schlapp –
von wejen: Rasenbank am Elternjrab!
Du wahst mein schönstet Jlück auf Erden,
nur du – von hinten und von vorn.
Mit uns zwee hätt et können werden,
et is man leider nischt jeworn.
Der Blumentopp vor deinen Fensta
der duftet in dein Zimmer rein ...
Leb wohl, mein liebes Kind, und wennsta:
mal dreckich jeht, denn denke mein –!
Kurt Tucholsky, 1932
Würklichkeitsjetreue Schilderung eena Lügenjeschichte
N umherjewürbelta Schefdirijent,
n olla abjeschmürjelta Fallschürmjägerjeneral
(imma mit Rejenschürm),
n jeistesfawürrta Jefängnisdirektor
und n Ziejenhürt mit na Hürnjeschwulst
kloppen sich ürjentwo
im brandenburgberlinerischn Waldjebürge
innem herunterjewürtschaftetn Demontaschefürmenjebäude
nebm na Kürche
mit viel Jeschürr und Jeklürr
um n famöjenswürksames Hürschjeweih.
Det für mausetot jehaltne Hürschjetier
is jedoch noch janz lebendich und am Lehm,
aba wejen m fapeiltn Jeschehn völlich ürrejeführt;
schnubbat daher nich nur aus Falejenheit
anna jut beleechtn Käsestulle rum
– ürjentwann vom fürznjährijen Fliesenleejajeselln
aus Jeschmacksfaürrung liejenjelassn –
und würft sich ditte am Ende
mit jeschlossnen Oogen
jeschmeidich hinta de Kiem'.
Wat? Een Hürsch und Kiem'?
Nich würklich – is ja ooch ne Lügenjeschichte,
aba würklichkeitsjetreu jeschildat;
uff jedn.
Det Pauly, 2003
„Ick muss sagen, siehst echt schnieke aus, Keule.
Find' ick dufte, Männeken.“
Aus einer "Deutschlern-Kassette" in der Fernsehserie Die Simpsons (Kraftwerk zu verkaufen, 8F09)

Literatur

  • Der kleine Duden, Sonderausgabe Berlin. Dudenverlag Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich; Mannheim 2005, ISBN 3-411-14072-0
  • Norbert Dittmar, Peter Schlobinski: Wandlungen einer Stadtsprache - Berlinisch in Vergangenheit und Gegenwart. Colloqium-Verlag, 1988, ISBN 3-7678-0704-1
  • Ewald Harndt: Französisch im Berliner Jargon, Neuausg. Berlin 2005, ISBN 3897735245
  • Hans Meyer, Siegfried Mauermann, Walther Kiaulehn: Der richtige Berliner in Wörtern und Redensarten. ISBN 3406459889
  • Jens Runkehl (Bearbeiter): Lilliput Berlinerisch. Langenscheidt, Berlin & München 2003; ISBN 346820034X
  • Joachim Schildt, Hartmut Schmidt: Berlinisch - Geschichtliche Einführung in die Sprache einer Stadt. Akademie-Verlag, 1986, ISBN 3-05-000157-7

Quellen

  1. Viertel-Dreiviertel-Verbreitungskarte

Siehe auch

Wiktionary: Berlinisch – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen