Rio Reiser
Ralph Christian Möbius alias Rio Reiser (* 9. Januar 1950 in Berlin; † 20. August 1996 in Fresenhagen, Nordfriesland) war ein politisch aktiver deutscher Rockmusiker. Zu seinen bekanntesten Kompositionen gehört „König von Deutschland“ von 1986.
Rio Reiser war von 1970 bis Mitte der 80er Frontmann der Band Ton Steine Scherben. Er war aktiv in der Berliner Hausbesetzer-Szene, für die er auch den Rauch-Haus-Song schrieb. Aufgrund des politischen Trubels kam er nach eigener Auffassung jedoch nicht mehr zu seiner Kunst, weshalb er seit Juni 1975 auf einem Bauernhof in Fresenhagen lebte. Rio Reiser sang hauptsächlich in seiner Muttersprache, es sind aber auch einige englisch- und italienischsprachige Stücke bekannt. Nach der Auflösung der Band setzte er seine musikalische Karriere solo fort.
Biografie
Herkunft
Sein Vater war Ingenieur bei der Siemens AG, so dass die Familie mehrmals wegen dessen Arbeit umzog. Sie lebte in Berlin, Oberbayern, Nürnberg, Mannheim, Stuttgart und Rodgau/Nieder-Roden. Reiser war nicht in der Lage, sich an irgendeinem dieser Orte zu Hause zu fühlen. Viele seiner Freunde sagten in einem Interview, das 1998 auf dem Fernsehsender ARTE ausgestrahlt wurde, dass er anfing, Musik zu machen, um sich einen Platz zu schaffen, an dem er sich heimisch fühlen konnte.
Jugendzeit
Reiser war seinen Freunden als Person mit einem eigenen Kopf bekannt. Beispielsweise überredete er seine Mutter Erika Möbius dazu, die Schule beenden und eine Ausbildung in einem Fotografiestudio in Offenbach-Bieber anfangen zu dürfen. Sie glaubte, er sei ein Autodidakt; er lernte niemals etwas, was ihm von anderen beigebracht wurde. Also brachte er sich selbst das Spielen auf dem Cello, der Gitarre, dem Klavier und anderen Instrumenten bei.
Seinen Namen, Ralph Christian Möbius, änderte er in Rio Reiser, angelehnt an die Hauptfigur des psychologischen Romans Anton Reiser von Karl Philipp Moritz. Während seiner Jugendjahre war Rio Reiser ein großer Fan der Beatles und später der Rolling Stones.
Rio Reiser machte aus seiner Homosexualität schon bald nach seinem Coming-Out im Alter von 20 Jahren kein großes Geheimnis.
Aktivitäten außerhalb der Musikkarriere
Rio Reiser war wie seine älteren Brüder Peter und Gert Möbius schauspielerisch tätig, so u. a. bei Hoffmanns Comic Teater und den Roten Steinen (einem Berliner Lehrlingstheaterkollektiv). 1977 bekam Rio Reiser für seine erste Filmrolle in dem Film Johnny West den Bundesfilmpreis in Gold. Ursprünglich war Herbert Grönemeyer für die Rolle vorgesehen, aber aufgrund amouröser Verwicklungen Grönemeyers mit der Hauptdarstellerin, der Freundin des Regisseurs, wurde die Rolle mit Rio Reiser besetzt.
Reiser unterstützte 1976 den Wahlkampf der SPD musikalisch und trat 1983/1984, noch zu seiner Zeit als Sänger von Ton Steine Scherben, für Die Grünen im Rahmen der Wahlkampf-Grünen-Raupe auf. Einer Partei trat er erst 1990 nach der Wende in der DDR bei: der PDS. Daraufhin weigerten sich manche Radiostationen, wie auch der Musiksender VIVA, seine Musik zu spielen bzw. seine Videos zu zeigen.
1995 spielte Reiser in einem Tatort des Bayerischen Rundfunks mit (Im Herzen Eiszeit, zusammen mit Rudolph Moshammer), in welchem er einen ehemaligen Hausbesetzer spielt, der nach elf Jahren aus der Haft entlassen wird und sich in einer für ihn fremd gewordenen Welt zurechtfinden muss. Für den Film komponierte er auch den Titelsong (Träume). Bereits 1988 hatte er eine Gastrolle im Schimanski-Tatort Der Pott mit Götz George.
Tod
Rio Reiser starb am 20. August 1996 im Alter von 46 Jahren nach einem Herz-Kreislauf-Kollaps in Verbindung mit inneren Blutungen. Die Bemühungen der Familie um eine Sondergenehmigung, Reiser auf seinem Privatgrundstück begraben zu dürfen, wurden nicht nur vom Kreis Nordfriesland, sondern auch von der damaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis unbürokratisch unterstützt. So konnte Rio Reiser auf seinem Grundstück in Fresenhagen 11 beigesetzt werden.
Das Grab in Fresenhagen ist seitdem eine Art Pilgerstätte. Sein Haus heißt heute Rio-Reiser-Haus und dient als Tagungsort und Studio für Kulturschaffende.
Mit einem Gedenkkonzert im Berliner Tempodrom nahmen 1996 u. a. seine alte Band Ton Steine Scherben, die Einstürzenden Neubauten, Engerling, Pe Werner, Ulla Meinecke, Marianne Rosenberg, Lutz Kerschowski, Herbert Grönemeyer, Keimzeit, Haindling, Tim Fischer, Freygang und John Banse von Rio Reiser Abschied.
Heute kümmern sich Reisers Brüder Peter Möbius als Vorsitzender des Rio-Reiser-Haus-Vereins und Gert Möbius mit dem Rio-Reiser-Archiv/Möbius Rekords um das Gedenken Rio Reisers.
Musikkarriere
Anfänge
Nachdem er die Schule verlassen hatte, wurde Reiser Sänger der Rockband The Beat Kings, wo er seinen guten Freund R.P.S. Lanrue, den späteren Gitarristen von Ton Steine Scherben, traf. Später brach er seine Ausbildung im Fotostudio ab und verließ die Beat Kings, um nach Berlin gehen zu können. In Berlin komponierte er die erste Beat-Oper, die jedoch nicht erfolgreich war.
Ton Steine Scherben
Im Jahr 1970 nahm Reiser die erste Platte mit seiner Band Ton Steine Scherben auf. Deren Name leitete sich angeblich aus dem Zitat „Was ich fand, waren Ton, Steine, Scherben“ des Troja-Entdeckers Heinrich Schliemann ab. Das war zumindest die Version, die der fantasiereiche Rio Reiser gerne Journalisten erzählte. Im Buch Keine Macht für Niemand erzählt der Bassist Kai Sichtermann, dass sich der Name bei einem Brainstorming aus dem Namen VEB Ton Steine Scherben entwickelte. Das war an die Industriegewerkschaft Bau Steine Erden angelehnt, aber auch eine Hommage an die Rolling Stones („Steine“). Zudem weist der Name Ähnlichkeiten mit den Roten Steinen auf, einer politisch motivierten Straßentheatergruppe aus Berlin. Im selben Jahr gab die Gruppe den ersten Liveauftritt auf dem von Beate Uhse gesponserten Love-and-Peace Festival.
Im Jahr 1985 löste sich die Band aus finanziellen Gründen auf.
Solokarriere
Die Band und Rio Reiser hatten hohe Schulden (ca. 200.000 DM), wollten sich aber nicht als Band an "Die Industrie" verkaufen. Annette Humpe, stellte den Kontakt zu George Glueck (Rios späterem Manager) her und produzierte seine erste Single Dr. Sommer/B-Seite, die Rio gemeinsam mit seinem alten Freund R.P.S. Lanrue von Ton Steine Scherben schrieb.
Udo Arndt produzierte 1985/86 Reisers erstes Soloalbum Rio I. und Rios Solo-Karriere begann mit den beiden Hits König von Deutschland und Junimond so erfolgreich, dass er binnen kurzer Zeit schuldenfrei war. Viele Fans aus den Tagen von Ton Steine Scherben konnten (und wollten) es allerdings nicht gutheißen, dass Reiser als Idol der Alternativen Szene plötzlich ein kommerziell erfolgreicher Musiker sein wollte. Dabei waren die meisten der Songs, die Rio in seiner Solokarriere aufnahm und spielte, alte Scherben-Songs (Junimond, Menschenfresser, Jetzt schlägts Dreizehn, Irrenanstalt und sogar König von Deutschland wurde schon 1975 live gespielt). Nur hier waren sie glatter, gefälliger oder einfach nur besser produziert. Eingespielt wurden die Platten allerdings (anstatt wie bisher im Kollektiv) von einer ganzen Reihe von professionellen Studiomusikern. Erst nach und nach bildete sich eine neue (Live-)Stammformation heraus, die dann immerhin bis 1989 zusammenblieb.
Reisers sechste und letzte Soloplatte heißt Himmel und Hölle. Eigentlich (laut Booklet) nur entstanden, damit der Titelsong aus dem Tatort auch noch ein dazugehöriges Album erhält. Entstanden ist mit der Studiobesetzung der ersten LP Rio I. eine der schönsten und zugleich düstersten Platten aus deutschen Landen. Im Song Hoffnung singt Rio Reiser 10 Jahre nach dem König von Deutschland: Nehmt mir die Krone ab, ich kann sie nicht tragen...ich kann Euch nicht führen. Und das wenige Monate vor seinem Tod.
Parallel zu Ton Steine Scherben arbeitete Rio Reiser auch als Produzent und Co-Produzent: u. a. für Brühwarm, Wolfgang Michels, Die Stricher, Misha Schöneberg, Desert Hearts. Als Auftrags-Texter wirkte Rio Reiser für Marianne Rosenberg, Wolfgang Michels, Klaus Lage u. v. a. m.
Rio Reiser schrieb Musik für zahlreiche Bühnenstücke: z. B. 1981 mit seinen Brüdern Peter und Gert Möbius in der Produktion über den Kapp-Putsch im Ruhrgebiet: Märzstürme 1920.
Politische und künstlerische Bedeutung
Im Oktober 1988 gab Reiser zwei Konzerte in Ost-Berlin, zu denen die FDJ eingeladen hatte. Die Liedzeile: „Gibt es ein Land auf der Erde, wo der Traum Wirklichkeit ist? … Dieses Land ist es nicht!“ wurde von tosendem Applaus begleitet und zeigte ein Jahr vor der Wende überdeutlich, wie wenig sich die anwesenden Ostberliner mit ihrem Staat identifizieren konnten.
Lieder wie Halt dich an deiner Liebe fest, Der Traum ist aus, Keine Macht für Niemand und Macht kaputt, was euch kaputt macht hatten politischen Einfluss auf die deutsche Linke nach 1968, insbesondere auf die Hausbesetzerszene und den Bezirk Berlin-Kreuzberg. Später wurden auch Die Grünen in ihren Anfangsjahren von Ton Steine Scherben und ihrem Sänger und Texter Rio Reiser maßgeblich beeinflusst. Nach den Veränderungen von 1989 und der Gründung der PDS wurde Rio Reiser 1991 Mitglied der Partei, welcher er bis zu seinem Tod angehörte.
In den vergangenen zwanzig Jahren haben viele verschiedene Künstler und Musikgruppen Coverversionen von Reisers Kompositionen produziert, darunter einige der wichtigsten deutschsprachigen Gruppen der letzten Zeit, wie z.B. Herbert Grönemeyer, Udo Lindenberg, Freundeskreis und Jan Delay.
Trivia
Im Jahr 2007 benutzte Media-Markt den Rio-Reiser-Song König von Deutschland für eine Werbekampagne. Aus Das alles und noch viel mehr – würd' ich machen, wenn ich König von Deutschland wär machte der Tochterkonzern der Metro-Gruppe als Werbejingle für eine Fernsehspotreihe Sau-sau-saubillig/und noch viel mehr![1].
Quellen
- ↑ und als Werbejingle für Radiospots: Sau-sau-saubillig/und noch viel mehr/würd' ich kriegen/wenn ich Kunde bei Media Markt wär'! Der Media Markt und Rio Reiser - Kommentar auf NDR-Online
Diskografie und Chartplatzierungen
| ChartsChartplatzierungen | Höchstplatzierung | Monate |
|---|
Alben (Staatenlegende)
- Rio I.
- D: 26 (xx.xx.1986) x Wo.
- Blinder Passagier
- D: 42 (xx.xx.1987) x Wo.
- Über Alles
- D: 81 (06.09.1993) 4 Wo.
- Das Beste Von Rio Reiser
- D: 77 (16.05.1994) 6 Wo.
- Junimond - Die Balladen
- D: 57 (24.07.2000) 4 Wo.
- Familienalbum
- D: 45 (10.11.2003) 3 Wo.
Alben
- 1986 Rio I. (November 1986)
- 1987 Blinder Passagier (15. September 1987)
- 1990 Rio*** (2. April 1990)
- 1991 Durch Die Wand (Juli 1991)
- 1993 Über Alles (20. August 1993)
- 1994 König Von Deutschland - Das Beste Von Rio Reiser (15. April 1994) (Compilation mit König von Deutschland '94)
- 1995 Himmel und Hölle (März 1995 Wieder-VÖ 28. januar 2002)
- 1996 Abschied von Rio (6. Dez. 1996) - (Do-CD, Tribute)
- 1996 Balladen (8. Juli 1996) (Compilation)
- 1997 Unter Geiern (Januar 1997) (Do-CD Best of plus B-Seiten)
- 1998 Am Piano 1 (30. Oktober 1998)
- 1999 Am Piano 2 (30. März 1999)
- 1999 Live in der Seelenbinder-Halle, Ostberlin 1988 (8. November 1999)
- 2000 Junimond - Die Balladen (26. Juni 2000) (Compilation)
- 2003 Zwischen Null Und Zero (1. September 2003) (Do-CD B-Seiten und Remixe)
- 2003 Familienalbum (27. Oktober 2003) (Tribute-CD, mit dem unveröffentlichten Herzverloren)
- 2005 Familienalbum (14. Oktober 2005) (Tribute-CD)
DVD
- 2005 Konzert, Videos, Interviews (14. März 2005) (Live in der Seelenbinderhalle / alle Videos)
Literatur
- Nishen, Dirk [Hrsg.]: Ton Steine Scherben: Geschichten, Noten, Texte und Fotos aus 15 Jahren. Berlin 1985, ISBN 3-88940-106-6
- Reiser, Rio u. Eyber, Hannes: König von Deutschland. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1997, Neuauflage Möbius Rekords, Berlin 2001, ISBN 3-00-007733-2
- El Kurdi, Hartmut: Schwarzrote Pop-Perlen. Wehrhahn Verlag, Hannover 2001, ISBN 3-932324-82-X
- El Kurdi, Hartmut: Unter Geiern in Mein Leben als Teilzeit-Flaneur. Edition Tiamat, Berlin 2001, ISBN 3-89320-047-9
- Sichtermann, Kai u. Johler, Jens u. Stahl, Christian: Keine Macht für Niemand., Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2003, ISBN 3-89602-468-X
- Wolfgang Seidel: Scherben. Musik, Politik und Wirkung der Ton Steine Scherben Ventil Verlag, Mainz 2005. ISBN 3-931555-94-1
- Hollow Skai: Das alles und noch viel mehr - Rio Reiser: die inoffizielle Biografie des Königs von Deutschland. Heyne, München 2006, ISBN 3-453-12038-8
Filme
- Rio Reiser - König von Deutschland. Deutschland 2005, Regie: Stefan Paul (Musikrevue/Theateradaption von Heiner Kondschak (Landestheater Tübingen - LTT) nach biographischen Daten zu Rio Reiser (Darsteller: Sören Wunderlich) - mit zahlreichen musikalischen Interpretationen (Coverversionen) von Ton Steine Scherben- und Rio Reiser-Titeln.
Weblinks
- Offizielle Webseite
- Biographie und Diskographie auf laut.de
- Rio Reiser Haus in Fresenhagen
- Vorlage:PND
| Personendaten | |
|---|---|
| NAME | Möbius, Ralph Christian |
| ALTERNATIVNAMEN | Rio Reiser |
| KURZBESCHREIBUNG | deutscher Rockmusiker (Ton Steine Scherben) |
| GEBURTSDATUM | 9. Januar 1950 |
| GEBURTSORT | Berlin |
| STERBEDATUM | 20. August 1996 |
| STERBEORT | Fresenhagen, Nordfriesland |