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Lohmann-Affäre (Weimarer Republik)

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Als Lohmann-Affäre oder Phoebus-Skandal wurde in der Weimarer Republik 1927 die Aufdeckung eines geheimen Aufrüstungsprogramms im Zuge des Bankrotts der Phoebus-Film AG bezeichnet. Sie führte neben der Entlassung von Walter Lohmann zum Rücktritt des Reichswehrministers Otto Geßler am 19. Januar 1928 und zur Entlassung des Chefs der Reichsmarine, Hans Zenker, am 30. September d.J.

Geheime Aufrüstung

Anfang 1923 wurde Kapitän zur See Walter Lohmann, der sich seit 1920 als Leiter der Seetransportabteilung der Marine Erfahrungen in internationalen Geschäften und das volle Vertrauen von Marinechef Admiral Paul Behncke erworben hatte, die Verwaltung "schwarzer Kassen" der Marine übertragen. Es handelte sich dabei zunächst um Erlöse aus dem illegalen Verkauf von Schiffen, die nach dem Versailler Vertrag eigentlich hätten verschrottet werden sollen (ca. 100 Mio. Goldmark). Dazu kam ein vom Kabinett (ohne Wissen des Parlaments) aufgelegter "Ruhrfonds" (Marineanteil: 12 Mio. Goldmark) zur Vorbereitung eines auch militärischen Widerstands in der Ruhrkrise.[1] Dazu Reichswehrministers Geßler in seinen Memoiren:

Lohmann "hatte primär und unter allen Umständen für Geheimhaltung zu sorgen. Er hatte im Falle einer Panne für das Getane geradezustehen, d.h., alles auf die eigene Kappe zu nehmen, als reine Privataktion zu vertreten. Er erhielt dafür die Zusicherung eines persönlichen Ehrenschutzes."[2]

Die Ruhrfondsgelder wurden überwiegend wie vorgesehen zum heimlichen Waffenkauf (vor allem in Italien), zum Aufbau einer Tankerdampfflotte verwendet und zur Anbahnung militärischer Beziehungen zur Sowjetunion (gegen einen evtl. polnischen Angriff) verwendet. Doch die Aktivitäten gingen darüber weit hinaus:

  • Aufbau eines Marinenachrichtendienstes, zunächst zur Sicherstellung von Rohstofflieferungen
  • Entwicklung eines modernen U-Boots (u.A. mit blasenfreiem Torpedo) durch das Ingenieurskantoor voor Scheepsbouw in Den Haag (Niederlande), das auf Vermittlung von Wilhelm Canaris ab 1926 in Cadiz (Spanien) gebaut wurde
  • Unterstützung für die Firmen Heinkel, Dornier und Rohrbach beim Bau von Flugzeugen
  • Kauf der Caspar-Werke, die "zivile" Flugzeuge entwickelte, deren Leistungsdaten "zufällig" denen von Militärflugzeugen anderer Länder ähnelten[3]
  • "Severa" (Seeflugzeug-Versuchsabteilung) zur Enwicklung von der Marine benötigter Flugzeugtypen und zum Training von Piloten auf Norderney und in Holtenau
  • "Travemünder Yachthafen A.G." zu Entwicklung und Unterhalt von Schnellbooten[4]


Wirtschaftsaktivitäten

Nebenher begann Lohmann auch im kommerzielle Projekte zu investieren:

  • Grundstücksspekulationen
  • Kauf der Berlin Bacon A.G., mit der er den Dänen den britischen Speckmarkt streitig machen wollte
  • Kauf eines Aktienpakets der Privatbank Berliner Bankverein (die Bank, über die Lohmann alle Aktivitäten finanzierte)[5]
  • Entwicklung eines Eisbergungsverfahren
  • Beteiligung an und Bürgschaften für die Phoebus-Film AG (s.u.)

Für diese nicht-maritimen Aktivitäten gab es verschiedene Erklärungen:

  • sie sollten zumindest indirekt im Interesse der Marine sein (beispielsweise hätte man die Kühlschiffe der Bacon A.G. im Kriegsfall auch als Truppentransporter einsetzen können)[6]
  • sie sollten dem unauffälligen Aufbau eines Agentennetzes dienen
  • sie sollten die Finanzierung der geheimen Projekte verschleiern
  • sie sollten durch wirtschaftlichen Erfolg fehlende Mittelzuflüsse ersetzen[7]

Zwar bekam Lohmann von allen Seiten Ehrenerklärungen, er habe sich nicht persönlich bereichert. Doch wurde auch berichtet, er sei mit dem Phoebus-Direktor Ernst Hugo Correll befreundet gewesen und habe seiner Freundin Else Ektimov (oder Elke Ekimoff) eine 12-Zimmer-Wohnung und einen gutbezahlten Job bei der Phoebus verschafft.[8]

Seit 1924 hatte sich Lohmann mit Einlagen an der Phoebus-Film AG beteiligt. Neben hohen Renditen hatt er auch das Ziel, in den Phoebus-Auslandsbüros unauffällig Agenten platzieren zu können. Als die Phoebus in Schwierigkeiten geriet, besorgte er ihr einen Kredit der Girozentrale. Für die erforderliche Reichsbürgschaft erhielt er die Unterschrift nur, weil er eine weitere Bürgschaft der Muttergesellschaft Lignose AG vorlegte, die Vorrang habe. Tatsächlich hatte er der Lignose aber umgekehrt im Namen des Reiches versicherte, sie werde für diese Bürgschaft nicht in Anspruch genommen. Später unterschrieb er eigenmächtig weitere Bürgschaften.

Als der Konkurs im August nicht mehr abzuwenden war, brach die Finanzierungskonstruktion zusammen.[9]


Enthüllung

Kurd Wenkel, Wirtschaftsjournalist des Berliner Tageblatts hatte sich seit Mitte Juli gewundert, durch welche Zuflüsse die Gesellschaft ihren Zusammenbruch so lange hinauszögern konnte. Nachdem ihn ein ehemaliger Phoebus-Mitarbeiter über die Lohmann-Investitionen informiert hatte, machte Wenkel den Skandal in Artikeln am 8. und 9. August öffentlich. Über die wahren Hintergründe war er sich vermutlich nicht im Klaren, sondern vermutete, der Staat habe "im nationalen Sinne" Einfluss auf Programm und Verleihpolitik der Phoebus nehmen wollen (dies nicht ganz unberechtigt, weil im unglaublich seichten Programm der Phoebus (Man spielt nicht mit der Liebe) einzelne nautische Einsprengsel auffielen (Nordlandsfahrt deutscher Kriegsschiffe).


Die Regierung unter Reichskanzler Marx bemühte sich um Schadensbegrenzung. Unter Androhung einer Anzeige wegen Landesverrats wurden die Wenkel-Artikel gestoppt. Die seefernen Wirtschaftsaktivitäten wurden als Eigenmächtigkeit eines subalternen Beamten dargestellt, und aus dem Phoebus-Skandal wurde die Lohmann-Affäre. Die geheimen Aufrüstungsaktivitäten und damit der Bruch des Versailler Vertrags konnten vertuscht werden. Zwar fragte der KPD-Abgeordnete Ernst Schneller im Reichstag sehr präzise nach Einzelheiten des Aufrüstungsprogramms, wurde aber ignoriert.

Der Reichstag bewilligte die Kosten für die Abwicklung der Affäre (26 Millionen RM), allerdings erst nach Rücktritt von Reichswehrminister Otto Geßler am 19. Januar 1928. Sein Nachfolger Wilhelm Groener entließ dann am 30. September auch den Chefs der Reichsmarine, Hans Zenker, den direkten Vorgesetzten Lohmanns. Lohmann selbst wurde zwar bei gekürzter Pension in den Ruhestand versetzt, aber nie strafrechtlich angeklagt -- das Risiko einer Aufdeckung der wahren Hintergründe wäre zu groß gewesen. Lohmann starb völlig verarmt drei Jahre später an einem Herzschlag.[10]

Die geheime Aufrüstung wurde nicht eingestellt sondern ausgeweitet, aber einer unabhängigen (geheimen) Kontrolle durch den Rechnungshof unterworfen.[11] Der Marinenachrichtendienst wurde 1928 in die Abwehr des Heeres eingefügt.[12] Die Severa wurde von der Lufthansa als Abteilung Küstenflug übernommen, obwohl die bereits eine Abteilung Seeflug hat.[13]

Weitere Enthüllungen

Als im Nachtragshaushalt der Republik 1926 Finanzmittel für den Bau einer Offiziersschule beantragt wurden, kam bei der Parlamentsdebatte darüber zutage, dass die Schule bereits gebaut und vom Chef der Marineleitung Zenker eingeweiht worden war. Die SPD vermutete "schwarze Kassen" und forderte, die Verfügungsgewalt von Heer und Marine über ihre Haushaltsmittel zu begrenzen und deren Verwendung genauer zu überwachen. [14]

1929 erschien in der Weltbühne der Artikel "Windiges aus der Deutschen Luftfahrt", der einzelne Details der fortgesetzten geheimen Aufrüstung enthüllte. Autor Walter Kreiser (Pseudonym: Heinz Jäger) und Verleger Carl von Ossietzky wurden im Weltbühne-Prozess wegen Landesverrats verurteilt.

Literatur

Einzelnachweise

  1. CIA-Report, a.a.O, S. A32
  2. Otto Geßler, a.a.O., S.446
  3. CIA-Report, a.a.O, S. A33
  4. Carsten, a.a.O., S. 314
  5. CIA-Report, a.a.O, S. A36
  6. CIA-Report, a.a.O, S. A34
  7. Geßler, a.a.O. S. 448
  8. http://www.berlinische-monatsschrift.de/bms/bmstxt00/0006gese.htm Berlinische Monatsschrift Heft 6/2000
  9. CIA-Report, a.a.O, S. A35
  10. CIA-Report, a.a.O, S. A37
  11. CIA-Report, a.a.O, S. A37
  12. Gert Buchheit: Der Deutsche Geheimdienst. München; List Verlag 1966
  13. Heinz Jäger, a.a.O.
  14. Caspar, Gustav Adolf: Die sozialdemokratische Partei und das deutsche Wehrproblem in den Jahren der Weimarer Republik, in: Beiheft 11 der Wehrwissenschaftlichen Rundschau, Stuttgart 1959.