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Wigalois

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Der Wigalois ist ein mittelhochdeutscher Versroman und wird zur literarischen Reihe der Artusromane gezählt. Wigalois, der Titelheld, ist ein Ritter der berühmten Tafelrunde des König Artus und Sohn des arthurischen Musterritters Gawein. Der Autor dieses Werks, das zwischen 1210 und 1220 entstanden sein dürfte, heißt Wirnt von Grafenberg. Sein Werk erfreute sich im Mittelalter enormer Beliebtheit und wurde noch bis in die frühe Neuzeit in Volksbuchfassungen rezipiert.


Autor

Über Wirnt von Grafenberg, den Autor des Wigalois, existieren weder urkundliche noch chronikale Quellen. Die germanistsiche Forschung ist deshalb ausschließlich auf entsprechende Hinweise im Wigalois, Wirnts einzigem überlieferten Werk, und auf Erwähnungen in anderen zeitgenössischen Texten angewiesen. Sprache und Lautstand, aber auch geographische Angaben im Roman weisen auf eine Herkunft Wirnts aus der heutigen Stadt Gräfenberg nordöstlich von Nürnberg hin. Möglicherweise war Wirnt Mitglied einer Ministerialenfamilie aus diesem Ort oder der unmittelbaren Umgebung. Über seine Ausbildung ist nichts bekannt; allerdings spricht einiges dafür, dass der gelehrte Dichter in einer Klosterschule theologisches Wissen und Fremdsprachenkenntnisse erworben hat.

Gönner und Publikum

Auch über Wirnts Auftrageber existieren keine expliziten Hinweise im Text. So wurde und wird die Gönnerfrage in der Forschung äußerst kontrovers diskutiert. In Erwägung gezogen wurden u.a. die Fürsten von Andechs-Meranien (traditionelle Forschung), die Zollern als Burggrafen von Nürnberg (Volker Mertens) und jüngst auch der Stauferhof mit seinen weit reichenden dynastischen Verbindungen (Seelbach/Seelbach). Aufgrund der Gesamtanlage des Textes und zahlreicher intertextueller Bezüge lässt sich davon ausgehen, dass Wirnt für ein literaturkundiges höfisches Elitepublikum dichtete und gezielt dessen Interessen bediente.

Datierung

Eine Entstehung des Wigalois-Romans im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts (um 1210/15?, spätestens aber 1220) gilt heute als weitreichend gesichert. Für diese Datierung sprechen einerseits die frühesten überlieferten Textzeugen des Werkes, die eine spätere Entstehung ausschließen würden; andererseits kann die Datierung der Artusromane des Hartmann von Aue und des Wolfram von Eschenbach auch für die zeitliche Verortung des Wigalois hernangezogen werden: Diese Texte werden im Wigalois bereits erwähnt - das bedeutet, dass der Wigalois erst nach deren Entstehung bzw. Verbreitung entstanden sein kann.

Überlieferung und Rezeptionsgeschichte

a) Handschriftenüberlieferung: Wirnts Wigalois ist durch 37 vollständigen und fragmentarischen Handschriften aus dem 13. bis späten 15. Jahrhundert überliefert (zum Vergleich: Iwein 32 Handschriften; Parzival 82 Handschriften). Eine besondere Bedeutung kommt Handschrift B (Leiden; 1337) zu, da sie mit 47 Miniaturen zum Text ausgestattet ist. Die breite und lang andauernde Überlieferung zeugt von der enormen Beliebtheit des Wigalois beim mittelalterlichen Publikum.

b) Rezeption im Hochmittelalter: Wirnts Wigalois wird auch in zahlreichen anderen mittelalterlichen Dichtungen erwähnt (z.B. in der Crône des Rudolf von Ems, im Renner des Hugo von Trimberg). In Der Welt Lohn wird Wirnt von Grafenberg durch den Autor Konrad von Würzburg selbst zur literarischen Gestalt, indem er zum ritterlichen Diener der Frau Welt stilisiert wird. Daneben ist eine Wigalois-Rezeption in der religiös-didaktischen Literatur des Mittelalters überlifert, z.B. im sogen. Amorbacher Cato (Disticha Catonis). Im 15. Jh. Aufnahme des Wigalois in Das Buch der Abenteuer des Ulrich Füetrer;

c) Rezeption in der frühen Neuzeit: 1473 wurde der Roman in eine Prosafassung aufgelöst, die bei Hans Schönsperger in Augsburg gedruckt wurde. Bis ins 16. und 17. Jh. entstanden davon mindestens acht weitere Auflagen. Im 16. Jh. entstand sogar eine jiddische Fassung, die Ende des 17. Jh.s ins Nhd. übertragen wurde; als letzter Ausläufer dieses Überlieferungszweiges entstand die satirische Prosaerzählung Vom König Artus und von dem bildschönen Ritter Wieduwilt. Ein Ammenmärchen (1786); Schon 1819 setzte durch eine gedruckte Edition die wissenschaftliche Beschäftigung mit Wirnts Wigalois ein.

Quellenfrage und mögliche Textgenese

Der Wigalois basiert auf romanischen Vorlagen, es handelt sich aber nicht – wie von der älteren Forschung vermutet – um die deutsche Adaption einer französischen Einzeldichtung; wahrscheinlicher ist, dass Wirnt verschiedene französische Texte selbständig montiert hat; so stimmt nur der zweite Erzählblock relativ detailliert mit dem Bel Inconnu des Renaut de Beaujeu (6266 Verse; eine Handschrift; Ende des 12. Jh.s) überein. Wichtig für die Quellenfrage ist zudem eine Selbstaussage Wirnts im Epilog des Wigalois, wonach er die erzählte Geschichte allein dem mündlichen Bericht eines Knappen verdanke (11686ff.); die Glaubwürdigkeit dieser Erklärung muss nicht bezweifelt werden; sie stützt die These, dass der Autor des Wigalois auf ein recht heterogenes Repertoire mündlich überlieferter Erzählmuster zurückgegriffen und diese nach eigenen Bedürfnissen und ästhetischen Ansprüchen in ein neues Werk überführt hat.


Handlung und Aufbau

Die Handlung des Wigalois lässt sich nach SCHIEWER (1993) in vier größere Erzählblöcke untergliedern:

Der erste Erzählblock berichtet von der Elterngeschichte des Protagonisten, von seinem Aufbruch zur Vatersuche und schließlich von seiner Ankunft und Ausbildung am Artushof. Eine Quelle lässt sich nicht nachweisen, doch finden sich ähnliche Erzählmuster z.B. auch in Wolframs Parzival oder in Hartmanns Gregorius: Wigalois’ Vater ist der arthurische Musterritter Gawein, der im Feenreich des Königs Joram dessen Nichte Florie heiratet. Gawein verlässt seine schwangere Frau bald, um an den Artushof zurückzukehren. So wächst Wigalois vaterlos auf. Als junger Erwachsener bricht er auf, um den ihm unbekannten Vater zu suchen und sich als Ritter zu bewähren. Rasch gelangt auch er an den Artushof, wo er von Gawein höfisch erzogen wird, ohne dass Vater und Sohn ihre Verwandtschaft erkennen. Schließlich empfängt Wigalois in einer feierlichen Zeremonie die Schwertleite. Als die Botin Nereja am Artushof erscheint und Hilfe für ihre Herrin Larie erbittet, wird Wigalois vom König mit der Aventiure beauftragt und verlässt den Hof.

Ein zweiter Erzählblock schildert eine Reihe von Bewährungsaventiuren, die der Held in Nerejas Begleitung auf dem Weg nach Roimunt, wo sich Larie aufhält, zu bestehen hat. Wigalois besiegt und tötet in dieser Erzählsequenz zunächst einen ungastlichen Wirt; darauf folgt eine Helfe-Aventiure für eine Dame des Artushofs, die von Wigalois aus der Hand zweier Riesen befreit wird; anschließend fängt der Held ein Hündchen, schenkt es der Botin und tötet dessen Besitzer. Dann schließt sich der umfangreichste Teil innerhalb des Erzählblocks an: Im Auftrag der um einen Schönheitspreis betrogenen Prinzessin Elamie von Persien siegt Wigalois in einem Gerichtskampf über den roten Ritter Hoyer von Mansfeld. Schließlich besiegt der Held einen Konkurrenten, König Schaffilun, der sich ebenfalls um die große Hauptaventiure von Korntin bemüht.

Der dritte und längste Erzählblock führt den Helden dann in ein dämonisches Jenseitsreich: Wigalois, der sich als qualifiziert erwiesen hat, soll nun das Reich Korntin aus den Fängen des heidnischen Usurpators Roaz befreien und es für Larie als rechtmäßige Königin zurückgewinnen. Gelingt ihm der Sieg, ist ihm Laries Hand versprochen. Die Hauptaventiure weist eine deutlich heilsgeschichtlich-religiöse Signatur auf; Wigalois erscheint hier als Erlöser im Kampf gegen das Unchristliche, Böse. Die geschilderte Szenerie erinnert von Beginn an stark an die geschichtstheologische Argumentation in den zeitgenössischen Kreuzzugspredigten. Wigalois wird bei seinem Eintritt in die Jenseitswelt mit Zauberwaffen ausgestatten, befreit das Rech zunächst von einem grausamen Drachen namens Pfetan und kämpft schließlich gegen den Roaz, den er besiegt. Somit ist Korntin am Ende des Erzählblocks wieder ein freies Land.

Der vierte und letzte Erzählblock folgt dem Erzählmuster der Chanson de geste und mutet aufgrund politischer und geographischer Anspielungen insgesamt sehr realhistorisch an. Ausgangspunkt sind die Hochzeits- und Krönungsfeierlichkeiten von Wigalois und Larie. Dort erscheint ein Herold, der von der Tötung eines Hochzeitsgastes bei Namur berichtet. Kurzerhand unternimmt Wigalois als neuer Herrscher einen Feldzug gegen König Lion von Namur. Nach dem Sieg übergibt der Held die Stadt einem Gefolgsmann als Statthalter. Anschließend statten Wigalois und Larie dem Artushof einen Besuch ab. Dann kehren sie in ihr Reich zurück, wo Larie einen Sohn zur Welt bringt: Lifort Gawanides, der später wie Vater und Großvater ein berühmter Held wird (ein entsprechender Fortsetzungsroman, dessen Abfassung Wirnt androht, aber einem anderen Dichter überlassen will, ist allerdings nicht überliefert).

Verwendete Literatur:

  • Joachim Bumke: Geschichte der deutschen Literatur im hohen Mittelalter. 4., aktualisierte Aufl. München 2000, S. 218-220.
  • Hans-Jochen Schiewer: Prädestination und Fiktionalität in Wirnts Wigalois, in: Volker Mertens und Friedrich Wolfzettel (Hrsg.): Fiktionalität im Artusroman. Dritte Tagung der Deutschen Sektion der Internationalen Artusgesellschaft in Berlin vom 13.-15. Februar 1992. Tübingen 1993, S. 146-159.
  • Sabine und Ulrich Seelbach: Nachwort und Kommentar zu: Wirnt von Grafenberg: Wigalois. Text der Ausg. von J. M. N. Kapteyn. Übersetzt, erläutert und mit einem Nachwort versehen von Sabine Seelbach und Ulrich Seelbach. Berlin, New York 2005, S. 263-318.
  • Hans-Joachim Ziegler: Wirnt von Grafenberg, in: Verfasserlexikon 10 (1999), Sp. 1252-1267.