Egon von Vietinghoff
Egon von Vietinghoff (* 6. Februar 1903 in Den Haag; † 14. Oktober 1994 in Zürich; eigentlich Egon Arnold Alexis Baron v.Vietinghoff) war Maler, Fachbuchautor und Philosoph der Malerei sowie Gründer der Egon von Vietinghoff-Stiftung.

Egon von Vietinghoff rekonstruierte die traditionelle europäische Öl-Harz-Maltechnik, formulierte unter dem Begriff "Visionäre Malerei" eine auf Transzendenz ausgerichtete Sicht und Wiedergabe der Dinge sowie die dahin führende Methode "Schule reinen Schauens" und schuf ein Werk von über 2.700 Ölgemälden.
Leben
Als Sohn seines deutsch-baltischen Vaters Conrad Baron v.Vietinghoff und seiner belgisch-holländischen Mutter Jeanne de Vietinghoff, jedoch als russischer Untertan in den Niederlanden geboren, wuchs Egon von Vietinghoff auf in Frankreich, Deutschland und in der Schweiz; sechs europäische Sprachen sprechend und in Anbetracht seiner vier Ehen mit Frauen aus Italien, der Schweiz, Deutschland und Österreich kann er wahrlich als Europäer bezeichnet werden. Der Vater (Pianist) und die Mutter (Schriftstellerin) waren Vorlagen im Werk der Schriftstellerin Marguerite Yourcenar. Seit 1922 Schweizer Bürger, lebte er zuerst in München und auf Capri, dann in Paris, auf Mallorca, in Buenos Aires (Argentinien), in Las Toscas (Uruguay) und in Zollikon bei Zürich, schließlich von 1940 bis zu seinem Tode in Zürich. Prägendes Erlebnis war eine Fußreise als Jugendlicher durch Spanien und Marokko, deren Eindrücke er bis in die letzten Jahre in Bildern aufleben ließ. Forschend, innovativ, unternehmungslustig, sportlich und gesellig in der ersten Hälfte seines Lebens, konzentrierte er sich später eher zurückgezogen auf sein Werk. Mit 16 Jahren verließ er das Gymnasium, um sich ganz der Malerei zu widmen, und legte den Pinsel erst mit 86 Jahren aus der Hand. Vietinghoff war – ebenso als Mensch wie als Künstler – zeitlebens Außenseiter und arbeitete nicht in einem vom Zeitgeist geprägten Stil.
Technik
In 35 Jahren rekonstruierte er autodidaktisch, experimentell und systematisch die verloren gegangene mehrschichtige Öl-Harz-Malerei, ein unverwechselbar europäisches Kulturerbe. Zur Untermalung setzt er Tempera ein. Die Summe seiner Werkerfahrungen schrieb er in einem Handbuch nieder. Darin definierte er erstmalig aus der Sicht eines Malers die Transparenz (eigentlich Transluzenz) von Farben, das entscheidende Phänomen für die traditionelle Maltechnik mit Lasuren. Dabei wird das einfallende Licht auf mehreren Ebenen reflektiert. Auf Grund der dadurch erzielten farblichen Tiefe, die mit Alla-Prima-Malerei (d.h. einschichtiger Technik) nicht zu erreichen ist, zeichnen sich seine Gemälde aus durch natürliche Plastizität, die bei Stillleben auf Perspektive erzeugende Attribute wie Tischkanten, schräg liegende Messer oder umgekippte Gläser weitgehend verzichten kann. Seine warmen Farben, die er – unter besonderer Berücksichtigung der Reinheit natürlicher Substanzen – größtenteils selbst herstellte, bewirken ein Leuchten, das von den Objekten selbst auszugehen scheint. Mehr als die Hälfte der Zeit zur Schaffung eines Ölgemäldes wandte er für handwerkliche Vorbereitungen auf.
Philosophie
In seinem Beitrag zur Philosophie der Malerei "Vision und Darstellung" stellt er die "visionäre Malerei" vor, eine auf Transzendenz ausgerichtete Konzeption der bildenden Künste, sowie die "Schule reinen Schauens", eine meditative Art des Sehens, die zur künstlerischen Vision führt. Handwerkliches Können vorausgesetzt, hängt der Wert eines Werks in der Malerei davon ab, in wie weit solche zeitlosen, rein visuellen, mystischen Erfahrungen mit rein farblichen Mitteln wiederzugeben gelungen ist. Dabei soll der Intellekt und alles erworbene Wissen ausgeschaltet werden, um sich ganz in den farblichen Rhythmus der Objekte zu versenken und frei zu sein, das "Drama von Farbe, Licht und Form" nachzuvollziehen, das von den Objekten ausgeht und sich vor dem geistigen Auge abspielt. Er erlebt diese Wahrnehmungs- und Gestaltungsweise während des Malprozesses selbst und erkennt sie wieder in den Werken seiner Vorbilder, einiger der Alten Meister bis hin zu William Turner. Mit dieser Philosophie verlässt er die scheinbaren Alternativen Naturalismus / Realismus / Fotorealismus versus Abstraktion und weist einen anderen Weg.
Werk
Sein immenses Oeuvre umfasst alle klassischen Motive: Stillleben (60%), Blumen (21%), Landschaften (4%) sowie figürliche Szenen, Akte und Porträts (zusammen 15%). Er hinterließ ein Werk von über 2.700 Ölgemälden sowie Dutzende von Porträts und Akte als Rötel-Zeichnungen. Außerdem Zeichnungen und Skizzen mit Bleistift, Kohle, Tinte, in Tempera und in Öl sowie einige Radierungen. Abgesehen von einigen großformatigen Bildern mit mythologischen und biblischen Szenen widmet sich Egon v.Vietinghoff ausgesprochen schlichten Motiven und lenkt die Aufmerksamkeit des Betrachters vom rein Inhaltlichen weg zur farblichen Wahrnehmung als solcher, ohne dabei abstrakt zu werden. Seine Werke sind gegenständlich und haben in den Details "impressionistische" Züge. Bei den Stillleben werden, wie auf einer Bühne, einzelne Früchte in beinahe feierlicher Ruhe präsentiert. Sie heben sich in leuchtenden Farben kraftvoll vom oft eher dunklen Grund ab, der meist aus zwei Samtstoffen besteht und äußerst zurückhaltend ausgeführt ist. Der Bildaufbau ist einfach, der Raum mit sparsamsten Mitteln strukturiert.
Zitate
- Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts befiel die jüngere Malergeneration eine wachsende Unruhe.... (und) ließ sie nach neuen Formen der Gestaltung suchen. Obgleich große Maler wie Goya, Delacroix, Corot ihr Lebenswerk kaum vollendet hatten, verbreitete sich die Ansicht, man könne nicht mehr malen wie in früheren Zeiten, denn die bildenden Künstler von damals hätten durch ihre Höchstleistungen eine sinnvolle Fortsetzung bildnerischer Tätigkeit vorweggenommen. Als ob man ein künstlerisches Erlebnis wiederholen, fortsetzen, vorwegnehmen könnte! Ebenso gut hätte man behaupten können, es lohne sich nicht mehr zu lieben, weil Romeo und Julia das Höchste in dieser Hinsicht bereits geleistet hätten.
- Die Ähnlichkeit der dargestellten mit den realen Dingen gibt keinesfalls ein Kriterium für den künstlerischen Wert eines Werkes ab, denn sie kann auf zwei vollständig verschiedenen Wegen zustande kommen. Im visionären Werk ist sie die Manifestation einer innigen Durchdringung des Gegenstandes durch die Phantasie, im naturalistischen Produkt ist sie das deskriptive Resultat messbarer Fakten in geschickter und optisch korrekter Wiedergabe. Im visionären Werk ist Naturähnlichkeit eine sekundäre Erscheinung, die vorhanden sein kann, aber durchaus nicht vorhanden sein muss, als ein Nebenprodukt künstlerischen Schaffens, das je nach der Eigenart der Vision, in mehr oder weniger großer Menge abfällt. Für den Naturalisten hingegen ist sie das einzige oder zumindest das wichtigste Ziel.
- Da wir eine transzendente Welt erahnen und zeitweise Einsicht in sie haben, muss es eine Fähigkeit des menschlichen Geistes geben, welche die Wahrnehmung der irrationalen, der absoluten Wirklichkeit ermöglicht, muss es einen "Siebten Sinn" geben, durch den wir erkennen, was außerhalb unseres beschränkten Weltbildes ist. ... Er ist die Intuition, die in ihrer künstlerischen Steigerung zur Inspiration und Eingebung führt und deren Organ hier Phantasie genannt wird.
- Mit Phantasie ist nicht Träumerei gemeint, vielmehr das scharfsinnigste und weitreichendste Instrument des menschlichen Geistes überhaupt, nämlich die Fähigkeit zu transzendentem Wahrnehmen. Fichte und andere nennen die Phantasie das schöpferische Grundprinzip des gesamten Lebens oder den metaphysischen Grundbegriff. ... Die Phantasie durchbricht die Schranken von Zeit, Raum und Kausalität, so dass wir mit dem zeitlosen Kosmos, mit Kants "Ding an sich" in unmittelbare Beziehung treten können.
- Der bildende Künstler erlebt und erkennt die Metaphysik der Welt durch ihre Sinnfälligkeit. ... Jede Stunde der Eingebung beweist ihm, dass der Zugang zum Absoluten möglich ist und jede unfruchtbare Stunde zeigt ihm, dass es sich dem Zugriff des Verstandes entzieht.
- Das Geheimnis der bildenden Künste besteht nicht darin, Gegenstände darzustellen, und auch nicht darin, Formen und Farben zu erfinden, die keine Beziehung zu Gegenständen haben, sondern darin, den inneren Rhythmus der Farben und Formen, der sich nur an Gegenständen offenbart, zu belauschen und bildlich darzustellen, den inneren Rhythmus, den wir erkennen, aber nicht erfinden oder konstruieren können.
- Wenn das Auge allein die Beziehung zum Wahrgenommenen herstellt, hört es auf, uns eine gegenständliche und stoffliche Welt zu vermitteln, denn eine solche ist erst durch den Tastsinn, durch die Erfahrung des Sehens und das Wissen um die Dinge erkennbar.
- Optisch gesehen ist ein Apfel ein runder Gegenstand, dessen Formen und Farben in einer räumlich erklärbaren Beziehung zu seiner Umgebung, zur Lichtquelle und zum Auge stehen. Die reine Anschauung eines Apfels vermittelt uns nicht mehr die Vorstellung eines von seiner Umgebung abgegrenzten runden und glatten Gegenstandes, die wir mit Assoziationen wie "essbare Frucht, glatte Oberfläche" usw. verbinden; vielmehr löst sich der Apfel als ein farbliches Teilstück, das kein Eigendasein führt, in seiner farblichen Umgebung auf. Da, wo die Abgrenzung zur Umgebung noch besteht, unterscheidet er sich lediglich durch die Verschiedenheit farblicher Eigenschaften. Durch die Phantasie gesehen löst er sich als Gegenstand auf und wird zu einem farbigen und formalen Wunder, das uns durch seinen inneren Rhythmus eine irrationale Welt erschauen lässt, die nur intuitiv wahrgenommen werden kann. Dies ist rein visuelles Schauen – und nicht dingliches Sehen. Diese Verwandlung der äußeren Erscheinung zur Vision ist das, was der künstlerische Schöpfungsakt genannt wird. Ob und wie weit die Metamorphose sich vollzogen hat, gibt den einzig gültigen Maßstab für den künstlerischen Gehalt eines Werkes ab.
- Der Naturalismus ist ... keine Kunstgattung, keine Kunstrichtung und kein Kunststil, sondern Unkunst schlechthin. Er tritt als Ermattungserscheinung künstlerischer Schöpfungskraft auf. Wenn die Phantasie erlahmt, setzt der Naturalismus ein. Die äußere Form der Gestaltung, die Gegenständlichkeit der Darstellung wird beibehalten, ohne von der Phantasie erfasst zu werden. Die künstlerische Mitteilung sinkt zu einem Täuschungsmanöver herab, zur Vortäuschung einer realen Welt....
Publikationen
- Egon von Vietinghoff, Handbuch zur Technik der Malerei, DuMont Verlag Köln 1983 und 1991, ISBN 3-7701-1519-8 (vergriffen).
- Egon von Vietinghoff – Die Stiftung (Katalog eigener Werke in der Sammlung der Egon von Vietinghoff-Stiftung mit einem Vorwort des Künstlers), Eigenverlag Zürich 1990 (Bezug nur über die Stiftung).
- Alexander v.Vietinghoff: Die visionäre Malerei des Egon von Vietinghoff, Publikation der Egon von Vietinghoff-Stiftung, Zürich 1997, ISBN 3-9521269-0-X (Bezug auch über die Stiftung).
- Bernd Lewandowski und Alexander v.Vietinghoff: Die visionäre Malerei des Egon von Vietinghoff, Videoabfilmung einer Tonbildschau, Hamburg 1996 (Bezug nur über die Stiftung).
Weblinks
- Vorlage:PND
- Die Egon von Vietinghoff-Stiftung (mit Online-Galerie und PDF-Downloads zu verschiedenen Themen)
Personendaten | |
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NAME | Vietinghoff, Egon von |
ALTERNATIVNAMEN | Egon A. Baron v.Vietinghoff |
KURZBESCHREIBUNG | Maler, Fachbuchautor |
GEBURTSDATUM | 6. Februar 1903 |
GEBURTSORT | Den Haag |
STERBEDATUM | 14. Oktober 1994 |
STERBEORT | Zürich |
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