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Neuschwanstein (Meteorit)

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Meteoritenfragment Neuschwanstein I
Fall von Neuschwanstein; Computergrafik nach visuellem Eindruck

Der Fall des Meteoriten Neuschwanstein ereignete sich am 6. April 2002 um 22:20:18 MESZ bei Füssen in Bayern in der Nähe von Schloss Neuschwanstein in deutsch-österreichischem Grenzgebiet. Der ursprüngliche Meteorit zerbarst in einer Höhe von etwa 22 Kilometern über dem Erdboden in mehrere Fragmente, welche über einem mehrere Quadratkilometer großen Gebiet niedergingen. Bisher konnten nur drei dieser Fragmente mit einer Gesamtmasse von rund 6 Kilogramm geborgen werden. Neuschwanstein wurden als Enstatit-Chondrit (Typ EL6) klassifiziert und gilt als der erste Meteorit in Deutschland (und der vierte weltweit), der aufgrund simultaner fotografischer Aufzeichnungen aufgefunden werden konnte.


Meteoritenfall & Aufzeichnung

Die 90,6 Kilometer lange Flugbahn des Meteors innerhalb der Atmosphäre begann in einer Höhe von rund 85 Kilometern und endete 16,04 Kilometer über der Erdoberfläche. Kurz vorher, in einer Höhe von etwa 22 Kilometern, am so genannten Hemmungspunkt, zerplatze der Bolide, und die kurz nachglühenden Fragmente gingen in die so genannte Dunkelflugphase über: Sie stürzten ohne weitere Leuchterscheinungen im freien Fall herab, wobei deren einzelne Flugbahnen durch Winddrift in den unteren Atmosphärenschichten beeinflusst wurden. Neuschwanstein hatte eine Eintrittsgeschwindigkeit in die Erdatmosphäre von 20,95 km/s und wurde durch Luftreibung auf ca. 2,4 km/s (zum Übergang in die Dunkelflugphase) heruntergebremst. Der Eintrittswinkel betrug etwa 47° zur Erdoberfläche.

Dem Europäischen Feuerkugelnetz gelangen Aufzeichnungen des Falls mit mehreren Feuerkugel-Stationen, u.a. mit der Station Streitheim bei Augsburg, Primda (Tschechische Republik) und Gahberg (Österreich). Durch diese Quasi-Stereoaufzeichnung konnte die Flugbahn von Neuschwanstein unter Einbezug der damaligen Windverhältnisse ziemlich exakt rekonstruiert werden. Da die Flugbahnen der einzelnen Fragmente jedoch nicht genauer präzisiert werden konnten, ermittelte man ein mehrere Quadratkilometer umfassendes Niedergangsgebiet (so genannte Streuellipse) im deutsch-österreichischem Grenzgebiet zwischen Füssen und Garmisch-Partenkirchen.[1]

Aus den vom Europäischen Feuerkugelnetz aufgezeichneten Daten konnte außerdem die Umlaufbahn des Meteoroiden um die Sonne zurückberechnet werden, und es zeigte sich, dass diese nahezu exakt mit der Bahn des Meteoriten Pribram übereinstimmte, dessen Fall bereits am 7. April 1959 in der damaligen Tschechoslowakei aufgezeichnet worden war. Es liegt daher nahe, dass beide Meteoriten vom gleichen Mutterkörper stammen könnten. Pribram ist jedoch ein gewöhnlicher Chondrit, so dass ein gemeinsamer Mutterkörper heterogener Natur sein müsste. Es könnte sich dann allenfalls um einen nur von der Gravitation zusammengehaltenen „Schutthaufen“ (engl. rubble pile) handeln.[2][3][4]

Medienecho & Augenzeugenberichte

Bemerkenswert war das Medienecho, das der Fall dieses Meteoriten verursachte. Bayernweit meldeten besorgte Bürger die helle Lichterscheinung telefonisch der Polizei. Im südlichen Bayern, insbesondere im Großraum Garmisch-Partenkirchen wurde ein lautes Dröhnen und Donnergrollen wahrgenommen. Noch über 200 Kilometer entfernt war durch die Helligkeit des Meteors mitten in der Nacht Schattenwurf an Bäumen erkennbar. In einigen Kilometern Höhe zerplatzte der Bolide und etwa ein Dutzend rot-orange nachglühender Fragmente regneten in parabelförmiger Flugbahn herab. Die Gesamtdauer des Schauspiels betrug etwa sechs Sekunden. Als nach wenigen Wochen feststand, in welcher Region die Meteoritenfragmente niedergegangen waren, setzte ein wahrer Run auf das Gebiet rund um Neuschwanstein, Füssen und dem hohen Straußberg ein.

Funde

Eine Expertenexpedition durch das DLR am 1. Mai 2002, welche zunächst noch durch die winterliche Witterung verzögert wurde, blieb auch nach intensiver Suche ohne Ergebnis. Erst einigen privaten Hobbyforschern gelang später das Auffinden einiger kleinerer Meteoritenfragmente. Das potentielle Hauptfragment (auf etwa 7 Kilogramm geschätzt) ist allerdings bis heute nicht aufgefunden worden. Es wird am Südhang des Hohen Straußberg nahe Neuschwanstein oder an der Nordflanke des Ochsenälpelekopfs vermutet. Insgesamt schätzt das DLR die ursprüngliche Gesamtmasse des Meteoroiden auf etwa 300 Kilogramm, von denen letztlich etwa 20 Kilogramm den Erdboden erreicht haben.

Neuschwanstein I

Nach einer einwöchigen Suche im Zielgebiet gelang zwei Berliner Amateurastronomen schließlich am 14. Juli 2002 der erste Fund: Ein 1,75 Kilogramm schweres Bruchstück des Meteoriten, das nur etwa 2 Kilometer vom vorausberechneten Landepunkt des Hauptfragments und nur 400 Meter seitlich der berechneten Flugbahn des Meteors lag (Koordinaten des Fundortes: Koordinaten fehlen! Hilf mit.unbenannte Parameter 1:47_31_26.1_N_10_48_28.9_E_type:landmark_region:DE-BY, 2:47° 31' 26,1" N, 10° 48' 28,9" O , 1650m ü. N.N.). Es wurde wegen der Nähe zum bekannten Schloss auf den Namen "Neuschwanstein" getauft. Der Meteorit wurde daraufhin chemisch und petrologisch untersucht. Durch Messungen der natürlichen Radioaktivität konnte bestätigt werden, dass es sich tatsächlich um ein Bruchstück des im April gefallenen Meteoriten handelte. Somit konnte in Deutschland zum ersten Mal ein Meteorit aufgrund von fotografischen Aufzeichnungen und Modellrechnungen geborgen werden. Neuschwanstein I kann im Rieskrater-Museum in Nördlingen besichtigt werden.

Neuschwanstein II

Am 27. Mai 2003 wurde ein weiteres Meteoritenstück von zwei jungen Männern aus Oberbayern entdeckt (Koordinaten: Koordinaten fehlen! Hilf mit.unbenannte Parameter 1:47_32_01.9_N_10_48_29.4_E_type:landmark_region:DE-BY, 2:47° 32' 01,9" N, 10° 48' 28,4" O , 1491m ü. N.N.), nachdem sie bereits mehrere Wochen mit der Suche verbracht hatten. Das etwa faustgroße Fundstück wog 1,63 Kilogramm. Es schlug wahrscheinlich mit hoher Geschwindigkeit (rund 250 km/h) auf die Erdoberfläche auf und drang in den Waldboden ein. Die Finder mussten es aus einer fünf Zentimeter tiefen Mulde bergen. Da das Fragment über ein Jahr lang im feuchten Bergwaldboden steckte, wies es inzwischen Korrosionsspuren (Rostflecken) auf.

Neuschwanstein III

Fast genau einen Monat später, am 29. Juni 2003, konnte das das bislang letzte, und mit 2,84 Kilogramm auch bisher größte Meteoritenfragment geborgen werden. Es lag auf einer steilen Geröllhalde, an der Nordflanke des Altenbergs im österreichischen Tirol (Koordinaten: Koordinaten fehlen! Hilf mit.unbenannte Parameter 1:47_30_58.2_N_10_49_17.7_E_type:landmark_region:AT-7, 2:47° 30' 58,2" N, 10° 49' 17,7" O , 1631m ü. N.N.). [5]

Rechtsstreitigkeiten

Um das dritte, Neuschwanstein III genannte Meteoriten-Fundstück entbrannte ein ungewöhnlicher Rechtsstreit: Es wurde von einem deutschen Physiker gefunden, welcher die Lage durch eigene Berechnungen und Computersimulationen ermittelt hatte.[6] Da sich der Fundort im Gebiet der österreichischen Gemeinde Reutte in Tirol befand, beanspruchte die Gemeinde Reutte das Eigentum an dem Fundstück und legte Klage beim Landgericht Augsburg auf Herausgabe des Meteoriten ein. Das deutsche Gericht wies die Klage am 6. Juni 2007 unter Anwendung österreichischen Rechts ab: Es handle sich bei dem Fundstück nicht um einen Schatz sondern um einen herrenlosen Gegenstand. Auch sei es kein sogenannter Zuwachs, an welchen die Gemeinde automatisch einen Eigentumsanspruch hätte.[7] Damit wurden sämtliche Besitzrechte dem Finder zugesprochen.

Die beiden in Bayern gefundenen Stücke Neuschwanstein I und Neuschwanstein II hatte man nach deutschem Recht zuvor als Schatz gewertet und ein Miteigentum des Freistaats Bayern festgestellt. [8] Während Bayern den Findern von Neuschwanstein I ihren Anteil abkaufte, und das Stück so komplett erhalten blieb, wurde Neuschwanstein II tatsächlich geteilt und somit unwiderruflich zerstört. Die Finder haben ihren Anteil in der Folge weiter geteilt, und Proben an Museen, Institutionen und private Sammlungen verkauft.

Siehe auch

Literatur

  • R. Hochleitner, D. Heinlein: Neuschwanstein, der Meteorit aus den bayerischen Alpen, Herausgeber: Kulturstiftung der Länder, Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns. München, 2003. ISBN 3-89937-040-6
  • Dieter Heinlein: Die Feuerkugel vom 6. April 2002 und der sensationelle Meteoritenfall "Neuschwanstein", 1. Auflage, Herausgeber: Dieter Heinlein. Augsburg, 2004
  • Dieter Heinlein: "Meteoritenfall in den bayerischen Alpen", in Sterne und Weltraum, Seite 66-67 (6/2002)
  • Florian Schweidler: "Der Bolide von 6. April 2002", in Sterne und Weltraum, Seite 52 (8/2002)
  • Dieter Heinlein: "Die Suche nach dem Alpen-Meteoriten", in Sterne und Weltraum, Seite 68-69 (9-10/2002)

Einzelnachweise

  1. P. Spurný, D. Heinlein, J. Oberst: „The atmospheric trajectory and heliocentric orbit of the Neuschwanstein meteorite fall on April 6, 2002“ in Proceedings of Asteroids, Comets, Meteors - ACM 2002, S. 137-140, ESA Publications Division, ISBN 92-9092-810-7 [1]
  2. DLR - Institut für Planetenforschung - Meteor Neuschwanstein
  3. J. Oberst, D. Heinlein, U. Köhler, P. Spurný: „The multiple meteorite fall of Neuschwanstein: Circumstances of the event and meteorite search campaigns“, in Meteoritics & Planetary Science, Vol. 39, No. 10, S.1627-1641 (10/2004) [2]
  4. P Spurný, J. Oberst, D. Heinlein: „Photographic observations of Neuschwanstein, a second meteorite from the orbit of the Příbram chondrite“, in Nature, Vol. 423, No. 6936, S.151-153 (05/2003) [3]
  5. DLR - Institut für Planetenforschung - Meteoritenfunde Neuschwanstein
  6. Spiegel online, 6. Juli 2007: Meteorit "Neuschwanstein 3" gehört dem Finder.
  7. sueddeutsche.de, 6. Juli 2007: Österreicher gehen leer aus. Ein Meteorit und sein Zuhause.
  8. Kristine Faust: „Wem gehört Neuschwanstein?“ in Aviso 3/2003, S.28-31. ISBN 1432-6299 [4]