Neue Musik
Unter dem Oberbegriff »Neue Musik« werden unterschiedliche Kompositionsrichtungen des 20. Jahrhunderts zusammengefaßt. Der Musikjournalist Paul Bekker zeigte in seinem gleichnamigen Buch (1923) Tendenzen des damals aktuellen Musikschaffens auf und prägte im deutschsprachigen Raum den Terminus. In der Folge festigte sich der Begriff durch seinen Gebrauch im Journalismus, in der (musik-) wissenschaftlichen Diskussion, sowie durch die Akzeptanz auf Seiten der Komponisten, Interpreten und nicht zuletzt der Rezipienten. Der Begriff erweiterte dementsprechend allmählich seinen Bedeutungshorizont.
Historische Voraussetzungen
Die Musikgeschichte weist an ihren Epochengrenzen Übergangsphasen auf, an denen das »Alte« noch und das »Neue« schon in Erscheinung tritt. Der tradierte Stil wird noch gepflegt, parallel dazu aber schon eine jeweils »neue Musik« eingeführt, die diesen in der Folge dann ablöst. Diese Übergänge werden von den Zeitgenossen immer auch als Erneuerungphasen begriffen und dem entsprechend bezeichnet. Die »Ars Nova« des 14. Jhd. etwa führt ebenfalls das »Neue« im Namen, ebenso charakterisiert »Renaissance« einen bewußt gewählten Neuanfang. Die Übergangsphasen sind zumeist von einer Steigerung des Stilmittel gekennzeichnet, in der diese – im Sinne eines »Manierismus« – bis zur Unsinnigkeit übertrieben werden. Der Stilwandel zur »neuen« Musik entsteht dann z.B. aus der Herauslösung eines der tradierten Stilmittel, auf dessen Basis dann systematisch ein kompositorisch-ästhetischer Fortschritt angestrebt und realisiert werden kann, oder auf der allmählichen Bevorzugung parallel dazu eingeführter Alternativen.
In diesem Sinne kann man die klassisch-romantische Musik des 19. Jhd. als die Steigerung der »Wiener Klassik« begreifen. Die Steigerung der Mittel macht sich hier am augenfälligsten im Quantitativen bemerkbar – Länge und Besetzungstärke der romantischen Orchesterkompositionen nehmen drastisch zu. Außerdem rückt das gesteigerte Ausdrucksbedürfnis außermusikalische (poetische) Inhalte verstärkt ins Blickfeld der Komponisten. Als Reaktion auf die verschiedenen revolutionären gesellschaftlichen Ereignisse des Jahrhunderts müssen auch die Versuche musikalische Nationalstile zu schaffen gewertet werden. Desweiteren veränderen sich die auf Mäzenatentum und Verlegertätigkeit basierenden wirtschaftlichen Bedingungen für die Künstler. Die sozialen und politischen Umstände wirken sich auch auf die Zusammensetzung des Publikums, wie auch die Organisation des Konzertlebens aus. Hinzu kommt noch eine starke Individualisierung der romantischen Tonsprache(n).
Diesen Steigerungstendenzen waren die überkommenen kompositorischen Mittel der Klassik nur bis zu einem gewissen Grad gewachsen. Gegen Ende des 19. Jhd. begann sich dann die musikalische Entwicklung abzuzeichnen, in der Paul Bekker dann rückwirkend die »Neue Musik« (mit großem »N«) erkannte. Insgesamt hatte sich die Jahrhundertwende als Aufbruchs- bzw. Verfallsphase begriffen. Jedenfalls stand sie unter dem Vorzeichen der »Modernität«, als deren Radikalisierung man die »Neue Musik« betrachten kann und deren vielfältige Konsequenzen das gesamte 20. Jhd. beeinflußt hat. Der qualitative Unterschied dieses Epochenübergangs zu den früheren besteht im Wesentlichen darin, daß nun einige Komponisten ihren historischen Auftrag darin sahen das »Neue« aus der Tradition heraus zu entwickeln und konsequent nach neuen Mitteln und Wegen zu suchen, die die überkommene »klassisch-romantische« Ästhetik vollständig zu ersetzten in der Lage wäre.
Dieser gezielte Bruch mit der Tradition ist das markanteste Merkmal dieser Übergangsphase. Der Erneuerungswille erfaßt dabei nach und nach sämtliche Stilmittel (Harmonik, Melodik, Rhythmik, Dynamik, Form, Orchestration u.s.w.). Die neuen musikalischen Stile der Jahrhundertwende stehen jedoch noch deutlich im Traditionszusammenhang des 19. Jhd. Der »Expressionismus« beerbt die Romantik und steigert deren psychologischen Ausdruckswillen, der »Impressionismus« verfeinert die Klangfaben u.s.w. Aber schon bald werden auch diejenigen Parameter berücksichtigt und zu musikalischen Experimenten genutzt, die bisher nur marginale Bedeutung hatten, wie der Rhythmus, oder aber – als bedeutendes Novum – der Einbezug von Geräuschen als musikalisch formbares Material. Die fortschreitende Technisierung der urbanen Lebensumstände fand in einer kurzlebigen Maschinenästhetik ihren Niederschlag. Signifikant ist weiterhin das gleichberechtigte Nebeneinander sehr unterschiedlicher Verfahrensweisen im Umgang mit der Tradition. Auf jeden Fall läßt sich die »Neue Musik« nicht als übergeordneter Stil begreifen, sondern kann nur anhand einzelner Komponisten oder sogar einzelner Werke in den verschiedenen Stilen ausgemacht werden. Das 20. Jhd. erscheint somit insgesamt als das Jahrhundert neuer Musik.
Das »Neue« wurde zunächst weder kommentarlos hingenommen, noch von der Mehrheit des Publikums begrüßt. Die Uraufführung einiger besonders anvancierter Stücke führt zu heftigsten Reaktionen seitens des Publikums, die in ihrer Drastik heute eher befremdlich wirken. Die lebhaften Beschreibungen verschiedener legendäre Skandalaufführungen (z.B. Strawinskys »Le sacre du printemps« 1913) mit Handgemenge, Schlüsselpfeifen und Polizeieinsatz, wie auch das journalistische Echo mit ihrer unverholenen Polemik und Diffamierungen bezeugen den schweren Stand den die »Neutöner« von Anfang an hatten. Immerhin scheint die »Neue Musik« in diesem frühe Stadium noch auf ein erstaunlich hohes öffentliches Interesse gestoßen zu sein. Mit zunehmender Akzeptanz des Publikums stellte sich jedoch auch eine gewisse Erwartungshaltung ein. Diese wiederum resultiert in einem diskreten Zwang zu Orginalität, Modernität und Neuigkeit, der jedoch die Gefahr der modischen Verflachungen und routinierten Wiederholung in sich birgt.
Die Komponisten der »Neuen Musik« haben es ihren Zuhörern nicht leicht gemacht. Unabhängig von der Art ihrer musikalischen Experimente scheinen sie schnell festgestellt zu haben, daß das Publikum ihren mitunter sehr anspruchsvollen Schöpfungen weitestgehend hilf- und verständnislos gegenüber stand. Das war natürlich für viele um so enttäuschender, da es sich ja um eben dasselbe Publikum handelte, das den Meistern der klassisch-romantischen Tradition, als deren legitime Erben man sich verstand, einhelligen Beifall zollte. Man erkannte in der Folge den Erklärungsbedarf des Neuen. Viele Komponisten bemühten sich daher den zum Verständnis ihrer Werke theoretischen und ästhetischen Unterbau gleich mitzuliefern. In besonderer Weise ist das musikwissenschaftliche und musiktheoretische Schrifttum, etwa Schönbergs oder aber Busonis visionärer »Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst« von großem Einfluß auf die Entwicklung der »Neuen Musik«. Ebenfalls bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der von Kandinsky und Marc herausgegebene Almanach »Der blaue Reiter« (1912), der u. a. einen Aufsatz über »Die freie Musik« von einem Dr. N. Kulbin enthält. Diese Bereitschaft zur intellektuellen und auch handwerklichen Auseinandersetzung der Komponisten mit den ungelösten Problemen der Tradition umzugehen, wie auch die mitunter unbeugsame Haltung in der Verfolgung der gesteckten kompositorischen Ziele und Versuchsanordnungen sind weitere charakteristische Merkmale der »Neuen Musik«.
Der unter diesen Voraussetzungen entstehende »Stilpluralismus« setzt sich bis in die Gegenwart fort. In so fern taugt der Terminus »Neue Musik« weder als Epochen-, noch als Stilbezeichnung. Vielmehr besitzt er eine qualitative Konnotation, die mit dem Maß der Originalität (i.S.v. neuartig oder unerhört) der Herstellungsmethode, wie des Endergebnisses zusammen hängt. »Expressionismus« und »Impressionismus«, aber auch Stilrichtungen der bildenden Kunst wir »Futurismus« und »Dadaismus« bieten die ästhetische Grundlage, auf der die »Neue Musik« entstehen kann. Vielleicht kann man am ehesten (im Sinne Bekkers) diejenigen Komponisten und Werke, die sich im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts dann als »Klassiker der Moderne« im Konzertbetrieb haben etablieren können unter der Überschrift »Neue Musik« zu verstehen suchen. Also neben Schönberg, Berg und Webern noch Strawinsky, Bartok und Hindemith. Die Darstellung und Beurteilung der historischen Entwicklung auf der Basis einer angenommenen »Rivalität« zwischen Schönberg und Strawinsky ist ein Konstrukt, das auf Adorno zurück zu führen ist. Eine zeitliche Grenze wäre dann mit der Zäsur des zweiten Weltkrieges zu ziehen. Viele der frühen stilistischen, formalen und ästhetischen Experimente der »Neuen Musik« gehen dann in den Kanon des kompositorischen Handwerkszeug über, der ab der Jahrhundertmitte dann gelehrt und an eine junge Generation von Komponisten (wiederum) neuer Musik weiter gegeben wird. In dieser Hinsicht ist auch die Entwicklung der Schallaufzeichnung und Rundfunktechnik ursächlich mit der »Neuen Musik« verbunden, da sie – zum ersten Mal in der Musikgeschichte – einen Einblick in die Interpretationsgeschichte alter, wie neuer Musik bietet. Sie ermöglicht letztlich die technisch reproduzierte Gegenwart jeglicher Musik. Außerdem ist diese Technik selbst ein Novum. Ihr musikalisches Potential wurde von Anfang an systematisch erforscht und von Komponisten in entsprechenden kompositorischen Experimenten genutzt.
In der Abkehr vom klassisch-romantischen Stil wählen die Komponisten nun teilweise freie (Rhapsodie, Phantasie), neutrale (Konzert, Orchesterstück), oder selbst gewählte, mitunter extrem kurze, aphoristische Formen (Webern, Schönberg). Andere halten an überkommenen Formkonzepten fest, obwohl ihre Werke selbst dieses Konzept ad absurdum führen (einsätzige Klaviersonaten von Skrjabin, Sonatenhauptsatzform unter Aufgabe der diese erst begründenden Tonalität bei Schönberg). Selbst der fundamentale Grundgedanke einer kontinuierlichen, zielgerichteten Verarbeitung musikalischer Gedanken innerhalb eines Werkes verliert, parallel zum Verlust des Fortschrittsglaubens des 19. Jahrhunderts, sein Primat. [1] Neue Möglichkeiten der Formgestaltung, über bisher eher stiefmütterlich behandelte Parameter der Musik, wie die Klangfarbe, den Rhythmus, die Dynamik, systematische bzw. freie Montagetechniken bei Strawinski [2] oder Charles Ives, die Ablehnung der Zeitgerichtetheit von Musik, sowie ein zunehmender Individualismus beanspruchen ihren Platz. Selbst innerhalb der romantischen Stilepoche beginnen sich die Grenzen zu verwischen: Richard Strauss notiert größere Passagen seiner Oper Elektra (1909 uraufgeführt) im Prinzip schon ohne tonale Bezüge, Gustav Mahler lässt im ersten Satz seiner Torso gebliebenen (er starb 1911) 10. Sinfonie einen Akkord aus neun Tönen der chromatischen Skala erklingen.
Die kompositorischen Mittel und Stile der »Neuen Musik«
Der gewichtigste Schritt im Sinne der Neuorientierung der musikalischen Sprache ist im Bereich der Harmonik vollzogen worden, nämlich die schrittweise Aufgabe der Tonalität hin zur »freien Atonalität« und schließlich zur Zwölftontechnik. Die Tendenz immer komplexere Akkordbildungen zu verwenden führt bereits gegen Ende des 19. Jhd. in harmonische Bereiche, die sich mit der zu Grunde liegenden Dur-Moll Tonalität nicht mehr eindeutig erklären lassen. Ein Prozess, der bei Wagner und Liszt (also tief im 19. Jhd.) schon seinen Anfang nimmt. Hieraus nun zieht Arnold Schönberg mit seinen Schülern Alban Berg und Anton Webern die planvollste Konsequenz, die in der Formulierung (1924) der Methode der »Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen« ( Zwölftontechnik, Dodekaphonie) gipfelt. Diese atonalen Kompositionsregeln stellen den Komponisten ein Handwerkszeug zur Verfügung, das die Prinzipien der Tonalität vollständig vermeidet. Die Bezeichnung als »Zweite Wiener Schule« in Analogie zur ersten (Haydn, Mozart, Beethoven) verrät schon die Sonderstellung die dieser Komponistengruppe, als Vermittlungsinstanz zu kommt. Das Prinzip alle zwölf Töne der temperierten Skala gleichberechtigt, ohne Bevorzugung einzelner Töne planvoll zu verwenden scheint in den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jhd. mehrere Komponisten beschäftigt zu haben, die parallel und unabhängig von Schönberg zu ähnlich kühnen Ergebnissen vorstoßen.
Weitere Komponisten, in deren Werken der sich »zwölftönige« und »serielle« Ansätze erkennen lassen sind Josef Mathias Hauer, der sich öffentlich mit Schönberg um die Erfindung der »Zwölftonmusik« stritt. Ferner ist mit Alexander Skrjabin in Rußland ein Komponist aktiv, dessen atonale auf Quartenschichtung basierende »Klanzentrumstechnik« in der Folge einer ganze Generation junger Komponisten den Weg zu bemerkenswerten Experimenten geebnet hat, deren Bedeutung für die »Neue Musik« erst langsam im Verlauf der zweiten Jahrhunderthälfte erkannt worden ist, da sie von der stalinistische Diktatur systematisch aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit entfernt wurden. Hier seien stellvertretend Nikolai Roslawez, Arthur Lourié, Alexander Mossolow und Iwan Wyschnegradsky genannt.
Eine musikalisch Quelle deren Potential ebenfalls zu Experimenten genutzt wurde ist die Folklore. Hatten schon vorhergehende Komponistengenerationen immer wieder exotische Sujets gewählt, um von den herrschenden Kompositionsregeln abweichende Strukturen zu legitimieren, so ist bei Claude Debussy erstmals in größerem Maße eine stilistische und strukturelle Anverwandlung der javanischen Gamelanmusik zu beobachten, die dieser auf der Pariser Weltausstellung erstmalig kennengelernt hatte. In diesem Zusammenhang ist das Werk Béla Bartóks als vorbildhaft zu betrachten, der bereits 1908 die meisten grundlegenden Eigenarten seines Stils mittels der systematischen Auseinandersetzung mit der Folklore des Balkans erkundet hatte. Im Zuge dieser Entwicklung gelangt Bartók mit seinem »Allegro barbaro« (1911) zur Behandlung des »Klaviers als Schlaginstrument«, das in der Folge den Umgang der Komponisten mit diesem Instrument maßgeblich beeinflußte.. Die rhythmischen Komplexitäten, wie sie die slawische Folklore in besonderem Maße hervorbringt, hat sich auch Igor Strawinsky in seinen frühen Balettkompositionen, die für Serge Diaghilews »Ballets Russes« entstanden sind, angeeignet. Bezeichnenderweise hüllt Strawinsky sein in dieser Hinsicht revolutionärstes Experiment (»Le sacre du printemps« 1913) in eine »barbarisch-heidnische« Handlung.
Strawinsky ist es auch der im weiteren Verlauf der 10er Jahre seinen Kompositionstil nun in eine Richtung fortentwickelt, die beispielgebend für den »Neoklassizismus« wird. In Frankreich traten verschiedene junge Komponisten auf den Plan, die sich einer ähnlichen betont antiromantischen Ästhetik verschrieben. Als Vaterfigur figurierte der kauzige Erik Satie und als führender Theoretiker trat Jean Cocteau in Erscheinung, auf den auch die Namensgebung der »Groupe des Six« zurück geht. In Deutschland ist Paul Hindemith der prominenteste Vertreter dieser Richtung. Den Vorschlag sich zur Erneuerung der musikalischen Sprache des musikalisch Formenkanon, etwa des »Barock«, zu bedienen war bereits von Busoni in seinem »Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst« unterbreitet worden. Im Frühjahr des Jahres 1920 formuliert Busoni diesen Gedanken erneut in einem Aufsatz mit dem Titel »Junge Klassizität«.
Bemerkenswert sind desweiteren die radikalen Experimente, die den Möglichkeiten mikrotonalen Musik gewidmet sind. Zu nennen wären hier Alois Hába, der von Busoni ermutigt seine Voraussetzungen im böhmisch-mährischen Musikantentum fand und andererseits Ivan Wyschnegradsky, dessen Mikrotonalität als konsequente Weiterentwicklung der Klangzentrumstechnik Alexander Skrjabins zu begreifen ist. Im Gefolge des in der bildenden Kunst angesiedelten italienischen Futurismus um Filippo Tommaso Marinetti und Francesco Balilla Pratella entwarf Luigi Russolo in seinem Manifets »Die Kunst der Geräusche« (1916) einen als »Bruitismus« bezeichneten Stil, der sich neu konstruierter Geräuscherzeuger, den sogenannten »Intonarumori«, bediente.
Interessante musikalische Experimente, die in den Bereich musikalischer Nutzanwendung von Geräuschen vordringen entdeckt man in den sogenannten »tone clusters« von Henry Cowell. Zu durchaus vergleichbaren Tonballung tendieren auch einige der frühen Klavierstücke Leo Ornsteins und George Antheils. Mit Edgard Varese und Charles Ives seinen noch zwei Komponisten erwähnt, deren außergewöhnlich Werke sich keiner Strömung zuschlagen lassen und die erst von der Generation der zweiten Jahrhunderthälfte im vollen Umfang ihrer Bedeutung wahrgenommen wurden. Ein besonderes Augenmerk verdienen auch die verschiedenen Experimente der Konstruktion neuer elektro-akkustischer Spielinstrumente, besonders auch hinsichtlich der für sie geschaffenen Originalkompositionen. Zu nennen wären hier Lew Termens »Thermenvox«, Friedrich Trautweins »Trautonium« und die »Ondes Martenot« des Franzosen Maurice Martenot.
Allgemein kann festgestellt werden, dass die Zeit ab ca. 1920 eine des allgemeinen „Aufbruchs zu neuen Ufern“ war - mit vielen sehr verschiedenen Ansätzen. Im wesentlichen hat sich dieser Pluralismus an Stilarten bis heute bewahrt, bzw. nach einer kurzen Zeit einer Art „musikalischen Diktatur“ des Serialismus (ab etwa Mitte der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts) wieder eingestellt.
Die Institutionalisierung der »Neuen Musik« und der musikalische Neuanfang nach 1945
Musik unter dem Nationalsozialismus
Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden die meisten Formen der Neuen Musik, ebenso wie beispielsweise die Jazzmusik, als „entartet“ eingestuft und verboten oder unterdrückt. Die Ausstellung „Entartete Musik“ anlässlich der Reichsmusiktage 1938 in Düsseldorf prangerte das Schaffen von Komponisten wie Paul Hindemith, Arnold Schönberg, Alban Berg und Kurt Weill an, die darauf ins Exil gingen. Gefördert wurde stattdessen im Sinne der NS-Kulturpolitik die harmlose Unterhaltungs- und Gebrauchsmusik wie Operette, Tanz- und Marschmusik, die in die Propaganda einbezogen wurden. Von den Nazis wurden zahlreiche Komponisten, häufig wegen ihrer jüdischen Herkunft, verfolgt oder ermordet.
Eine wichtige Quelle über die Rolle der Musik in der Nazizeit bildete die Rekonstruktion der o.g. Ausstellung „Entartete Musik“, die ab 1988 zunächst in Frankfurt in einer kommentierten Version gezeigt wurde, womit eine - längst überfällige - Aufarbeitung dieses Themas beginnen konnte.
Die Nazizeit war also - mindestens für den deutschsprachigen Raum - ein großer Einschnitt, was die Entwicklung der Musik anbelangt, weil viele der kreativsten Komponisten und Musiker ins Exil gehen mussten. In anderen Ländern gab es völlig andere Entwicklungen - so etwa in England, wo es eine ganz andere Kontinuität in der musikgeschichtlichen Entwicklung gibt. Ein Komponist wie Benjamin Britten war gleichzeitig Traditionsbewahrer und Erneuerer.
Musik in der Sowjetunion
In der Sowjetunion gab es nach der Revolution in allen kulturellen Gebieten zahlreiche Experimente. Mit Aufkommen des Stalinismus wurde eine Richtung, die ab 1932 Sozialistischer Realismus genannt wurde, in allen künstlerischen Bereichen zur Doktrin. Nach 1956 setzte eine Liberalisierung ein, eine Avantgarde wie in anderen europäischen Ländern konnte aber kaum entstehen. Der wichtigste Komponist dieser Zeit, Dmitri Schostakowitsch musste sich immer wieder existenzbedrohender Kritik durch die allmächtige Partei bis hinauf zu Stalin persönlich erwehren. In der Folgezeit gelang es aber einigen Komponisten nach Stalins Tod entstehende kulturelle Freiräume zunehmend zu nutzen, besonders zu nennen sind hier Alfred Schnittke und Sofia Gubaidulina (die Schostakowitsch insgeheim auf ihrem kompositorischen Weg unterstützte).
Musikalischer „Wiederaufbau“
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges werden die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik, die alle zwei Jahre vom Internationalen Musikinstitut Darmstadt veranstaltet werden, zu der in Deutschland einflussreichsten internationalen Veranstaltung Neuer Musik. Herrschend waren dort Kompositionstechniken der seriellen Musik. Leitfigur wird Anton von Webern. Olivier Messiaen, der in seinen Werken u. a. musikalische Techniken außereuropäischer Musikkulturen aber auch Methoden der seriellen Musik verwendet, ist Lehrer einiger der Komponisten, die dort am meisten Aufsehen erregen. Unter ihnen sind:
- Pierre Boulez (auch Tätigkeit als Dirigent Neuer Musik)
- Karlheinz Stockhausen (u. a. Komponist elektronischer Musik)
- Luciano Berio
- Mauricio Kagel experimentelles Musiktheater.
- Iannis Xenakis
(Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch das Institut für Neue Musik und Musikerziehung (INMM) Darmstadt mit seiner jährlichen Frühjahrstagung (-> www.neue-musik.org) und das Darmstädter Internationale Musikinstitut (IMD), das über ein umfangreiches Archiv seltener Aufnahmen verfügt, besonders auch von früheren Veranstaltungen der Internationalen Ferienkurse für Neue Musik. Die Aufnahmen stehen auf diversen Medien zur Verfügung; seit mindestens 1986 auch auf digitalen Medien.)
Während in der Vorkriegszeit die Hauptimpulse zur Entwicklung Neuer Musik aus Mitteleuropa, vornehmlich dem deutschsprachigen Raum, kamen und andere Avantgardisten, z. B. in den USA Charles Ives, wenig Beachtung fanden, wurde nun die Entwicklung zunehmend internationaler. Traditionell starke Musikländer, wie Frankreich (mit Olivier Messiaen, Pierre Boulez und Iannis Xenakis), Italien (Luciano Berio, Luigi Nono) lieferten wichtige Beiträge, andere, wie Polen (Witold Lutoslawski, Krzysztof Penderecki), kamen hinzu. In den USA war der Kreis um John Cage (z. B. Morton Feldman) bedeutend. Nicht untypisch für die Nachkriegsentwicklung in Deutschland war, dass die emigrierten Musiker insgesamt nur wenig beitragen konnten, sondern eher der „Nachwuchs“ (besonders Karlheinz Stockhausen) prägend wurde - mit erheblicher Unterstützung z. B. aus Frankreich: Messiaen war Lehrer von Stockhausen und Boulez ein Stammgast der Internationalen Ferienkurse in Darmstadt. In diesem Sinne mag die Musik sogar mitgeholfen haben beim Friedensprozess der Nachkriegszeit. Schließlich sei auch angemerkt, dass einige wichtige Vertreter der Neuen Musik in Deutschland den Weg von anderswo an ihre Wirkungsstätte fanden, so aus Ungarn György Ligeti und aus Argentinien Mauricio Kagel.
Als bedeutendster (wenngleich nicht unumstrittener) Theoretiker der Neuen Musik im deutschsprachigen Raum gilt Theodor W. Adorno (1903–1969), ein Schüler von Alban Berg. In seiner 1949 erschienenen Philosophie der neuen Musik plädiert Adorno für Schönbergs atonale Kompositionsweise und setzt diese dem als Rückfall in bereits veraltete Kompositionstechnik betrachteten neoklassizistischen Stil Strawinskys entgegen. Die atonale Revolution um 1910 durch Schönberg bedeutet für Adorno die Befreiung der Musik vom Zwang der Tonalität und damit die ungehinderte Entfaltung des musikalischen Ausdrucks qua freier Atonalität mit dem vollen Triebleben der Klänge. Bekannter Theoretiker der Neuen Musik im deutschen Sprachraum ist heutzutage Heinz-Klaus Metzger, der wesentlich an Adornos Philosophie anknüpft.
Einen weiteren Einschnitt bildet die Zeit um 1950; der Kritiker Karl Schumann resummiert, das Wirtschaftswunder habe auch zu einem Kulturwunder geführt. Ab den 50er Jahren treten verschiedene Entwicklungen ein, u. a.:
- Aleatorik (Würfelzufall): John Cage
- Neodadaismus (ab etwa 1968)
- Verwendung von Alltagsgeräuschen, Musique concrète: u. a. Pierre Schaeffer, Luc Ferrari
- Erweiterung traditioneller Spieltechniken: Helmut Lachenmann und der junge Krzysztof Penderecki
- Mikropolyphonie, Klangfarbenmusik: György Ligeti, Erhard Grosskopf
- Minimal music in Amerika: u. a. Terry Riley; Steve Reich,John Adams. Ein minimalistischer Zug wohnt auch der religiösen Musik Arvo Pärts inne.
- in Deutschland: Neue Einfachheit; Zu ihren Vertretern zählt u. a. Hans-Jürgen von Bose
- Musique spectrale vor allem in Frankreich: Harmonie und Melodie werden aus den akustischen Gegebenheiten des Klanges heraus definiert, ein Hauptvertreter und immer wieder zitiertes Vorbild ist Tristan Murail.
Eine weitere Dimension ist bei einigen Komponisten die Hinzunahme einer weltanschaulichen bzw. politischen (in aller Regel „links“ orientierten) Grundorientierung, besonders erkennbar natürlich bei Vokalkompositionen. Zu nennen sind hier als quasi Vater der Idee Hanns Eisler, später etwa Luigi Nono, Yitzhak Yedid, Hans Werner Henze und Nicolaus A. Huber.
Vor allem ab den 70er Jahren setzt ein Trend zur Individualisierung, insbesondere eine endgültige Ablösung vom „Diktat“ des Serialismus, ein. In der Musik unserer Zeit kann man daher von einem Stilpluralismus sprechen. In Ligetis Musik z. B. sind musikalische Einflüsse aus verschiedenen Kulturen und Zeiten zu beobachten.
Allgemein ist zu bemerken, dass eine feste Einteilung der Komponisten in Strömungen und „Schulen“ nicht zwingend sein kann, da sich viele zeitgenössischen Komponisten in ihrem Leben mit mehreren Stilistiken befasst haben (bestes Beispiel: Igor Stravinsky, der obwohl jahrzehntelang als Antipode Schönbergs gehandelt, im Alter zur seriellen Technik überging). Außerdem existiert neben der jeweiligen Avantgarde eine große Zahl von Komponisten, die neue Techniken mehr oder weniger partiell und selektiv in ihre von der Tradition bestimmte Kompositionsweise integrieren bzw. eine Synthese zwischen beiden Welten versuchen, was mit dem Stichwort Gemäßigte Moderne nicht ganz ausreichend, weil zu einseitig, beschrieben ist.
- Siehe auch: Portal:Musik, Epochen der Musik, Musikgeschichte, Neue Klassik, Zeitgenössische Vokalmusik
Theoretiker der Neuen Musik in Deutschland
- Theodor W. Adorno (1903–1969)
- Heinz-Klaus Metzger (* 1932)
Foren der Neuen Musik
- Aspekte, Salzburg
- Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik, Darmstadt
- Donaueschinger Musiktage, Donaueschingen
- Eclat, Stuttgart
- Ensemblia, Mönchengladbach
- musica viva, München
- Wittener Tage für neue Kammermusik
- Mouvement - Musik im 21. Jahrhundert, Saarbrücken
- Warschauer Herbst, Warschau
- Rencontres Internationales de Musique Contemporaine, Metz (seit 1982 eingestellt)
- V:NM Verein zur Förderung und Verbreitung Neuer Musik, Graz
- Weltmusiktage, jährlich den Austragungsort wechselnd
- Wien Modern, Wien
Ensembles
- a rose is, Berlin
- musikFabrik, Köln
- Musica rara Quintett, Erfurt
- archae.o.pteryx, Saarbrücken/Landau
- Ensemble Modern, Frankfurt
- Junge Deutsche Philharmonie, Frankfurt
- die reihe, Wien
- L'art pour l'art, Winsen
- Das Neue Ensemble, Hannover
- L'Ensemble intercontemporain, Paris
- Neue Vocalsolisten, Stuttgart
- ensemble recherche, Freiburg
- ensemble SurPlus, Freiburg
- Ensemble Aleph, Paris
- Trio Arcadia, Rom
- Arditti-Quartett, London
- Arbireo Flute Quartet, Ludwigsburg
- Pierrot Lunaire Ensemble Wien
- Klangforum Wien
- Ensemble Phorminx, Darmstadt
- Nova Ensemble Wuppertal
- Initiative für Neue Musik SUONO MOBILE, Stuttgart
- Ensemble Sortisatio, Leipzig
Organisationen und Institutionen
- Internationale Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) bzw. (ISCM), - organisiert die von Mitgliedsland zu Mitgliedsland jährlich wechselnden Weltmusiktage.
- Gesellschaft für Neue Musik e.V. (GNM),
- Institut für kulturelle Innovationsforschung - new classical e.V. (IKI),
- Institut für Neue Musik und Musikerziehung Darmstadt
- Deutsche Gesellschaft für Elektroakustische Musik (DEGEM), - Vereinigung zur Verbreitung und Förderung elektroakustischer Musik.
- Verband für aktuelle Musik Hamburg.
- Fondazione Atopos :: zeitgenössische klassische Musiko5 o6
Zeitschriften für Neue Musik
- Dissonanz. Schweizer Zeitschrift für aktuelle Musik (erscheint in einer zweisprachigen Fassung: deutsch und französisch)
- KunstMusik. Schriften zur Musik als Kunst
- MusikTexte
- nmz neue musikzeitung
- Neue Zeitschrift für Musik
- Positionen. Beiträge zur Neuen Musik
Literatur
- Theodor W. Adorno: Philosophie der neuen Musik. Tübingen 1949; Frankfurt a.M. 2003, Suhrkamp ISBN 3518293125
- Paul Bekker: Das deutsche Musikleben (1916)
- Christoph von Blumröder: Der Begriff „neue Musik“ im 20. Jahrhundert. München, Salzburg: Musikverlag Emil Katzbichler, 1981 (= Freiburger Schriften zur Musikwissenschaft, Bd. 12) (ISBN 3-87397-059-7).
- Paul Griffiths: Modern Music and after. Oxford University Press, 1995, ISBN 0198165110
- Ulrich Dibelius: Moderne Musik nach 1945. erweiterte Neuauflage, Piper Verlag, München 1998, ISBN 3492040373
- Handbuch der Musik im 20. Jahrhundert. 12 Bände, Laaber 1999–2006, ISBN 3-89007-420-0
- Hans-Werner Heister, Walter-Wolfgang Sparrer (Hg.): Komponisten der Gegenwart (KDG). Loseblatt-Lexikon, edition text+kritik, München 1992ff., ISBN 3883777994
- Hans Heinz Stuckenschmidt: Neue Musik zwischen den Weltkriegen. 2. Auflage, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1986, ISBN 3518371576
- Martin Thrun: Neue Musik im deutschen Musikleben bis 1933. Orpheus-Verlag GmbH, Bonn 1995, ISBN 3-922626-75-0
Siehe auch
- ↑ Ekkehard Kreft: Harmonische Prozesse im Wandel der Epochen (3.Teil) Das 20. Jahrhundert. Peter Lang, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-631-47141-6
- ↑ Entsprechendes Kapitel in Wolfgang Burde, Strawinsky: Leben, Werke, Dokumente, Schott, 1992 ISBN 3-7957-8215-5